Mittwoch, 31. Dezember 2014

61. Kapitel



„Erst einmal danke für Ihre Hilfe“, sagte sie dem Weisen aus der Küche. „Falls das alles so stimmt, haben Sie uns sehr geholfen.“
Aha, sie war also auch nicht ganz überzeugt. Der Weise nahm den Dank jedoch gelassen an, verabschiedete sich und ging zurück in die Küche zum Kartoffelschälen. Vielleicht kündigte er auch, um es sich in einer anderen Küche bequem zu machen. Da konnte man sich wohl nicht sicher sein.
„Zuerst einmal müssen wir herausfinden wie wir nach Technopolis kommen falls wir den Weg zur Grenze zur Realität finden sollten“, sagte meine Oma als er außer Sicht verschwunden war. „Technopolis liegt hinter den Blockadenbergen. Mit normalen Mitteln ist da kein Durchkommen. Auch der gesunde Menschenversand hat dort keine Station.“
Ich war ehrlich gesagt erleichtert darüber. Mir war jedes andere Transportmittel lieber.
„Fragen wir doch einfach Mr. Ian Woon“, schlug Blue vor. „Er kennt bestimmt jemanden, der uns da rüberfliegen kann oder so.“
Damit war es beschlossene Sache. Wir würden es versuchen, egal ob wir dem Weisen aus der Küche alles glaubten was er gesagt hatte oder nicht. Eine Wahl hatten wir sowieso nicht.
„Hast du dazu gar nichts zu sagen, Hannes?“, fragte ich, da er die ganze Zeit über nichts gesagt hatte.
„Ich finde die Vorstellung nicht schön, dass wir alle nur Charaktere in einer Geschichte sind. Das würde nämlich bedeuten, dass es die Schuld eines Autors ist, dass ich verflucht wurde und dass der Fluch gelöst werden könnte wenn der sich nur dazu aufraffen könnte es zu schreiben“, grummelte er.
Das konnte ich nachvollziehen. Unbeholfen tätschelte ich ihm den Rücken, was ihn ein wenig aufzumuntern schien. Alle weiteren Beileidsbekundungen mussten jedoch warten, denn meine Oma hatte schon wieder die Gedankenspinne aufgestellt, um  Mr. Ian Woon unsere neuen Pläne mitzuteilen.
„Ich schieß mal die Tür“, ertönte plötzlich eine Stimme von einem der Tische.
Der Wirt rief nicht dazwischen, sondern beobachtete selbstzufrieden wie der Mann auf seine neue Hautür zuging, sich in Position brachte und…
Die Tür schoss und ließ den Mann verwirrt im Schankraum stehen. Seine Waffe war ihm aus der Hand geschossen worden. Sowas nannte sich dann wohl die Rache der Türen. Die hauten nicht nur zu, sondern schossen jetzt auch zurück. Der Wirt wandte sich zufrieden pfeifend wieder der Kaffeemaschine zu, die anscheinend irgendeinen Defekt hatte und lauter Gemalhennen in der Schenke herumlaufen ließ.
Mr. Ian Woon war ebenfalls skeptisch was die Geschichte anging, war jedoch bereit uns das Risiko eingehen zu lassen. Zu verlieren hatte auch er nichts mehr, denn der Rat war nur dabei sich zu verhauen, sodass keine Ergebnisse zustande kommen würden.
Das einzige Problem, das wir noch sahen, war wie wir den Autor auf uns aufmerksam machen konnten, falls es denn einen gab. Blue versuchte es damit im Schankraum Räder zu schlagen, was einige der Gäste verschreckte, doch das schien nicht zu funktionieren, vielleicht weil es nicht gegen seine Natur ging. Den Rest der Gäste verschreckte er dann als er sein Plotbunny auf den Tisch setzte. Alle verließen sofort in Panik den Schankraum und der Wirt sah aus als würde er uns am liebsten rausschmeißen. Vermutlich waren wir aber die am meisten zahlenden Gäste, dank Mr. Ian Woon, sodass er sich damit ins eigene Fleisch geschnitten hätte.
Ich versuchte es, indem ich eine peinliche Geschichte nach der anderen erzählte, die ich niemals irgendjemandem hatte verraten wollen. Das funktionierte auch nicht und danach war ich nur peinlich berührt und die anderen lagen am Boden vor Lachen. Mehr geschah nicht.
Sollte ich jemanden mit der TSoD umbringen? Das fände ich doch sehr hart. Aber es würde absolut nicht zu mir passen – hoffte ich jedenfalls – und einen riesigen Skandal verursachen.
Irgendwann kamen einige Pilzizisten, die Burns mitnahmen. Das war vermutlich besser für ihn, denn die TSoD hatte immer einladender ausgesehen und noch einladender war die Vorstellung der Schaufel auf seinem Kopf gewesen. Meine Oma steuerte etwas bei, indem sie das gefährlichste Gericht der ganzen Drachenschenke bestellte.
Bei Boomorangen konnte man sich nie sicher sein, ob sie in deinem Mund explodierten oder nicht, erklärte sie mir während sie sich die Boomorangen stückchenweise in den Mund schob. Glücklicherweise passierte ihr nichts. Dummerweise passierte auch sonst nichts.
Verdammt. Es sah immer mehr danach aus, dass wir doch jemanden umbringen mussten. Ich wagte es diesen Vorschlag zu machen.
„Bitte, hat irgendjemand noch andere Ideen?“, fragte ich verzweifelt.
„Ähm…“ Hannes hatte zögerlich eine Hand gehoben. „Es gibt da was.“
„Und was?“, fragte ich. Alles nur keinen Mord begehen.
„Das… kann ich wirklich nicht sagen.“
„Es kann nicht schlimmer sein als der Vorschlag jemanden umzubringen“, beteuerte ich. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich den tatsächlich gemacht hatte.
„Los, spuck’s aus“, meinte Blue.
„Ich würde es dir ja gerne sagen.“
„Warum tust du es dann nicht?“, fragte ich genervt.
„WEIL IM PLOT ETWAS ANDERES STEHT!!!“, kreischte eine aufgebrachte Stimme, die aus dem Nirgendwo zu kommen schien.
„Äh… hallo?“, fragte ich vorsichtig.
Eine sehr lange Stille folgte, in der niemand zu sprechen wagte. Da wir den Schankraum mit unseren vorherigen Versuchen erfolgreich geleert hatten, wurde sie von nichts und niemandem unterbrochen und wir alle lauschten gespannt, um herauszufinden zu wem die weibliche, körperlose Stimme gehörte.
„Werde ich verrückt, oder hat da gerade jemand geantwortet?“, fragte die Stimme.
„Du bist nicht verrückt“, antwortete ich nervös. „Aber wer genau bist du?“
„Wer genau bist du?“, fragte die Stimme zurück.
„Ich bin Mia. Und bei mir sind Hannes, Blue, Freundschaf und meine Oma“, beschrieb ich unsere Runde.
„Unmöglich…“ Die Stimme schwieg wieder für mindestens eine Minute. „Unmöglich. Das sind meine Charaktere!“
„Hey!“, beschwerte sich Blue. „Wir sind keine Charaktere!“
„Doch, seid ihr“, protestierte die Stimme mit einem Hauch von Arroganz. „Ich schreibe seit einer ganzen Weile an eurer Geschichte!“
„Moment mal… wenn du tatsächlich unsere Autorin bist“, dämmerte es mir. „Dann bist du schuld, dass Phoenix gestorben ist!“
„Nun ja… so kann man das nicht ausdrücken. Ich wusste doch nicht…“
„Dann ist es deine Schuld!“, schrie ich. „Hol sie doch einfach zurück! Wenn das wirklich eine Geschichte ist, dann kannst du es einfach rückgängig machen!“
„Das passt aber nicht in die Geschichte“, meinte die Autorin störrisch. „Obwohl ich auch weinen musste als sie gestorben ist.“
„Das ist aber nicht das gleiche!“, explodierte ich. Vielleicht hatte ich auch eine Boomorange gegessen. „Und schreib doch einfach die ganzen Plotbunnys weg; dann haben wir diese ganzen Probleme gar nicht!“
„Das funktioniert so nicht“, sagte die Stimme. „Die Geschichte hat sich selbstständig gemacht! Da kann ich herzlich wenig dran ändern!“
„Oh“, kam mir plötzlich noch eine Idee. „All dieser Mist, den wir durchlebt haben… das warst auch du! Ich wusste doch, dass mir die Sachen alle seltsam vorkamen! Das waren alles nur Schreibfehler!“
„Es waren nicht alles meine, aber ja, so gesehen hast du Recht. Das waren alles Tippfehler“, gab die Autorin zu.
„Du…!“, tobte ich. Dann sah ich die anderen, die nur am Tisch saßen und mir zusahen. „Sagt doch auch mal was dazu!“, fuhr ich sie an.
„Was würde das bringen?“, meinte meine Oma. „Ich bin auch nicht mit allem einverstanden was wir durchmachen mussten, aber falls sie wirklich unsere Autorin ist, können wir da eh nicht viel ändern.“
Sogar Blue zuckte mit den Schultern. „Wie sie schon sagte. Und im Nachhinein waren einige Sachen schon eher witzig…“
Wenigstens von ihm hätte ich Widerspruch erwartet. Immerhin war sein Temperament auch nicht das Beste. „Dann war Phoenix‘ Tod also witzig?!“
„Das habe ich nicht gemeint“, ruderte er zurück. „Das finde ich auch nicht so klasse…“
„Und du, Hannes“, versuchte ich Unterstützung auf anderer Seite zu finden. „Sie hat dir einen Fluch verpasst. Du hast doch gerade schon gesagt das wäre mies.“
„Natürlich ist das mies“, druckste er herum. „Aber das bedeutet sie löst ihn vielleicht.“
„Wenn du nett zu ihr bist oder was“, fuhr ich ihn an.
Was war das nur für ein Haufen Waschlappen? Vor Wut stieß ich die Traveling Shovel of Death auf den Boden der Drachenschenke – die daraufhin verschwand, sodass ich mit dem Kopf voran auf den Fußboden krachte.
„Au! Was soll denn das?“, wütete ich.
„Naja, die Schaufel sollte eigentlich eh schon längst wieder verschwunden sein. Die muss in die nächste Geschichte wandern. Das hat deine Oma doch erklärt“, antwortete die Autorin.
„Aber muss das ausgerechnet passieren wenn ich mich draufstütze?“ Die war ja nicht mehr zu retten. „Dann hilf uns wenigstens dabei den Mist zu lösen“, fauchte ich sie an. „Das ist das Mindeste, was du tun kannst!“
„Wie… ich soll bei NaNoWriMo mitmachen? Spinnst du? Ich habe im November Klassenarbeiten zu schreiben. Da habe ich keine Zeit für so etwas wie NaNoWriMo. Genau deshalb schreibe ich ja die Geschichte hier.“
Okay, das ging zu weit. Nur wegen Klassenarbeiten wollte sie den gesamten NaNoWriMo in Gefahr bringen? Wobei… wenn das hier wirklich nur eine Geschichte war, war es dann der echte NaNoWriMo in Gefahr war? Wo verschwammen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion? Vielleicht würde in der Realität NaNoWriMo doch stattfinden, auch wenn wir hier von Plotbunnys belagert wurden.
Diese Überlegungen brachten mich auf eine andere Idee. Genauer gesagt, hatte der Weise aus der Küche das bereits erwähnt. Ich ließ mich in einen Stuhl fallen und lehnte mich zurück, während ich versuchte möglichst entspannt auszusehen.
„…was genau tust du da?“, wollte die Autorin wissen.
Auch der Rest meiner Gruppenmitglieder sah mich verwirrt an. Solange die sich jetzt nicht einmischten, könnte mein Plan  aufgehen.
„Gar nichts“, erklärte ich mit einem Grinsen.
„Wie, gar nichts…“ Ihr schien Böses zu schwanen, denn ihre Stimme klang plötzlich unsicher.
„Naja, wenn das hier eh nicht echt ist und dich sowieso nicht interessiert was wir wollen, kann ich mich genauso gut zurücklehnen und das NaNo-Land den Bach runtergehen lassen.“
Die anderen sahen mich entgeistert an. „Das kannst du doch nicht machen“, meinte meine Oma.
„Ich kann, und ich werde. Wenn sie uns nicht hilft, warum sollten wir tun was sie von uns will? Ich sehe das nicht ein.“
„Sie hat nicht ganz Unrecht“, meinte Hannes und nickte. „Wir gehen einfach in Streik.“
„Leute...!“, heulte die Autorin. „Wie soll ich denn dann die Geschichte fertig schreiben? Es ist nicht spannend nur über irgendwelche Leute zu schreiben, die in einer Kneipe sitzen!“
„Das ist dann nicht unser Problem“, erklärte ich.
„Was wenn ich euch Plotbunnyhorden auf den Hals hetze?“, fragte sie mit einem fiesen Unterton in der Stimme. „Dann müsstet ihr euch verteidigen. Ihr könnt euch nicht ewig in der Drachenschenke verschanzen.“
„Wir haben einen Starb“, sagte ich gelangweilt.
„Wenn ich euch den wegnehme?“
„Wir kommen schon klar. Sind wir in Schreibstadt auch“, meinte ich und betrachtete meine Fingernägel unterm Licht. Unter jedem Nagel war eine Kruste aus Erde. Das war kein Wunder, denn wir waren eine Woche lang im Wald herumgelaufen.
„Ich könnte euch Rauchninjas auf den Hals hetzen!“
„Die hatten wir schon tausend Mal“, gähnte ich. „Laaaangweilig.“
„Ich könnte jemanden sterben lassen. Deine Oma könnte einfach ein Herzinfarkt haben und umkippen!“ Ich hatte sie fast soweit. Sie wurde gerade wirklich wütend.
Ich allerdings auch, denn meiner Oma mit so etwas zu drohen war kein Spaß mehr. Wenn sie das tatsächlich tat, würde ich in die richtige Welt kommen und sie zur Schnecke machen.
„Wenn wir sowieso alle nicht echt sind, dann dürfte es uns auch nicht interessieren ob wir sterben oder nicht“, wagte ich zu sagen, während ich flehte, dass sie ihre Drohung nicht wahr machte.
Meine Oma schnappte plötzlich nach Luft und griff sich an die Brust. „Mia, entschuldige dich“, keuchte sie. „Ich glaube ich bekomme einen Herzinfarkt!“
Mein Herz begann ebenfalls schneller zu schlagen, aber ich wusste, dass ich diesen Kampf gewinnen wollte wenn ich nicht den Rest meines Lebens eine Marionette sein wollte.
„Wenn du meine Oma umbringst, hast du erstens einen Charakter weniger und ich glaube nicht, dass du das verschmerzen kannst, und gleichzeitig würde ich dir nie wieder bei irgendwas zur Verfügung stehen“, sagte ich, was nicht einmal gelogen war.
Meine Oma war käseweiß im Gesicht geworden und Blue hielt sie in ihrem Stuhl aufrecht. „Entschuldige dich!“, schrie er mich an. „Oder sie stirbt!“
„Nein, wird sie nicht“, widersprach ich ihm. „Die Autorin braucht uns alle. Meine Oma ist zu wichtig. Sie kann nicht sterben. Und selbst wenn, hätte sie damit gleich zwei Figuren verloren!“
Oma keuchte ein letztes Mal, dann klappte sie vornüber auf dem Tisch zusammen. Hatte die Autorin sie gerade wirklich umgebracht? Falls ja, dann hatten wir hier ein echtes Problem.
Doch da hustete meine Oma und stütze sich auf ihren Ellenbogen ab. „Mia, mach das nie wieder.“ Sie schnappte nach Luft.
Ich versuchte mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. „Du hast es also eingesehen.“
„Okay, okay. Du hast mich erwischt. Noch brauche ich euch alle.“
Die Formulierung gefiel mir nicht besonders, aber solange es nicht meine Oma, Blue, Hannes oder Freundschaf erwischte, war mir alles recht.
„Damit es sich überhaupt lohnt weiterzumachen, musst du zusagen, dass du bei NaNo mitmachen wirst. Aber offiziell machen darfst du es erst wenn wir wissen wo die Grenze zur Realität ist“, sagte ich.
„Ja, ja, schon gut. Ich mache mit. Zufrieden?“
„Es ist ein Anfang.“ Noch zufriedener wäre ich wenn sie uns die Bunnyinvasion gar nicht erst auf den Hals gehetzt hätte, Phoenix am Leben gelassen hätte und Hannes von seinem Fluch erlösen würde. Aber darum würde ich wohl ein anderes Mal kämpfen müssen. Momentan hatte das hier oberste Priorität.
„Dann würde ich sagen wir gehen für heute ins Bett und suchen morgen nach dieser Wandernden Bibliothek.“
Da mein Vorschlag nicht abgelehnt wurde, bezeichnete ich ihn einfach mal als einstimmig angenommen.

Dienstag, 30. Dezember 2014

60. Kapitel



Der Koch versuchte mich auf dem Rückweg daran zu hindern einen seiner Angestellten von der Arbeit abzuhalten, doch ich schwenkte nur die Schaufel und er gab Ruhe. Der Alte schien recht vergnügt zu sein während er mir folgte und auch die Tatsache, dass ich die TSoD besaß, verschreckte ihn nicht.
„Wussten Sie, dass wir hier sind und wonach wir suchen?“, fragte ich ihn neugierig.
„Natürlich.“
„Warum haben Sie uns dann nicht vorher geholfen? Als wir das erste, zweite oder dritte Mal in der Drachenschenke waren?“
Ich konnte den Ärger nicht ganz aus meiner Stimme heraushalten. Hätten wir ihn vorher getroffen, wären wir nie zu Estelle gegangen. Wir hätten nie ins alte Hexenhaus gehen müssen und Phoenix würde noch leben. Meine Oma könnte ihre Hand noch haben und wir hätten nie die eklige Erfahrung machen müssen mit einer goldenen Kloppbürste zu kämpfen.
„Mich findet man nur wenn man am schlimmsten Punkt seiner Geschichte angekommen ist. Wenn es keinen Ausweg mehr gibt und alles verloren scheint. Dann trete ich auf den Plan. Manchmal. Wenn man mich sucht.“
Das hörte sich für mich immer noch sehr ominös an, aber da er gesagt hatte, dass er uns helfen würde, würde ich bestimmt nicht anfangen ihn nun anzuschreien. Später vielleicht, je nachdem ob er uns wirklich helfen konnte oder nicht.
Der Rest der Gruppenmitglieder war immer noch in das Gespräch mit Mr. Ian Woon vertieft und sie bemerkten es kaum als ich mich setzte. Sobald ich meine Gedanken wieder mit der Gedankenspinne verbunden hatte, erfuhr ich, dass gerade Phoenix‘ Tod in allen Einzelheiten geschildert wurde.
„Ähm.“ Es war ein seltsames Gefühl sich in Gedanken zu räuspern, aber interessanterweise funktionierte es. „Ganz ganz vielleicht habe ich eine Lösung gefunden. Oder jemanden, der eine Lösung kennt.“
Alle drehten ihre Köpfe, um den Mann zu betrachten, der auf einem freien Stuhl an unserem Tisch Platz genommen hatte.
„Hallo.“ Er lächelte freundlich.
„Wer ist das?“ Warum Blue in Gedanken flüsterte, war mir ein Rätsel.
„Er sagt er sei der Weise aus der Küche“, dachte ich. „Keine Ahnung, um ehrlich zu sein. Der Zeigefinder hat mich zu ihm geführt.“
„Ich kenne ihn!“, schrie meine Oma, in Gedanken und laut, was alle zusammenfahren ließ. „Oder ich habe zumindest von ihm gehört. Er geistert durch die Küchen des NaNo-Landes. Manchmal gibt er Leuten Tipps wenn sie ihn durch Zufall auf ihre Probleme ansprechen. Allerdings dachte ich eher das wäre eine Legende…“
„Das sagen einige auch über die Traveling Shovel of Death.“ Mr. Ian Woon hörte sich nachdenklich an.
„Warum ist der nicht früher auf uns zugekommen?“, fragte Blue genervt.
Ich wiederholte in Gedanken das Gespräch von eben und er schnaubte nur. Meine Rede. Allerdings konnten wir Hilfe gut gebrauchen und es wäre mehr als dumm sie abzulehnen.
„Redet mit ihm. Falls dabei etwas herauskommt, erstattet mir Bericht“, sagte Mr. Ian Woon. „Ich schaue währenddessen wie weit der Rat gekommen ist.“
Das Gespräch war damit erst einmal beendet. Nun konnten wir uns unserem Gast zuwenden. Meine Oma wahrte als einzige ihre Förmlichkeit und bestellte dem Weisen aus der Küche etwas zu Trinken.
„Also“, begann ich. „Was meinen Sie was wir tun müssen um die Bunnyinvasion zu beenden?“
„Ist das nicht offensichtlich?“, fragte er. „Benutzt euren Verstand! Wenn die Bunnys nicht getötet werden können, sondern nur durch das Schreiben ihrer Geschichten losgeworden werden können, was muss geschehen?“
„Sie müssen geschrieben werden, natürlich. Genau das ist ja das Problem. Es gibt einfach nicht genug Leute hier!“, beschwerte ich mich.
„Dann ist die Lösung genauso einfach. Ihr müsst mehr Leute dazu bekommen ins NaNo-Land zu kommen.“
Der Weise aus der Küche nahm einen Schluck von seinem Orangensaft und lehnte sich in seinem Stuhl zurück als hätte er uns gerade die Lösung des Problems verraten. Mir kam es jedoch nicht so vor.
„Das hört sich eher an als hätten Sie uns ein neues Problem aufgehalst“, sagte ich.
„Du würdest dich wundern wie oft die Lösung eines Problems selbst ein Problem aufwirft“, war seine Antwort.
Super. Schon wieder so einer der meinte hilfreich zu sein, aber nur in Rätseln sprach. Es war außerdem nicht gerade schön zu hören, dass wir das Problem angeblich die ganze Zeit von der falschen Seite angegangen waren.
„Woher kommen die ganzen Schreiber?“, fragte er weiter.
„Aus der richtigen Welt“, sagte meine Oma. „Sehr viele kehren dorthin auch zurück sobald der November vorbei ist und schreiben nur wenn NaNoWriMo ist.“
„Ganz genau.“ Der Weise aus der Küche strahlte sie an. „Also müsst ihr Leute dazu bringen aus der richtigen Welt ins NaNo-Land zu kommen.“
Und wie genau sollten wir das anstellen? Mich hatte meine Oma dazu gebracht mich an NaNo zu wagen. Genug Werbung gab es eigentlich auch. Vor allem im Oktober wurde auf vielen Internetseiten darüber geredet; man musste nur die Ohren aufmachen. Außerdem… viel Zeit hatten wir nicht mehr, denn die meisten Leute wollten zumindest ein wenig planen bevor sie sich auf dreißig Tage voller Wahnsinn einließen.
Blue stellte dieselbe Frage. „Wie bekommen wir die dazu hier hinzuwollen? Ich erinnere mich selbst kaum noch wie es dazu gekommen ist, dass ich das erste Mal beim NaNo mitgemacht habe.“
„Ihr müsst einen gruppalen Infekt in der realen Welt freisetzen. Wenn sich genug Leute damit infizieren, kommen bestimmt einige zum NaNoWriMo“, schlug der Weise aus der Küche vor.
„Das hört sich gefährlich an… ich will keine Leute mit irgendwas anstecken!“, protestierte ich.
„Ihr seid doch alle schon längst identifiziert. Das ist jeder hier! Der gruppale Infekt greift immer während oder kurz vor NaNo um sich. Dabei stecken sich ganz viele Leute mit dem Wunsch an ihre Plotbunnys aufs Papier zu bringen und einen Monat lang zu schreiben. Oder generell mal zu schreiben. Jeder, der beim NaNoWriMo mitmacht hat ihn!“
Von dieser Seite aus betrachtet… es schien manchmal wirklich als hätten sich die Leute hier mit dem Wahnsinn in Person infiziert. Ich war mittlerweile keine Ausnahme mehr; immerhin lief ich in Robben durch die Gegend, hatte eine Schaufel als Waffe und war Gast auf einem Piratenschiff gewesen. Normal konnte man das jedenfalls nicht nennen.
„Okay, wie bekommen wir den in die richtige Welt?“, fragte Blue, der unterdessen sein Plotbunny streichelte.
„Ihr selbst könnt ihn nicht mehr übertragen, höchstens an einzelne Personen. Also muss eine neue Person in diese Welt kommen und bei ihrem Eintritt muss der gruppale Infekt in die reale Welt geschleust werden. Ich schlage vor, dass ihr versucht euren Autor zu motivieren bei NaNoWriMo mitzumachen“, sprach er weise weiter.
So weise fand ich das allerdings nicht. Das erinnerte mich zu sehr an die Unterhaltung, die ich mit dem Mund der Dares geführt hatte.
„Aber wir haben keinen Autor! Wir sind immerhin nicht einfach nur eine Geschichte. Wir sind real. Das hier passiert wirklich.“ Okay, der Kerl war vollkommen durchgeknallt.
„Natürlich ist das hier eine Geschichte! Alles was wir tun oder lassen ist eine Geschichte! Und eine vernünftige Geschichte wird niedergeschrieben. Nur weil ihr euren Autor nicht sehen könnt, heißt das nicht, dass es ihn nicht gibt“, sagte der Weise aus der Küche. „Am besten lockt ihr einen Autor hervor, indem ihr ihn zur Weißglut bringt“, beantwortete er meine nächste, unausgesprochene Frage. „Tut das Gegenteil von dem, was in eurer Natur liegt. Macht Quatsch. Manövriert euch in ausweglose Situationen. Oder tut einfach gar nichts. Das regt Autoren am allermeisten auf.“
Der war nicht nur vollkommen durchgeknallt, er war komplett geistesgestört. Wie konnte er nur denken, dass wir nichts weiter als eine Geschichte waren?
„Aber wie können wir eine Geschichte sein wenn wir selbst aus der richtigen Welt hierhergekommen sind?“, fragte Blue. Seine Stirn war gerunzelt während er versuchte alles zu verarbeiten.
„Im NaNo-Land haben Charaktere die seltsame Angewohnheit die Rollen zu tauschen, überhaupt erst zu entstehen oder sich zu verändern. Schaut euch nur den Drecktor und seinen Sohn an. Auch sie waren einmal Autoren. Und sie sind es immer noch. Aber sie sind auch Wesen dieser Welt, und das bedeutet sie sind nichts anderes als Charaktere.“
Alles klar. Das war mir zu hoch. Diese ganzen philosophischen Fachsimpeleien waren für mich absolut unverständlich. Die einzige, die noch wissend nickte, war meine Oma. Hannes hatte das ganze Gespräch über nichts gesagt, sondern immer von einem zum anderen geschaut wie bei einem Pingpongspiel. Freundschaf kaute statt zuzuhören auf der Tischdecke herum. Es fehlte bereits ein beachtliches Stück.
„Mal angenommen das mit dem Autor stimmt“, führte ich das Gespräch weiter. „Und ich bin davon immer noch nicht ganz überzeugt, aber tun wir mal so. Wie würden wir den Autor hierher schaffen wenn wir ihn überzeugt haben?“
Das war mir schon aufgefallen als ich hier gelandet. Ich wusste zwar noch warum ich beim NaNoWriMo mitmachen wollte, aber wie ich in dieses Land gekommen war, war mir ein einziges Rätsel. Es war als hätte jemand die Erinnerung vollkommen aus meinem Gedächtnis gelöscht.
„Theoretisch ist es einfach. Es gibt einen Übergang zwischen dem NaNo-Land und der Realität. Er öffnet sich nur wenn neue Wrimos eintreffen. Genau zu einem solchen Zeitpunkt müsst ihr dort sein und den gruppalen Infekt loslassen.“
„Und wo ist diese Grenze zur Realität?“, fragte Blue. Er sah immer noch eher genervt aus als alles andere.
„Das ist das Problem. Niemand weiß es“, sagte der Weise aus der Küche.
Na super. Von einem Problem zum nächsten. Die Vorstellung des Damoklesproblems erschien mir immer plausibler je mehr ich mit diesem angeblichen Weisen redete. Dann jedoch kam mir eine Idee. Bei meinem Aufschrei zuckten alle zusammen außer der Weise und Freundschaf. Letzteres kaute ruhig weiter an der Tischdecke herum. Der Weise hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und sah mich interessiert an.
Ich zog den Zeigefinder aus meiner Tasche. Hoffentlich funktionierte das Ding, aber heute schien es gute Laune zu haben, denn es hatte mich zum Weisen aus der Küche geführt. Andererseits ging der mir gerade gehörig auf den Wecker, also konnte der Zeigefinder genauso gut darauf aus sein mich zu ärgern. Trotzdem gab ich unser Ziel ein.
404-not found.
Ich fluchte so laut, dass die Hälfte der Gäste im Schankraum mich mit wütenden Blicken bedachte. Die sollten mal versuchen mit einem Zeigefinder zurechtzukommen. Da wollte ich die nach zwei Tagen sehen. Ich hingegen schlug mich bereits seit knapp einer Woche mit dem Teil herum.
„Okay, das funktioniert nicht“, sage ich. „Irgendwelche Vorschläge?“
„Ich hätte einen.“ Der Weise lächelte. „Versucht es bei der Wandernden Bibliothek.“
„Und wo… ach vergiss es.“
Ich gab den neuen Ort lieber in den Zeigefinder ein. Erstaunlicherweise zeigte er tatsächlich etwas an. Allerdings bewegte sich der Pfeil und wanderte von einer Richtung zur Nächsten.
„Was zum…?“
„Der Name ist Wandernde Bibliothek“, erinnerte meine Oma mich.
Jetzt dürften wir dem Teil auch noch hinterherlaufen. Als hätten wir das die letzten Tage nicht oft genug gemacht. Auch wenn ich zugeben musste, dass wir erstaunlich oft vor etwas weggelaufen waren. Mir fiel noch etwas anderes auf.
„Wo bekommen wir einen gruppalen Infekt her? Müssen wir uns dazu irgendwie Blut abnehmen oder so?“ Allein bei der Vorstellung wurde mir schummrig. Ich hasste Spritzen.
„Den bekommt ihr in Technopolis. Dort wird am gruppalen Infekt gefroscht. Wenn Mr. Ian Woon ihnen den Auftrag gibt, dass sie euch helfen sollen, müsste es funktionieren“, sagte der Weise aus der Küche.
„Okay. Dann müssen wir also unseren Autor dazu bekommen mit uns zu reden, die Wandernde Bibliothek finden, um dort Informationen über die Grenze zur Realität zu bekommen und nach Technopolis gehen, um den gruppalen Infekt zu bekommen“, fasste ich das Ganze zusammen.
Dabei stellte ich fest, dass ich, verrückt wie es war, kurz davor war alles zu glauben. Es kam mir immer noch unglaublich unwahrscheinlich vor, aber es gab so viel Unglaubliches im NaNo-Land, dass ich nichts mehr von Haus aus ausschließen konnte.
„Ja.“ Der Weise aus der Küche nickte. Dann wurde er melodramatisch. „Es ist euer Schlicksal das NaNo-Land zu retten!“
„…das hört sich an als wäre es uns vorherbestimmt eine Wattwanderung zu machen…“, grummelte Blue.
„Also einfach wird es jedenfalls nicht“, bestätigte der Weise.
Eine Weile saßen wir nur da. Dann…
„Shirt“, murmelte Blue. „Warum kann es nicht mal einfach sein?“
Wir hörten wie die Tür vernehmlich aufgestanden war. Alle sahen auf. Wie bei einem Schichtwechsel trat die Hautür zur Seite und ließ eine identisch aussehende Tür ihren Platz einnehmen. Dann lehnte sie sich an die Wand und war still.

Montag, 29. Dezember 2014

59. Kapitel



Am nächsten Morgen mussten meine Gefährten einen Mord verhindern. Als ich aufgewacht war, war die TSoD weg gewesen. Sobald Blue während des Frühstücks durch die Tür gekommen war, die Schaufel in der Hand, hatte ich gewusst was er getan hatte.
„Du hast probiert ob es bei Plotbunnys funktioniert…“, flüsterte ich entsetzt.
Er zuckte mit den Schultern – da hatte ich mich auch schon auf ihn gestürzt. Seine Kraftpillen hatte er anscheinend wieder nicht genommen, denn es war ein Leichtes ihn zu Boden zu werfen und auf ihn einzuprügeln.
„Du hast es an armen Plotbunnys ausprobiert?!“, kreischte ich.
„Au… Au! Mia, au!“, rief er.
Ich hörte nicht auf ihn zu bearbeiten. Da er in den letzten Tagen erst von einer Trachtenkämpferin verprügelt worden war, musste ihm sowieso alles weh tun. Ich hieb noch fester auf ihn ein.
„Mia, pass auf! Du verletzt das Bunny!“, rief er.
Wie vor den Kopf gestoßen hielt ich inne. Erst jetzt sah ich weshalb er die Arme nicht hochgenommen hatte, um sich zu verteidigen, sondern versucht hatte mich von der Robbe fernzuhalten. Aus seiner Robbentasche lugte ein rot-orangenes Plotbunny mit gelben Augen, deren Pupillen Schlitze waren. Eines seiner Ohren stand auf, eins hing herab und es sah mich mit riesigen Augen an.
„Gah.“ Ich sprang ein Stück zurück. Ein Plotbunny reichte vollkommen. Mit Fluffles würde ich im NaNo ausgelastet sein.
„Ich habe den Kerl hier im Wald gefunden“, erklärte Blue. „Und… naja, ich habe die Schaufel an ihm ausprobiert. Es hat nicht funktioniert“, beeilte er sich zu sagen als er meinen Blick sah. „Aber er wurde ein wenig verletzt. Da konnte ich ihn doch nicht dalassen!“
Wow. Blue war lernfähig. Vor nicht einmal einer Woche hätte er das Bunny liegen lassen, in der Hoffnung, dass es von alleine sterben würde. Jetzt nahm er es mit, weil er anscheinend ein schlechtes Gewissen hatte. Vielleicht hatte ich doch einen guten Einfluss auf ihn. Andererseits schien auch er einen Einfluss auf mich zu haben, wenn auch einen Schlechten. Ansonsten konnte ich mir nicht erklären warum ich plötzlich so kampfwütig war.
„Lasst mich mal sehen“, meinte Estelle.
Blue übergab ihr das Bunny. Es war wesentlich größer als Fluffles, sodass man es nicht in der Hand, sondern auf dem Arm tragen konnte. Außerdem sah ich nun, da es die Tasche verlassen hatte, dass ihm lederartige Flügle aus dem Rücken sprossen. Sobald Estelle es an der Seite berührte, zuckte es zusammen.
„Was hast du mit dem armen Bunny angestellt?“, fragte sie mit einem finsteren Blick.
Meine Rede. Sie schloss kurz die Augen und als sie das Bunny das nächste Mal an der Seite berührte, schien es das nicht mehr zu spüren. Trotzdem tat es mir leid. Mit der TSoD geschlagen zu werden war bestimmt nicht angenehm.
„Also, unser Plan funktioniert nicht“, fasste Blue die Situation zusammen und nahm sein Bunny entgegen. „Selbst wenn man die Bunnys damit loswerden könnte…“ Er verstummte kurz, um den Hasen auf seinem Arm zwischen den Ohren zu kraulen. „…ich glaube nicht, dass ich die einfach umbringen könnte.“
Das hatte aber gedauert. Da musste ihm erst ein Drachenplotbunny – so sah es zumindest aus – über den Weg laufen bevor er vernünftig wurde. Meine Oma sah ebenfalls beinahe erleichtert aus. Allerdings runzelte sie auch die Stirn.
„Was machen wir denn jetzt?“, meinte sie.
„Schaut mich nicht so an.“ Estelle hob abwehrend die Hände. „Ich muss mich erstmal ausruhen nachdem ich euch allen die Zukunft gelesen habe.“
Als hätte das so viel gebracht. Obwohl… beschweren konnte ich mich nicht. Wir hatten die TSoD schließlich gefunden, auch wenn sie uns nichts brachte. Sie hatte uns außerdem noch einmal bei sich übernachten lassen und uns ihren Besenschrank als Gefängniszelle für Burns zur Verfügung gestellt.
Kurz danach mussten wir weiter. Je schneller wir bei der Drachenschenke ankamen, desto schneller würden wir unseren Gefangenen loswerden. Zudem mussten wir Mr. Ian Woon von unserem Scheitern berichten. Vielleicht war der NaNo-Rat mittlerweile zu einer Entscheidung gekommen, mit der man etwas anfangen konnte. Ansonsten sah es aus als würde der NaNoWriMo dieses Jahr ausfallen müssen.
Zwar würden keine Plotbunnys sterben müssen, aber dafür würden sie jahrelang die Wrimos belagern. Das war kein Sieg. Und damit war unsere Mission gescheitert. Die Stimmung auf dem Rest des Weges war dementsprechend übel. Der Wortsalat, den ich Fluffles vorsetzte, war so schlecht, dass es ihn fast nicht essen mochte. Hannes versuchte die Gruppe aufzumuntern, aber nichts half. Sogar Freundschaf trottete nur mit hängendem Kopf hinter uns her und versuchte nicht einmal Zeug vom Wegesrand zu futtern.
Wir hatten Phoenix ganz umsonst verloren. Diese Mission war von Anfang an ein Fehlschlag gewesen, und trotzdem hatte sie in die Hefe fallen und sterben müssen.
Die einzigen Höhepunkte meines Tages waren wenn ich Burns die Schaufel in den Rücken stoßen konnte um ihn voranzutreiben. Jedes Mal bereitete es mir ein makabres Vergnügen mir vorzustellen ihm eins mit der Schaufel überzubraten, besonders wenn mir davor wieder Phoenix im Kopf herumgegeistert war.
Die Drachenschenke kam in Sicht und das erste, was uns auffiel, war die neue Tür. Das zweite, was uns auffiel, waren die Werbeplakacke, die auf einem Schild davor aufgehängt waren. Sie priesen die goldene Kloppbürste an, die vor einigen Tagen gefunden worden war. Irgendjemand musste von dem Vorfall gehört haben und die Kloppbürste aus dem Arschiv geholt haben. Dabei hatten wir sie so gut versteckt.
Blue riss die Plakacke herunter und stopfte sie ins nächstbeste Gebüsch. „Niemand sollte das Ding je wieder benutzen“, rechtfertigte er seine Aktion.
Wir waren fast an der Tür angekommen, da rief diese plötzlich „Kommt rein! Bei mir ist ein Tritt frei!“ und begann wie wahnsinnig zu lachen.
Sofort blieben wir stehen und musterten das Teil misstrauisch. Es war nur zu gut denkbar, dass der Wirt in seiner Verzweiflung nun nach härteren Geschützen gegriffen hatte. Wir warteten lieber was passieren würde, denn gerade war eine Limousine vorgefahren und hielt direkt vor der Hautür. Jemand zog eine Waffe, um die Tür aufzuschießen – da hatte ihm das gute Stück auch schon einen rechten Haken verpasst und war aufgeschwungen. Der Mann flog einen Meter nach hinten und rappelte sich verdutzt auf.
Wir trauten uns nach einigen Sekunden doch durch die Tür, die wieder begonnen hatte zu lachen, uns jedoch ungehindert passieren ließ.
„Eine Hautür“, erklärte der Wirt. „Endlich. Das einzige was ich gebraucht habe war eine Tür, die sich verteidigen kann.“ Dann sah er wer gerade eingetreten war. „Oh. Ihr seid das.“
Er schien sich nur zu gut an unseren letzten Besuch zu erinnern, denn er begutachtete mit wehleidigem Blick die neue Einrichtung des Schankraums. Mir fiel ehrlich gesagt keine Veränderung auf. Außer der Hautür natürlich. Wir ignorierten die Blicke und setzten uns stattdessen an einen freien Tisch, um mit einer Gedankenspinne Kontakt zu Mr. Ian Woon aufzunehmen.
„Wo ist Phoenix?“, war die erste Frage.
Da mir ein Kloß im Hals saß und Blue plötzlich mehr Interesse an seinem Bier zeigte als an der Gedankenspinne, erklärte meine Oma was passiert war. Sie beschrieb gleich was wir sonst erlebt hatten und wer der Neuzugang der Gruppe war, wobei sie Hannes vorstellte. Außerdem informierte sie Mr. Ian Woon über unseren Fehlschlag.
Das und Phoenix‘ Tod schienen ihn schwer zu treffen. Er beschrieb wie die Pilzizisten die Rauchninjas festgenommen hatten, nachdem sie, zwei Tage nachdem wir ihnen den Uhrwurm auf den Hals gehetzt hatten, vollkommen fertig in der Drachenschenke aufgetaucht waren. Sie hatten kaum noch stehen können und die Pilzizisten hatten sie ohne Probleme abführen können.
Allerdings hatten sie nicht preisgegeben wer sie geschickt hatte. Da konnten wir nachhelfen. Meine Oma spielte in Gedanken durch was mit Burns geschehen war und bat darum, dass er ebenfalls von Pilzizisten abgeführt wurde.
„Der Drecktor!“, meinte Mr. Ian Woon entsetzt. „Das hätte ich nicht gedacht.“
„Tja. Sein Ziel hat er nicht erreicht, aber die Plotbunnys haben wir immer noch am Hals. Da schwebt wohl eine Damoklesschere über unseren Köpfen“, seufzte meine Oma.
„Eine Schere? Nein, wir haben ein riesiges Problem! Eigentlich sogar mehrere, aber es ist ein großes Hauptproblem, das wie ein Damoklesproblem über den anderen Problemen baumelt, und sogar die nervös macht!", versuchte Blue sich an einem Vergleich.
Oh ja. Allerdings ein Problem. Unweigerlich stellte ich mir dabei vor, wie die kleineren Probleme zusammenrückten und gemeinsam vor dem fiesen Monsterproblem zitterten. Diese Vorstellung, so witzig sie auch im ersten Moment war, ließ meine Laune den Tiefpunkt des Tages erreichen. Es war alles umsonst gewesen. Das Mr. Ian Woon mitzuteilen machte es offiziell. Wir waren allen Ideen nachgegangen wie man die Hasen loswerden konnte, aber nichts hatte funktioniert.
Ein Piepen aus meinem Rucksack ließ mich aufschrecken. Ich zog mich aus dem Gespräch zurück und ließ die anderen über ihre Gedanken mit der Gedankenspinne kommunizieren. Was hatte war jetzt schon wieder?
Die Nadel des Zeigefinders drehte sich zuerst wie wild und leuchtete in allen Farben, dann blieb sie stehen und deutete auf einen Punkt nicht weit von mir entfernt. Da ich nichts eingestellt hatte, war dieses Verhalten äußerst seltsam. Das Gespräch machte mich eh nur depressiv, also stand ich auf und folgte dem Zeigefinder.  Niemand am Tisch bemerkte meine Abwesenheit, außer Freundschaf, das mir mit treuen Augen hinterherschaute, sich aber nicht erhob um mir zu folgen.
Der Zeigefinder führte mich durch den ganzen Schankraum. Vor einer Tür, durch die ich bisher nie gegangen war, stoppte ich. Es war bestimmt nicht gern gesehen hier herumzuschnüffeln. Außerdem wollte ich lieber nicht aus Versehen durch eine Hautür laufen, sonst war Blue bald nicht mehr der einzige mit einem blauen Auge. Vorsichtig drückte ich die Klinke herunter. Als nichts geschah, wagte ich mich in den Raum.
Sofort wurde ich an das Erlebnis mit den durchgedrehten Möbeln in der Küche des Könlings erinnert, denn ich befand mich in einer Küche. Glücklicherweise schienen die Möbel hier nicht tollwütig zu sein, denn sie blieben an ihren Plätzen. Mehrere Köche eilten von einem Herd zum anderen, um die verschiedensten Gerichte gleichzeitig auf die Beine zu stellen. Natürlich, bei so einem großen Gasthaus war das eine Menge Arbeit. In einer Ecke wurde außerdem gerade ein seltsames, grünes Stück Fleisch bearbeitet, das ein Extrawunsch eines Gastes sein musste. Den wollte ich bestimmt nicht kennen lernen.
„Was machst du in der Küche?“, fragte mich ein besonders ungemütlich aussehender Koch. Er baute sich vor mir auf und stemmte die Hände in die Seite.
„Äh…“ Die Nadel des Zeigefinders deutete hinter ihn. Es war nicht mehr weit. „Ich muss nur kurz hier durch“, versuchte ich es auf die nette Art und Weise.
„Hier ist für Gäste kein Zutritt, also verschwinde.“
Okay, dann nicht auf die nette Weise. Ich zog die Schaufel hervor, die an meinem Gürtel baumelte, und hielt sie ihm vor die Wampe. Zuerst sah er wenig beeindruckt aus, doch dann weiteten sich seine Augen.
„Ganz recht. Das ist die Traveling Shovel of Death. Und wenn du nicht sofort den Weg freigibst, haben wir ein Problem.“
Kleinlaut trat er zur Seite. Ich fühlte mich ein wenig mies, weil ich ihn dazu gezwungen hatte. Immerhin tat er nur seinen Job und war bestimmt überarbeitet. Ihn mit einer Todesschaufel zu bedrohen gehörte nicht zum feinen Benehmen.
Von meinen Schuldgefühlen ablenken tat mich allerdings der Zeigefinder, der nun stärker blinkte und mich möglichst schnell an einen Ort führen wollte. Ich durchquerte die Küche bis ich in einem Nebenraum ankam. Dort saß nur eine einzige Person und schälte Kartoffeln. Es war ein alter Mann, bei dem es mich wunderte, dass sein langer weißer Bart ihm beim Kartoffelschälen nicht in die Quere kam.
Als ich eintrat, sah er auf. „Guten Tag.“
„Guten Tag…“, erwiderte ich verwirrt. Die Nadel des Zeigefinders drehte sich wie verrückt, was wohl bedeutete, dass ich am Ziel war. Aber wo war ich genau?
„Ähm… mein Gerät meint, dass ich unbedingt herkommen sollte.“ Okay, das hörte sich echt lahm an.
„Wie interessant“, meinte der Mann und schälte weiter Kartoffeln.
„Ähm… können Sie vielleicht helfen?“
„Das kommt darauf an wobei“, sagte er und warf eine fertig geschälte Kartoffel in einen Eimer zu seinen Füßen.
„Ich bin Teil einer Gruppe, die von Mr. Ian Woon losgeschickt wurde, um ein Mittel gegen die Plotbunnys zu finden. Bisher haben wir auf ganzer Linie versagt und sind kurz davor aufzugeben.“ Was redete ich da eigentlich? Der würde mir auch nicht helfen können. „Tut mir leid falls ich Sie gestört habe. Ich gehe jetzt besser.“
„Du hast da ein schlaues Gerät.“ Der Mann zuckte mit dem Kopf in Richtung des Zeigefinders. „Ja, ich kann helfen. Darf ich mich vorstellen? Ich bin der Weise in der Küche.“
Er legte die Kartoffel, die er gerade geschält hatte, aus der Hand und hielt mir eben diese hin. Zögernd schüttelte ich sie.
„Freut mich.“
„Du suchst also ein Mittel gegen Plotbunnys? Du weiß, dass sie unzerstörbar sind, oder?“
„So ziemlich, ja.“ Fluffles streckte in diesem Moment seinen Kopf aus meiner Brusttasche und gähnte herzhaft. „Und sie sind nicht halb so böse wie alle sie darstellen.“
„Nicht nur ein schlaues Gerät, auch ein schlaues Mädchen.“
Der Weise aus der Küche erhob sich von seinem Stuhl. Sei Rücken knackte so laut, dass ich mich fragte wie lange er dort gesessen hatte ohne sich zu bewegen. Das Messer, mit dem er die Kartoffeln geschält hatte, legte er ebenfalls zur Seite.
„Sollen wir?“
„Wohin?“, fragte ich verwirrt.
„Na zum Rest deiner Gruppe damit ich euch ein wenig unter die Arme greifen kann.“
Die ganze Sache kam mir mehr als seltsam vor. Andererseits hatten wir nichts mehr zu verlieren. Also zuckte ich mit den Schultern und ging, den alten Mann im Schlepptau, durch die Küche zurück zum Gastraum.