Den
Weg wiederzufinden, auf dem wir gegangen waren bevor wir Bunnyretter hatten
spielen müssen, war gar nicht so einfach. Wie sich herausstellte war zumindest
hierfür der Zeigefinder geeignet, denn er funktionierte wie ein Kompass und
führte uns zurück zum Baumstamm, auf dem wir Mittag gegessen hatten.
Wir
alle waren vollkommen fertig. Mir wurde jedes Mal übel wenn ich auf die
blutverschmierten Klinken meines Messers schaute oder auf meine
blutverschmierte Hand wenn ich mir wieder an den Hals gefasst hatte. Phoenix
rieb sich die Arme, die ihr Fänger wohl besonders gequetscht hatte und meine
Oma prüfte tausend Mal, ob ihrem geliebten Regenschirm auch nichts passiert
war. Sogar Freundschaf sah erschöpft aus und Hannes war damit beschäftigt ihm
ununterbrochen den Kopf zu streicheln.
Was
Blue anging… er sah am Schlimmsten von allen aus. Eins seiner Augen färbte sich
dunkelblau, passend zu seinen Haaren. Da er erst auf dem Piratenschiff ein
leicht blaues Auge gehabt hatte, war es nun ein Mix aus vielen Farben. Seine
Kleidung war stellenweise noch zerrissener als sonst, auf seiner Jeans waren
Grasflecken und er zuckte zusammen wann immer ihn irgendwer oder irgendwas
irgendwo berührte. Allerdings hatte er von uns allen auch die beste Laune.
„Hast
du gesehen wie ich ihr diesen Kinnhaken verpasst habe?“, lachte er und seine
Augen strahlten. „Das war der Wahnsinn! Zum Schluss konnte sie nicht mal mehr
stehen!“
Niemand
konnte leugnen, dass er sich mehr als gut geschlagen hatte. Wörtlich. Ich hätte
nie gedacht, dass ich einmal so froh darüber sein würde, dass er in unserer
Gruppe war. Dass er in so einer Situation an das Geschenk der Oberin gedacht
hatte, war bemerkenswert. Ich hatte die Medikamente total vergessen, aber er
hatte den perfekten Zeitpunkt gefunden sie einzusetzen.
So
angeschlagen, fragte ich mich allerdings wie wir es jemals vor Einbruch der
Nacht zur Hexe schaffen sollten.
„Süßigkeiten?“,
fragte meine Oma als wir wieder auf dem Baumstamm Platz genommen hatten. „So
ein bisschen Zucker scheint mir genau das Richtige.“
Da
konnte ich nicht widersprechen. Als sie allerdings den Beutel mit Essen aus dem
Horrorschloss hervorzog, wurde ich skeptisch. Ich erinnerte mich noch sehr gut
an die Gließmaden – war das wirklich erst zwei Stunden her?
„Ich
hätte… Zahnpfelgekaugommis, Hirngummi und Teflonbonbons“, zählte sie auf.
„Iiiih!
Und das sollen wir essen?“, fragte ich misstrauisch.
„Gib
her“, meinte Blue nur und steckte sich einen Zahnpfelgenkaugommi in den Mund.
„Bäh“, keuchte er und spuckte den Kaugummi in seine Hand. „Das Zeug schmeckt
widerlich.“
Wenn
sogar Blue das fand, musste es wirklich schlimm sein. Angeekelt klebte er den
Kaugummi an zwei Kiefern am Wegesrand, die zusammengewachsen waren.
Überraschenderweise begannen sie sich an dieser Stelle zu verbiegen. Es gab ein
knirschendes Geräusch, das jedoch aufhörte, da der Kagummi gleichzeitig den
Druck der Kiefern abzufedern schien. Das Ergebnis waren einige sehr seltsam
anmutende Bäume.
„Also
das esse ich nicht“, bemerkte ich nur.
Blue
jedoch zuckte mit den Schultern und steckte sich als nächstes ein Teflonbonbon
in den Mund. Da er das nicht ausspuckte, schien es nicht allzu schlecht zu
sein. Phoenix hingegen kaute auf einem Hirngummi, während Oma und Freundschaf
sich über die letzten Schauermöhrchen hermachten.
Ich
wollte gerade im Rucksack nachsehen, ob es etwas Vernünftiges zu Essen gab, da
hielt ich inne und lauschte. Irgendetwas kam näher. Und es hörte sich seltsam
an.
„Leute?“,
meinte ich zögernd. „Wir bekommen Besuch.“
Kaum
waren die Worte ausgesprochen, da tauchte ein arg mitgenommener Ford aus der
Richtung auf, aus der wir gekommen waren. Wie der über den Weg fahren konnte
war mir ein Rätsel, da nicht einmal unsere Pferde durchgekommen wären. Vor
allem, da sich hinter ihm keine Veränderung an Pflanzen oder Weg – was in diesem
Fall fast das gleiche war – erkennen ließ.
Der
rosttote Ford kam direkt neben uns zum Stehen. Das Fenster wurde
heruntergekurbelt und eine Frau steckte den Kopf heraus. Bevor sie auch nur den
Mund aufmachte, wusste ich, dass sie und ihre Beifahrerin Hexen waren.
„Keine
Panik“, sagte sie da auch schon. „Wir sind gute Hexen. Wir haben gerade einen
Kirschbock verfolgt als wir euch gesehen haben.“
„Alle
rennen immer weg wenn sie uns kommen sehen“, erklärte ihre Beifahrerin. „Ich
bin Tilli. Das ist Trudi.“
Zum
Rennen waren wir zu erschöpft. Hoffentlich erzählten die beiden, die in einem
Ford betonten, dass die gute Hexen waren, die Wahrheit. Ansonsten waren wir
aufgeschmissen. Wie eigentlich immer. Und was zum Teufel war ein Kirschbock? In
meinem Kopf tauchte nur das Bild eines Hirches auf, dem Kirschen vom Geweih
wuchsen. Ich hatte den leisen Verdacht, dass das nicht mal so weit von der
Realität entfernt war.
Da
sie bisher jedoch keine Anstalten gemacht hatten uns in Kröten zu verwandeln, war
ich optimistisch eingestellt.
„Was
führt euch in den Wald?“, fragte Trudi, die Fahrerin.
„Wir
suchen die Hexe, die am Rand des Waldes im Fantasygebiet lebt“, erklärte
Phoenix.
„Oh,
ihr meint Estelle!“, platzte Tilli heraus. „Die kenne wir. Wir könnten euch
mitnehmen, wenn ihr wollt.“
Wie
war das nochmal in dem Märchen? Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es weniger
gefährlich war in den Ford einer Hexe zu steigen als ihr in ihr Knusperhaus zu
folgen. Vor allem Hannes schien das ähnlich zu sehen, denn er hatte sich unter
einem Buschsstabenbusch versteckt. Freundschaf jedoch stand direkt neben der
Autotür und ließ sich von Tilli den Kopf tätscheln. Auch meine Oma sah nicht
abgeneigt aus das Angebot anzunehmen.
„Ich
würde mich freuen wenn wir heute nicht mehr so viel laufen müssten“, gab sie
zu. Als sie ihre Beine streckte, knackte es unheilvoll.
„Aber…“
Mein
Protest blieb mir im Hals stecken als sie die hintere Tür aufmachte und auf die
Bank rutschte.
„Da
passen wir doch nie alle rein!“, sagte ich stattdessen.
Der
Ford gehörte eher zur kleineren Sorte. Nie im Leben würden dort zwei Hexen,
vier weitere Personen, ein Schaf, ein Froschprinz und drei Rucksäcke Platz
finden – vor allem, da Fahrer- und Beifahrersitz bereits besetzt waren.
„Keine
Sorge. Der Ford ist magisch vergrößert“, beruhigte Tilli mich.
„Genau.
Hüpf einfach rein“, bestätigte Trudi. „Nur das Schaf muss vielleicht in den
Kofferraum. Tut mir wirklich leid, du süßes Ding…“
„Mäh“,
machte Freundschaf und trottete gutmütig zum hinteren Ende des Autos. Als Blue
ihm den Kofferraum aufmachte, sprang es mit einem Satz hinein und machte es
sich auf einigen Decken, die dort lagen, bequem. Zum Glück gab es keines von
den Abtrennungsdingern, sodass Freundschaf einfach seinen Kopf über die Sitze
strecken konnte, um sich von meiner Oma streicheln zu lassen.
Seufzend
fügte ich mich meinem Schicksal. Bisher waren Trudi und Tilli wirklich nett.
Und wer sagte denn, dass es nicht auch nette Leute im NaNo-Land gab? Immerhin
hatten wir davon schon eine Menge kennengelernt. Außerdem, wenn wir nicht
einmal diesen Hexen vertrauen konnten, wie sollte es dann mit Estellte werden? Blue
und Phoenix waren schon in die Rückbank gerutscht und alle sahen mich
erwartungsvoll an. Was ihnen nicht
aufzufallen schien war, dass außer mir noch jemand fehlte.
„Komm
schon, Hannes“, versuchte ich ihn unter dem Buschstabenbusch hervorzulocken.
„Uns passiert schon nichts.“
„Ach
echt?“, meinte er mit vor Sarkasmus triefender Stimme. „Schau mich mal an. Ich
mich nicht besonders gut auf Hexen zu sprechen.“
„Aber
es müssen nicht zwangsläufig alle böse sein!“ Ich wollte wohl gleichzeitig mich
und ihn davon überzeugen. „Und außerdem“, fügte ich flüsternd hinzu „hat meine
Oma ihren Starb. Uns kann nichts passieren.“
Er
sah immer noch nicht besonders überzeugt aus, hüpfte jedoch auf meine
ausgestreckte Hand und ließ sich von mir auf meine Schulter setzen, während ich
in den Ford stieg.
„Und
los geht die Fahrt!“, lachte Trudi. „Keine Sorge, Anschnallen ist nicht nötig.“
Bald
erklärte sich auch wie der Ford sich auf dem Waldweg bewegen konnte. Statt in
Schlammlöchern stecken zu bleiben und ganze Büsche mitzunehmen, schien er durch
alles hindurchzugleiten als wäre er aus Luft gemacht. Ein magischer Ford, was
es nicht alles gab.
Gemütlich
tuckerte der Ford durch die Landschaft. Der Wald zog am Fenster vorbei, während
wir uns im Auto unterhielten. Von hinten steuerte Freundschaf ein „Mäh“ dazu,
immer wenn es dachte es sei angebracht. Nur Hannes sagte kein Wort, sondern
verkroch sich wieder in meinen Haaren. Das musste ich ihm definitiv abgewöhnen.
Alles
in allem fand ich diese Art zu reisen wesentlich angenehmer als den gesunden
Menschenversand. Da sauste alles nur an einem vorbei und unterhalten konnte man
sich auch nicht. Wenn man nur den Mund aufmachte, wurde einem schon schlecht. Die
Sonne wanderte weiter über den Himmel. Manchmal erhaschte ich durch die Zweige
einen Blick auf sie. Einmal, als wir eine besonders dunkle Ecke des Waldes
passierten, sah man sie gar nicht. Als schließlich die Bäume immer weniger
wurden und wir den Waldrand erreichten, war sie kurz vorm Untergehen.
Ein
kleines Fachwerkhaus stand allein auf weiter Flur. Aus dem Schornstein
schlängelte sich der Rauch eines Feuers, an den Wänden waren überall
Blumengitter angebracht und es waren Beete im Garten angelegt. Es sah sehr
idyllisch aus und so gar nicht wie ich mir das Haus einer Hexe vorgestellt
hatte. Dann wiederum hatte ich mir auch das Transportmittel einer Hexe etwas
magischer vorgestellt als einen rosttoten Ford. Trudi stoppte den Motor und
parkte das Auto auf eine Seite der Seite des Hauses, die zum Wald zeigte.
„Was
ihr vielleicht noch über Estelle wissen sollte“, meinte Tilli und zog ein
betretenes Gesicht.
Na
super. Jetzt kam’s. Sie hatte ein außerordentliches Temperament? Sie
verzauberte alle, deren Gesicht ihr nicht gefiel, in Taranteln?
„Man
hat sie vor Jahren mit einem Band belegt.“
Mit
einem was? Auch die anderen sahen eher verwirrt aus.
„Naja,
das schreckliche Band des Grauens, das man ihr auf den Kopf gelegt hat, hindert
die daran, ihre magischen Kräfte zu verwenden. Sie kann nur noch Tränke brauen
und die Zukunft lesen. Vielleicht einige leichte Wunden heilen. Das war’s auch
schon“, bestätigte Trudi.
„Nun
ja“, warf Tilli ein. „Sie wird immer noch als die fähigste Hexe unserer Zeit
angesehen. Dass sie ihre Kräfte gerade nicht einsetzen kann, heißt nicht, dass
sie nicht mehr drauf hat als wir alle zusammen wenn sie sie zurückbekommt.“
„Was
genau ist jetzt der Tipp?“, fragte ich verwirrt.
„Sie
nicht darauf anzusprechen“, erklärte Trudi. „Sie wird nicht gerne daran
erinnert.“
Wir
bedankten uns bei den beiden für die Mitfahrgelegenheit und der Ford tuckerte
zurück in den Wald, wo er zwischen den Bäumen verschwand. Wir sahen uns nur
kurz an, ich sammelte all meinen Mut und klopfte an der Tür zum Hexenhaus.
Also der Ford kam jetzt aber... unerwartet.
AntwortenLöschenNaja, die Kombi aus den Hexen und dem Wald ergibt unerwartete Ereignisse. xD (Außerdem musste ich den Ford einfach reinb ringen. Der ist zu genial.)
LöschenAllerdings... wohl wahr.
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