Mittwoch, 31. Dezember 2014

61. Kapitel



„Erst einmal danke für Ihre Hilfe“, sagte sie dem Weisen aus der Küche. „Falls das alles so stimmt, haben Sie uns sehr geholfen.“
Aha, sie war also auch nicht ganz überzeugt. Der Weise nahm den Dank jedoch gelassen an, verabschiedete sich und ging zurück in die Küche zum Kartoffelschälen. Vielleicht kündigte er auch, um es sich in einer anderen Küche bequem zu machen. Da konnte man sich wohl nicht sicher sein.
„Zuerst einmal müssen wir herausfinden wie wir nach Technopolis kommen falls wir den Weg zur Grenze zur Realität finden sollten“, sagte meine Oma als er außer Sicht verschwunden war. „Technopolis liegt hinter den Blockadenbergen. Mit normalen Mitteln ist da kein Durchkommen. Auch der gesunde Menschenversand hat dort keine Station.“
Ich war ehrlich gesagt erleichtert darüber. Mir war jedes andere Transportmittel lieber.
„Fragen wir doch einfach Mr. Ian Woon“, schlug Blue vor. „Er kennt bestimmt jemanden, der uns da rüberfliegen kann oder so.“
Damit war es beschlossene Sache. Wir würden es versuchen, egal ob wir dem Weisen aus der Küche alles glaubten was er gesagt hatte oder nicht. Eine Wahl hatten wir sowieso nicht.
„Hast du dazu gar nichts zu sagen, Hannes?“, fragte ich, da er die ganze Zeit über nichts gesagt hatte.
„Ich finde die Vorstellung nicht schön, dass wir alle nur Charaktere in einer Geschichte sind. Das würde nämlich bedeuten, dass es die Schuld eines Autors ist, dass ich verflucht wurde und dass der Fluch gelöst werden könnte wenn der sich nur dazu aufraffen könnte es zu schreiben“, grummelte er.
Das konnte ich nachvollziehen. Unbeholfen tätschelte ich ihm den Rücken, was ihn ein wenig aufzumuntern schien. Alle weiteren Beileidsbekundungen mussten jedoch warten, denn meine Oma hatte schon wieder die Gedankenspinne aufgestellt, um  Mr. Ian Woon unsere neuen Pläne mitzuteilen.
„Ich schieß mal die Tür“, ertönte plötzlich eine Stimme von einem der Tische.
Der Wirt rief nicht dazwischen, sondern beobachtete selbstzufrieden wie der Mann auf seine neue Hautür zuging, sich in Position brachte und…
Die Tür schoss und ließ den Mann verwirrt im Schankraum stehen. Seine Waffe war ihm aus der Hand geschossen worden. Sowas nannte sich dann wohl die Rache der Türen. Die hauten nicht nur zu, sondern schossen jetzt auch zurück. Der Wirt wandte sich zufrieden pfeifend wieder der Kaffeemaschine zu, die anscheinend irgendeinen Defekt hatte und lauter Gemalhennen in der Schenke herumlaufen ließ.
Mr. Ian Woon war ebenfalls skeptisch was die Geschichte anging, war jedoch bereit uns das Risiko eingehen zu lassen. Zu verlieren hatte auch er nichts mehr, denn der Rat war nur dabei sich zu verhauen, sodass keine Ergebnisse zustande kommen würden.
Das einzige Problem, das wir noch sahen, war wie wir den Autor auf uns aufmerksam machen konnten, falls es denn einen gab. Blue versuchte es damit im Schankraum Räder zu schlagen, was einige der Gäste verschreckte, doch das schien nicht zu funktionieren, vielleicht weil es nicht gegen seine Natur ging. Den Rest der Gäste verschreckte er dann als er sein Plotbunny auf den Tisch setzte. Alle verließen sofort in Panik den Schankraum und der Wirt sah aus als würde er uns am liebsten rausschmeißen. Vermutlich waren wir aber die am meisten zahlenden Gäste, dank Mr. Ian Woon, sodass er sich damit ins eigene Fleisch geschnitten hätte.
Ich versuchte es, indem ich eine peinliche Geschichte nach der anderen erzählte, die ich niemals irgendjemandem hatte verraten wollen. Das funktionierte auch nicht und danach war ich nur peinlich berührt und die anderen lagen am Boden vor Lachen. Mehr geschah nicht.
Sollte ich jemanden mit der TSoD umbringen? Das fände ich doch sehr hart. Aber es würde absolut nicht zu mir passen – hoffte ich jedenfalls – und einen riesigen Skandal verursachen.
Irgendwann kamen einige Pilzizisten, die Burns mitnahmen. Das war vermutlich besser für ihn, denn die TSoD hatte immer einladender ausgesehen und noch einladender war die Vorstellung der Schaufel auf seinem Kopf gewesen. Meine Oma steuerte etwas bei, indem sie das gefährlichste Gericht der ganzen Drachenschenke bestellte.
Bei Boomorangen konnte man sich nie sicher sein, ob sie in deinem Mund explodierten oder nicht, erklärte sie mir während sie sich die Boomorangen stückchenweise in den Mund schob. Glücklicherweise passierte ihr nichts. Dummerweise passierte auch sonst nichts.
Verdammt. Es sah immer mehr danach aus, dass wir doch jemanden umbringen mussten. Ich wagte es diesen Vorschlag zu machen.
„Bitte, hat irgendjemand noch andere Ideen?“, fragte ich verzweifelt.
„Ähm…“ Hannes hatte zögerlich eine Hand gehoben. „Es gibt da was.“
„Und was?“, fragte ich. Alles nur keinen Mord begehen.
„Das… kann ich wirklich nicht sagen.“
„Es kann nicht schlimmer sein als der Vorschlag jemanden umzubringen“, beteuerte ich. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich den tatsächlich gemacht hatte.
„Los, spuck’s aus“, meinte Blue.
„Ich würde es dir ja gerne sagen.“
„Warum tust du es dann nicht?“, fragte ich genervt.
„WEIL IM PLOT ETWAS ANDERES STEHT!!!“, kreischte eine aufgebrachte Stimme, die aus dem Nirgendwo zu kommen schien.
„Äh… hallo?“, fragte ich vorsichtig.
Eine sehr lange Stille folgte, in der niemand zu sprechen wagte. Da wir den Schankraum mit unseren vorherigen Versuchen erfolgreich geleert hatten, wurde sie von nichts und niemandem unterbrochen und wir alle lauschten gespannt, um herauszufinden zu wem die weibliche, körperlose Stimme gehörte.
„Werde ich verrückt, oder hat da gerade jemand geantwortet?“, fragte die Stimme.
„Du bist nicht verrückt“, antwortete ich nervös. „Aber wer genau bist du?“
„Wer genau bist du?“, fragte die Stimme zurück.
„Ich bin Mia. Und bei mir sind Hannes, Blue, Freundschaf und meine Oma“, beschrieb ich unsere Runde.
„Unmöglich…“ Die Stimme schwieg wieder für mindestens eine Minute. „Unmöglich. Das sind meine Charaktere!“
„Hey!“, beschwerte sich Blue. „Wir sind keine Charaktere!“
„Doch, seid ihr“, protestierte die Stimme mit einem Hauch von Arroganz. „Ich schreibe seit einer ganzen Weile an eurer Geschichte!“
„Moment mal… wenn du tatsächlich unsere Autorin bist“, dämmerte es mir. „Dann bist du schuld, dass Phoenix gestorben ist!“
„Nun ja… so kann man das nicht ausdrücken. Ich wusste doch nicht…“
„Dann ist es deine Schuld!“, schrie ich. „Hol sie doch einfach zurück! Wenn das wirklich eine Geschichte ist, dann kannst du es einfach rückgängig machen!“
„Das passt aber nicht in die Geschichte“, meinte die Autorin störrisch. „Obwohl ich auch weinen musste als sie gestorben ist.“
„Das ist aber nicht das gleiche!“, explodierte ich. Vielleicht hatte ich auch eine Boomorange gegessen. „Und schreib doch einfach die ganzen Plotbunnys weg; dann haben wir diese ganzen Probleme gar nicht!“
„Das funktioniert so nicht“, sagte die Stimme. „Die Geschichte hat sich selbstständig gemacht! Da kann ich herzlich wenig dran ändern!“
„Oh“, kam mir plötzlich noch eine Idee. „All dieser Mist, den wir durchlebt haben… das warst auch du! Ich wusste doch, dass mir die Sachen alle seltsam vorkamen! Das waren alles nur Schreibfehler!“
„Es waren nicht alles meine, aber ja, so gesehen hast du Recht. Das waren alles Tippfehler“, gab die Autorin zu.
„Du…!“, tobte ich. Dann sah ich die anderen, die nur am Tisch saßen und mir zusahen. „Sagt doch auch mal was dazu!“, fuhr ich sie an.
„Was würde das bringen?“, meinte meine Oma. „Ich bin auch nicht mit allem einverstanden was wir durchmachen mussten, aber falls sie wirklich unsere Autorin ist, können wir da eh nicht viel ändern.“
Sogar Blue zuckte mit den Schultern. „Wie sie schon sagte. Und im Nachhinein waren einige Sachen schon eher witzig…“
Wenigstens von ihm hätte ich Widerspruch erwartet. Immerhin war sein Temperament auch nicht das Beste. „Dann war Phoenix‘ Tod also witzig?!“
„Das habe ich nicht gemeint“, ruderte er zurück. „Das finde ich auch nicht so klasse…“
„Und du, Hannes“, versuchte ich Unterstützung auf anderer Seite zu finden. „Sie hat dir einen Fluch verpasst. Du hast doch gerade schon gesagt das wäre mies.“
„Natürlich ist das mies“, druckste er herum. „Aber das bedeutet sie löst ihn vielleicht.“
„Wenn du nett zu ihr bist oder was“, fuhr ich ihn an.
Was war das nur für ein Haufen Waschlappen? Vor Wut stieß ich die Traveling Shovel of Death auf den Boden der Drachenschenke – die daraufhin verschwand, sodass ich mit dem Kopf voran auf den Fußboden krachte.
„Au! Was soll denn das?“, wütete ich.
„Naja, die Schaufel sollte eigentlich eh schon längst wieder verschwunden sein. Die muss in die nächste Geschichte wandern. Das hat deine Oma doch erklärt“, antwortete die Autorin.
„Aber muss das ausgerechnet passieren wenn ich mich draufstütze?“ Die war ja nicht mehr zu retten. „Dann hilf uns wenigstens dabei den Mist zu lösen“, fauchte ich sie an. „Das ist das Mindeste, was du tun kannst!“
„Wie… ich soll bei NaNoWriMo mitmachen? Spinnst du? Ich habe im November Klassenarbeiten zu schreiben. Da habe ich keine Zeit für so etwas wie NaNoWriMo. Genau deshalb schreibe ich ja die Geschichte hier.“
Okay, das ging zu weit. Nur wegen Klassenarbeiten wollte sie den gesamten NaNoWriMo in Gefahr bringen? Wobei… wenn das hier wirklich nur eine Geschichte war, war es dann der echte NaNoWriMo in Gefahr war? Wo verschwammen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion? Vielleicht würde in der Realität NaNoWriMo doch stattfinden, auch wenn wir hier von Plotbunnys belagert wurden.
Diese Überlegungen brachten mich auf eine andere Idee. Genauer gesagt, hatte der Weise aus der Küche das bereits erwähnt. Ich ließ mich in einen Stuhl fallen und lehnte mich zurück, während ich versuchte möglichst entspannt auszusehen.
„…was genau tust du da?“, wollte die Autorin wissen.
Auch der Rest meiner Gruppenmitglieder sah mich verwirrt an. Solange die sich jetzt nicht einmischten, könnte mein Plan  aufgehen.
„Gar nichts“, erklärte ich mit einem Grinsen.
„Wie, gar nichts…“ Ihr schien Böses zu schwanen, denn ihre Stimme klang plötzlich unsicher.
„Naja, wenn das hier eh nicht echt ist und dich sowieso nicht interessiert was wir wollen, kann ich mich genauso gut zurücklehnen und das NaNo-Land den Bach runtergehen lassen.“
Die anderen sahen mich entgeistert an. „Das kannst du doch nicht machen“, meinte meine Oma.
„Ich kann, und ich werde. Wenn sie uns nicht hilft, warum sollten wir tun was sie von uns will? Ich sehe das nicht ein.“
„Sie hat nicht ganz Unrecht“, meinte Hannes und nickte. „Wir gehen einfach in Streik.“
„Leute...!“, heulte die Autorin. „Wie soll ich denn dann die Geschichte fertig schreiben? Es ist nicht spannend nur über irgendwelche Leute zu schreiben, die in einer Kneipe sitzen!“
„Das ist dann nicht unser Problem“, erklärte ich.
„Was wenn ich euch Plotbunnyhorden auf den Hals hetze?“, fragte sie mit einem fiesen Unterton in der Stimme. „Dann müsstet ihr euch verteidigen. Ihr könnt euch nicht ewig in der Drachenschenke verschanzen.“
„Wir haben einen Starb“, sagte ich gelangweilt.
„Wenn ich euch den wegnehme?“
„Wir kommen schon klar. Sind wir in Schreibstadt auch“, meinte ich und betrachtete meine Fingernägel unterm Licht. Unter jedem Nagel war eine Kruste aus Erde. Das war kein Wunder, denn wir waren eine Woche lang im Wald herumgelaufen.
„Ich könnte euch Rauchninjas auf den Hals hetzen!“
„Die hatten wir schon tausend Mal“, gähnte ich. „Laaaangweilig.“
„Ich könnte jemanden sterben lassen. Deine Oma könnte einfach ein Herzinfarkt haben und umkippen!“ Ich hatte sie fast soweit. Sie wurde gerade wirklich wütend.
Ich allerdings auch, denn meiner Oma mit so etwas zu drohen war kein Spaß mehr. Wenn sie das tatsächlich tat, würde ich in die richtige Welt kommen und sie zur Schnecke machen.
„Wenn wir sowieso alle nicht echt sind, dann dürfte es uns auch nicht interessieren ob wir sterben oder nicht“, wagte ich zu sagen, während ich flehte, dass sie ihre Drohung nicht wahr machte.
Meine Oma schnappte plötzlich nach Luft und griff sich an die Brust. „Mia, entschuldige dich“, keuchte sie. „Ich glaube ich bekomme einen Herzinfarkt!“
Mein Herz begann ebenfalls schneller zu schlagen, aber ich wusste, dass ich diesen Kampf gewinnen wollte wenn ich nicht den Rest meines Lebens eine Marionette sein wollte.
„Wenn du meine Oma umbringst, hast du erstens einen Charakter weniger und ich glaube nicht, dass du das verschmerzen kannst, und gleichzeitig würde ich dir nie wieder bei irgendwas zur Verfügung stehen“, sagte ich, was nicht einmal gelogen war.
Meine Oma war käseweiß im Gesicht geworden und Blue hielt sie in ihrem Stuhl aufrecht. „Entschuldige dich!“, schrie er mich an. „Oder sie stirbt!“
„Nein, wird sie nicht“, widersprach ich ihm. „Die Autorin braucht uns alle. Meine Oma ist zu wichtig. Sie kann nicht sterben. Und selbst wenn, hätte sie damit gleich zwei Figuren verloren!“
Oma keuchte ein letztes Mal, dann klappte sie vornüber auf dem Tisch zusammen. Hatte die Autorin sie gerade wirklich umgebracht? Falls ja, dann hatten wir hier ein echtes Problem.
Doch da hustete meine Oma und stütze sich auf ihren Ellenbogen ab. „Mia, mach das nie wieder.“ Sie schnappte nach Luft.
Ich versuchte mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. „Du hast es also eingesehen.“
„Okay, okay. Du hast mich erwischt. Noch brauche ich euch alle.“
Die Formulierung gefiel mir nicht besonders, aber solange es nicht meine Oma, Blue, Hannes oder Freundschaf erwischte, war mir alles recht.
„Damit es sich überhaupt lohnt weiterzumachen, musst du zusagen, dass du bei NaNo mitmachen wirst. Aber offiziell machen darfst du es erst wenn wir wissen wo die Grenze zur Realität ist“, sagte ich.
„Ja, ja, schon gut. Ich mache mit. Zufrieden?“
„Es ist ein Anfang.“ Noch zufriedener wäre ich wenn sie uns die Bunnyinvasion gar nicht erst auf den Hals gehetzt hätte, Phoenix am Leben gelassen hätte und Hannes von seinem Fluch erlösen würde. Aber darum würde ich wohl ein anderes Mal kämpfen müssen. Momentan hatte das hier oberste Priorität.
„Dann würde ich sagen wir gehen für heute ins Bett und suchen morgen nach dieser Wandernden Bibliothek.“
Da mein Vorschlag nicht abgelehnt wurde, bezeichnete ich ihn einfach mal als einstimmig angenommen.

1 Kommentar:

  1. Okay... solche Türen brauchen wir ganz dringend in der Drachenschenke.

    Und ich erinnere mich wieder <.< Das dürfte mit das beste Kapitel der ganzen Story sein XD Und ich hoffe das niemals einer meiner Charaktere so streikt wie Mia es tut ^^

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