Donnerstag, 18. Dezember 2014

48. Kapitel



Den Weg wiederzufinden, auf dem wir gegangen waren bevor wir Bunnyretter hatten spielen müssen, war gar nicht so einfach. Wie sich herausstellte war zumindest hierfür der Zeigefinder geeignet, denn er funktionierte wie ein Kompass und führte uns zurück zum Baumstamm, auf dem wir Mittag gegessen hatten.
Wir alle waren vollkommen fertig. Mir wurde jedes Mal übel wenn ich auf die blutverschmierten Klinken meines Messers schaute oder auf meine blutverschmierte Hand wenn ich mir wieder an den Hals gefasst hatte. Phoenix rieb sich die Arme, die ihr Fänger wohl besonders gequetscht hatte und meine Oma prüfte tausend Mal, ob ihrem geliebten Regenschirm auch nichts passiert war. Sogar Freundschaf sah erschöpft aus und Hannes war damit beschäftigt ihm ununterbrochen den Kopf zu streicheln.
Was Blue anging… er sah am Schlimmsten von allen aus. Eins seiner Augen färbte sich dunkelblau, passend zu seinen Haaren. Da er erst auf dem Piratenschiff ein leicht blaues Auge gehabt hatte, war es nun ein Mix aus vielen Farben. Seine Kleidung war stellenweise noch zerrissener als sonst, auf seiner Jeans waren Grasflecken und er zuckte zusammen wann immer ihn irgendwer oder irgendwas irgendwo berührte. Allerdings hatte er von uns allen auch die beste Laune.
„Hast du gesehen wie ich ihr diesen Kinnhaken verpasst habe?“, lachte er und seine Augen strahlten. „Das war der Wahnsinn! Zum Schluss konnte sie nicht mal mehr stehen!“
Niemand konnte leugnen, dass er sich mehr als gut geschlagen hatte. Wörtlich. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so froh darüber sein würde, dass er in unserer Gruppe war. Dass er in so einer Situation an das Geschenk der Oberin gedacht hatte, war bemerkenswert. Ich hatte die Medikamente total vergessen, aber er hatte den perfekten Zeitpunkt gefunden sie einzusetzen.
So angeschlagen, fragte ich mich allerdings wie wir es jemals vor Einbruch der Nacht zur Hexe schaffen sollten.
„Süßigkeiten?“, fragte meine Oma als wir wieder auf dem Baumstamm Platz genommen hatten. „So ein bisschen Zucker scheint mir genau das Richtige.“
Da konnte ich nicht widersprechen. Als sie allerdings den Beutel mit Essen aus dem Horrorschloss hervorzog, wurde ich skeptisch. Ich erinnerte mich noch sehr gut an die Gließmaden – war das wirklich erst zwei Stunden her?
„Ich hätte… Zahnpfelgekaugommis, Hirngummi und Teflonbonbons“, zählte sie auf.
„Iiiih! Und das sollen wir essen?“, fragte ich misstrauisch.
„Gib her“, meinte Blue nur und steckte sich einen Zahnpfelgenkaugommi in den Mund. „Bäh“, keuchte er und spuckte den Kaugummi in seine Hand. „Das Zeug schmeckt widerlich.“
Wenn sogar Blue das fand, musste es wirklich schlimm sein. Angeekelt klebte er den Kaugummi an zwei Kiefern am Wegesrand, die zusammengewachsen waren. Überraschenderweise begannen sie sich an dieser Stelle zu verbiegen. Es gab ein knirschendes Geräusch, das jedoch aufhörte, da der Kagummi gleichzeitig den Druck der Kiefern abzufedern schien. Das Ergebnis waren einige sehr seltsam anmutende Bäume.
„Also das esse ich nicht“, bemerkte ich nur.
Blue jedoch zuckte mit den Schultern und steckte sich als nächstes ein Teflonbonbon in den Mund. Da er das nicht ausspuckte, schien es nicht allzu schlecht zu sein. Phoenix hingegen kaute auf einem Hirngummi, während Oma und Freundschaf sich über die letzten Schauermöhrchen hermachten.
Ich wollte gerade im Rucksack nachsehen, ob es etwas Vernünftiges zu Essen gab, da hielt ich inne und lauschte. Irgendetwas kam näher. Und es hörte sich seltsam an.
„Leute?“, meinte ich zögernd. „Wir bekommen Besuch.“
Kaum waren die Worte ausgesprochen, da tauchte ein arg mitgenommener Ford aus der Richtung auf, aus der wir gekommen waren. Wie der über den Weg fahren konnte war mir ein Rätsel, da nicht einmal unsere Pferde durchgekommen wären. Vor allem, da sich hinter ihm keine Veränderung an Pflanzen oder Weg – was in diesem Fall fast das gleiche war – erkennen ließ.
Der rosttote Ford kam direkt neben uns zum Stehen. Das Fenster wurde heruntergekurbelt und eine Frau steckte den Kopf heraus. Bevor sie auch nur den Mund aufmachte, wusste ich, dass sie und ihre Beifahrerin Hexen waren.
„Keine Panik“, sagte sie da auch schon. „Wir sind gute Hexen. Wir haben gerade einen Kirschbock verfolgt als wir euch gesehen haben.“
„Alle rennen immer weg wenn sie uns kommen sehen“, erklärte ihre Beifahrerin. „Ich bin Tilli. Das ist Trudi.“
Zum Rennen waren wir zu erschöpft. Hoffentlich erzählten die beiden, die in einem Ford betonten, dass die gute Hexen waren, die Wahrheit. Ansonsten waren wir aufgeschmissen. Wie eigentlich immer. Und was zum Teufel war ein Kirschbock? In meinem Kopf tauchte nur das Bild eines Hirches auf, dem Kirschen vom Geweih wuchsen. Ich hatte den leisen Verdacht, dass das nicht mal so weit von der Realität entfernt war.
Da sie bisher jedoch keine Anstalten gemacht hatten uns in Kröten zu verwandeln, war ich optimistisch eingestellt.
„Was führt euch in den Wald?“, fragte Trudi, die Fahrerin.
„Wir suchen die Hexe, die am Rand des Waldes im Fantasygebiet lebt“, erklärte Phoenix.
„Oh, ihr meint Estelle!“, platzte Tilli heraus. „Die kenne wir. Wir könnten euch mitnehmen, wenn ihr wollt.“
Wie war das nochmal in dem Märchen? Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es weniger gefährlich war in den Ford einer Hexe zu steigen als ihr in ihr Knusperhaus zu folgen. Vor allem Hannes schien das ähnlich zu sehen, denn er hatte sich unter einem Buschsstabenbusch versteckt. Freundschaf jedoch stand direkt neben der Autotür und ließ sich von Tilli den Kopf tätscheln. Auch meine Oma sah nicht abgeneigt aus das Angebot anzunehmen.
„Ich würde mich freuen wenn wir heute nicht mehr so viel laufen müssten“, gab sie zu. Als sie ihre Beine streckte, knackte es unheilvoll.
„Aber…“
Mein Protest blieb mir im Hals stecken als sie die hintere Tür aufmachte und auf die Bank rutschte.
„Da passen wir doch nie alle rein!“, sagte ich stattdessen.
Der Ford gehörte eher zur kleineren Sorte. Nie im Leben würden dort zwei Hexen, vier weitere Personen, ein Schaf, ein Froschprinz und drei Rucksäcke Platz finden – vor allem, da Fahrer- und Beifahrersitz bereits besetzt waren.
„Keine Sorge. Der Ford ist magisch vergrößert“, beruhigte Tilli mich.
„Genau. Hüpf einfach rein“, bestätigte Trudi. „Nur das Schaf muss vielleicht in den Kofferraum. Tut mir wirklich leid, du süßes Ding…“
„Mäh“, machte Freundschaf und trottete gutmütig zum hinteren Ende des Autos. Als Blue ihm den Kofferraum aufmachte, sprang es mit einem Satz hinein und machte es sich auf einigen Decken, die dort lagen, bequem. Zum Glück gab es keines von den Abtrennungsdingern, sodass Freundschaf einfach seinen Kopf über die Sitze strecken konnte, um sich von meiner Oma streicheln zu lassen.
Seufzend fügte ich mich meinem Schicksal. Bisher waren Trudi und Tilli wirklich nett. Und wer sagte denn, dass es nicht auch nette Leute im NaNo-Land gab? Immerhin hatten wir davon schon eine Menge kennengelernt. Außerdem, wenn wir nicht einmal diesen Hexen vertrauen konnten, wie sollte es dann mit Estellte werden? Blue und Phoenix waren schon in die Rückbank gerutscht und alle sahen mich erwartungsvoll an. Was ihnen  nicht aufzufallen schien war, dass außer mir noch jemand fehlte.
„Komm schon, Hannes“, versuchte ich ihn unter dem Buschstabenbusch hervorzulocken. „Uns passiert schon nichts.“
„Ach echt?“, meinte er mit vor Sarkasmus triefender Stimme. „Schau mich mal an. Ich mich nicht besonders gut auf Hexen zu sprechen.“
„Aber es müssen nicht zwangsläufig alle böse sein!“ Ich wollte wohl gleichzeitig mich und ihn davon überzeugen. „Und außerdem“, fügte ich flüsternd hinzu „hat meine Oma ihren Starb. Uns kann nichts passieren.“
Er sah immer noch nicht besonders überzeugt aus, hüpfte jedoch auf meine ausgestreckte Hand und ließ sich von mir auf meine Schulter setzen, während ich in den Ford stieg.
„Und los geht die Fahrt!“, lachte Trudi. „Keine Sorge, Anschnallen ist nicht nötig.“
Bald erklärte sich auch wie der Ford sich auf dem Waldweg bewegen konnte. Statt in Schlammlöchern stecken zu bleiben und ganze Büsche mitzunehmen, schien er durch alles hindurchzugleiten als wäre er aus Luft gemacht. Ein magischer Ford, was es nicht alles gab.
Gemütlich tuckerte der Ford durch die Landschaft. Der Wald zog am Fenster vorbei, während wir uns im Auto unterhielten. Von hinten steuerte Freundschaf ein „Mäh“ dazu, immer wenn es dachte es sei angebracht. Nur Hannes sagte kein Wort, sondern verkroch sich wieder in meinen Haaren. Das musste ich ihm definitiv abgewöhnen.
Alles in allem fand ich diese Art zu reisen wesentlich angenehmer als den gesunden Menschenversand. Da sauste alles nur an einem vorbei und unterhalten konnte man sich auch nicht. Wenn man nur den Mund aufmachte, wurde einem schon schlecht. Die Sonne wanderte weiter über den Himmel. Manchmal erhaschte ich durch die Zweige einen Blick auf sie. Einmal, als wir eine besonders dunkle Ecke des Waldes passierten, sah man sie gar nicht. Als schließlich die Bäume immer weniger wurden und wir den Waldrand erreichten, war sie kurz vorm Untergehen.
Ein kleines Fachwerkhaus stand allein auf weiter Flur. Aus dem Schornstein schlängelte sich der Rauch eines Feuers, an den Wänden waren überall Blumengitter angebracht und es waren Beete im Garten angelegt. Es sah sehr idyllisch aus und so gar nicht wie ich mir das Haus einer Hexe vorgestellt hatte. Dann wiederum hatte ich mir auch das Transportmittel einer Hexe etwas magischer vorgestellt als einen rosttoten Ford. Trudi stoppte den Motor und parkte das Auto auf eine Seite der Seite des Hauses, die zum Wald zeigte.
„Was ihr vielleicht noch über Estelle wissen sollte“, meinte Tilli und zog ein betretenes Gesicht.
Na super. Jetzt kam’s. Sie hatte ein außerordentliches Temperament? Sie verzauberte alle, deren Gesicht ihr nicht gefiel, in Taranteln?
„Man hat sie vor Jahren mit einem Band belegt.“
Mit einem was? Auch die anderen sahen eher verwirrt aus.
„Naja, das schreckliche Band des Grauens, das man ihr auf den Kopf gelegt hat, hindert die daran, ihre magischen Kräfte zu verwenden. Sie kann nur noch Tränke brauen und die Zukunft lesen. Vielleicht einige leichte Wunden heilen. Das war’s auch schon“, bestätigte Trudi.
„Nun ja“, warf Tilli ein. „Sie wird immer noch als die fähigste Hexe unserer Zeit angesehen. Dass sie ihre Kräfte gerade nicht einsetzen kann, heißt nicht, dass sie nicht mehr drauf hat als wir alle zusammen wenn sie sie zurückbekommt.“
„Was genau ist jetzt der Tipp?“, fragte ich verwirrt.
 „Sie nicht darauf anzusprechen“, erklärte Trudi. „Sie wird nicht gerne daran erinnert.“

Wir bedankten uns bei den beiden für die Mitfahrgelegenheit und der Ford tuckerte zurück in den Wald, wo er zwischen den Bäumen verschwand. Wir sahen uns nur kurz an, ich sammelte all meinen Mut und klopfte an der Tür zum Hexenhaus.

3 Kommentare:

  1. Also der Ford kam jetzt aber... unerwartet.

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    1. Naja, die Kombi aus den Hexen und dem Wald ergibt unerwartete Ereignisse. xD (Außerdem musste ich den Ford einfach reinb ringen. Der ist zu genial.)

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