Dienstag, 30. Dezember 2014

60. Kapitel



Der Koch versuchte mich auf dem Rückweg daran zu hindern einen seiner Angestellten von der Arbeit abzuhalten, doch ich schwenkte nur die Schaufel und er gab Ruhe. Der Alte schien recht vergnügt zu sein während er mir folgte und auch die Tatsache, dass ich die TSoD besaß, verschreckte ihn nicht.
„Wussten Sie, dass wir hier sind und wonach wir suchen?“, fragte ich ihn neugierig.
„Natürlich.“
„Warum haben Sie uns dann nicht vorher geholfen? Als wir das erste, zweite oder dritte Mal in der Drachenschenke waren?“
Ich konnte den Ärger nicht ganz aus meiner Stimme heraushalten. Hätten wir ihn vorher getroffen, wären wir nie zu Estelle gegangen. Wir hätten nie ins alte Hexenhaus gehen müssen und Phoenix würde noch leben. Meine Oma könnte ihre Hand noch haben und wir hätten nie die eklige Erfahrung machen müssen mit einer goldenen Kloppbürste zu kämpfen.
„Mich findet man nur wenn man am schlimmsten Punkt seiner Geschichte angekommen ist. Wenn es keinen Ausweg mehr gibt und alles verloren scheint. Dann trete ich auf den Plan. Manchmal. Wenn man mich sucht.“
Das hörte sich für mich immer noch sehr ominös an, aber da er gesagt hatte, dass er uns helfen würde, würde ich bestimmt nicht anfangen ihn nun anzuschreien. Später vielleicht, je nachdem ob er uns wirklich helfen konnte oder nicht.
Der Rest der Gruppenmitglieder war immer noch in das Gespräch mit Mr. Ian Woon vertieft und sie bemerkten es kaum als ich mich setzte. Sobald ich meine Gedanken wieder mit der Gedankenspinne verbunden hatte, erfuhr ich, dass gerade Phoenix‘ Tod in allen Einzelheiten geschildert wurde.
„Ähm.“ Es war ein seltsames Gefühl sich in Gedanken zu räuspern, aber interessanterweise funktionierte es. „Ganz ganz vielleicht habe ich eine Lösung gefunden. Oder jemanden, der eine Lösung kennt.“
Alle drehten ihre Köpfe, um den Mann zu betrachten, der auf einem freien Stuhl an unserem Tisch Platz genommen hatte.
„Hallo.“ Er lächelte freundlich.
„Wer ist das?“ Warum Blue in Gedanken flüsterte, war mir ein Rätsel.
„Er sagt er sei der Weise aus der Küche“, dachte ich. „Keine Ahnung, um ehrlich zu sein. Der Zeigefinder hat mich zu ihm geführt.“
„Ich kenne ihn!“, schrie meine Oma, in Gedanken und laut, was alle zusammenfahren ließ. „Oder ich habe zumindest von ihm gehört. Er geistert durch die Küchen des NaNo-Landes. Manchmal gibt er Leuten Tipps wenn sie ihn durch Zufall auf ihre Probleme ansprechen. Allerdings dachte ich eher das wäre eine Legende…“
„Das sagen einige auch über die Traveling Shovel of Death.“ Mr. Ian Woon hörte sich nachdenklich an.
„Warum ist der nicht früher auf uns zugekommen?“, fragte Blue genervt.
Ich wiederholte in Gedanken das Gespräch von eben und er schnaubte nur. Meine Rede. Allerdings konnten wir Hilfe gut gebrauchen und es wäre mehr als dumm sie abzulehnen.
„Redet mit ihm. Falls dabei etwas herauskommt, erstattet mir Bericht“, sagte Mr. Ian Woon. „Ich schaue währenddessen wie weit der Rat gekommen ist.“
Das Gespräch war damit erst einmal beendet. Nun konnten wir uns unserem Gast zuwenden. Meine Oma wahrte als einzige ihre Förmlichkeit und bestellte dem Weisen aus der Küche etwas zu Trinken.
„Also“, begann ich. „Was meinen Sie was wir tun müssen um die Bunnyinvasion zu beenden?“
„Ist das nicht offensichtlich?“, fragte er. „Benutzt euren Verstand! Wenn die Bunnys nicht getötet werden können, sondern nur durch das Schreiben ihrer Geschichten losgeworden werden können, was muss geschehen?“
„Sie müssen geschrieben werden, natürlich. Genau das ist ja das Problem. Es gibt einfach nicht genug Leute hier!“, beschwerte ich mich.
„Dann ist die Lösung genauso einfach. Ihr müsst mehr Leute dazu bekommen ins NaNo-Land zu kommen.“
Der Weise aus der Küche nahm einen Schluck von seinem Orangensaft und lehnte sich in seinem Stuhl zurück als hätte er uns gerade die Lösung des Problems verraten. Mir kam es jedoch nicht so vor.
„Das hört sich eher an als hätten Sie uns ein neues Problem aufgehalst“, sagte ich.
„Du würdest dich wundern wie oft die Lösung eines Problems selbst ein Problem aufwirft“, war seine Antwort.
Super. Schon wieder so einer der meinte hilfreich zu sein, aber nur in Rätseln sprach. Es war außerdem nicht gerade schön zu hören, dass wir das Problem angeblich die ganze Zeit von der falschen Seite angegangen waren.
„Woher kommen die ganzen Schreiber?“, fragte er weiter.
„Aus der richtigen Welt“, sagte meine Oma. „Sehr viele kehren dorthin auch zurück sobald der November vorbei ist und schreiben nur wenn NaNoWriMo ist.“
„Ganz genau.“ Der Weise aus der Küche strahlte sie an. „Also müsst ihr Leute dazu bringen aus der richtigen Welt ins NaNo-Land zu kommen.“
Und wie genau sollten wir das anstellen? Mich hatte meine Oma dazu gebracht mich an NaNo zu wagen. Genug Werbung gab es eigentlich auch. Vor allem im Oktober wurde auf vielen Internetseiten darüber geredet; man musste nur die Ohren aufmachen. Außerdem… viel Zeit hatten wir nicht mehr, denn die meisten Leute wollten zumindest ein wenig planen bevor sie sich auf dreißig Tage voller Wahnsinn einließen.
Blue stellte dieselbe Frage. „Wie bekommen wir die dazu hier hinzuwollen? Ich erinnere mich selbst kaum noch wie es dazu gekommen ist, dass ich das erste Mal beim NaNo mitgemacht habe.“
„Ihr müsst einen gruppalen Infekt in der realen Welt freisetzen. Wenn sich genug Leute damit infizieren, kommen bestimmt einige zum NaNoWriMo“, schlug der Weise aus der Küche vor.
„Das hört sich gefährlich an… ich will keine Leute mit irgendwas anstecken!“, protestierte ich.
„Ihr seid doch alle schon längst identifiziert. Das ist jeder hier! Der gruppale Infekt greift immer während oder kurz vor NaNo um sich. Dabei stecken sich ganz viele Leute mit dem Wunsch an ihre Plotbunnys aufs Papier zu bringen und einen Monat lang zu schreiben. Oder generell mal zu schreiben. Jeder, der beim NaNoWriMo mitmacht hat ihn!“
Von dieser Seite aus betrachtet… es schien manchmal wirklich als hätten sich die Leute hier mit dem Wahnsinn in Person infiziert. Ich war mittlerweile keine Ausnahme mehr; immerhin lief ich in Robben durch die Gegend, hatte eine Schaufel als Waffe und war Gast auf einem Piratenschiff gewesen. Normal konnte man das jedenfalls nicht nennen.
„Okay, wie bekommen wir den in die richtige Welt?“, fragte Blue, der unterdessen sein Plotbunny streichelte.
„Ihr selbst könnt ihn nicht mehr übertragen, höchstens an einzelne Personen. Also muss eine neue Person in diese Welt kommen und bei ihrem Eintritt muss der gruppale Infekt in die reale Welt geschleust werden. Ich schlage vor, dass ihr versucht euren Autor zu motivieren bei NaNoWriMo mitzumachen“, sprach er weise weiter.
So weise fand ich das allerdings nicht. Das erinnerte mich zu sehr an die Unterhaltung, die ich mit dem Mund der Dares geführt hatte.
„Aber wir haben keinen Autor! Wir sind immerhin nicht einfach nur eine Geschichte. Wir sind real. Das hier passiert wirklich.“ Okay, der Kerl war vollkommen durchgeknallt.
„Natürlich ist das hier eine Geschichte! Alles was wir tun oder lassen ist eine Geschichte! Und eine vernünftige Geschichte wird niedergeschrieben. Nur weil ihr euren Autor nicht sehen könnt, heißt das nicht, dass es ihn nicht gibt“, sagte der Weise aus der Küche. „Am besten lockt ihr einen Autor hervor, indem ihr ihn zur Weißglut bringt“, beantwortete er meine nächste, unausgesprochene Frage. „Tut das Gegenteil von dem, was in eurer Natur liegt. Macht Quatsch. Manövriert euch in ausweglose Situationen. Oder tut einfach gar nichts. Das regt Autoren am allermeisten auf.“
Der war nicht nur vollkommen durchgeknallt, er war komplett geistesgestört. Wie konnte er nur denken, dass wir nichts weiter als eine Geschichte waren?
„Aber wie können wir eine Geschichte sein wenn wir selbst aus der richtigen Welt hierhergekommen sind?“, fragte Blue. Seine Stirn war gerunzelt während er versuchte alles zu verarbeiten.
„Im NaNo-Land haben Charaktere die seltsame Angewohnheit die Rollen zu tauschen, überhaupt erst zu entstehen oder sich zu verändern. Schaut euch nur den Drecktor und seinen Sohn an. Auch sie waren einmal Autoren. Und sie sind es immer noch. Aber sie sind auch Wesen dieser Welt, und das bedeutet sie sind nichts anderes als Charaktere.“
Alles klar. Das war mir zu hoch. Diese ganzen philosophischen Fachsimpeleien waren für mich absolut unverständlich. Die einzige, die noch wissend nickte, war meine Oma. Hannes hatte das ganze Gespräch über nichts gesagt, sondern immer von einem zum anderen geschaut wie bei einem Pingpongspiel. Freundschaf kaute statt zuzuhören auf der Tischdecke herum. Es fehlte bereits ein beachtliches Stück.
„Mal angenommen das mit dem Autor stimmt“, führte ich das Gespräch weiter. „Und ich bin davon immer noch nicht ganz überzeugt, aber tun wir mal so. Wie würden wir den Autor hierher schaffen wenn wir ihn überzeugt haben?“
Das war mir schon aufgefallen als ich hier gelandet. Ich wusste zwar noch warum ich beim NaNoWriMo mitmachen wollte, aber wie ich in dieses Land gekommen war, war mir ein einziges Rätsel. Es war als hätte jemand die Erinnerung vollkommen aus meinem Gedächtnis gelöscht.
„Theoretisch ist es einfach. Es gibt einen Übergang zwischen dem NaNo-Land und der Realität. Er öffnet sich nur wenn neue Wrimos eintreffen. Genau zu einem solchen Zeitpunkt müsst ihr dort sein und den gruppalen Infekt loslassen.“
„Und wo ist diese Grenze zur Realität?“, fragte Blue. Er sah immer noch eher genervt aus als alles andere.
„Das ist das Problem. Niemand weiß es“, sagte der Weise aus der Küche.
Na super. Von einem Problem zum nächsten. Die Vorstellung des Damoklesproblems erschien mir immer plausibler je mehr ich mit diesem angeblichen Weisen redete. Dann jedoch kam mir eine Idee. Bei meinem Aufschrei zuckten alle zusammen außer der Weise und Freundschaf. Letzteres kaute ruhig weiter an der Tischdecke herum. Der Weise hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und sah mich interessiert an.
Ich zog den Zeigefinder aus meiner Tasche. Hoffentlich funktionierte das Ding, aber heute schien es gute Laune zu haben, denn es hatte mich zum Weisen aus der Küche geführt. Andererseits ging der mir gerade gehörig auf den Wecker, also konnte der Zeigefinder genauso gut darauf aus sein mich zu ärgern. Trotzdem gab ich unser Ziel ein.
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Ich fluchte so laut, dass die Hälfte der Gäste im Schankraum mich mit wütenden Blicken bedachte. Die sollten mal versuchen mit einem Zeigefinder zurechtzukommen. Da wollte ich die nach zwei Tagen sehen. Ich hingegen schlug mich bereits seit knapp einer Woche mit dem Teil herum.
„Okay, das funktioniert nicht“, sage ich. „Irgendwelche Vorschläge?“
„Ich hätte einen.“ Der Weise lächelte. „Versucht es bei der Wandernden Bibliothek.“
„Und wo… ach vergiss es.“
Ich gab den neuen Ort lieber in den Zeigefinder ein. Erstaunlicherweise zeigte er tatsächlich etwas an. Allerdings bewegte sich der Pfeil und wanderte von einer Richtung zur Nächsten.
„Was zum…?“
„Der Name ist Wandernde Bibliothek“, erinnerte meine Oma mich.
Jetzt dürften wir dem Teil auch noch hinterherlaufen. Als hätten wir das die letzten Tage nicht oft genug gemacht. Auch wenn ich zugeben musste, dass wir erstaunlich oft vor etwas weggelaufen waren. Mir fiel noch etwas anderes auf.
„Wo bekommen wir einen gruppalen Infekt her? Müssen wir uns dazu irgendwie Blut abnehmen oder so?“ Allein bei der Vorstellung wurde mir schummrig. Ich hasste Spritzen.
„Den bekommt ihr in Technopolis. Dort wird am gruppalen Infekt gefroscht. Wenn Mr. Ian Woon ihnen den Auftrag gibt, dass sie euch helfen sollen, müsste es funktionieren“, sagte der Weise aus der Küche.
„Okay. Dann müssen wir also unseren Autor dazu bekommen mit uns zu reden, die Wandernde Bibliothek finden, um dort Informationen über die Grenze zur Realität zu bekommen und nach Technopolis gehen, um den gruppalen Infekt zu bekommen“, fasste ich das Ganze zusammen.
Dabei stellte ich fest, dass ich, verrückt wie es war, kurz davor war alles zu glauben. Es kam mir immer noch unglaublich unwahrscheinlich vor, aber es gab so viel Unglaubliches im NaNo-Land, dass ich nichts mehr von Haus aus ausschließen konnte.
„Ja.“ Der Weise aus der Küche nickte. Dann wurde er melodramatisch. „Es ist euer Schlicksal das NaNo-Land zu retten!“
„…das hört sich an als wäre es uns vorherbestimmt eine Wattwanderung zu machen…“, grummelte Blue.
„Also einfach wird es jedenfalls nicht“, bestätigte der Weise.
Eine Weile saßen wir nur da. Dann…
„Shirt“, murmelte Blue. „Warum kann es nicht mal einfach sein?“
Wir hörten wie die Tür vernehmlich aufgestanden war. Alle sahen auf. Wie bei einem Schichtwechsel trat die Hautür zur Seite und ließ eine identisch aussehende Tür ihren Platz einnehmen. Dann lehnte sie sich an die Wand und war still.

2 Kommentare:

  1. Jetzt bin ich gespannt wie es weitergeht. Ich hoffe, Hannes bleibt nicht für immer ein Frosch.

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  2. Der Mann hörte sich im ersten Moment wie Gandalf an... ich helfe nur wenn es nicht mehr anders geht!

    Ich glaube ich erinnere mich an das was kommen wird. Hab ich da nicht mal einen Ausschnitt gelesen?

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