Mittwoch, 3. Dezember 2014

33. Kapitel



„Leidgarde?“, fragte ich, um das unangenehme Schweigen zu brechen, das beim Abgang des Könlings entstanden war.
„Ist praktisch die Jobbeschreibung“, erklärte der Wachmann. Seine Mundwinkel zuckten, was wohl bedeutete, dass es nur eine halb ernst gemeinte Jobbeschreibung war. „Ist das eine echte Robbe?“, fragte er im Gegenzug. „Ich hätte schwören können, dass ich sie vorhin atmen gesehen habe.“
„Jap. Das sind die magischen heiligen Robben aus dem Tempel der Sheba, Göttin der flinken Finger“, informierte ich ihn. „Und das ist Freundschaf.“
„Mäh“, machte Freundschaf.
Der Wachmann starrte es einige Sekunden lang an, dann räusperte er sich. „Sollen wir dann mit der Führung beginnen? Oder wollt ihr lieber gleich eure Gemächer beziehen?“
Blue und ich sahen uns an. „Die Zimmer beziehen“, sagten wir unisono.
„Dann erzähle ich euch nur auf dem Weg wo wir vorbeikommen.“
Das schien ein guter Kompromiss zu sein und wir verließen den Theosaal durch dieselbe Tür wie der Könling.
„Gleich hier direkt vor dem Theosaal gehen ein paar Türen ab. Eine Tür führt zur räudigen Küche, die andere zum Schlafzimmer des Könlings und diese zum Zimmer seines Sohnes. Und ja, die Küche ist echt fies“, sagte er nachdem er meinen ungläubigen Blick gesehen hatte. „Da würde ich nicht hingehen wenn es sich vermeiden lässt.“
Da sich in der Küche die Sache mit dem Gift ereignet hatte, würde es sich wohl nicht vermeiden lassen. Aber vielleicht ließ es sich ja aufschieben.
Auf dem Weg zu unseren „Gemächern“, wie der Wachmann sie nannte, gab es noch einige Türen zu sehen. Ich würde mir niemals merken können wo die alle hinführten und welche man möglichst vermeiden musste und begann nach etwa fünf Minuten nicht mehr zuzuhören.
Als wir endlich unsere Zimmer erreichten war ich einfach nur erleichtert. Blues und meine Räume lagen direkt nebeneinander und waren außerdem durch eine Tür verbunden.
„Ist das nicht unpraktisch?“, fragte ich den Wachmann. „Wenn man gerade nicht will, dass der Zimmernachbar durchgeht, aber beide einen Schlüssel haben…“
„Oh, es ist eine Doppeltür. Nur wenn beide die Tür auf ihrer jeweiligen Seite aufgeschlossen haben gibt es einen Durchgang. Er wurde allerdings erst entdeckt als diese Zimmer restauriert wurden. Davor stand ein Schrank davor. Da es sich hierbei um die Gemächer von Könling Eduard und seiner heimlichen Geliebten Kunigunde gehandelt hat war die Gerüchteküche ganz schön am Brodeln als diese Entdeckung gemacht wurde.“
„Aha.“
Ehrlich gesagt waren mir Könling Eduard und Kunigunde ziemlich Wurscht. Was mich interessierte war das Himmelbett, das ich durch die offene Tür erspäht hatte.
„Falls Sie jetzt schon ins Bett gehen, wünsche ich eine gute Nacht. Falls Sie vorher anfangen Ihre Nachforschungen anzustellen, wünsche ich viel Erfolg.“ Der Wachmann übergab uns die Zimmerschlüssel, verbeugte sich und ging.
Im rechten Zimmer auf dem Himmelbett lag mein Rucksack, also nahm ich an, dass es meins sein sollte. Blue hatte seinen schon im Nebenzimmer erblickt und war bereits durch die Tür verschwunden.
„Und wohin willst du?“, fragte ich Freundschaf.
„Mäh“, machte Freundschaf und ging vor mir ins Zimmer.
Das erste Mal fiel mir auf, dass ich nicht einmal wusste, ob Freundschaf männlich oder weiblich war. Wenn ich es so betrachtete, war es mir egal. Es war eben Freundschaf, nicht mehr und nicht weniger.
Das Zimmer war in Rot- und Goldtönen gehalten. An den Wänden wechselten sich die beiden Farben in regelmäßigen Abständen ab und waren aus Brokat, das mit Rankenmuster versehen war. Die Lampe des Zimmers war natürlich ein goldener Kronleuchter, der mich ein wenig an den in der Nachtschicht erinnerte, auch wenn diese Kristalle mit ziemlicher Sicherheit echt waren. Das Himmelbett war so groß, dass mindestens fünf Leute darin Platz haben würden. Die Vorhänge, die es zu allen Seiten umgaben, waren aus weißem Stoff, der fast durchsichtig schien und beim leichtesten Luftzug hin und her wehte.
Auf dem Nachttisch neben dem Bett fand ich zu meiner großen Freude meinen Bogen, den Köcher mit Pfeilen und das dreiklinkige Messer. Letzteres steckte ich mir sofort wieder in die Hosentasche.
Auf einmal begann es zu klopfen. Ich zuckte zusammen, erinnerte mich dann aber an die Eduard-Kunigunde Tür. Erst der zweite Schlüssel, den ich ins Schloss steckte, funktionierte und direkt vor mir stand Blue, der seine Tür von der anderen Seite aus geöffnet hatte.
„Ganz schön riesig die Zimmer hier“, meinte er.
In der Hand hielt er sein heißgeliebtes Schwert. Da es mir zu blöd war einfach nur in der Tür herumzustehen ging ich zurück in mein Zimmer und hockte mich auf den Teppich. Blue folgte mir, zögerte aber als ich Fluffles aus meiner Tasche zog, es vor mich auf den Boden setzte und ihm ein Blatt Wortsalat vorsetzte.
„Du bist echt unmöglich“, kommentierte Blue das Ganze.
Wenn das alles war, was er zu meinem Plotbunny zu sagen hatte, dann war ich erleichtert. Ich hatte ehrlich gesagt erwartet, dass er mit dem Schwert auf mein Bunny-Baby losgehen würde.
Während mein Bunny glücklich seine Wörter mümmelte, begann das Tageslicht mehr und mehr zu schwinden und dafür breitete sich die flackernde Helligkeit der entzündeten Fenster aus. Fasziniert ging ich zu meinem Fenster und berührte vorsichtig das Glas, das ein seltsames Licht auszuströmen schien, sodass es aussah als sei es entzündet. Außerdem bestand es aus vielen bunten Glassteinen. Das viel zu helle Bunt fiel vielfach gebrochen durch das Lichtglasfenster, sah dabei aber so schön aus, dass ich es länger betrachten wollte.
Ich setzte mich auf eins der rot-goldenen Sofas, die direkt darunter standen. Da die Fenster bis fast auf den Boden reichten, konnte ich immer noch hindurchschauen ohne aufzustehen.
Plötzlich huschte ein milchiger Schemen über die Glasscheibe. Ich versuchte ihn mit dem Finger zu fangen, doch er wechselte den Platz auf der Scheibe.
„Was ist das für ein Ding?“, fragte ich Blue.
Der war neben mich getreten, obwohl er sich immer wieder nach Fluffles umdrehte, als könnte das Bunny gleich einen Fluchtversuch starten.
„Das sind Scheibengeister“, erklärte er. „Das sind zum Beispiel die kleinen Viecher, die sich im Gewächshaus immer an die Brille klammern, sodass man nichts mehr sieht. Vor allem im Winter sind die echt nervig.“
Jetzt erst erinnerte ich mich daran dass Blue ein Brillenträger war. Bisher hatte ich ihn nur einmal ohne Brille gesehen, und zwar am ersten Morgen in der Drachenschenke.
Ein plötzliches Rascheln hinter mir ließ mich herumfahren.
„Keine Sorge. Das waren nur Mäuse. Du glaubst doch nicht etwa an den Polstergeist, oder?“
Lachend schlug ich mit einem Sofakissen nach ihm.
„Der einzige Polstergeist hier bin ich!“

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