Aus
den Scherben, die einstmals eine Kristallkugel gewesen waren, stieg eine dünne
Rauchfarbe auf. Ich zog meinen Finger hindurch und kurz kräuselte sich der
Rauch um ihn, änderte seine Farbe und stieg dann weiter auf.
„Die
ist gestern auch zu Bruch gegangen“, sagte Estelle ohne jede Anschuldigung in
der Stimme. „Aber keine Sorge, ich brauche die nicht mehr zum Zukunft
vorhersagen.“
An
ihrer Erscheinung hatte sich nicht viel geändert und doch alles. Noch letzte
Nacht hatte sie ihr Mittelchen zu Ende gebraut und es eingenommen. Ich hatte
von meinem Bett etwas gehört, das mir erschienen war wie ein gigantischer
Sturm, der durch das Haus gefegt war. Ein Sturm, der unglaubliche Kraft mit
sich brachte.
Diese
Kraft schien aus jeder ihrer Poren, drang bis ins Ende jeder Haarfaser. Es war
ein Unterschied wie Tag und Nacht. Außerdem fehlte das Stirnband, das sie
gestern noch getragen hatte. Das Band war gebrochen.
Das
Arbeitszimmer sah immer noch aus als hätte jemand einen Polterabend
veranstaltet. Das zerbrochene Glas und die Keramik lagen in einer Ecke des
Raumes, notdürftig zusammengefegt. Die Pflanzen wucherten ungehindert dort, wo
sie gestern gewachsen waren.
„Sollen
wir?“, fragte Estelle. „Ich werde jedem von euch die Zukunft vorhersagen. Da
das eine sehr persönliche Sache ist, werde ich jeden einzeln hereinbitten.“
Wir
alle wurden auf die Stühle im Empfangsbereich verfrachtet. Einige Leute waren
bereits hier vorbeigekommen, um einen Termin bei Estelle zu beantragen, doch
sie hatte alle abgewiesen. Heute wurde nur aufgenommen wer schwer verletzt oder
verflucht war. Wir hatten außerdem ausgiebig gefrühstückt. Es hatte sogar Toast
und Nutella gegeben, doch es war das erste Mal, dass mir selbst das nicht
geschmeckt hatte.
Zuerst
ging, zu unser aller Überraschung, Freundschaf in das Zimmer. Aber genau wie
wir hatte es ein Recht darauf seine Zukunft zu erfahren. Einmal mehr fragte ich
mich was es mit Freundschaf auf sich hatte. Manchmal verhielt es sich wie ein
normales Schaf, dann wieder tat es so seltsame Sachen wie Geheimgänge finden,
Flüche lösen und sich die Zukunft vorhersagen lassen.
Noch
mysteriöser machte es die Tatsache, dass es sich uns freiwillig angeschlossen
hatte als wir im Kloster gewesen waren. Das hatte die Oberin sehr betont. Seine
Ziele waren mir absolut schleierhaft. Andererseits interessierten sie mich
längst nicht mehr. Freundschaf gehörte einfach dazu.
Es
kam mit seinem gleichmütigen Schafsgesichtsausdruck aus dem Raum und ließ sich
in einer Ecke nieder. Was Estelle ihm gesagt hatte, würde wohl für immer ein
Rätsel bleiben.
Danach
kam Blue dran. Dann meine Oma. Als nächstes Hannes. Dann war ich dran. Auch wenn ich nicht gut auf
die Hexe zu sprechen war, musste ich zugeben, dass ich aufgeregt war. Die
Zukunft war für mich immer ein unbeschriebenes Blatt gewesen und für mich war es als würde ich
erfahren, dass jemand unbemerkt Notizen in meinen Block gekritzelt hatte.
„Setz
dich bitte, Mia.“
Estelle
saß hinter ihrem Schreibtisch. Um sie herum war alles zerbrochen, doch das störte
sie nicht. Ich hockte mich auf den Stuhl, der extra vom Aufenthaltsraum hierher
gebracht worden war – alle Stühle hier drin hatte ich während meines
Wutausbruchs gestern ebenfalls zerstört.
Eine
Weile lang sah die Hexe mich nur an, den Kopf mal in die eine, mal in die
andere Richtung geneigt. Dann legte sie ihre Hand mit der Handfläche nach oben
auf den Tisch.
„Leg
deine Handfläche in meine“, forderte sie mich auf.
Ich
überwand mich uns tat was sie gesagt hatte. Ihre Hand war genauso warm wie die
Feder an meinem Hals. Die Wärme strömte durch meine Finger, durch meine Hand,
meinen Arm und von dort durch meinen ganzen Körper. Gleichzeitig wusste ich,
dass das hier keine böse Magie war und hielt still.
Estelle
schloss derweil die Augen. Das ging ein paar Minuten so, bis sie mich
schließlich mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck ansah.
„Ich
habe schon so einigen Leuten ihre Zukunft vorhergesagt, aber bisher hatte ich
keine Gruppe, die so schwierig zu lesen aber gleichzeitig so interessant war“,
meinte sie. „Es ist wirklich außerordentlich schwer eure Zukunft vorherzusagen.“
Dann
war meine Idee mit dem weißen Blatt vielleicht doch nicht so schlecht gewesen.
„Du
wirst einmal eine mächtige Waffe führen“, begann sie ihre Vorhersage.
Das
beeindruckte mich weniger. Ich hatte bereits einmal den Starb geschwungen, die
Phoenixfeder könnte auch als mächtiger Gegenstand gelten und wir hatten vor die
TSoD zu finden. Soweit keine Überraschung.
„Das
habe ich außerdem sowohl Marga als auch Blue gesagt“, erklärte Estelle. „Was
auch bei euch allen gleich ist, ob du, deine Oma, Blue, Freundschaf, oder Prinz
Johannes, ist, dass ihr alle Großes vollbringen könnt, wenn ihr die Chance dazu
nutzt.“
Da wir
uns gerade auf einer Mission befanden um das NaNo-Land zu retten, war auch das
zu erwarten gewesen. Estelle griff meine Hand ein wenig fester als könnte sie
ihr zusätzliche Informationen entlocken.
„Sowohl
bei dir als auch bei Blue habe ich den Wald gesehen, in Verbindung mit der
Waffe. Das könnte bedeuten, dass sich die Traveling Shovel of Death in diesem
Wald befindet. Es könnte aber auch nur bedeuten, dass ihr in den Wald gehen
werdet und Leute mit dem Starb verprügelt.“
Langsam
fragte ich mich ob sie die Zukunft oder eher die Vergangenheit sah. Leute im
Wald mit dem Starb zu verprügeln hörte sich bekannt an.
„Du
bist eine sehr komplizierte Person, Mia. Fast alle anderen konnte ich zumindest
etwas über ihr Liebesleben verraten. Aber du… nichts. Da ist absolut gar
nichts. Vielleicht liegt es daran, dass du die Feder trägst. Vielleicht liegen
auch noch so viele Entscheidungen vor dir, dass es unmöglich ist auch nur
annähernd vorauszusagen wofür du dich entscheiden wirst. Das einzige, was ich
dir sagen kann, ist, dass deine Entscheidungen wichtig sein werden.“
Na
super. Da hätte ich auch zu einer Jahrmarktwahrsagerin gehen können. Das hätte
mir genauso viel gebracht. Trotzdem bedankte ich mich artig und ging in den
Vorraum zu meinen wartenden Freunden.
„Und?“,
fragte meine Oma gespannt.
Ich
zuckte mit den Schultern. „Sie konnte mir nicht viel sagen.“
„Mir
hat sie gesagt, dass ich eine erfüllte Liebe genießen werde“, sagte meine Oma
mit träumerischem Blick.
Sofort
musste ich an sie und den Piratenkapitätän Lurz denken und das erste Lächeln
seit gestern huschte über mein Gesicht. Dann war vielleicht doch etwas Gutes
bei der ganzen Zukunftssache herausgekommen.
„Mir
konnte sie sagen, dass ich einmal ein sehr geschickter Kämpfer werde“, prahlte
Blue.
Das
konnte ich mir auch gut vorstellen. Falls er einmal sein loses Mundwerk unter
Kontrolle bekommen würde und sich ernsthaft mit etwas beschäftigte, würde er es
weit bringen.
„Was
ist mit dir?“, fragte ich Hannes. „Hat sie dir zufällig gesagt ob dein Fluch
irgendwann mal gebrochen wird?“ Das fände ich zumindest interessant zu wissen.
„Naja“,
druckste er herum. „Das konnte sie nicht so gut sehen. Aber die Möglichkeit
besteht wohl.“
„Immerhin
etwas“, meinte ich aufmunternd, weil er den Kopf gesenkt hielt.
Freundschaf
zu fragen machte nicht viel Sinn, da es sein „Mäh“ schon beigesteuert hatte,
was vermutlich seine Beschreibung davon war was ihm erzählt worden war.
Die
Tür zum Arbeitszimmer ging auf und Estelle trat heraus. „Habt ihr euch alles
erzählt was ihr erzählen wolltet? Gut. Ich habe versucht noch mehr
herauszufinden.“
Gute
Neuigkeiten.
„Dabei
ist leider auch nicht viel herausgekommen.“
Schlechte
Neuigkeiten.
„Aber
vielleicht hilft es euch trotzdem. Ich habe bei Mia und Blue eine starke Waffe
und den Wald gesehen, was bedeuten könnte, dass sich die Traveling Shovel of
Death irgendwo in diesem Wald befindet. Es könnte natürlich auch Humbug sein,
aber das ist die beste Spur, die ihr habt. Außerdem gibt es eine Legende.“
„Was
für eine Legende“, hakte Oma nach als Estelle stockte.
„Nehmt
nicht alles für bare Münze. Es ist, wie gesagt, eine Legende und selbst ich
weiß nicht wie viel Wahrheit dahinter steckt. Aber in diesem Wald soll es einen
Mund der Dares geben. Er soll mitten im Wald stehen und jeder Person eine
einzelne Frage beantworten, egal was für eine Frage. Er könnte euch vielleicht
sagen wo sich die Traveling Shovel of Death befindet. Außerdem gibt er den
Leuten Dares für ihre Geschichten.“
„Was
sind Dares?“, fragte ich.
„Das
sind sowas wie Schreibherausforderungen. Zum Beispiel baue eine sprechende Kristallkugel in deine Geschichte ein und wenn
du das tust, hast du den Dare angenommen“, meinte meine Oma. „Ich habe mal
einen Gesangswettbewerb…“
„Jaja,
schon gut. Wo befindet der sich?“, fragte ich und musterte Estelle.
„Irgendwo
in der Mitte des Waldes. Mehr weiß ich leider auch nicht.“
Super.
Irgendwo mitten im Wald war keine
besonders genaue Ortsangabe. Und was sollten wir tun? Die unheimlich vielen
Leute, die durch den Wald liefen, nach dem Weg fragen?
„Außerdem:
Hütet euch vor dem Zaunkönig. Er ist ein durch und durch böses Wesen, das sich
im Wald versteckt. Es wird behauptet mit seinem Laserblick kann er ganze
Gebäude pulverisieren. Lauft ihm besser nicht über den Weg und falls doch,
rennt so schnell ihr könnt. Ansonsten wünsche ich euch, dass eure Auftrag
gelingen möge.“
„Danke“,
meinte meine Oma. „Wir werden es auf jeden Fall versuchen. Eine andere Chance
haben wir ja nicht.“
„Ich
hoffe ihr werdet euren Auftrag erfüllen können. Ich hoffe außerdem, dass ihr
mir irgendwann verzeihen werdet“ dabei sah sie bewusst in meine Richtung „und
dass ihr hier vorbeischaut wenn ihr die Zeit findet. Ihr seid immer
willkommen.“
Meine
Oma bedankte sich erneut, ebenso wie Blue und Hannes. Ich brachte ein knappes
Nicken zustande. Außer guten Ratschlägen gab uns Estelle auch noch Verpflegung
für mehrere Tage mit. Dann verließen wir das Hexenhaus.
Wir
beschlossen, dem Pfad, der sich vom Hexenhaus weiter in den Wald schlängelte,
zu folgen. Irgendwann würden wir ihn verlassen müssen, das war mir jetzt schon
klar, aber wenn wir sowieso keine Ahnung hatten wo genau wir hin mussten und
die einzige Richtungsangabe war, tiefer in den Wald zu gehen, war diese
Möglichkeit genauso gut wie jede andere. Der überwucherte Waldweg ging bald in
einen schmalen Trampelpfad über, der als trockenem, humorlosen Boden bestand,
statt des trockenen, humosen Bodens den es um das Hexenhaus herum noch gegeben
hatte.
Einmal
sah ich eine Bewegung in einem Baum und blieb stehen.
„Wie
wahrscheinlich ist es, dass eine Eule Schwert genug ist, um einen Ast unter
sich zu durchtrennen?“, fragte ich.
Die
anderen folgten meinem Blick zu der Eule mit den metallenen Krallen, die gerade
einen Ast durchsäbelte.
„In
diesem Wald? 100%“, sagte Blue.
Sowas
hatte ich schon befürchtet. Solange wir von der nicht angegriffen wurden, war
mir alles recht.
Schon
bald war nicht einmal der Trampelpfad gut zu erkennen. Ich hatte die faltbare
Katze herausgenommen und wieder weggesteckt, da keinerlei andere Wege in dieser
Ecke des Waldes verzeichnet waren. Misstrauisch nahm ich den Zeigefinder
heraus. Error-not found, kam als
Antwort als ich ihn nach dem Mund der Dares fragte. Überraschenderweise zeigte
er mir allerdings an in welcher Richtung es zur Mitte des Waldes ging. Das war
ein Anfang.
Gegen
die Mittagszeit, nachdem wir gerastet und gegessen hatten, wurde das
Durchkommen noch schwerer. Wir kämpften uns nur noch durch dichtes Unterholz.
Besonders Freundschaf tat das nicht gut, da es mit seiner langen Wolle in allen
Zweigen hängen blieb. Mittlerweile sah es eher aus wie ein Igel als wie ein
Schaf. Hannes hatte ich vorsichtshalber von Freundschaf genommen und in meine
Robbentasche getan, damit er nicht von einem Ast getroffen wurde.
Plötzlich
trat ich auf etwas Weiches, doch ich hatte bereits Gewicht auf meinen Fuß
gelegt. Ein Donnerzwerg knackte unter meinem Fuß. Ein Geräusch wie der Donner
einer Kanone entstand und ließ uns alle zusammenzuckten. Der Knall verbreitete
sich wie ein Echo zwischen den Bäumen, sodass mindestens alle Lebewesen von
hier bis zum Haus der Hexe unsere Anwesenheit bemerkt haben mussten.
„Tschuldigung“,
murmelte ich, sowohl zu meinen Gefährten, als auch zu dem Zwerg, der sich
mühsam von der Sohle meines Stiefels schälte und wütend mit den Fäusten fuchtelnd
im Unterholz verschwand.
„Hey,
was ist das für ein Geräusch?“, fragte Blue plötzlich.
„Das
war ein Donnerzwerg“, erklärte meine Oma. „Die knacken wenn…“
„Nein,
was das ist weiß ich“, unterbrach er sie. „Was ist das andere? Das hört sich an
als würde jemand mit einer Sense Gras mähen…“
Ich
lauschte angestrengter und hörte was Blue beschrieben hatte. Ein seltsames Schwiss-schwisch, das näher zu kommen
schien. Ich meinte außerdem zwischen einigen Bäumen weiter weg Bewegungen
erkennen zu können. Es schälten sich Gestalten heraus, die schneller näher
kamen, zusammen mit dem Geräusch.
Um sie herum schienen Büsche und Sträucher zu fallen wie frisch gemähtes Gras. Sie ritten auf ihren Schwertern schnell wie der Wind durch den Wald. Und sie sahen nicht freundlich aus.
Um sie herum schienen Büsche und Sträucher zu fallen wie frisch gemähtes Gras. Sie ritten auf ihren Schwertern schnell wie der Wind durch den Wald. Und sie sahen nicht freundlich aus.
Hab ich was überlesen... oder hat die Oma den Raum wo die Hexe die Vorhersagen gemacht hat nie betreten.
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