Donnerstag, 14. April 2016

41. Kapitel



„Das ist die flasche Richtung, du Falsche!“, flüsterte Blue mir zu.
„Hannes meint aber hier geht’s lang“, zischte ich zurück. „Und selber Falsche.“
Wir standen an einer Kreuzung. Schon seit mindestens fünf Minuten. Geeinigt hatten wir uns immer noch nicht und langsam wurde es mir zu blöd. Hannes war sich nicht sicher, ob er durch den linken Gang gekommen war, oder durch den mittleren Gang getragen worden war. Blue meinte wir sollten den rechten Gang erforschen, weil er das Gefühl hatte, dass wir dort unsere Waffen und die Robben wiederfinden würden. Super Gefühl. Wenn es noch etwas genauer ginge, wäre mir das wirklich lieber.
„Dann teilen wir uns eben auf“, meinte Blue.
„Auf keinen Fall! So geht das in Horrorfilmen auch immer los.“ Das würde ich nicht zulassen. Und wie bitteschön sollten wir die armen Schafe aufteilen?
Blue grummelte etwas in seinen nichtvorhandenen Bart und Hannes kicherte.
„Was war das?“, wollte ich wissen.
"Er sagte ihm, dass er ihm sagte, was er ihm sagte", gab Hannes zum Besten.
„Häh?“
„Ich glaube Steph hat wieder eine ihrer Phasen“, sagte der Frosch auf meiner Schulter nur.
„Natürlich! Steph!“ Vielleicht würde sie jetzt endlich ihrer Rolle als Autorin gerecht werden und uns aus diesem Schlamassel herausschreiben. „Hilf uns endlich mal! Das ist auch deine Aufgabe, falls du das vergessen hast.“
„Verlorene Liebesmüh.“ Blue lehnte sich gegen die Wand und sah zur Decke hoch, als würde er unsere Autorin dort sehen können.
Vom hinteren Ende des Schafzugs erklangen plötzlich unterdrückte mäh-Geräusche und ein ganzer Haufen Kollateralschafe stürzte an uns vorbei in den rechten Gang hinein. Alarmbereitschaf begann seinen „mäh-mäh-mäh-mäh-mäh-mäh“-Alarm zu schlagen und Weltherrschaf versuchte verzweifelt seine Untertanen im Zaum zu halten. Doch die letzten wolligen Hinterteile verschwanden bereits um die Ecke und die Rufe der Schafe wurden immer leiser.
Ob das nun ein Zeichen von Steph war, oder nur ein weiterer Trick uns das Leben schwer zu machen, die Entscheidung war gefallen. Blue und ich sahen uns nur für den Bruchteil einer Sekunde an, dann rannten wir den fliehenden Schafen hinterher, den Rest der Herde im Schlepptau.
„Halt! Ihr macht unsere ganze schöne Flucht zunichte!“, schrie Blue ihnen hinterher.
Die war sowieso schon im Eimer. Selbst wenn bisher niemand den ganzen Haufen Schafe entdeckt hatte, der durch das Gefängnis schlich, jetzt hatte der Haufen angefangen zu rennen, laut zu rufen und schreien (ganz zu schweigen von Alarmbereitschafs Sirene) und Lichtschaf leuchtete auch schon wieder. Vielleicht war es die Nervosität. So oder so, wir würden vermutlich jede Sekunde entdeckt werden – was bedeutete, dass wir so schnell wie möglich an unsere Waffen und Robben kommen mussten. Ich könnte zwar die Phoenixfeder benutzen, aber das würde mir nur böse Blicke von meinen zwei Begleitern einbringen.
„Winterschaf, frier sie ein!“, schrie ich sobald wir die Kollateralschafe beinahe eingeholt hatten.
Ich zog Blue am Ärmel zurück, der fast nah genug an den Schafen war, um das letzte Kollateralschaf am Schwanz zu packen, sodass er fluchend nach hinten stolperte. Keine Sekunde später fand er allerdings heraus wovor ich ihn gerade gerettet hatte, denn Winterschaf stampfte mit seinen Hufen auf und der Boden verwandelte sich auf einmal in den Belag einer Eissporthalle. Sogar das Licht war seltsam winterlich, ein blaues Schimmern, das den ganzen Gang erfasst hatte. Die immer noch rennenden Kollateralschafe hatten keine Chance und schlitterten durcheinander und gegen die Wände, bis sie entweder stehen blieben oder als Schafshaufen übereinandergestapelt endeten.
„Gute Arbeit“, lobte ich Winterschaf und kraulte es an der Nase.
Es schnaubte und vor seinem Maul bildeten sich einige Flocken Schnee, die sich jedoch sofort wieder auflösten. Weltherrschaf schien unterdessen die Kollateralschafe mit verschiedenen Mählauten auszuschimpfen, denn sie ließen die Köpfe hängen und trotteten zurück ans Ende der Schafherde.
„Ähm… Mia?“ Hannes, der sich während der Verfolgungsjagd an meinen Haaren festgeklammert hatte, deutete mit einem Froschfinger nach vorne. „Wenn mich nicht alles täuscht sind das da…“
„Oi, oi, oi!“, erklang es von weiter vorne.
Das blaue Schimmern war nicht Winterschaf gewesen. In die Wand war ein großer Wassertank eingelassen und meine Robbe war gerade vor die Scheibe geschwommen. Blues Robbe brauchte ein wenig länger, um die Scheibe zu erreichen, doch auch sie stupste schließlich mit der Nase gegen die durchsichtige Barriere. Und nicht nur das. Zwei weitere Insassen des Wassertanks konnte ich auch ausmachen. An einer der Flossen von Blues Robbe hing tatsächlich seine Krabbe und machte ein YiviY-Gesicht, das sich jedoch sofort an Blues Gesicht orientierte sobald er sie sah und zu einer unglücklichen Krabbe wurde ni_in. Weiter hinten im Wasser konnte ich außerdem den Umriss eines Schafs sehen. Das musste dann wohl Landschafs Gegenstück, das Wasserschaf, sein. Erst jetzt bemerkte ich, dass sich auch ein paar Enten im Tank befanden, die jedoch leicht panisch auf einigen Querstreben hockten, die über dem Wasser angebracht waren.
„Das sind Trockenten“, informierte mich Hannes. „Die mögen Wasser nicht besonders.“
Das erklärte dann wohl warum die Frau sie für seltsam hielt und warum sie den Tank nicht mochten. Eine Schafherde hatten wir schon, wie würden noch Robben und eine Krabbe dazubekommen… ein paar Enten mehr oder weniger machten da auch nichts aus. Hierlassen würde ich sie jedenfalls nicht.
„Wie bekommen wir das Ding auf?“, war das viel größere Problem, das ich der Gruppe eröffnete.
Meine Hand schloss sich automatisch um die Feder, aber Blue warf mir nur einen vernichtenden Blick vor. „Nur über meine Leiche, Mia.“
„Hast du eine andere Idee?“, fauchte ich.
„Unsere Waffen.“
Super Idee. Und was hatte er vor? Mit seinem Schwert auf die Glasscheibe einschlagen? Das würde zwar sehr amüsant aussehen, aber ob es wirksam war, war die andere Frage. Trotzdem hatte Blue sich an die Spitze unseres seltsamen Zuges gesetzt und war dann in den nächsten Gang abgebogen. Ich bedeutete den Schafen kurz hier zu warten und folgte ihm.
„Blue, warte! Wir dürfen uns nicht trennen; das ist gefährlich.“
Ich hatte ihn schnell eingeholt, denn er stand vor einer Tür und rüttelte an der Klinke. „Mistding!“, fluchte er und gab der Tür einen Tritt.
Mit einem lauten Krachen, das mich zusammenzucken ließ, schlug sie gegen die Wand. Wenn wir noch mehr Lärm machten, konnten wir das mit der Flucht ein für alle Mal vergessen. Der Triumphschrei, den Blue nun ausstieß, half auch nicht gerade.
„Mein Schwert!“
Das einzige, was mich davon abhielt mit den Augen zu rollen, war die Tatsache, dass ich mich fast genauso über meinen Bogen freute wie Blue über sein Schwert. 
 Sobald sich meine Hand um das vertraute Holz schloss, fühlte ich mich wesentlich sicherer – was keinen Sinn machte, denn ich war trotz des Bogens hier gelandet. Was mir die Kammer außerdem klarmachte war, wie viele Leute hier eingesperrt sein mussten. Es gab tausende von Waffen - unter anderem welche, die sich die Schafschützen hinter uns hereingestürmt waren, nun schnappten.
„Wir können nicht einfach alle hier lassen…“, murmelte ich und fühlte das Lächeln von meinem Gesicht gleiten.
„Mia…“ Hannes legte mir eine Froschhand an die Wange. „Wir können nicht alle mitnehmen. Du siehst doch wie viel Arbeit allein die Herde von Schafen ist…“
„Aber…“
„Er hat Recht“, unterbrach uns Blue. „Wir müssen einfach darauf hoffen, dass wir jemand anderes herschicken können, um die anderen Insassen zu befreien sobald wir draußen sind und unsere Freunde kontaktieren können. Die Schafe mussten nunmal mit damit wir unsere Mission erfüllen können – eine Mission, die übrigens dringend ist und keine weitere Verzögerung gebrauchen kann.“
Das musste ich schon einsehen, auch wenn sich mir dabei der Magen umdrehte. Kurz spielte ich mit dem Gedanken die Feder zu benutzen, um die Mauern zu sprengen, die Frau und alle sonstigen Beteiligten außer Gefecht zu setzen und alle zu befreien, die hier seit gottweißwievielen Jahren festsaßen. Dann dachte ich daran, dass ich diese spektakuläre Aktion vermutlich nicht überleben würde, was meinen Wunsch etwas dämpfte.
„Okay, ihr habt ja Recht.“ Ich atmete ein paarmal tief durch, dann sah ich mich mit neuen Augen im Raum um. „Greift euch alles, was wir vielleicht brauchen können und dann nichts wie raus hier.“
Blue schnappte sich ein Messer und ein paar Wurfsterne die verdächtig danach aussahen als hätten sie einmal einem Rauchninja gehört (mittlerweile konnte ich das ziemlich gut beurteilen), ich hielt das für eine gute Idee und nahm mir ebenfalls ein Messer und sogar Hannes schnappte sich einen spitz aussehenden Nagel, der aussah als könnte er zumindest ablenkende Wirkung haben, wenn man jemandem damit in den Fuß stach. Jetzt musste ich nur noch meine Robbe anhaben, um mich wieder wohl in meiner Haut zu fühlen.
Während ich den Köcher mit meinen Pfeil umlegte, schnallte Blue sich den Gürtel für sein Schwert um die Hüfte und begann dann den Rest des Raumes zu erkunden. Als er begann laut zu fluchen und sich darüber beschwerte, dass er sich den Fuß an einem Tisch gestoßen hatte, nutzte ich die Gelegenheit Lichtschaf zu holen.
„Määähh“, machte Lichtschaf, als ich es an der Nase kraulte.
Der Raum war sofort hell erleuchtet und mein erster Blick war auf Blue, der an einem Tisch lehnte und sich den Fuß hielt.
„Wag es ja nicht zu lachen“, grummelte er. „Ich wollte Lichtschaf auch gerade holen.“
Das Grinsen konnte ich mir trotzdem nicht verkneifen, während ich, Lichtschaf im Schlepptau, den Raum zu durchsuchen. Auf dem Tisch, an dem sich Blue die Zehen gestoßen hatte, lagen jede Menge Schwerter. Ein Regal enthielt hauptsächlich Dolche, als ich die Schublade einer Kommode aufzog, entdeckte ich etwas, das verdächtig nach Zauberstäben aussah und allerlei anderer Schnickschnack war auf den restlichen Möbeln des Raumes verteilt. Da fragte ich mich doch wieviele Leute schon in diesem Gefängnis geendet waren. Alle befreien konnten wir leider nicht, aber wir würden die MLs informieren, die hoffentlich eine Polizeieinheit – oder was auch immer die hier hatten – hierhin schicken würden.
„Was ist da…?“
Blue hatte nach einem Gegenstand gegriffen, doch seine Frage wurde sofort von einem lauten Kreischen übertönt. Die Feder, die er zwischen den Fingern gehalten hatte, segelte zu Boden sobald er losließ und ließ dabei das laute Schreien hören.
„DAS IST EINE SCHREIFEDER“, informierte mich Hannes von meiner Schulter aus. Das Problem war, dass er mir dazu ins Ohr brüllen musste.
„WIE STELLT MAN DIE AUS?!“ Ich widerstand gerade so der Versuchung meine Ohren mit meinen Händen zu bedecken. Immerhin musste ich Hannes‘ Antwort hören.
Blue versuchte währenddessen die brutale Methode, indem er immer wieder auf die Feder eintrat. Das führte allerdings nur dazu, dass sie begann noch lauter zu schreien.
„WIE. MACHT. MAN. DIE. AUS?!“, schrie Blue, der jedes Wort mit einem Tritt unterstrich.
Da Hannes immer noch nicht geantwortet hatte, ging ich davon aus, dass er die Antwort auch nicht wusste. Blues Tritte halfen auch nicht, also hob ich die Feder auf, während ich Blues Füßen auswich, und steckte sie kurzerhand in eine der Schubladen, schloss sie ab und stopfte einen Fetzen Stoff ins Schlüsselloch. Das Schreien war immer noch zu hören, aber immerhin war es nicht mehr ohrenbetäubend.
„Gah, ich krieg Kopfschmerzen.“ Blue hielt sich den Schädel und schüttelte dann den Kopf, als würde er dadurch das Kreischen aus seinem Gehirn vertreiben können. „Lass uns gehen. Das wird einiges an Aufmerksamkeit erregt haben.“
Ach nee. Unser Problem war allerdings immer noch das gleiche. Wir mussten irgendwie den Wassertank aufbekommen. Ohne meine Robbe ging ich hier nicht weg. Also schnappte ich mir einige der Armbrüste aus den Regalen, zusammen mit jeder Menge Bolzen, und folgte Blue erst dann in den Flur. Der sah mich recht verdutzt an, zumindest bis ich die Armbrüste an die restlichen Schafschützen verteilte, die wohl im Gang Wache gestanden hatten
Der Rest der Herde war immer noch in Unruhe, vermutlich weil das Kreischen sie genauso erschreckt hatte wie uns. Überall waren laute Mährufe zu hören, die unsere Position verraten würden.
„Ich hab ne Idee.“ Blue kramte sein Handy heraus, das er ebenfalls im Waffenraum gefunden haben musste, und bald tönte eine seltsame Musik aus dem Gerät. „Ich präsentiere: Herdrock, eine Musikrichtung, die von Bauern dazu verwendet wird Tierherden zu beruhigen.“ Ich konnte immer weniger Schafe hören, was wohl bedeutete, dass es klappte.  
„Das ist Wasserschaf!“, rief ich, als ich sah wie Landschaf sich seine Nase an der Scheibe plattdrückte.
Tatsächlich standen die beiden Schafe sich nun direkt gegenüber, Nase an Nase, nur eine Scheibe zwischen sich. Sie sahen sich erstaunlich ähnlich, bis auf die Tatsache, dass Landschaf einen leicht braunen Fellton hatte, während Wasserschaf bläulich schimmerte und statt Hufen Flossen besaß.
„Mmäähh“, machte Landschaf in meine Richtung und sah mich mit traurigen Augen an.
„Aber wie sollen wir es mitnehmen?“, fragte ich verzweifelt.
„Mmäähh“, machte es und mein Herz zog sich zusammen.
„Es hat Flossen…“, versuchte ich lahm.
„Mmäähh…“
Von hinten Stupste mich eine Schafsnase an, die ich erst nach zweimaligem Hinsehen als Gastfreundschaf erkannte. Es positionierte sich direkt vor der Scheibe unter Wasserschaf, streckte seinen Rücken durch und warf mir einen selbstbewussten Blick zu.
„Du, Mia… ich glaube es bietet an Wasserschaf zu tragen.“
„Aber…“
„Mmäähh“, machte Landschaf verzweifelt.
„Oh, Schluss damit“, beschloss Blue, holte mit seinem Schwert aus, schlug auf die Glasscheibe des Aquariums und duckte sich im selben Moment fluchend, als ihm durch die Wucht des Aufpralls das Schwert aus der Hand geschlagen wurde. Mehrere Schafe mähten erschrocken, als ihnen ein paar Zentimeter Wolle abgeschoren wurden und das Schwert klirrend auf der anderen Seite des Raumes landete.
„Neuer Plan“, meinte Blue nur, kämpfte sich durch die Herde Schafe und verschwand in dem Gang, aus dem wir gerade gekommen waren.
„Was ist gerade passiert?“, fragte ich Hannes, der mich von meiner Schulter aus mit großen Augen aus ansah.
„Er hat anscheinend seine Meinung geändert was das Mitnehmen von weiteren Gefangenen angeht.“
„Naja, ein Wasserschaf ist aber nicht besonders praktisch“, warf ich nur ein und beobachtete wie Land- und Wasserschaf ihre Nasen wieder an der Scheibe plattdrückten. „Auch wenn ich verstehen kann warum er sich so entschieden hat.“
„Alle zur Seite… verdammt nochmal!“
„Er ist wieder da“, bemerkte Hannes unnützerweise.
Blue kündigte sich immer durch Fluchen an. Das war besser als jedes Alarmbereitschaf. Sein breites Grinsen war genau so ein Indikator, allerdings meistens dafür, dass in den nächsten Sekunden etwas gewaltig schief gehen würde.
„Was hast du vor?“, fragte auch Hannes. „Blue…?“
Der antwortete nicht, sondern klebte einen etwa faustgroßen Gegenstand ans Glas. Wie genau das hielt, war ein Mysterium, genauso wie die Frage was das blinkende Licht bedeutete. Wobei blinkende Lichter in Geschichten meistens nur eins bedeuten konnten.
„Blue, das ist doch nicht…? Wir müssen einen anderen Weg durch die Scheibe finden! Das endet nur im...“
Mein Ausruf wurde von einem „Alle Schafe in Deckung!“ unterbrochen.
Die Schafe hatten gerade genug Zeit sich verwirrt anzuschauen, ich hatte genug Zeit, um dagegen kämpfen zu müssen meinen Kopf gegen eine Wand zu stoßen und der Sprengstoff hatte gerade genug Zeit, um in die Luft zu gehen.
„Und was wird aus dem Wasser, häh?“, schrie ich ihn an.
Er konnte mir noch einen entsetzten Blick zuwerfen, da hatte sich das Glas schon in tausend feine Spinnwebenrisse verwandelt, es ertönte ein seltsam dumpfes Geräusch und dann wurde alles von rauschendem Wasser überlagert. Man hörte panische Mähs, quakende Enten, einen schreienden Blue und dann war alles blau, nass und unter Wasser.
Die Welle schleuderte mich quer durch den Raum – oder zumindest musste sie das getan haben, denn als ich meine Augen wieder öffnete, befand ich mich an der gegenüberliegenden Wand, ein Schaf unter mir, das meinen Aufprall gedämpft haben musste und ein Schaf auf mir, das mich mit großen Augen ansah, „Määh“ machte und dann anfing auf einem meiner Jackenzipfel zu kauen.

Sonntag, 10. April 2016

40. Kapitel



Hannes‘ Beschwerden hörten sich nun etwas gedämpft an, so als hätte jemand seine Hand um seinen Mund geschlossen. Ich konnte nur hoffen, dass er nicht dabei zerquetscht wurde. Die Frau kam wieder vorbei und verschwand um die nächste Ecke. Ich versuchte einen Blick auf das zu werfen, was sie in der Hand hatte, doch es gab nur Dämmerlicht und alles, was ich sehen konnte, war ein zappelndes Etwas.
„Was haben Sie mit Hannes gemacht?!“, schrie ich die Frau auf dem Rückweg an.
Sie ignorierte mich allerdings und war schon bald wieder verschwunden.
„Hannes! Bist du da?“ Ich lauschte in die Stille des Ganges. Wenn er wenigstens einmal quaken würde…
„Hannes, wir sind’s“, meinte auch Blue, der gerade unter der Pritsche her in meine Zelle kroch.
„Mia? Blue? Seid ihr in Ordnung?“
Vor Erleichterung hätte ich beinahe angefangen zu weinen, konnte mich aber gerade so zurückhalten. „Ja, uns geht’s gut.“
„Bis auf die Tatsache, dass wir alle in diesem Gefängnis eingesperrt sind“, grummelte Blue.
„Wie bist du hierhergekommen?“, wollte ich wissen.
„Wir haben ewig nach euch gesucht“, meinte Hannes. Seltsamerweise schien seine Stimme dabei näher zu kommen. „Bis wir irgendwann eine Überwachungskamera gefunden haben, auf der zu sehen war wie eine komische Frau euch k.o. schlägt. Wie steht es um deinen Kopf?“
„Geht so“, meinte ich.
Die Beule an der Seite meines Kopfes pochte zwar immer noch ein wenig, aber über die Aufregung darüber eingesperrt zu sein und die Freundschafe gefunden zu haben, hatte ich die Wunde fast vergessen.
„Rate mal was wir gefunden haben.“ An Blues Stimme konnte man hören, dass er grinste.
„Was? Spann mich nicht so auf die Folter.“
Dieses Mal hatte ich aufgepasst und Hannes‘ Stimme war tatsächlich näher als beim letzten Mal. Außerdem hörte ich seine Sprünge, denn jedes Mal, wenn er auf dem Steinboden aufkam, gab es ein platschendes Geräusch.
„Die Freundschafe sind auch hier!“
Blue hatte es mittlerweile in meine Zelle geschafft und bereits damit begonnen die Steine zur Zelle der Freundschafe aus dem Weg zu räumen. Ich hätte ihm geholfen, aber meine Beine fühlten sich an wie festgewachsen, während ich weiter horchte, ob Hannes näher kam,
„Hat sie sich nicht in eine Zelle gesteckt?“, fragte ich ihn.
Sich? Ganz bestimmt nicht. Mich? Naja, sie hat es versucht.“ Nun hörte ich das Grinsen in seiner Stimme. „Ich bin das Rettungskommando, falls ihr das noch nicht mitbekommen habt.“
„Rettungskommando? Wer schickt denn bitteschön einen Frosch?“, schnaubte Blue.
Ein leichter Lichtschimmer füllte den hinteren Teil meiner Zelle als Lichtschaf seinen Kopf durch das nun wieder vorhandene Loch in der Wand steckte und Blue seine Nase kraulte. Im Schein dieses Lichts konnte ich auch die hopsende Silhouette erkennen, die draußen vor meiner Zelle Halt machte.
„Hi, Mia.“
Hannes‘ Froschmund verbreiterte sich zu einem Lächeln. Etwas baumelte um seinen Hals und sendete ebenfalls ein leichtes Schimmern aus. Der Froschprinz sah nach unten und runzelte die Stirn.
„Das hat die Feder bis eben nicht gemacht. Ich glaube sie hat dich vermisst“, meinte er.
„Die Phoenixfeder!“ Ich streckte meine Hand durch die Gitterstäbe, um nach ihr zu greifen, doch Hannes wich zurück.
„Sorry, aber die bekommst du erst, wenn du versprichst sie nicht zu benutzen.“
„Aber wir könnten ohne Probleme hier rauskommen!“, widersprach ich.
„Wieviel Lebenskraft würde es dich kosten all diese Zellentüren zu öffnen? Oder würdest du die Wände sprengen? Wie viel wäre das wert? Ein paar Monate? Oder doch eher Jahre?“ Er schüttelte den Kopf. „Die war nur dazu gedacht mich selbst zu befreien und ist nur für Notfälle.“
„Aber wie sollen wir sonst…“
„Woah…“, wurde ich von Hannes unterbrochen.
Meine Zelle war bedeutend heller geworden, was wohl bedeutete, dass Lichtschaf vollends durch das Loch gestiegen war. Hannes quetschte sich durch die Gitterstäbe und hopste näher an das Schaf heran, das seine Schnauze zu ihm herunterhielt und anfing zu schnuppern. Während er abgelenkt war, schnappte ich mir die Feder.
„Darf ich vorstellen? Lichtschaf, das ist Hannes. Hannes, das ist Lichtschaf. Es ist eine sehr praktische Lichtquelle hier in diesem dunklen Loch.“
„Määähh“, machte Lichtschaf und stupste Hannes mit seiner Nase an.
Einige ähnliche Rufe erklangen aus dem Schafzimmer und Hannes‘ Augen weiteten sich.
„Und dann hätten wir da noch Wissenschaf, Winterschaf, Schwangerschaf, Gastfreundschafe, Kollateralschafe, Alarmbereitschaf, Weltherrschaf… die Liste lässt sich fast beliebig lange fortsetzen“, meinte Blue schulterzuckend.
Trotzdem meinte ich einen gewissen Stolz in seinen Worten zu hören. Als wäre es irgendwie unser Verdienst sie gefunden zu haben, anstatt dass wir k.o. geschlagen und eingesperrt worden waren.
„Wenn du das Rettungskommando bist, wie genau soll dann die Rettung aussehen?“, hakte ich nach.
„Ich habe einen Sender gegessen“, meinte Hannes. „Den haben die österreichischen MLs irgendwo ausgegraben. Das Teil hat eklig geschmeckt. Aber immerhin sollten die anderen jetzt wissen wo wir sind. Ich wurde mit den stärksten Zaubern ausgestattet, die die MLs von Österreich auftreiben konnten. Und dem stärksten Peilsender, den sie finden konnten. Selbst in diesem grauenhaften Loch hat das besser funktioniert als wir gedacht hatten. Ich hab nicht mal eine halbe Minute gebraucht, um aus dem Käfig rauszukommen…“

„Und wie sieht jetzt der große Plan aus?“ Ich musste zugeben, ich war doch neugierig geworden.

„Die anderen folgen dem Signal des Peilsenders und kommen uns retten.“
„Super Plan“, grummelte Blue und fügte ein empörtes „Au!“ hinzu als ich ihm einen Tritt versetzte.
Andererseits hatte er nicht Unrecht. Ich hatte immer noch ein mulmiges Gefühl bei der Sache. Irgendetwas hatte nicht funktioniert. Das wusste ich einfach.
„Wo hast du den Peilsender?“, fragte ich.
Hannes grinste und zog ein winziges, rot leuchtendes Ding aus seinem Mund. Stimmte ja. Frösche hatte recht viel Platz in ihren Mündern.
„Warum leuchtet das rot?“ Blue hatte sich vorgebeugt und die Hand nach dem Peilsender ausgestreckt. „Das müsste eigentlich grün sein…“
Hannes‘ Augen wurden groß und er spuckte das Teil komplett aus, um es in die Froschhand zu nehmen. Blue schien sogar egal zu sein, dass sich der Sender bis vor wenigen Sekunden noch im Mund eines Frosches befunden hatte, denn er streckte die Hand danach aus – wobei man eher sagen musste den Finger, denn gerade so groß war der Sender, dass er auf seine Fingerkuppe passte.
„Jap. Hier muss es irgendwo ein Störsignal geben. Sonst würde der grün leuchten. Unsere Freunde sehen rein gar nichts“, seufzte er. „Sieht so aus als wäre die Rettungsmission ein Reinfall.“
„Was? Nein!“ Hannes hüpfte zu mir auf die Pritsche. „Das war so gut durchdacht… und warum hat dann die Magie funktioniert?“
„Ich hab es auch schon mit dem Lanschaf versucht“, meinte ich nur. „Da hatte ich auch ein Netz.“
„Bitte was?“ Hannes sah mich fragend an.
„Lanschaf. Es sollte eigentlich Internetzugang haben, hat es aber nicht."
„Tja, die Schafe sind alle hier“, meinte Blue. „Wir sind alle hier. Und so wie es aussieht, sind wir jetzt alle hier eingesperrt.“
„Mist“, bemerkte Hannes.
Ja, das traf es so ungefähr. 
Vielleicht war es doch besser, wenn wir Wissenschafs und meinen Fluchtplan sofort in die Tat umsetzten, anstatt darauf zu hoffen, dass der Sender irgendwann wieder funktionierte.
„Okay, hier ist der Plan.“ All meine Freunde und alle anwesenden Schafe versammelten sich sofort um mich. „Zuerst müssen wir aus dieser Zelle rauskommen. Und ob ihr wollt oder nicht, es ist am einfachsten dafür die Phoenixfeder zu benutzen. Alles andere dauert zu lange.“
Blue und Hannes begannen zu protestieren, doch ich ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen. Ich wusste was ich tat. Naja, jedenfalls hoffte ich das.
„Dann müssen wir unsere Waffen zurückbekommen. Blues Schwert und mein Bogen wurden uns natürlich abgenommen. Und die Robben auch.“
Blue, der das anscheinend noch nicht bemerkt hatte, schnappte nach Luft und sah sich sofort nach seiner Robbe um. Meine Vermutung war, dass die Robben auch als seltsam galten, was mich nicht wirklich wunderte.
„Und dann suchen wir einen Ausgang.“
„Das hört sich weniger nach einem Plan als einer Reihe von logischen Schlussfolgerungen an…“, meinte Hannes.
„Aber wir haben doch die Schafe!“
Das verwirrte alle noch mehr. Statt es weiter zu erklären, verdrehte ich lieber die Augen, konzentrierte mich dann auf meine Feder und zerstörte mit einem einzigen Gedanken die Türscharniere meiner Zellentür.
„Mia!“, beschwerte sich Hannes. „Deine Lebenszeit!“
„Das waren nur ein paar Tage“, meinte ich. Ich musste zugeben, ich war ziemlich zufrieden mit mir selbst. „Ich musste nicht mal die Gitterstäbe verbiegen oder Wände sprengen.“ Das wäre wirklich eine Verschwendung von Lebenszeit gewesen. 
Allerdings schien es nicht funktioniert zu haben, denn als ich versuchte die Tür zu öffnen, bewegte sie sich keinen Millimeter. Ein paarmal rüttelte ich daran, aber da ich nicht zu viel Lärm machen wollte, gab ich auf. 
„Zur Seite!“, befahl Blue, holte aus und trat mit voller Wucht gegen die Tür.

In der ersten Sekunde dachte ich es hätte nicht funktioniert und er hätte sich den Fuß gebrochen. Dann gab die Tür nach und sie fiel mit einem Krachen auf den Gang hinaus (was wesentlich lauter gewesen wäre, hätten wir nicht zuvor die Decke von der Pritsche als Geräuschschutz dorthin gelegt).
„Jap. Das ist schön porösentabel“, bemerkte Blue, obwohl er sich doch den Fuß rieb.
„Porösentabel?“
„Naja, porös und präsentabel eben. Ich dachte als Autor würdest du viele Wörter kennen.“
„Wörter, die es gibt, schon…“, grummelte ich nur und steckte versuchsweise den Kopf durch das Loch im Gitter. „Dann wollen wir mal die Schafe befreien.“
Die meisten von ihnen schienen bereits mitbekommen zu haben, dass etwas vor sich ging, denn das Loch in die andere Zelle war vollkommen von Schafsköpfen ausgefüllt. Das konnte ja heiter werden.
„Okay, alle auf einmal geht nicht, also hört auf das, was ich sage. Alarmbereitschaf, du gehst zuerst und warnst uns sofort, wenn sich jemand oder etwas nähert. Schafschützen, ihr geht als nächstes. Ich weiß ihr habt keine Waffen, aber vielleicht könnt ihr uns trotzdem gegen einen ersten Angriff verteidigen. Alle anderen gehen einer nach dem anderen“, beschloss ich.
„Määh“, machte ein Schaf, wobei ich nicht genau sagen konnte welches.
„Gut. Aber passt auf die Gitter auf; die Enden sind schafkantig."
„Scharfkantig meinst du wohl“, korrigierte Blue.
„Nein, schafkantig. Siehst du nicht, direkt an den Enden? Das sieht teilweise aus als wären winzige Schafe ins Metall geschnitzt worden… vielleicht ist das eine Art von Humor was die Phoenixfeder angeht?“ Und natürlich konnte man die gerade nicht sehen, da sich das riesige Wollknäuel, das Alarmbereitschaf war, versuchte hindurchzuzwängen.
Versuchsweise schob ich von hinten und Alarmbereitschaf purzelte unter mehreren kurzen „Mäh-mäh-mäh“s auf den Gang. Die Schafschützen stellten sich etwas graziler an.
„Blue, kannst du mal bitte drei Schäfchen aus der Wand holen?" Ich hatte gerade die Hände voller Schaf, weil der letzte Schafschütze doch noch stecken geblieben war.
„Kein Problem.“
Trotz Blues Hilfe ging es nur mähsam voran. Mäh hier, mäh da, immer wieder blieben Schafe stecken und der Gang war auch langsam etwas überfüllt. Dass die komische Frau noch nicht durch den Krach auf uns aufmerksam geworden war, war ein Wunder.
„Wäre schön, wenn wir hier noch zu nachtschafender Zeit rauskommen könnten…“, grummelte Hannes.
Langsam aber sicher schafften wir es alle Schafe auf den Flur zu bugsieren. So viel weiche Wolle hatte dieses Gefängnis auf einen Schlag schon lange nicht mehr gesehen.
Währenddessen trat ich in den Gang und sah mich vorsichtig um. „Hast du irgendwas gesehen als sie dich hierhergebracht hat?“, fragte ich Hannes.
Der hockte zwischen meinen Füßen und ich setzte ihn lieber auf meine Schulter. Das war sowieso schon sein Stammplatz und ich wollte ihn nicht aus Versehen zertreten.
„Der Eingang war irgendwo in der Richtung“, meinte er und deutete nach links. „Wenn wir an anderen Gängen vorbeikommen, kann ich dir vielleicht mehr sagen.“
Ich wurde von einem Schmatzen neben mir abgelenkt und sah, dass Lichtschaf sich gerade über den Burger hermachte, den die Frau mir durch die Tür geschoben hatte. Es leuchtete zufrieden, sodass ich beschloss es nicht auszuschimpfen. Vielleicht hatte es jahrelang nur Heu bekommen. Da würde ein Burger nicht schaden, oder?
„Alles klar, dann gehen wir nach links“, meinte ich. „Lichtschaf, du bleibst in meiner Nähe. Winterschaf und Gelschafe, ihr kommt auch nach vorne, aber bleibt ein kleines bisschen weiter zurück bis ich euch rufe“, begann ich die Schafe umzustellen.
Die meisten von ihnen waren mittlerweile in meiner Zelle gelandet, die ziemlich voll aussah. Blue war mehr oder weniger von Schafen gegen eine Wand gepresst worden und noch immer kamen welche durch das Loch in der Wand.
„Alarmbereitschaf, du kommst auch vor, genau wie die Hälfte der Schafschützen. Die Hälfte vorne, als Vorhut, die andere Hälfte hintenan. Blue, bis du dein Schwert wiederhast, bleibt bei den Schafschützen und wenn wir unsere Waffen gefunden haben, bleib einfach da, wo du denkst am nützlichsten sein zu können.“
Ein vielstimmiges Mähen ertönte von allen Seiten und Blues gemurmeltes „seit wann ist sie hier die Anführerin…“. Ich nahm das trotzdem mal als Zustimmung.  
Das war immerhin etwas, also setzte sich die ganze Herde mit mir an der Spitze in Bewegung.

„Schafwandeln!“, rief er plötzlich.
„Häh?“
„Na das hier ist Schafwandeln! Wir machen eine Schafwanderung!“
„Schön, dass dich das so amüsiert…“ Ich konzentrierte mich lieber darauf was hinter der nächsten Ecke lauern könnte.
Es stellte sich heraus, dass das seltsame Gefängnis ein Labyrinth war. Entweder das, oder mein Orientierungssinn war so gut wie der eines Goldfischs. Immer wieder landeten wir an komplett dunklen Ecken und ich musste Lichtschafs Nase kraulen damit wir überhaupt etwas sehen konnten. Das einzige Mitglied unserer Truppe, welches das Ganze zu genießen schien, war Wanderschaf. 
„Versucht erstmal so leise wie möglich zu sein. Je länger wir unentdeckt bleiben, desto besser.“
Trotzdem war mir bewusst, dass das nicht ewig so bleiben konnte. Wir hatten dutzende von Schafen und eins davon leuchtete sogar. Das machte unsere Truppe nicht gerade unauffällig. Dass trotz meiner Warnung immer noch leise Mählaute von hinten kamen, half auch nicht gerade. Früher oder später würden wir entdeckt werden, aber bis dahin wollte ich das Überraschungsmoment auf unserer Seite wissen.
Stockend setze sich der Zug aus Schafen in Bewegung. Hoffentlich würden wir es aus diesem Motivationsloch herausschafen. Und hoffentlich würde die Zeit noch reichen, um die NaNo-Geschichten zu retten.