„Erst
einmal danke für Ihre Hilfe“, sagte sie dem Weisen aus der Küche. „Falls das
alles so stimmt, haben Sie uns sehr geholfen.“
Aha,
sie war also auch nicht ganz überzeugt. Der Weise nahm den Dank jedoch gelassen
an, verabschiedete sich und ging zurück in die Küche zum Kartoffelschälen.
Vielleicht kündigte er auch, um es sich in einer anderen Küche bequem zu machen.
Da konnte man sich wohl nicht sicher sein.
„Zuerst
einmal müssen wir herausfinden wie wir nach Technopolis kommen falls wir den
Weg zur Grenze zur Realität finden sollten“, sagte meine Oma als er außer Sicht
verschwunden war. „Technopolis liegt hinter den Blockadenbergen. Mit normalen
Mitteln ist da kein Durchkommen. Auch der gesunde Menschenversand hat dort
keine Station.“
Ich
war ehrlich gesagt erleichtert darüber. Mir war jedes andere Transportmittel
lieber.
„Fragen
wir doch einfach Mr. Ian Woon“, schlug Blue vor. „Er kennt bestimmt jemanden,
der uns da rüberfliegen kann oder so.“
Damit
war es beschlossene Sache. Wir würden es versuchen, egal ob wir dem Weisen aus
der Küche alles glaubten was er gesagt hatte oder nicht. Eine Wahl hatten wir
sowieso nicht.
„Hast
du dazu gar nichts zu sagen, Hannes?“, fragte ich, da er die ganze Zeit über
nichts gesagt hatte.
„Ich
finde die Vorstellung nicht schön, dass wir alle nur Charaktere in einer
Geschichte sind. Das würde nämlich bedeuten, dass es die Schuld eines Autors
ist, dass ich verflucht wurde und dass der Fluch gelöst werden könnte wenn der
sich nur dazu aufraffen könnte es zu schreiben“, grummelte er.
Das
konnte ich nachvollziehen. Unbeholfen tätschelte ich ihm den Rücken, was ihn
ein wenig aufzumuntern schien. Alle weiteren Beileidsbekundungen mussten jedoch
warten, denn meine Oma hatte schon wieder die Gedankenspinne aufgestellt,
um Mr. Ian Woon unsere neuen Pläne
mitzuteilen.
„Ich
schieß mal die Tür“, ertönte plötzlich eine Stimme von einem der Tische.
Der
Wirt rief nicht dazwischen, sondern beobachtete selbstzufrieden wie der Mann
auf seine neue Hautür zuging, sich in Position brachte und…
Die
Tür schoss und ließ den Mann verwirrt im Schankraum stehen. Seine Waffe war ihm
aus der Hand geschossen worden. Sowas nannte sich dann wohl die Rache der
Türen. Die hauten nicht nur zu, sondern schossen jetzt auch zurück. Der Wirt
wandte sich zufrieden pfeifend wieder der Kaffeemaschine zu, die anscheinend
irgendeinen Defekt hatte und lauter Gemalhennen in der Schenke herumlaufen
ließ.
Mr.
Ian Woon war ebenfalls skeptisch was die Geschichte anging, war jedoch bereit
uns das Risiko eingehen zu lassen. Zu verlieren hatte auch er nichts mehr, denn
der Rat war nur dabei sich zu verhauen, sodass keine Ergebnisse zustande kommen
würden.
Das
einzige Problem, das wir noch sahen, war wie wir den Autor auf uns aufmerksam
machen konnten, falls es denn einen gab. Blue versuchte es damit im Schankraum
Räder zu schlagen, was einige der Gäste verschreckte, doch das schien nicht zu
funktionieren, vielleicht weil es nicht gegen seine Natur ging. Den Rest der
Gäste verschreckte er dann als er sein Plotbunny auf den Tisch setzte. Alle
verließen sofort in Panik den Schankraum und der Wirt sah aus als würde er uns
am liebsten rausschmeißen. Vermutlich waren wir aber die am meisten zahlenden
Gäste, dank Mr. Ian Woon, sodass er sich damit ins eigene Fleisch geschnitten
hätte.
Ich
versuchte es, indem ich eine peinliche Geschichte nach der anderen erzählte,
die ich niemals irgendjemandem hatte verraten wollen. Das funktionierte auch
nicht und danach war ich nur peinlich berührt und die anderen lagen am Boden
vor Lachen. Mehr geschah nicht.
Sollte
ich jemanden mit der TSoD umbringen? Das fände ich doch sehr hart. Aber es
würde absolut nicht zu mir passen – hoffte ich jedenfalls – und einen riesigen
Skandal verursachen.
Irgendwann
kamen einige Pilzizisten, die Burns mitnahmen. Das war vermutlich besser für
ihn, denn die TSoD hatte immer einladender ausgesehen und noch einladender war
die Vorstellung der Schaufel auf seinem Kopf gewesen. Meine Oma steuerte etwas
bei, indem sie das gefährlichste Gericht der ganzen Drachenschenke bestellte.
Bei
Boomorangen konnte man sich nie sicher sein, ob sie in deinem Mund explodierten
oder nicht, erklärte sie mir während sie sich die Boomorangen stückchenweise in
den Mund schob. Glücklicherweise passierte ihr nichts. Dummerweise passierte
auch sonst nichts.
Verdammt.
Es sah immer mehr danach aus, dass wir doch jemanden umbringen mussten. Ich
wagte es diesen Vorschlag zu machen.
„Bitte,
hat irgendjemand noch andere Ideen?“, fragte ich verzweifelt.
„Ähm…“
Hannes hatte zögerlich eine Hand gehoben. „Es gibt da was.“
„Und
was?“, fragte ich. Alles nur keinen Mord begehen.
„Das…
kann ich wirklich nicht sagen.“
„Es
kann nicht schlimmer sein als der Vorschlag jemanden umzubringen“, beteuerte
ich. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich den tatsächlich gemacht
hatte.
„Los,
spuck’s aus“, meinte Blue.
„Ich
würde es dir ja gerne sagen.“
„Warum
tust du es dann nicht?“, fragte ich genervt.
„WEIL
IM PLOT ETWAS ANDERES STEHT!!!“, kreischte eine aufgebrachte Stimme, die aus
dem Nirgendwo zu kommen schien.
„Äh…
hallo?“, fragte ich vorsichtig.
Eine
sehr lange Stille folgte, in der niemand zu sprechen wagte. Da wir den Schankraum
mit unseren vorherigen Versuchen erfolgreich geleert hatten, wurde sie von
nichts und niemandem unterbrochen und wir alle lauschten gespannt, um
herauszufinden zu wem die weibliche, körperlose Stimme gehörte.
„Werde
ich verrückt, oder hat da gerade jemand geantwortet?“, fragte die Stimme.
„Du
bist nicht verrückt“, antwortete ich nervös. „Aber wer genau bist du?“
„Wer
genau bist du?“, fragte die Stimme zurück.
„Ich
bin Mia. Und bei mir sind Hannes, Blue, Freundschaf und meine Oma“, beschrieb
ich unsere Runde.
„Unmöglich…“
Die Stimme schwieg wieder für mindestens eine Minute. „Unmöglich. Das sind
meine Charaktere!“
„Hey!“,
beschwerte sich Blue. „Wir sind keine Charaktere!“
„Doch,
seid ihr“, protestierte die Stimme mit einem Hauch von Arroganz. „Ich schreibe
seit einer ganzen Weile an eurer Geschichte!“
„Moment
mal… wenn du tatsächlich unsere Autorin bist“, dämmerte es mir. „Dann bist du
schuld, dass Phoenix gestorben ist!“
„Nun
ja… so kann man das nicht ausdrücken. Ich wusste doch nicht…“
„Dann
ist es deine Schuld!“, schrie ich. „Hol sie doch einfach zurück! Wenn das
wirklich eine Geschichte ist, dann kannst du es einfach rückgängig machen!“
„Das
passt aber nicht in die Geschichte“, meinte die Autorin störrisch. „Obwohl ich
auch weinen musste als sie gestorben ist.“
„Das
ist aber nicht das gleiche!“, explodierte ich. Vielleicht hatte ich auch eine
Boomorange gegessen. „Und schreib doch einfach die ganzen Plotbunnys weg; dann
haben wir diese ganzen Probleme gar nicht!“
„Das
funktioniert so nicht“, sagte die Stimme. „Die Geschichte hat sich
selbstständig gemacht! Da kann ich herzlich wenig dran ändern!“
„Oh“,
kam mir plötzlich noch eine Idee. „All dieser Mist, den wir durchlebt haben…
das warst auch du! Ich wusste doch, dass mir die Sachen alle seltsam vorkamen!
Das waren alles nur Schreibfehler!“
„Es
waren nicht alles meine, aber ja, so gesehen hast du Recht. Das waren alles
Tippfehler“, gab die Autorin zu.
„Du…!“,
tobte ich. Dann sah ich die anderen, die nur am Tisch saßen und mir zusahen.
„Sagt doch auch mal was dazu!“, fuhr ich sie an.
„Was
würde das bringen?“, meinte meine Oma. „Ich bin auch nicht mit allem
einverstanden was wir durchmachen mussten, aber falls sie wirklich unsere
Autorin ist, können wir da eh nicht viel ändern.“
Sogar
Blue zuckte mit den Schultern. „Wie sie schon sagte. Und im Nachhinein waren
einige Sachen schon eher witzig…“
Wenigstens
von ihm hätte ich Widerspruch erwartet. Immerhin war sein Temperament auch
nicht das Beste. „Dann war Phoenix‘ Tod also witzig?!“
„Das
habe ich nicht gemeint“, ruderte er zurück. „Das finde ich auch nicht so
klasse…“
„Und
du, Hannes“, versuchte ich Unterstützung auf anderer Seite zu finden. „Sie hat
dir einen Fluch verpasst. Du hast doch gerade schon gesagt das wäre mies.“
„Natürlich
ist das mies“, druckste er herum. „Aber das bedeutet sie löst ihn vielleicht.“
„Wenn
du nett zu ihr bist oder was“, fuhr ich ihn an.
Was
war das nur für ein Haufen Waschlappen? Vor Wut stieß ich die Traveling Shovel
of Death auf den Boden der Drachenschenke – die daraufhin verschwand, sodass
ich mit dem Kopf voran auf den Fußboden krachte.
„Au!
Was soll denn das?“, wütete ich.
„Naja,
die Schaufel sollte eigentlich eh schon längst wieder verschwunden sein. Die
muss in die nächste Geschichte wandern. Das hat deine Oma doch erklärt“, antwortete
die Autorin.
„Aber
muss das ausgerechnet passieren wenn ich mich draufstütze?“ Die war ja nicht
mehr zu retten. „Dann hilf uns wenigstens dabei den Mist zu lösen“, fauchte ich
sie an. „Das ist das Mindeste, was du tun kannst!“
„Wie…
ich soll bei NaNoWriMo mitmachen? Spinnst du? Ich habe im November
Klassenarbeiten zu schreiben. Da habe ich keine Zeit für so etwas wie
NaNoWriMo. Genau deshalb schreibe ich ja die Geschichte hier.“
Okay,
das ging zu weit. Nur wegen Klassenarbeiten wollte sie den gesamten NaNoWriMo
in Gefahr bringen? Wobei… wenn das hier wirklich nur eine Geschichte war, war
es dann der echte NaNoWriMo in Gefahr war? Wo verschwammen die Grenzen zwischen
Realität und Fiktion? Vielleicht würde in der Realität NaNoWriMo doch
stattfinden, auch wenn wir hier von Plotbunnys belagert wurden.
Diese
Überlegungen brachten mich auf eine andere Idee. Genauer gesagt, hatte der
Weise aus der Küche das bereits erwähnt. Ich ließ mich in einen Stuhl fallen
und lehnte mich zurück, während ich versuchte möglichst entspannt auszusehen.
„…was
genau tust du da?“, wollte die Autorin wissen.
Auch
der Rest meiner Gruppenmitglieder sah mich verwirrt an. Solange die sich jetzt
nicht einmischten, könnte mein Plan
aufgehen.
„Gar
nichts“, erklärte ich mit einem Grinsen.
„Wie,
gar nichts…“ Ihr schien Böses zu schwanen, denn ihre Stimme klang plötzlich
unsicher.
„Naja,
wenn das hier eh nicht echt ist und dich sowieso nicht interessiert was wir
wollen, kann ich mich genauso gut zurücklehnen und das NaNo-Land den Bach
runtergehen lassen.“
Die
anderen sahen mich entgeistert an. „Das kannst du doch nicht machen“, meinte
meine Oma.
„Ich
kann, und ich werde. Wenn sie uns nicht hilft, warum sollten wir tun was sie
von uns will? Ich sehe das nicht ein.“
„Sie
hat nicht ganz Unrecht“, meinte Hannes und nickte. „Wir gehen einfach in
Streik.“
„Leute...!“,
heulte die Autorin. „Wie soll ich denn dann die Geschichte fertig schreiben? Es
ist nicht spannend nur über irgendwelche Leute zu schreiben, die in einer
Kneipe sitzen!“
„Das
ist dann nicht unser Problem“, erklärte ich.
„Was
wenn ich euch Plotbunnyhorden auf den Hals hetze?“, fragte sie mit einem fiesen
Unterton in der Stimme. „Dann müsstet ihr euch verteidigen. Ihr könnt euch
nicht ewig in der Drachenschenke verschanzen.“
„Wir
haben einen Starb“, sagte ich gelangweilt.
„Wenn
ich euch den wegnehme?“
„Wir
kommen schon klar. Sind wir in Schreibstadt auch“, meinte ich und betrachtete
meine Fingernägel unterm Licht. Unter jedem Nagel war eine Kruste aus Erde. Das
war kein Wunder, denn wir waren eine Woche lang im Wald herumgelaufen.
„Ich
könnte euch Rauchninjas auf den Hals hetzen!“
„Die
hatten wir schon tausend Mal“, gähnte ich. „Laaaangweilig.“
„Ich
könnte jemanden sterben lassen. Deine Oma könnte einfach ein Herzinfarkt haben
und umkippen!“ Ich hatte sie fast soweit. Sie wurde gerade wirklich wütend.
Ich
allerdings auch, denn meiner Oma mit so etwas zu drohen war kein Spaß mehr.
Wenn sie das tatsächlich tat, würde ich in die richtige Welt kommen und sie zur
Schnecke machen.
„Wenn
wir sowieso alle nicht echt sind, dann dürfte es uns auch nicht interessieren
ob wir sterben oder nicht“, wagte ich zu sagen, während ich flehte, dass sie
ihre Drohung nicht wahr machte.
Meine
Oma schnappte plötzlich nach Luft und griff sich an die Brust. „Mia,
entschuldige dich“, keuchte sie. „Ich glaube ich bekomme einen Herzinfarkt!“
Mein
Herz begann ebenfalls schneller zu schlagen, aber ich wusste, dass ich diesen
Kampf gewinnen wollte wenn ich nicht den Rest meines Lebens eine Marionette
sein wollte.
„Wenn
du meine Oma umbringst, hast du erstens einen Charakter weniger und ich glaube
nicht, dass du das verschmerzen kannst, und gleichzeitig würde ich dir nie
wieder bei irgendwas zur Verfügung stehen“, sagte ich, was nicht einmal gelogen
war.
Meine
Oma war käseweiß im Gesicht geworden und Blue hielt sie in ihrem Stuhl
aufrecht. „Entschuldige dich!“, schrie er mich an. „Oder sie stirbt!“
„Nein,
wird sie nicht“, widersprach ich ihm. „Die Autorin braucht uns alle. Meine Oma
ist zu wichtig. Sie kann nicht sterben. Und selbst wenn, hätte sie damit gleich
zwei Figuren verloren!“
Oma
keuchte ein letztes Mal, dann klappte sie vornüber auf dem Tisch zusammen.
Hatte die Autorin sie gerade wirklich umgebracht? Falls ja, dann hatten wir
hier ein echtes Problem.
Doch
da hustete meine Oma und stütze sich auf ihren Ellenbogen ab. „Mia, mach das
nie wieder.“ Sie schnappte nach Luft.
Ich
versuchte mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. „Du hast es also
eingesehen.“
„Okay,
okay. Du hast mich erwischt. Noch brauche
ich euch alle.“
Die
Formulierung gefiel mir nicht besonders, aber solange es nicht meine Oma, Blue,
Hannes oder Freundschaf erwischte, war mir alles recht.
„Damit
es sich überhaupt lohnt weiterzumachen, musst du zusagen, dass du bei NaNo
mitmachen wirst. Aber offiziell machen darfst du es erst wenn wir wissen wo die
Grenze zur Realität ist“, sagte ich.
„Ja,
ja, schon gut. Ich mache mit. Zufrieden?“
„Es
ist ein Anfang.“ Noch zufriedener wäre ich wenn sie uns die Bunnyinvasion gar
nicht erst auf den Hals gehetzt hätte, Phoenix am Leben gelassen hätte und
Hannes von seinem Fluch erlösen würde. Aber darum würde ich wohl ein anderes
Mal kämpfen müssen. Momentan hatte das hier oberste Priorität.
„Dann
würde ich sagen wir gehen für heute ins Bett und suchen morgen nach dieser
Wandernden Bibliothek.“
Da
mein Vorschlag nicht abgelehnt wurde, bezeichnete ich ihn einfach mal als
einstimmig angenommen.