Montag, 1. Dezember 2014

31. Kapitel



Der Namm hatte Recht behalten. In der Stadt gingen uns alle aus dem Weg und mieden sogar unsere Blicke. Einige der Leute hatten, wie ich irgendwann bemerkte, Brandwunden an den Armen oder Beinen. Diese Stadt war echt gruselig.
Trotzdem fanden wir etwas in einem Laden. Blue hatte gesagt, dass wir dringend noch eine andere Waffe als den Bogen brauchte. Im Nahkampf war ich hoffnungslos unterlegen – und im Fernkampf eigentlich auch, wenn ich ehrlich war. Wenn ich nicht gerade stinksauer auf jemanden war, konnte ich ein Ziel auf zwanzig Meter nicht treffen.
Der Waffenladen war deshalb die erste Anlaufstelle gewesen. Dort lagen mehrere Messer im Schaufenster aus, genau wie Morgensterne, Schwerter oder andere, meistens sehr scharfe, Dinge. Besonders angetan war Blue von einer bestimmten Waffe, auch wenn ich etwas skeptisch war. Die Klinke in meiner Hand war rasiermesserscharf; eine Waffe wie von einem Meisterschmied erschaffen. Allerdings war es immer noch eine Klinke, weshalb mir die ganze Sache nicht geheuer vorkam.
„Und damit soll ich kämpfen? Das ist eine Klinke! Sowas gehört an Türen, nicht an einen Gürtel!“
„Aber junges Fräulein!“, protestierte der Verkäufer. „Schauen Sie nur mal hier; ist das nichts? Das neuste Modell! Das dreiklinkige Messer!“
Mit diesen Worten zog er unter seinem dunkelroten Umhang ein seltsam geformtes Messer mit drei Klinken hervor und stach einer Puppe im Laden direkt zwischen die Augen. Die Puppe sah so aus als hätte sie schon öfter Bekanntschaft mit Waffen gemacht, denn aus vielen Löchern hing ihre Füllwatte und ihr fehlte ein Bein. Was die fehlende Gliedmaße anging, tippte ich darauf, dass jemand ein Schwert hatte ausprobieren wollen. Es musste ein besonders scharfes Exemplar gewesen sein.
„Stimmt, das Ding ist nicht übel. Sind die Klinken auch einklappbar?“, wollte ich wissen. Falls ich das Teil mitnahm, wollte ich mir nicht aus Versehen ins Bein schneiden.
„Oh ja!“, ereiferte sich der Verkäufer. Er demonstrierte sogleich wie man die äußersten Klinken anfassen musste um sie einklappen zu können und warnte dezent, dass man dabei auf seine Finger aufpassen musste.
„Ich glaube das nehme ich.“
Und so kam es dazu, dass ich stolze Besitzerin einer dreiteiligen Klinke wurde. Ich wusste nur nicht, ob ich mich darüber freuen sollte, dass ich jetzt beim Kampf nicht mehr nur daneben stehen konnte, sondern eingreifen musste.
Danach gingen wir zurück zum Haus des Namm. Zum Abendessen gab es Milchreis, wie angekündigt. Der Reis schien darüber nicht erfreut zu sein und versuchte durch die Haustür zu entkommen, aber Blue trieb ihn mit der Reissäge zusammen und schaffte es den Reis irgendwie in den Topf zu bekommen. Da die Wohnung doch recht klein war, bestanden Blue und ich darauf, dass der Namm in seinem Bett schlief und wir zwei uns, genau wie ursprünglich geplant, das Sofa teilten. Es war nicht das bequemste Bett aller Zeiten, aber gegen die Nacht, die ich gestern mit den zwei Blues verbracht hatte, war es der Himmel.
Freundschaf machte es sich auf einer Decke auf dem Boden bequem, obwohl ich kurz überlegt hatte es als weiches Kopfkissen zu verwenden. Dazu war das Sofa leider zu klein. Ich war so müde, dass ich es nicht einmal bemerkte als Blue mir die Decke klaute. Das fand ich erst heraus als ich am nächsten Morgen aufwachte und ihn wie in einem Kokon eingewickelt darin fand.
Direkt nach dem Frühstück, sobald die Sonne aufgegangen war, machten wir uns auf den Weg zum Schloss des Könlings. Der Namm begleitete uns noch bis an die Grenze des Dorfes und ein kleines Stück weiter damit uns ja keine Stuhlmenschen nachkamen, dann verabschiedete er sich mit einer Einladung doch mal wieder vorbeizukommen.
Nachdem das Schloss einmal in Sicht gekommen war, war es schwer zu verfehlen. Es war ein gigantischer, hellrosa Bau mit sechs Türmchen, die in regelmäßigen Abständen aus dem Hauptgebäude ragten. Von dem kleinen Hügel aus auf dem standen konnten wir die Mauer sehen, die das gesamte Schlossgelände umzog, sowie den Brunnen in der Mitte des Gartens und die gut gepflegten Gartenanlagen rund um das Anwesen. Überall befanden sich hellgelbe Blumen, die zusammen fast heller leuchteten als die Sonne und in Form einer Krone eingepflanzt waren.
Nur an einer Ecke waren die Blumen ausgerissen worden und es war braune Erde zu sehen, wie ein Fleck auf der Krone. Einige Leute, die von hier aus klein wie Ameisen erschienen, waren gerade damit beschäftigt die Ecke neu zu bepflanzen. In meinem Kopf entstand sofort das Bild einer Horde Plotbunnys, die sich über die Blumen hermachten. Ich wusste aus irgendwelchen Gründen, dass ich Recht hatte.
Kurze Zeit später standen wir vor dem Tor in der Mauer. Zwei Wachmänner in roten Uniformen mit goldenen Knöpfen standen dort, vermutlich um zu verhindern, dass ungewünschte Gäste sich Zutritt verschafften. Als wir unsere Namen und unser Anliegen vortrugen, wurde beides auf einer Liste geprüft. Bei Freundschaf stockten sie etwas, doch da es ebenfalls angemeldet war, nickten sich die beiden zu und ließen uns passieren. Außerdem klingelten sie nach einem Diener, der sich vor uns verneigte und uns den Weg zum Könling zeigen wollte.
Mir kam es so vor als würde der Weg durch das Schloss länger dauern als das Schloss vom Namm aus zu erreichen. Allein die riesige Eingangshalle zu durchqueren nahm mehrere Minuten in Anspruch. Sie war so hoch, dass mehrere Elefanten übereinandergestapelt darin Platz gehabt hätten und beinhaltete außerdem zwei riesige Treppen. Beide führten auf den gleichen Absatz, begannen jedoch an den jeweils entgegengesetzten Enden des Raumes. Wenn man die Größe von eben diesem bedachte, machte es sogar Sinn, denn sonst würde es Ewigkeiten brauchen, um eine Treppe zu erreichen.
Danach ging es durch eine große Anzahl Zimmer, die alle prunkvoll eingerichtet waren, aber keinen wirklichen Nutzen zu erfüllen schienen. Auch kam es mir vor als würden wir im Kreis laufen, was mich zu der Vermutung führte, dass der Könling entweder noch nicht bereit war uns zu sehen, oder angeordnet hatte, dass man uns eine Schlossführung gab.
Endlich wurden wir jedoch vor einer großen Tür stehen gelassen, mit der Erklärung das sei der Theosaal des Könlings. Wenn ich sagte es war eine große Tür, dann war das die Untertreibung des Jahrhunderts. Wie in der Eingangshalle war auch hier die Decke so hoch, dass ein kleines Hochhaus hineingepasst hätte – was sich wieder mit meiner Theorie deckte, dass wir da geendet waren wo wir angefangen hatten – und die Tür war etwa halb so hoch. Wenn man wieder mein Beispiel mit den Elefanten heranzog, konnte man immer noch drei übereinanderstellen bis der oberste mit dem Rüssel das Ende der Tür erreichen konnte.
Also warteten wir. Und warteten. Und warteten. Und warteten. Als sich schließlich etwas tat war es nicht was wir erwarteten, nämlich dass sich die Tür öffnete, sondern zwei Wachen erschienen.
„Bitte legen Sie alle Waffen ab, die sie am Körper tragen und geben Sie ihr Gepäck an uns ab. Sie werden es nach Ihrem Besuch unangetastet zurückerhalten“, leierte einer der Kerle.
„Was? Wir haben eine Audienz! Mr. Ian Woon selbst hat für uns gebürgt! Und da wollen Sie trotzdem noch unsere Waffen haben?“, rief Blue empört.
Dabei ruhte sein Blick vor allem auf dem Piratenschwert, das sein neuer Lieblingsgegenstand geworden zu sein schien. Ich musste zugeben, dass es mir auch nicht behagte meinen Bogen abzugeben und auch keine meiner anderen Besitztümer. Andererseits handelte es sich hier um einen König – oder Könling – und man hörte oft, dass die meisten von ihnen paranoid waren.
„Gib doch einfach dein Zeug ab. Und denk dran, Blue. Mr. Ian Woon hat für uns gebürgt, wie du gesagt hast, was bedeutet, dass hier die Hölle los ist wenn sie unsere Sachen anfassen.“
Die zwei Wachen sahen sich entsetzt an, was ich ignorierte. Der Satz war sowohl zur Beruhigung für Blue sowie als Warnung für alle anderen Anwesenden gedacht. Unsere Waffen wurden in eine Kiste getan und es tat mir wirklich leid als ich mein neues, dreiklinkiges Messer darin verschwinden sah. Danach begannen die Männer Blue abzutasten, was er missmutig über sich ergehen ließ. Als sie sich mir zuwandten, standen wir allerdings vor einem Problem, das die Wachen erst erkannten als ich sie darauf aufmerksam machte.
„Leute? Ich bin ein Mädchen. Ihr seid Männer. Das mit dem Abtasten ist keine so gute Idee. Habt ihr nicht eine Wachfrau für sowas?“
Die beiden wurden knallrot. Wievielen Frauen hier eine Audienz gewährt wurde konnte man daran auch erkennen. Anscheinend gab es auch keine Wachfrau, denn nachdem die beiden keine Dienerin hatten auftreiben können, die das für sie übernahm, ließen sie mich einfach nur den Inhalt meiner Taschen vorzeigen. Als sie danach begannen sogar Freundschaf abzutasten konnte ich den Lachkrampf nicht mehr zurückhalten.
„Das ist ein Schaf“, erinnerte ich sie. „Wenn dem nicht jemand ein Messer in die Wolle gebunden hat, werdet ihr nichts finden. Ihr wisst, dass da nichts ist.“
Aber obwohl die Wachen das wussten und ich wusste, dass sie das wussten, hieß das noch lange nicht, dass sie Freundschaf guten Gewissens passieren lassen konnten ohne es untersucht zu haben. Dann – endlich – konnten wir den Theosaal betreten.
Der war glücklicherweise nicht ganz so hoch wie die Eingangshalle, denn sonst hätten wir die schönen Deckenmalereien nicht bestaunen können. Deren Beschreibung hätte ein ganzes Buch füllen können, da es sich dabei scheinbar um die Geschichte des Könlingreiches handelte.
Ganz am anderen Ende des Theosaals, also wieder eine Weltreise entfernt, stand ein Thron, genauso riesig wie die Proportionen der anderen Räume vermuten ließen. Die verschnörkelten, goldenen Ornamente reichten bis an die Decke. Dabei konnte man beinah den Mann übersehen, der inmitten all der Pracht saß. Es führten einige Stufen zu ihm hinauf, sodass er sprichwörtlich über allen anderen thronte. Über allen außer seiner Könlingin zumindest, für die direkt neben ihm ein Platz reserviert war. Allerdings war die wohl gerade anderweitig beschäftigt, denn ihr Thron war leer.
Vor seinem Thron waren etwa ein Dutzend Wachmänner aufgestellt und zusätzlich zwei rechts und links von seinem Thron. Okay, der war definitiv paranoid. Vor den Stufen blieben Blue und ich stehen, doch der Könling nahm noch keine Notiz von uns. Er hatte ein Smartphone in der Hand und war dabei wütend darauf herumzutippen.
„Ich hatte Mr. Ian Woon versprochen Bescheid zu sagen wenn sie da sind“, grummelte er in einen fachmännisch gestutzten Bart. „Und jetzt funktioniert das Ding nicht.“
Blue und ich sahen uns fragen an. Blue hob eine Augenbraue. Das war jedenfalls nicht der Könling, den wir erwartet hatten. Er bearbeitete immer noch wütend den Bildschirm des kleinen Geräts.
„Ich gebe auf“, meinte er schließlich. „Holt mir den Hoftechnikfritzen sobald die Besprechung vorbei ist.“
Einer der Wachmänner an seiner Seite nickte. Damit war sie Sache wohl beschlossen, denn der Könling bemerkte uns endlich und sah uns erwartungsvoll an. Oh. Na klar. Der wollte, dass wir uns vor ihm verneigten, ging mir auf. Also machte ich einen Knicks, Freundschaf eine seltsame kleine Verrenkung und Blue, der nicht von selbst auf den gleichen Gedanken gekommen war, verbeugte sich einige Sekunden später. Vielleicht war er auch nur verwundert über die Smartphone-Geschichte.
„Willkommen in meinem bescheidenen Schloss“, verkündete der Könling.
Bescheiden, dass ich nicht lachte. Wenn das hier bescheiden war, lebte ich in bitterer Armut, dem Tode nah. Außerdem wäre seine salbungsvolle Stimme beeindruckender gewesen wenn wir ihn nicht vorher mit seinem Smartphone gesehen hätten. Die hohen Herren hatten eben dieselben Problemchen wie der Rest der Welt. Die Technik machte vor niemandem Halt.
„Mr. Ian Woon hat bereits angekündigt, dass Ihr euch vorstellen würdet, obwohl er nicht erklärt hat was euer Anliegen genau ist. Solange es damit zu tun hat die Plotbunnys aufzuhalten, habt ihr meine vollste Unterstützung.“
Er neigte den Kopf, was wohl als sowas wie eine Verbeugung anzudeuten war und gleichzeitig eine Aufforderung zu erzählen warum wir ihn belästigten.
„Eure Majestät“, sagte ich schnell, da es um Blues Höflichkeit immer noch nicht besonders gut bestellt war. „Wir sind tatsächlich mit der Mission betraut worden ein Mittel gegen die Plotbunnyinvasion zu finden. An dieser Stelle will ich mich persönlich dafür bedanken, dass Ihr Eure Boden nach Schreibstadt geschickt habt. Einige von ihnen haben mir in einer schwierigen Situation sehr geholfen.“
Der Könling neigte erneut den Kopf um meinen Dank entgegenzunehmen und gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich weiterreden sollte. Na dann. Jetzt kam der schwierige Part, bei dem er seine Wortwahl von vorhin mit der „vollsten Unterstützung“ vermutlich zurücknehmen würde.
„Momentan versuchen wir die Traveling Shovel of Death zu erhalten, weil wir die Hoffnung haben, dass sie gegen die Bunnys etwas ausrichten kann.“
Oder auch nicht. Ich hoffte immer noch, dass wir eine andere Lösung finden würden. Wie zur Bestätigung dieses Gedankens bewegte sich Fluffles in meiner Brusttasche. Nein, nicht ausgerechnet jetzt rauskommen!, flehte ich.
„Es gibt Gerüchte, dass sich die Traveling Shovel of Death, vielleicht unbemerkt, in Eurer Schatzkammer befindet“, schloss ich.
Das Gesicht des Könlings war tatsächlich versteinert, genau wie ich es erwartet hatte. Wenn es um die persönliche Sicherheit und um das eigene Gold ging, war es vorbei mit der vollsten Unterstützung.
„Deutet Ihr damit an, dass Ihr einen Blick in meine Schatzkammer werfen wollt? Und dass Ihr, falls sich die Traveling Shovel of Death dort befinden sollte, sie mitnehmen und zur Bunnybekämpfung einsetzen würdet?“
Okay, jetzt kam der wirklich schwierige Part.
„Es wäre uns eine Ehre wenn Ihr uns einen Blick in die Schatzkammer erlauben würdet. Sollte das nicht möglich sein, würden wir darum bitten sie gründlichst durchsuchen zu lassen. Falls wir oder Eure Diener dabei die Traveling Shovel of Death finden sollten, würden wir es sehr begrüßen wenn wie sie mitnehmen könnten. Sofern es sich einrichten lässt würde sie nach der erfolgreichen oder nicht erfolgreichen Bunnybekämpfung natürlich an Euch zurückgehen.“
Puh. Das einfach mal so zu formulieren sollte mir wer nachmachen. Blue sah ebenfalls beeindruckt aus, doch der Könling wirkte lediglich nachdenklich.
„Das ist eine große Bitte, die Ihr da habt.“
Ach ne. Das war mir auch klar. Fluffles regte sich erneut in meiner Tasche und als ich nach unten schielte sah ich, dass ein kleines Ohr herausragte. Ich konnte mir auch vorstellen wieso. Weil Blue und der Namm dabeigewesen waren, war ich heute nicht dazu gekommen mein Bunnybaby mit Wortsalat zu füttern.
„Bitte bleib in der Tasche“, nuschelte ich in Fluffles‘ Richtung.
„Nun gut. Eine Bitte gegen eine Bitte. Solltet Ihr es schaffen mir einen Gefallen zu tun, dürft ich in meine Schatzkammer gehen und euch einen Gegenstand mitnehmen. Sei das die Traveling Shovel of Death oder etwas anderes“, verkündete der Könling.
Etwas anderes? Oje, das würde kompliziert werden. Wenn es einfach wäre, würde er uns nicht die Erlaubnis geben uns mehr oder weniger in seiner Schatzkammer zu bedienen falls wir erfolgreich waren.
Fluffles regte sich erneut und ein zweites Ohr tauchte aus meiner Brusttasche auf.
„Nein, Fluffles. Runter“, zischte ich. „Wir nehmen diese Herausforderung gerne an“, sagte ich laut an den Könling gewandt.
„Gut. Dann werdet ihr herausfinden… Ist das ein Plotbunny?“, fragte er entsetzt und seine Augen wurden rund.
Fluffles hatte vollends den Kopf aus der Tasche gestreckt und fuhr sich mit einer Pfote über das rechte Ohr um sich zu putzen.
„Ihr wagt es ein Plotbunny in mein Schloss zu bringen?!“
„Mäh“, machte Freundschaf anschuldigend.

1 Kommentar:

  1. Ich kann mir sowohl die Szene als die Wachen Mia abtasten wollen und als Fluffles auftaucht bildlich vorstellen... bin gespannt wies weitergeht.

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