Samstag, 27. Dezember 2014

57. Kapitel



Das Bad im Bach war das beste Erlebnis des ganzen Tages. Es tat so gut im Wasser zu sitzen und allen Scheiß vom Körper fließen zu lassen – selbst wenn das Wasser eiskalt war. Meine Robbe war gleich mit in den Fluss gekommen und planschte neben mir herum.
„Pass auf die Flussfurzen auf“, rief Blue mir grinsend zu.
„Die was?“ Misstrauisch starrte ich in das Wasser um mich herum.
"Flussfurzen sind recht selten“, versuchte meine Oma mich zu beschwichtigen. „Das sind bissige Biester, aber in diesem Teil des NaNo-Landes kommen sie kaum vor. Erzähl ihr doch nicht so einen Schwachsinn, Blue“, tadelte sie ihn.
„Mäh“, machte Freundschaf zustimmend und rupfte dann ein weiteres Büschel Gras vom Ufer.
Ich stieg letztendlich doch aus dem Fluss, nachdem ich das Gefühl hatte allen Scheiß fortgespült zu haben. Blue hatte die Prozedur schon hinter sich, aber ich hatte darauf bestanden meine Haare ebenfalls zu waschen. Bei seinen Kurzen ging das nun mal schneller als bei meinen, die mir bis in den Rücken fielen.
„Der Kaffee schmeckt scheißlich!“, beschwerte Blue sich nun.
„Wundert mich nicht nach dem Kampf“, erwiderte meine Oma nur.
Blue schob das Getränk angewidert von sich und blieb lieber bei den Hirngummis. Die brachten meine Laune zum Kippen, denn die Letzte, die diese Kaugummis gegessen hatte, war Phoenix gewesen. Der Gedanke an ihren Tod tat immer noch weh.
Die Feder wurde schon wieder warm, als wollte sie mich trösten. Das Ding war seltsam. Bisher hatte ich sie zweimal benutzt ohne es wirklich zu wollen und ohne die Auswirkungen vorhersehen zu können. Das eine Mal hatte ich das Arbeitszimmer von Estelle verwüstet, weil ich so wütend auf sie gewesen war. Das zweite Mal, eben gerade, hatte ich den Ninjas Klos in die Hälse gezaubert, weil ich unbedingt gewollt hatte, dass die Kloppbürste endlich zur Ruhe gelegt werden konnte.
Beide Male hatte ich mich nicht konzentrieren müssen um das zustande zu bringen. Außerdem hatte ich keinen Verlust meiner Lebenskraft bemerkt, was mich vermuten ließ, dass ich keine verloren hatte. Nach dem was Phoenix meiner Oma und mir über die Feder erzählt hatte, war das sehr ungewöhnlich.
Was mir auch klar wurde war, dass Estelles Prophezeiung wahr geworden war, zumindest was Blue und mich anging. Wir beide hatten im Wald mächtige Waffen geschwungen. Ich hatte den Starb benutzt, um meine Oma und Blue zu befreien, Blue hatte mit der Kloppbürste die Ninjas in die Flucht geschlagen. Damit war klar, dass unsere Mission ein Fehlschlag war. Die Traveling Shovel of Death befand sich nicht im Wald.
Die Erkenntnis traf mich hart. Alles war umsonst gewesen. Unsere ganzen Abenteuer. Phoenix‘ Tod. Wir würden mit leeren Händen zu Mr. Ian Woon zurückkehren müssen. Mir kamen nun wieder die Tränen und wütend trat ich gegen einen Stein am Flussufer, während meine Oma und Blue mir zusahen.
„Au! Das ist aber nicht höflich, junges Fräulein“, beschwerte sich der Stein.
Ich hatte gerade ausgeholt, um ihn erneut zu treten, doch seine plötzliche Erwiderung ließ mich das Gleichgewicht verlieren, sodass ich unsanft auf dem Hintern landete.
„Nana, kein Grund gleich aus den Latschen zu kippen“, lachte der Stein.
„Wer oder was bist du?“, fragte ich erstaunt.
Der Stein seufzte. „Dieses ganze Grünzeug hat mich einfach überwuchert“, sagte er bedauernd. „Vielleicht, wenn du es entfernen könntest, würdest du es herausfinden.“
Einen sprechenden Stein von Schlingpflanzen zu befreien kam mir ein wenig ominös vor. Allerdings siegte meine Neugier und ich tat wie geheißen. Zuerst legte ich einen Mund frei, der von einem gekräuselten, in Stein gemeißelten Bart umgeben war. Es folgte eine große Nase und kleine Augen, ebenfalls alles in den Stein gemeißelt. Ein bisschen erinnerte mich das Ding an den Bocca de la Verita in Italien.
„Erkennst du mich nun?“, fragte der Stein.
Ich war kurz davor den Kopf zu schütteln als meine Oma rief „Du bist der Mund der Dares!“
Entgeistert starrte ich meinen Fund an. Ich nahm alles zurück. Es war nicht alles umsonst gewesen. Und unsere Robben brachten wirklich Glück. Wie sonst ließ sich das plötzliche Auftauchen von dem Gegenstand erklären, den wir am meisten brauchten? Selbst der Zeigefinder hatte seinen Job getan. Er hatte uns zwar nicht direkt ans Ziel geführt, aber immerhin zu jemandem, der uns auf den richtigen Weg schicken konnte.
„Ja. Ich bin der Mund der Dares“, bestätigte der Stein. „Wenn ihr wollt, beantworte ich jedem von euch eine Frage, weil ihr mich von dem Unkraut befreit habt. Normalerweise müssen alle, die eine Antwort von mir haben wollen, einen Dare von mir annehmen, aber bei euch mache ich eine Ausnahme.“
„Das wäre großartig“, freute sich meine Oma. Sie rückte ihren lila Hut zurecht. „Dann stelle ich die Frage, auf die es ankommt und du und Blue könnt fragen was ihr wollt. Und Hannes“, erinnerte sie sich an den Frosch.
„Nun gut. Wer seine Frage stellen will, muss seine Hand in mein Voraussichtsloch legen.“
„Ins was?“, fragte ich verwirrt.
„Das Voraussichtloch ist mein Mund“, erklärte der Stein gutmütig. „Wenn nämlich jemand seine Hand hier hereinlegt, der schon etwas gefragt hat, wird sie ihm abgebissen.“
Autsch. Warum musste alles immer Nachteile haben? Warum konnte er nicht einfach das Antworten lassen wenn das geschah? Da blieb nur zu hoffen, dass meine Oma wirklich noch nie etwas gefragt hatte, denn sonst würde sie ihre andere Hand auch gleich verlieren.
„Stellt Eure Frage“, meinte der Mund der Dares nun eher förmlich.
„Wo finden wir die Traveling Shovel of Death?“, fragte meine Oma.
„Geht zu den sprechenden Bäumen. Sie können als einzige entscheiden ob sie euch helfen oder nicht“, antwortete der Mund der Dares.
Meine Oma hatte ihre Hand aus dem Voraussichtsloch genommen. „Aber wo finden wir die? Meine Frage war nach dem Ort!“
Anscheinend widerwillig gab der Mund eine Beschreibung ab, fügte dann aber hinzu „Die Schaufel wird euch nicht helfen.“
„Wir müssen es zumindest versuchen“, beteuerte meine Oma.
Blue sah aus als könnte er sich nicht entscheiden was er fragen sollte. Schließlich überraschte er mich zum wiederholten Mal innerhalb weniger Tage.
„Falls das mit der Traveling Shovel of Death nicht funktioniert…“, begann er und legte seine Hand ins Voraussichtsloch. „Wie können wir die Plotbunnys aufhalten?“
„Die Plotbunnys können nicht aufgehalten werden. Sie sind unsterblich. Sie verschwinden nur wenn sie geschrieben werden.“
„Aber wie können sie dann…“
Ich zog ihn mit einem Schrei zurück, gerade rechtzeitig bevor die steinernen Kiefer mit einem Knirschen zusammenkrachten. Beinah wäre Blue seine Hand losgeworden.
„Danke“, meinte er.
„Keine Ursache.“
„Nur eine Frage!“, erinnerte der Mund uns.
„Ich glaube nicht, dass er uns darauf antworten wird“, sagte meine Oma schließlich. „Vergeudet eure Wünsche nicht.“
Hannes schluckte. Er hüpfte zum Mund der Dares, dessen Voraussichtsloch praktischerweise nur wenige Zentimeter über dem Boden lag. Somit konnte auch er seine Hand in den Mund legen.
„Wird mein Fluch jemals gebrochen werden?“, wollte er wissen.
„Das liegt an ihr.“
Hannes sah enttäuscht aus, zog jedoch die Hand zurück bevor er sich dazu hinreißen lassen konnte eine weitere Frage zu stellen. Mich hätte es an seiner Stelle brennend interessiert wer „sie“ war. Dann war ich an der Reihe. Nur was sollte ich fragen? Fragen zu unserer Mission schien er Mund der Dares nicht zu beantworten und persönliche Fragen ebenfalls nicht.
„Wie ist das NaNo-Land entstanden?“, fragte ich schließlich.
Die anderen sahen mich überrascht an. Mit so einer Frage hatten sie wohl nicht gerechnet. Mich hingegen interessierte das schon seit ich hier angekommen war.
„Das NaNo-Land gibt es schon seit Urzeiten“, begann der Mund. Vorsichtshalber nahm ich meine Hand aus dem Voraussichtsloch, damit ich nicht aus Versehen eine Frage stellte. „Schon seit den ersten Geschichten der Menschheit wurde daran gebaut und mit jeder Geschichte wird es größer. Der Bereich, in dem ihr euch befindet, ist nur ein winziger Teil des Ganzen, denn das, was ihr als NaNo-Land bezeichnet wurde von den Wrimos erschaffen. Jede Geschichte, jeder Teilnehmer, hat einen Teil hinzugefügt. Deshalb wächst es immer weiter.“
Er stoppte kurz. Ein Blick in die Runde zeigte mir, dass alle gebannt lauschten.
„Der Rest dieser Welt wird von allen erschaffen, die sich Geschichten ausdenken.“
„Also praktisch von jedem“, stellte ich fest. Selbst wenn man nicht schrieb benutzte man ja seine Fantasie und träumte.
„So könnte man es sagen. Alle, die sich hier befinden, sind Autoren, oder Charaktere, oder beides“, fuhr der Mund fort.
„Wie kann man denn beides sein?“, hakte ich nach.
Überraschenderweise beantwortete der Mund der Dares meine Frage. „Die meisten Geschichten werden geschrieben. Woher wollt ihr wissen, dass ihr nicht auch Charaktere in einer Geschichte seid?“
„Weil ich aus freiem Willen hierher gekommen bin. Weil…“ Mir fiel kein besserer Grund ein und ich schloss meinen Mund.
„Das war die Antwort auf deine Frage“, schloss der Mund der Dares seine Vorhersagen.
Das war zwar spannend gewesen, hatte uns aber auch nicht wirklich weitergeholfen. Dafür hatten wir nun den nächsten Hinweis. Wir würden zu den sprechenden Bäumen gehen müssen.
Da sich der steinerne Mund weigerte noch einmal zu sprechen, hockten wir uns neben den Fluss und begannen unsere weitere Reise zu planen.

3 Kommentare:

  1. Der Stein hat was von einem Drachen... wie viele Wörter hast du eigentlich für die Geschichte gebraucht.

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    1. Wieso von einem Drachen?
      Diese Fassung hat 133k Wörter. Die NaNo-Version hatte 131k.

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    2. Die Art sich auszudrücken hat mich daran erinnert... okay, danke.

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