Montag, 8. Dezember 2014

38. Kapitel



Der Weg durch den Geheimgang war Mittagessen, der Weg durch den normalen Gang hatte eher Lust auf Frühstück gehabt und das Fenster wäre am liebsten Abendessen gegangen. Da es für Abendessen noch zu früh war, hatte es sich darauf verlegt einzuschlafen und es ließ sich nicht aufwecken, egal was ich versuchte. Das schränkte die Fluchtmöglichkeiten vor durchgedrehter Kücheneinrichtung stark ein.
Schließlich leitete der Prinz mich in eine Besenkammer, in der wir ausharrten bis die verrückten Möbel durch den Gang an uns vorbeigestürmt waren.
„Das war spaßig. Was machen wir jetzt?“, war sein Kommentar dazu.
Der Kerl musste definitiv öfter vor die Tür kommen. Zu meinem Ärger hatte er sich bereits mit meiner Robbe angefreundet, was vermutlich damit zusammenhing, dass der Prinz es sich auf meiner Schulter bequem gemacht hatte und sich ans Fell der Robbe klammern musste, um nicht herunterzufallen.
„Super, die Möbel wären wir los. Dann kann ich dich ja zurück in dein Zimmer bringen“, meinte ich.
Vorsichtig lugte ich aus dem Besenschrank und trat in den Flur sobald klar war, dass die Luft rein war. Niemand war weit und breit zu sehen. Vielleicht hatten die Bediensteten bereits von der Stampede der Kücheneinrichtung erfahren und hatten die Korridore räumen lassen.
„Vergiss es!“
„Warum nicht? Denkst du ernsthaft ich schleppe dich den ganzen Tag mit mir rum?“
„Ähm… die Möbel könnten auf ihrem Rückweg in die Küche durch mein Zimmer kommen. Ihre Laune wird bestimmt nicht besser sein als jetzt.“
Warum nur hörte sich das an als hätte er sich das Argument eben aus den Fingern gesogen? Was allerdings nicht hieß, dass er weniger Recht hatte.
„Meinetwegen“, seufzte ich und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Das, was einmal etwas gewesen war, das zumindest annähernd als Frisur zu erkennen gewesen war, hatte nun Ähnlichkeit mit einem Wischmop. Insofern war die Abstellkammer sehr passend gewesen.
„Aber quak mir bloß nicht ins Ohr. Außerdem werden keine Fliegen gegessen solange ich in der Nähe bin.“
Das wäre ja mal sowas von eklig. Darauf das zu sehen konnte ich verzichten. Ich hatte genug andere Probleme. Eins davon kam durch den Gang auf mich zugelaufen, und zwar in Gestalt des Wachmanns, der Blue und mich gestern zu unseren Zimmern geführt hatte. Er war komplett durchgeschwitzt, was bedeutete, dass er entweder gerade einen Marathon gelaufen war, oder das ganze Schloss nach mir abgesucht hatte.
„Schnell! Es ist der Könling!“, brachte er nur keuchend heraus.
„Was ist mit meinem Vater?“
Okay, die Bedingung mir nicht ins Ohr zu quaken hatte der Froschprniz schon mal gebrochen. Andererseits konnte ich ihm das nach der Aussage nicht verübeln. Der Wachmann starrte den Prinzen auf meiner Schulter an als hätte ich ein zweites Plotbunny ins Schloss geschummelt.
„Eure Hoheit! Ich wusste nicht, dass… Ihr seid aus Eurem Zimmer gekommen? Aber…“
„Was ist mit meinem Vater?“, wiederholte er, dieses Mal mit mehr Nachdruck und etwas in der Stimme, das nur Könige und Politiker auf die Reihe bekamen ohne total dämlich zu klingen.
„Man hat ihm einen verfluchten Gegenstand zukommen lassen und…“
„Was?!“
Das Fell der Robbe direkt an meiner Schulter zitterte und ich verstand, dass es der Froschprinz sein musste. Falls sein Vater gestorben war, würde er Könling werden? Wie würde das wohl aussehen wenn ein Frosch den Thron besteigen würde? Kein Wunder, dass der Kerl nervös war.
„Es hat ihn nicht so schlimm getroffen wie der Täter wohl gehofft hat, aber er wird immer geiriger!“
„Geirig? Verwandelt er sich in einen Geier oder was?“, fragte ich entgeistert.
„Ganz genau das, gnädige Frau.“
Ach, jetzt war ich auf einmal eine gnädige Frau. Die Gegenwart eines Prinzen schien meinen Status zu heben. Obwohl ich sagen musste, dass Der Wachmann auch gestern zu Blue und mir schon sehr nett gewesen war.
Das mit dem Geier musste ich sehen. „Wir kommen sofort mit… wo ist der Könling?“, hakte ich nach.
„Er fliegt im Theosaal herum. Die Hofmagier versuchen schon seit einer Stunde ihn dazu zu bewegen zu landen, aber er will sich einfach nicht beruhigen.“
Okay, das musste ich definitiv sehen! Als Geier konnte ich mir den Könling nicht vorstellen. Das erklärte auch warum die Gänge so leer waren. Alle waren zu besorgt um ihren Herrscher, als dass an Arbeit zu denken war. Oder sie wollten ihn als Geier sehen, wie ich. Ich war mir recht sicher, dass sich die gesamte Belegschaft des Schlosses momentan im oder um den Theosaal versammelt hatte.
„Bringen Sie uns hin“, befahl ich dem Wachmann.
Der drehte sich auf dem Absatz um und ich hatte Schwierigkeiten ihm zu folgen. Es ging durch mehrere Türen, über Treppen und durch den Geheimgang, der wohl sein Mittagessen beendet hatte, bis wir vor der Tür zum Theosaal zum Stehen kamen. Wie erwartet scharte sich eine regelrechte Menschentraube um die gigantischen Türen. Da dort kein Durchkommen war, wechselte der Wachmann seine Strategie und führte uns durch einen weiteren Geheimgang, der irgendwo direkt hinter dem Thron endete.
„Eure Majestät!“, rief eine verzweifelte Stimme.
Ein Schatten flog über uns hinweg und ich duckte mich. Das Rauschen von Federn verschwand. Als ich den Kopf hab, sah ich einen großen Geier, der wieder an Höhe gewann und begann in der Halle zu kreisen.
„Eure Majestät, wollt Ihr nicht doch die tote Maus?“, lockte einer der Hofmagier und wedelte mit einer toten Ratte.
Etwa zehn weitere Männer, ebenfalls in purpurne Roben mit Goldstickereien gehüllt wie der mit der Ratte, standen daneben und hielten ein golden schimmerndes Netz.
„Das ist eine Ratte, keine Maus“, korrigierte ich ihn.
Der Mann bedachte mich mit einem abfälligen Blick. „Und wer hat dich hierher geholt? Der Idiot da hinten reicht uns.“
Als ich mit meinem Blick seinem ausgestreckten Finger folgte, entdeckte ich Blue, der an einer Wand lehnte und amüsiert dem Treiben zusah. Er hob kurz seine Hand, um mich zu grüßen, dann schaute er mit einem Grinsen zurück auf den Geier. Freundschaf, das neben ihm stand, kaute auf etwas herum, das nach einem Stück purpurner Robe aussah.
„Die Idioten sind wohl eher die werten Herren Hoffmagier“, meinte er. „Immerhin haben die es bisher nicht geschafft den Könling mit dem Netz da einzufangen, um dann zu versuchen ihn zurückzuverwandeln. Außerdem hat es keiner von ihnen hinbekommen mir eine Tüte Popcorn herzuzaubern.“
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie es überhaupt versucht hatten. Gut vorstellen konnte ich mir dafür wieso Blue nach Popcorn gefragt hatte. Das Bild von ihm wie er mit einer Popcorntüte an der Wand lehnte und den scheiternden Magiern zusah, ließ sich nur schwer aus meinem Kopf vertreiben.
Ebenfalls eine interessante Geschichte war es bestimmt, wie der eine Magier einen Teil seiner Robe verloren hatte, unglücklicherweise direkt an seinem Hintern, was mir nun einen wunderbaren Blick auf seine magische rosa Unterwäsche erlaubte. Zum Geier fangen war die Unterwäsche jedenfalls nicht geeignet, so viel war klar. Meine Vermutung war, dass das Stück Stoff in Freundschafs Mund extrem viel mit dem Vorfall zu tun hatte.
„Eure Majestät! Seht doch die schöne Maus!“, rief wieder der Magier, doch der Geier ignorierte ihn wie zuvor.
„Ach lasst doch den Mist“, murmelte ich und schob den Kerl zur Seite.
Ich hatte so das Gefühl, dass es nichts bringen würde den Könling wie einen Geier zu behandeln. Zwar hatte ich bisher nicht allzu viel mit verzauberten Menschen zu tun gehabt, aber da alle Tiere im NaNo-Land intelligenter zu sein schienen als sie sein sollten, würde das hier bestimmt nicht anders sein.
„Kommt sofort da runter!“, schrie ich ihm zu. „Das Verhalten, das Ihr gerade an den Tag legt ist mehr als kindisch. Nur weil Ihr jetzt Flügel habt, heißt das nicht, dass Ihr dem Täter einfach wegfliegen könnt. Ob Ihr da oben bleibt als Geier oder als Mensch hier unten, das ändert nicht viel.“
Jedenfalls glaubte ich, dass das der Grund dafür war warum sich der Könling weigerte sich zurückverwandeln zu lassen. Dass er nun doch noch von etwas getroffen worden war, musste ihn sehr aufgewühlt haben. Das entschuldigte aber nicht, dass er dabei war sein Volk zu vernachlässigen.
„Wollt Ihr etwa für immer ein Vogel bleiben?!“
„Das bringt auch nichts“, meinte einer der Magier mit einem gehässigen Blick. „Am besten verlasst ihr das Schloss; ausrichten könnt ihr ja offensichtlich nichts. Du, dein Freund, und das Schaf. Und nehmt das Plotbunny mit.“
„Sie bleiben.“
Alle Magier zuckten zusammen sobald sie die Stimme hörten. Sie war von meiner Schulter gekommen, wo sich der Frosch, der vorher übersehen worden war, nun zu voller Größe aufrichtete. Das war zwar nicht besonders groß, aber die Aufmerksamkeit der berobten Vollidioten hatte er trotzdem.
„E-eure Hoheit“, stammelte der Magier und wedelte mit seiner Ratte. „Ihr seid aus eurem Zimmer…?“
„Bisher hat sie mehr fertiggebracht als ihr“, fuhr der Prinz ungerührt fort.
Alle Blicke wanderten zum geirigen König hinauf, der tatsächlich ein wenig tiefer flog und direkt über meinem Kopf kreiste. Er schien darauf zu warten, dass ich noch etwas sagte.
„Bitte kommt runter, eure Majestät“, sagte ich, nun etwas ruhiger. „Wir werden schon herausfinden wer dafür verantwortlich ist, aber dazu müsst Ihr uns erzählen was vorgefallen ist.“
„Sie hat Recht“, meinte der Froschprinz und quakte zur Bestätigung. „Es ist nicht besonders witzig sein ganzes Leben ein Tier zu sein. Ich muss es wissen. Flüche können besser gebrochen werden je weniger Zeit vergangen ist seit der Fluch einen getroffen hat.“
Unausgesprochen verbarg sich in dem Satz wohl, dass es in seinem Fall zu spät war. Eine Welle Mitleid überrollte mich wieder. Armer Kerl. Der Geier zögerte. Zuerst flog er etwas tiefer, dann machte er sich wieder an den Aufstieg, vermutlich um seine Runden durch den Theosaal fortzusetzen.
„KOMMT VERDAMMT NOCHMAL DA RUNTER!“, schrie ich den Könling an.
All Personen im Saal sahen mich entgeistert an. Sogar Blues Grinsen war eingefroren. Ich vermutete, dass niemand jemals so mit dem Könling gesprochen hatte. Na dann wurde es Zeit. Wenn es funktionierte, war es das wert.
Funktionieren tat es, denn der Könling legte einen beeindruckenden Sturzflug hin. Ich duckte mich – falls er doch sauer war, weil ich ihn angeschrien hatte – und brachte außerdem den Froschprinzen außer Sicht. So richtig sicher, dass er nicht doch komplett ein Geier war und plötzlich Hunger auf Frosch bekommen hatte, war ich mir nämlich nicht. Glücklicherweise landete er nur auf dem Boden direkt vor uns, sehr zur Überraschung der Magier. Sie überwanden sich jedoch sehr schnell und machten das Netz klar.
„Wenn ihr mir das Ding über den Kopf werft, seid ihr alle gefeuert!“, schrie der Geier.
Einige der Magier ließen vor Schreck das Netz los, andere warfen es, wieder andere klammerten sich daran fest. Das Resultat des Ganzen war, dass das Netz über den Magiern selbst landete und diese sich so darin verhedderten, dass der ganze Haufen zu Boden ging.
„Ihr… könnt sprechen, Eure Majestät?“, fragte der Magier mit der Ratte.
„Allerdings. Und pack die Ratte weg!“ Der Geier klapperte wütend mit dem Schnabel. „Und das Netz gleich mit.“
Das würde sich als schwierig erweisen, denn bisher hatten es nur zwei Magier geschafft sich aus dem Ding zu befreien. Der Rest war immer noch hoffnungslos verheddert.
„Aber Eure Majestät, wir müssen Euch zurückverwandeln!“
„Wenn ihr nicht einmal wusstest, dass ich sprechen kann, wie wollt ihr dann den Fluch brechen?“
Da hatte der Könling nicht ganz Unrecht. Wenn die nicht einmal wussten was genau das für ein Fluch war, gab es keine große Chance gab, dass sie ihn lösen konnten. Andererseits würde der Könling keine andere Wahl haben wenn er wieder ein Mensch werden wollte.
„Eure Hoheit, ich denke Ihr müsst sie es zumindest versuchen lassen. Oder gibt es hier andere, qualifiziertere Magier?“, fragte ich. Um meine Worte besonders eindringlich zu machen fügte ich eine Verbeugung hinzu.
„Mmh.“ Der Geier klapperte wieder mit dem Schnabel, dieses Mal nachdenklich. „Ihre bisherigen Versuche sprechen nicht gerade für sich.“
Es folgte ein Seitenblick auf seinen Sohn, was mir die Situation erst richtig klar machte. Hier sprach gerade der Könling, der ein Geier war, mit seinem Sohn, der ein Frosch war. Wenn das nicht surreal war, wusste ich nicht wie man die Angelegenheit noch seltsamer machen konnte. Oh, doch. Man füge einen Haufen strampelnder Magier in einem goldenen Netz, einen Magier mit einer toten Ratte in der Hand und ein Schaf hinzu. Gut durchmischen und heraus kam die Truppe aus dem Theosaal.
Besagtes Schaf war zu uns herübergetrottet und sah mich mit treuherzigem Blick an. Als es auf den Geier zulief, wich dieser einige Schritte zurück, blieb dann aber stehen und streckte seinen langen Hals aus.
„Das tut doch nichts, oder?“, fragte der König und neigte den Kopf.
Äh… das tat doch nichts. Oder? Fraßen Schafe Geier? Nun ja, das wohl kaum. Andererseits konnte man sich in diesem verrückten Land nicht sicher sein. Dann wiederum war das hier Freundschaf und allein der Name zeigte, dass es unwahrscheinlich war ihm so etwas zuzutrauen.
„Nein, das tut nichts.“
Das stellte sich als Lüge heraus, denn es tat sehr wohl etwas. Nur war das etwas, das niemand erwartet hätte, nicht in einer Million Jahre. Die versammelten Magier stießen erstickte oder weniger erstickte Schreie aus und Blue fiel vor lauter Schreck das Brötchen herunter, das er irgendwo statt des Popcorns aufgetrieben hatte.
Freundschaf stupste den Geier mit der Nase an, der daraufhin in einem Schauer aus Funken verschwand und als Könling in Morgengarderobe vor uns auftauchte. Er kauerte auf dem Boden, richtete sich dann jedoch zu voller Größe auf und rückte seine Krone zurecht.
„Und ob das was tut!“, meinte er mit aufgerissenen Augen. „Wie habe ich nur all die Jahre ohne Schaf durchgehalten?“

3 Kommentare:

  1. Das nenn ich mal ne Überraschung... und die Szene wär noch absurder wenn Blue wirklich Popcorn gegessen hätte.

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    1. Ich habe erst überlegt, ob ich ihm eine Tüte beschaffen soll, aber ich glaube nicht, dass die das so schnell hätten herzaubern können. Also gab's nur ein Brötchen. ^^

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    2. Naja <.< Sie hätten ihm ne Tüte Mais herzaubern können ^^ Sein Gesicht hätte ich gerne gesehen XD

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