Es
war tiefste Nacht als wir zum Haus der Hexe zurückkehrten. Nur in ihrem
Arbeitszimmer brannte noch Licht. Im Warteraum war niemand. Mit Klopfen hielt
ich mich nicht auf, sondern stürmte durch alle Türen bis ins Arbeitszimmer. Sie
stand mit dem Rücken zu mir, vor ihr ein feinmaschiger Vogelkäfig.
„Ich
habe inzwischen alle Schleifen eingefangen. Zuerst wollte ich die ja nass
machen und einfrieren, weil die mich so geärgert haben, aber das habe ich nicht
fertig gebracht.“ Sie deutete auf den Käfig. „Also habe ich einen alten
Vogelkäfig mit feinen Netzen überzogen und die kleinen frechen Flatterdinger da
reingesetzt. Toll finden die das nicht, aber ich fände es auch nicht besonders
toll sie wieder jagen zu müssen.“
Endlich
drehte sie sich zu mir um. Die anderen waren ein wenig zurückgeblieben, außer
Blue, der keuchend im Türrahmen lehnte. Meine Oma lief noch irgendwo vor dem
Haus herum, da sie kaum noch gerade stehen konnte und ihren Regenschirm als Stütze
missbrauchte. Ich war den ganzen Weg hierher gerannt.
„Was
ist los?“, fragte die Hexe als sie einen Blick auf mein Gesicht warf. „Oh.“
Ihre Augen waren weit geworden.
„Warum
hast du uns nichts gesagt?!“, schrie ich sie an.
Sie
versuchte einen Schritt zurückzuweichen, doch da stand ihr Schreibtisch und
versperrte ihr den Weg. Sehr gut. Keine Fluchtmöglichkeit.
„Die
ganzen Fallen! Der Rum und die Sahne gingen ja noch, aber warum diese scheiß
verdammte Falltür?!?!“
Ich
kochte vor Wut. Die hatte mich im Griff seit ich mich vom Boden des Hexenhauses
erhoben hatte. Sie war das einzige, was mich dazu gebracht hatte überhaupt
aufzustehen.
„Wer“,
flüsterte Estelle.
„WAruM?!“
Meine Stimme überschlug sich. Wenn ich weiter so brüllte würde ich heiser werden,
aber es scherte mich einen feuchten Dreck. „Sie hätte nicht sterben müssen wenn
du uns vorgewarnt hättest!“
„Aber
das konnte ich nicht“, stammelte die Hexe. „Es ist Teil des Fluchs, damit
niemand geht und mich davon befreit! Aber als ich gesehen habe, dass ihr
Freundschaf dabeihabt und die Hand… ihr wart die ersten, die überhaupt eine
Chance hatten!“
„Ach
halt den Rand!“
Mittlerweile
kreischte ich nur noch. Ein winziges bisschen höher und ich würde nur mit
meiner Stimme die Einmachgläser zertrümmern können. Das wäre doch genau die
richtige Strafe. So ein richtiger Tropensturm in diesem hübschen kleinen Haus
dieser fiesen kleinen Hexe.
„Beruhige
dich, Mia.“
Blue
umfasste mich von hinten. Anscheinend war er meinem Blick gefolgt und hatte
keine Lust auf einen Tropensturm. Allerdings war der Effekt der Stärkepillen
längst vorbei und er hatte nur noch seine normale Kraft. Die war zwar immer
noch beachtlich, doch ich war wütend. Und wenn ich wütend war, dann kam das dem
Ausbruch eines Vulkans gleich.
„Ich
werde mich nicht beruhigen! Und jetzt lass mich los!“, schrie ich ihn an.
Meine
Oma war hinter uns in der Tür erschienen. Neben ihr im Türrahmen stand
Freundschaf mit Hannes auf seinem Rücken. Die Feder an meinem Hals war immer
noch warm.
„Lass
mich los, jetzt sofort“, funkelte ich ihn an.
Wenn
Blicke töten könnten wäre Blue augenblicklich umgefallen. Wenn ich das
einstellen könnte wie meine Oma mit ihrem Starb, wäre er zumindest ohnmächtig.
Die Phoenixfeder war mir die ganze Zeit warm vorgekommen, doch nun verbrannte
sie mir regelrecht die Haut.
„Lass mich los!“
Die
Wut, die sich in meinem Inneren befand, breitete sich als Druckwelle im Zimmer
aus. Nun zersprangen die Gläser doch. Der Käfig mit den Schleifen verbog sich
und Blue sowie die Hexe wurden zurückgeschleudert. Blue landete weich auf
Freundschaf. Estelle landete weit weniger weich auf ihrem Schreibtisch.
Alle
starrten mich entgeistert an. Vom Regal her erhob sich der Minitropensturm und
nahm langsam an Geschwindigkeit und Größe zu. Estelle riss ihren Blick von mir
los und knallte stattdessen eine Holztruhe, die ebenfalls durch den Raum
geflogen war, über den Sturm und schloss in darin ein.
Das
Glas mit dem Ministerium war nur umgefallen. Anscheinend war der Fluch, der es
gefangen hielt wirklich stark. Alle anderen Tränke, Flaschen, Falschen und
Krüge waren jedoch zersprungen und verteilten ihren Inhalt über sämtliche
Regale und den Boden. Wo sich Substanzen vermischten, gab es teilweise Funken,
oder Pflanzen sprossen plötzlich aus dem Boden.
Estelle
stand direkt vor mir. Ich könnte sie umbringen, vor allem jetzt, wo ich bemerkt
hatte wie mächtig die Feder sein konnte. Aber mit der Druckwelle war auch all
meine Wut verraucht und ich fühlte mich wieder leer. Ich lehnte mich gegen den
Türrahmen und schloss die Augen. Dann wartete ich auf die Tränen. Doch es kam
keine einzige mehr. Vielleicht waren sie alle aufgebraucht, Tränen des
Schmerzes und Tränen der Wut.
Neben
mir schoss eine seltsame türkis-weiß gefleckte Pflanze in die Höhe und als es
an der Decke nicht weiterging, durchbrach das Gewächs diese kurzerhand, um nach
draußen zu wachsen. Kurz ertönte noch ein Poltern als das Dach eingerissen
wurde und einige Ziegeln den Abgang machten, dann war Stille.
„Phoenix?“,
fragte Estelle zögerlich.
„Ja“,
bestätigte Blue. „Sie ist in die Hefe gefallen.“
„Das
tut mir leid.“
Er
schnaubte nur und lehnte sich an den anderen Türrahmen. Das machte mir bewusst,
dass ich nicht die einzige war, die wütend war. Den anderen ging es nicht
besser. Nur hatten die sich besser unter Kontrolle. Da standen wir nun, alle
aufgereiht. Nur eine fehlte.
„Mäh“,
machte Freundschaf und schob einen Beutel hinüber, den es den ganzen Weg über
getragen hatte.
Gut
für Estelle. Hätten Blue oder ich ihn gehabt wäre das Zeug bei meinem
sprichwörtlichen Wutausbruch zu Bruch gegangen. Immer noch zögernd griff
Estelle nach dem Beutel und legte ihn auf den Schreibtisch ohne sich den Inhalt
genauer anzusehen.
„Es
tut mir wirklich unendlich leid“, sagte sie erneut.
Der
Ernst in ihrer Stimme ließ mich aufblicken. Sie sah mir genau in die Augen und
ich hatte ein wenig das Gefühl ein Plotbunny anzusehen. Ich sollte ihr
verzeihen. Wenn sie die Wahrheit sagte, konnte sie nichts dafür. Und sie hatte
uns gewarnt, dass es gefährlich werden würde. Auf ihre Weise. Trotzdem brachte
ich nur eine gleichmütige Maske zustande. Sie konnte um Verzeihung bitten
solange sie wollte. Zumindest von mir würde sie sie nie bekommen.
„Wie
hast du das eben gemacht?“, fragte sie, als sie sah, dass sie von mir keine
Antwort erhalten würde. „Du bist keine Hexe, das hätte ich gespürt.“
Ich
zog nur die Kette mit der Phoenixfeder unter meinem Oberteil hervor. Sie leuchtete
wieder und pulsierte wie ein lebendiges Wesen. Immer noch hatte ich das Gefühl,
dass ein Teil von Phoenix in dieser Feder weiterlebte. Und nicht nur von ihr.
Auch von der unbekannten Magierin, die sie geliebt hatte.
„Eine
sehr mächtige Magierin muss das erschaffen haben“, flüsterte Estelle
ehrfürchtig.
Die
Blicke von Blue und meiner Oma konnte ich immer noch auf mir spüren. Ich war so
voller Wut und Trauer gewesen, dass ich ihnen noch nicht gesagt hatte was
Phoenix mir vermacht hatte.
„Sie
hat sie dir geschenkt?“, fragte meine Oma nun sanft.
Ich
nickte nur, aus Angst, dass ich wieder anfangen würde zu schreien sobald ich
den Mund aufmachte. Oder zu schluchzen, denn ich spürte die Tränen nun doch
kommen. Dieses Mal kämpfte ich dagegen an. Für heute hatte ich genug geweint.
Ich hatte den Rest meines Lebens um weitere Tränen zu vergießen.
„Estelle,
vielleicht solltest du deinen Fluchbrecher zusammenbrauen“, meinte meine Oma
liebenswürdig. „Wir würden uns gerne irgendwo hinlegen, um uns auszuruhen. Es
war eine anstrengende Nacht.“
Das
war die Untertreibung des Jahrhunderts. Ich starrte Estelle erneut wütend an
und die zuckte zusammen. Die Feder um meinen Hals gab einen helleren
Lichtimpuls aus.
„Mia.“
Meine Oma griff nach meiner Schulter. „Wir haben immer noch eine Mission zu
erfüllen. Jetzt müssen wir es außerdem für Phoenix tun.“
Wie
schlaftrunken nickte ich. Blue nahm meinen Arm und zog mich aus dem Raum,
während meine Oma nach Betten oder Sofas fragte. Es gab sogar Betten.
Anscheinend pflegte Estelle manchmal Kranke hier, die nicht aus eigener Kraft
nach Hause laufen konnten. Verdammte gute Hexe. Haha.
In
diesen Betten machten wir es uns bequem. Fluffles kuschelte sich an meinen
Hals, als würde es spüren, dass ich heute Nacht Trost brauchte. Trotzdem machte
ich die ganze Nacht kein Auge zu.
Phoenix‘
Robbe hatte die Nacht ebenfalls in meinem Bett begonnen. Sie hatte sich wieder
in eine richtige Robbe zurückverwandelt, da es niemanden mehr gab, der sie als
Robe tragen würde. Sie gab ab und zu ein klagendes „Oi“, von sich, war aber
ansonsten still.
Irgendwann
in der Nacht verschwand sie einfach aus meinem Bett. Nicht so, dass sie
aufgestanden wäre oder Ähnliches, sondern dass sie wirklich verschwand. Ich
vermutete, dass sie zum Sonnenschrein zurückgekehrt war, da ihre Trägerin
gestorben war. Die Robben würden bei uns bleiben bis wir unseren Auftrag
ausgeführt hatten, hatte man uns gesagt. Oder anscheinend bis wir dabei
versagten.
Freundschaf schien bemerkt zu haben, dass ich vor Trauer nicht schlafen konnte, denn es hockte sich neben mein Bett und ließ meine Tränen in seine Wolle laufen. Das rhythmische Geräusch von Freundschafs Atemzügen und das gleichmäßige Schnaufen mussten mich irgendwann eingeschäfert haben, denn am nächsten Morgen stellte ich fest, dass ich tatsächlich geschlafen hatte.
Freundschaf schien bemerkt zu haben, dass ich vor Trauer nicht schlafen konnte, denn es hockte sich neben mein Bett und ließ meine Tränen in seine Wolle laufen. Das rhythmische Geräusch von Freundschafs Atemzügen und das gleichmäßige Schnaufen mussten mich irgendwann eingeschäfert haben, denn am nächsten Morgen stellte ich fest, dass ich tatsächlich geschlafen hatte.
Die heilende Kraft eines Tieres... kann viel viel bewirken bei so etwas.
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