„Phoenix!“
Ich
klammerte mich mit aller Kraft an das Seil, aus Angst, dass die Treppe unter
mir ebenfalls nachgeben würde. Die Grube war zu tief, als dass ich sie ohne ein
weiteres Seil erreichen konnte. Wir mussten alle hochklettern und dann dieses
Seil in die Grube lassen. Dann würden wir sie herausziehen können. Ich teilte
ihr sofort meinen Plan mit, doch Phoenix schien wenig überzeugt zu sein.
„Diese
Hefe ist irgendwas Seltsames. Ich denke nicht, dass sie mich einfach so gehen
lassen wird“, meinte sie.
Allein
bei ihren Worten sank sie ein Stück tiefer in die Hefe, die sich wie Treibsand
zu verhalten schien.
„Keine
Sorge, wir bekommen dich da raus“, versicherte ich ihr.
Die
anderen hatten bereits mitbekommen was ich vorhatte und so schnell wir konnten,
kletterten wir zurück ins Erdgeschoss. Dort banden wir ein zweites Seil an ein
anderes Regal, an dem ich ein Stück die Treppe hinuntergelassen wurde, bis ich
mich auf Höhe der Falltür befand. Das Seil, das wir alle zum Besteigen der
Treppe genutzt hatten, ließ ich in das Hefeloch hinunter, sodass Phoenix sich
das Ende um den Bauch binden konnte.
„Und
jetzt – zieht!“
Selbst
ich zog mit, indem ich meine Füße gegen die untere Seite des Loches stemmte.
Hinter mir fühlte ich wie Blue, meine Oma und Freundschaf ebenfalls ihr Bestes
gaben. Blue stand ganz vorne, meine Oma dahinter und den hinteren Teil des
Seils hatte Freundschaf im Mund. Hannes schrie allen Aufmunterungen oder
Beleidigungen zu, je nachdem was am besten zu helfen schien.
„Noch
einmal – zieht!“, rief ich.
Doch
schon beim ersten Mal hatte ich bemerkt, dass sich Phoenix keinen Millimeter
gerührt hatte. Es war als wäre sie in Beton gegossen.
„Das
hat keinen Sinn!“, schrie sie uns aus dem Loch zu. „Ich stecke vollkommen
fest!“
„Nein,
wir schaffen das irgendwie.“
Die
Frage war nur wie? Das Bild von Blue, der auf die Trachtenkämpferin einschlug,
erschien vor meinem inneren Auge.
„Blue!
Nimm eine Pille, von den Medikamenten zum Einschlagen!“, schlug ich vor. „Das
gibt extra Kraft, oder?“
„Super
Idee!“
Der
Zug des Seils ließ kurz nach, während Blue eine seiner Pillen nahm, dann griff
er fester zu.
„Und
wieder! Ziehen, ziehen!“, kreischte ich.
Wir
zogen aus Leibeskräften. Meine Finger fühlten sich an als würden sie abfallen.
Überall hatte ich Schürfwunden des Seils, doch ich machte weiter.
Plötzlich
gab es einen Ruck. Ja! Wir hatten Phoenix bewegt! Jaaaaa!
Von
hinten traf mich etwas am Kopf und ich sah wie das Seil, an dem Phoenix
festgebunden war in der Grube mit der Hefe verschwand.
„Sorry,
Mia. Das Seil ist gerissen!“, rief Blue mir zu.
Mittlerweile
waren mir die Tränen in die Augen getreten. Wir hatten sie nicht bewegt. Keinen
Millimeter hatten wir sie bewegt. Stattdessen sah ich nun, dass sie bereits
zwanzig Zentimeter weiter eingesackt war als vorher.
„Es
hat keinen Sinn“, sagte Phoenix. Sie hatte aufgehört zu rufen, sodass nur ich
sie verstehen konnte. „Keine Magie der Welt kann mich aus dieser Hefe
befreien.“
„Magie,
natürlich! Benutz deine Phoenixfeder!“, erinnerte ich mich.
Die
Feder, die schon Oma, den Wachmann und Phoenix vor dem toten Licht gerettet
hatte. Die Feder, die Omas verfluchte Augen wieder hinbekommen hatte. Die
Feder, mit der man unter Wasser atmen konnte. Sie konnte sich selbst retten,
wie sie es vorher schon getan hatte.
„Das
wird nichts, Mia“, antwortete sie. „Ich habe es bereits versucht als ihr das
Seil fertig gemacht habt. Mich selbst bekomme ich damit nicht aus diesem Loch
heraus.“
Mir
fiel sofort die Betonung auf dem „mich selbst“ auf. Was genau das bedeutete
wurde mir klar, als zuerst der Beutel mit den Tränken aus dem Loch geschwebt
kam, dann Phoenix‘ Rucksack mit all ihren Sachen und ihre graue Robbe, die ein
trauriges „Oi“ hören ließ, bevor ich sie entgegennahm. Da saß ich nun, mit den
Armen voller Sachen, die nicht helfen konnten.
„Blöde
Robbe“, schrie ich die arme Robbe an. „Du solltest Glück bringen, haben sie
gesagt! Du solltest Glück bringen! Nennst du das Glück?!“
„Wir
haben ein neues Seil fertig gemacht! Fang, Mia!“, rief Blue mir zu.
Das
Ende eines neuen Seils landete neben mir. Nutzlos. Sinnlos. Es würde nur wieder
reißen. Nichts würde funktionieren. Ich hatte es schon gewusst als wir das
allererste Mal am allerersten Seil gezogen hatten.
Phoenix
sah mich nur mit warmen, braunen Augen an und nickte mir zu als ich begann ihre
Sachen an das Seil zu knoten.
„Und
zieht.“
Mein
Befehl war gerade so zu hören, so erstickt war meine Stimme von den Tränen, die
meine Wangen hinunterströmten. Ich brachte es nicht übers Herz den anderen zu
sagen was sie als nächstes an Land ziehen würden. Ich hörte nur ihre jubelnden
Schreie als sie nach hinten stolperten, da sie auf weniger Widerstand als
vorher gestoßen waren. Ich hörte auch als die Jubelschreie verklangen und das
„Oi“ der Robbe zu hören war.
„Warum
hast du uns Phoenix‘ Zeug hochgeschickt?“ In Blues Stimme hatte sich ein Hauch
Verzweiflung geschlichen. Auch er wusste es. „Mia!“
„Es
funktioniert nicht!“, schrie ich nur. „Es funktioniert nichts! Nichts, aber
auch gar nichts! Egal was wir tun, ob mit einem Seil, mit deinen Kraftpillen,
oder der Phoenixfeder, es funktioniert nichts!“
Die
Schluchzer ließen sich nicht mehr zurückhalten und meine Stimme war kaum noch
zu verstehen. Alle Worte verwandelten sich in einen einzigen Schrei.
„Phoenix!“
„Sie
hat Recht!“, schrie Phoenix aus ihrem Loch, dieses Mal so laut, dass auch Blue,
meine Oma und die anderen zwei es hören konnten. „Passt auf meine Sachen auf,
ja?“
Ihre
Stimme war die einzige, die ruhig blieb. Auch Blue fing nun an sie
anzuschreien, sie könne nicht aufgeben, wir würden einen Weg finden. Meine Oma
war seltsam still und als ich einen Blick zur Tür warf, sah ich neben Blues
verzweifeltem Gesicht ihr geschocktes. Sie wusste es auch. Freundschaf stand
da, mit hängendem Kopf und hängenden Ohren und dieser Anblick war es, der mir
den Rest gab.
Ich
ließ mich nur noch vom Seil halten und sackte an der Wand der Treppe zusammen.
Die Tränen wollten sich nicht abstellen lassen und das Schluchzen ebenso wenig.
Unter mir gab es ein blubberndes Geräusch als die Hefe ein weiteres Stück
meiner Gefährtin, meiner Freundin, verschluckte. Das Teufelszeug reichte ihr
nun bis zur Brust und sie begann weiter und weiter zu sinken. Nur ihre Arme und
ihr Kopf waren noch frei.
„Mia.“
Phoenix‘
Stimme war ruhig als sie in mein tränenüberströmtes Gesicht hinaufblickte, ein
leichtes Lächeln auf den Lippen. Ein sanftes Licht leuchtete den Schacht hinauf
und schwebte vor mir in der Luft. Von unten gab es ein erneutes Blubbern. Die
Hefe stand ihr nun bis zum Hals.
„Das
ist… aber…“
Die
Phoenixfeder schwebte vor mir und drehte sich langsam um sich. Ein Licht, das
zwar hell war, aber mich nicht blendete, ging von der Feder aus und tauchte den
Gang in einen gelben Schimmer. Meine Tränen versiegten wie von selbst als wäre
es Phoenix‘ Trost selbst, den das Schmuckstück in sich trug, einen Teil ihrer
Seele.
„Nimm
du sie.“
„Aber…
das ist deine Feder! Das bist… du!“ Ich schaffte es nicht meine Gefühle in
Worte zu packen, aber Phoenix schien mich trotzdem zu verstehen.
„Genau
deshalb. Bewahr sie auf. Erinner dich an mich. Benutz sie, um andere zu
beschützen. Aber denk immer dran, es Lebenskraft kostet sie zu benutzen.“
Zögernd
griff ich nach der Feder, die aufhörte zu leuchten sobald ich sie mir um den
Hals gehängt hatte. Ohne Licht war die Dunkelheit noch schwärzer als vorher und
meine Tränen kehrten zurück. Ein erneutes Geräusch von unten sagte mir, dass
die Hefe Phoenix weiter verschluckte.
Ich
hatte Angst nach unten zu sehen, weil ich damit rechnete nur noch eine glatte
Oberfläche zu sehen. Zurückhalten konnte ich mich allerdings auch nicht. Ich
schaute nach unten. Noch sah Phoenix zu mir hoch. Ihre Arme waren verschwunden
und ihr Gesicht war nur noch von der Nasenspitze bis zu den Ohren zu sehen.
„Phoenix…“
Das Flüstern war von Blue gekommen, der urplötzlich neben mir aufgetaucht war.
Er hatte sich das Seil, das eigentlich für Phoenix‘ Rettung gedacht gewesen
war, selbst um den Bauch gebunden und starrte voller Entsetzen in das Loch
hinunter. „Phoenix!“
„Pass
mir ja auf Mia und die anderen auf“, drohte sie ihm. „Ihr werdet euch noch so
einige Male gegenseitig das Leben retten müssen.“
Ich
hätte nie gedacht, dass dieser Tag kommen würde, doch nachdem Blue mich heute
schon einmal überrascht hatte, tat er es gleich ein zweites Mal. Er begann zu
weinen.
Zwar
war das Lächeln immer noch auf ihrem Gesicht, aber in Phoenix‘ Augen konnte ich
den Schmerz sehen. Ich konnte nicht wegsehen, konnte sie nicht allein lassen,
obwohl ich wusste, dass dieses Bild mich mein Leben lang verfolgen würde. Ich
wusste was als nächstes geschehen würde, doch es traf mich trotzdem mit der
Wucht einer Abrissbirne.
Mit
einem letzten Blubbern verschwand Phoenix komplett. Ihr Gesicht wurde langsam
von der braunen Masse umschlossen, floss in Mund und Nase bis selbst ihre Augen
verschwunden waren, aus denen im letzten Moment noch eine einzige Träne gequollen
war.
„PHOENIX!!!“
Ich
dachte weder nach, noch hatte ich die Kontrolle über meinen Körper. Mit einer
flüssigen Bewegung war das Seil, das mich hielt, mit meinem dreiklinkigen
Messer durchgeschnitten und ich war bereit mich in das Loch zu stürzen. Wenn
ich sie nur rechtzeitig erreichte würde ich sie aus der Masse herausziehen
können als wäre nichts gewesen. Ich könnte an ihrer Stelle untergehen.
Vielleicht würde sich das Teufelszeug auf einen Tausch einlassen.
Doch
zwei übermenschlich starke Arme umfassten meine Taille und zogen mich vom Loch
zurück.
„Lass
mich los! Lass mich los!“, kreischte ich und trat und strampelte. „Wir müssen
etwas unternehmen!“
Blues
Griff war eisern. Selbst ohne seine Kraftpillen konnte ich mich mit ihm nicht
messen. Mit ihnen war er tausendmal stärker als ich. Es schien ihn nicht einmal
Anstrengung zu kosten mich festzuhalten während er sich mit einer Hand am Seil
von der Treppe zog. In meiner Brusttasche grub sich Fluffles mit seinen Krallen
in meine Brust, da mein Gezappel es aus der Tasche werfen könnte. Mein Blick
war immer noch auf die Falltür gerichtet.
Mit
einem finalen Krachen schlug die Falltür zu und verschloss das Loch, in dem
Phoenix gestorben war.
Gestorben.
Sie war gestorben. Sie war tot.
Die
Erkenntnis traf mich endgültig und ich hörte auch mich zu wehren. Stattdessen
klammerte ich mich an Blues Schulter fest und verbarg meine Tränen hinter einem
Vorhang aus schwarzen Haaren. Die Feder auf meiner Brust fühlte sich warm an,
ob wegen Phoenix‘ Körperwärme, meiner, oder weil sie geleuchtet hatte, wusste
ich nicht. Aber es war als würde ich ein winziges Stück meiner Freundin um den
Hals tragen.
Meine
Oma, Freundschaf und Hannes warteten am Ende der Treppe. Neben ihnen standen
der Rucksack und der Beutel mit den Tränken. Die blöden Tränke. Hätte mich Blue
nicht gehalten und wäre ich in der Lage gewesen mehr zu tun als zu weinen,
hätte ich sie auf der Stelle zerbrochen. Ich wollte sie gegen die Wände
schmeißen bis die Flüssigkeiten den Staub zur Seite wischten, wollte die
Scherben unter meinen Stiefeln zermahlen. Wegen ihnen war Phoenix gestorben und
ihr Leben war mehr wert als alle Magie der Welt.
Freundschaf
hatte immer noch denselben Blick aufgesetzt, schien aber noch mehr in sich
zusammengesunken zu sein. Hannes hockte auf seinem Kopf und kraulte es abwesend
zwischen den Ohren. Sein mitleidiger
Blick traf mich. Ich sah weg. Er hatte Phoenix noch nicht lange gekannt. Wie
lange war es gewesen? Ein Tag? Zwei?
Wenn
ich ehrlich war, kannte auch ich Phoenix nicht lange, gerade einmal zwei
Wochen, und doch fühlte es sich an wie eine Ewigkeit. Ich wusste nichts über
sie, über das, was sie erlebt und getan hatte, die Personen, die ihr wichtig
gewesen waren. Aber in den letzten Wochen war ich zu einer dieser Personen
geworden, zusammen mit meiner Oma und Blue. Und sie war eine Freundin für mich
geworden. Man überlebte nicht zusammen Seeschlachten und Bunnyinvasionen ohne
einander ans Herz zu wachsen.
„Sie
ist tot.“
Die
Worte aus meinem Wort klangen hohl und auf meiner Zunge schmeckten sie wie
Asche.
„Sie
ist tot.“
Meine
Oma griff den Regenschirm fester, als wollte sie ihn erwürgen. Das erste Mal
seit ich sie kannte war das Lächeln komplett aus ihrem Gesicht verschwunden.
Korrigiere, das zweite Mal. Das erste Mal war gewesen als mein Großvater
gestorben war.
Ansonsten
lachte ihr Optimismus aus jedem Lachfältchen in ihrem Gesicht, selbst wenn sie
noch so traurig war. Ihre Mundwinkel kringelten sich immer ein winziges
bisschen, selbst wenn sie so schlechte Laune hatte, dass sie sogar
Gewitterwolken Konkurrenz machen konnte. Doch jetzt sah sie nur traurig aus.
Traurig und erschöpft und so, so müde.
Blue
setzte mich ab und sofort klappten meine Beine unter mir weg. Ich sackte auf
dem Boden zusammen, direkt neben der Treppe, mit einem perfekten Blick auf die
Stelle, an der das Loch gewesen war.
Phönix. Einfach so! Jetzt verstehe ich warum ich in der Drachenschenke immer angeklagt wurde wenn einer meiner Charaktere gestorben war... wie hast du dich beim Schreiben gefühlt Kim?
AntwortenLöschenWie auch immer... jetzt kann sie sich zu all den anderen Charakteren auf dem Chara-Friedhof gesellen.
Ich habe mich natürlich echt mies gefühlt! Aber irgendwie musste es sein...
LöschenJa... das Gefühl kenn ich.
LöschenOh, wie entsetzlich. Ich bin total geschockt.
AntwortenLöschenWar ich auch. Ich saß mehr oder weniger vor meinem Laptop und habe den angeschrien. Das war nämlich absolut nicht geplant...
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