Marga
erwachte als ein Jammerjunge in den Raum huschte und das Feuer im Ofen neu
schnürte. All seine Kleidung war so grau wie die Asche und seine Füße waren
bar. Er wickelte einen Draht um die Flamme und zog ihn hin und her bis die
Flamme wieder hoch aufloderte. Dann schnürte er den Draht zu und rieb sich die
Hände, die seltsamerweise nicht verbrannt waren.
Als
er sah, dass er sie geweckt hatte, verbeugte er sich kurz und verschwand dann
durch die Tür. Sie wartete darauf das vertraute Geräusch des sich drehenden
Schlüssels zu hören, doch dieses Mal blieb die Tür geöffnet. Dann dürften sie
sich jetzt wohl nach dem Geheimraum umsehen.
Langsam
kroch Marga unter ihrer Robbe hervor, die immer noch schlief und deren Pelz
sich langsam hob und senkte. Auch Phoenix war noch am Schlafen. Deshalb machte
sie sich daran das Zimmer zu erkunden. Zu mehr als die Daumenbettwäsche zu
entfernen war sie gestern nicht mehr fähig gewesen.
In
einer Ecke des Raumes war ein kleines Bücherregal angebracht. Man musste sich
bücken um es zu erreichen, doch Marga zog es magisch an. Sie ging in die Hocke
und zog eines der Bücher heraus, doch bevor sie es auch nur aufschlagen konnte,
fuhr ein brennender Schmerz durch ihre Hand.
Marga
schrie auf und taumelte zurück. Phoenix setzte sich augenblicklich auf und
Margas Robbe fiel vor lauter Schreck von der Matratze.
„Was
ist passiert?“, fragte Phoenix schlaftrunken.
Marga
fasste mit ihrem rechten Handgelenk nach ihrer rechten Hand. Diese befand sich
nämlich leider nicht mehr dort wo sie hingehörte, sondern lag auf dem Boden. Es
gab weder Blut noch tat es besonders weh, denn wo eigentlich entweder eine Hand
oder eine Wunde sein sollte war nur glatte Haut.
„Ach
du liebe Güte! Da hat mich wohl ein Fluch getroffen.“
Mehr
interessiert als entsetzt musterte sie ihre Hand, die ihr fröhlich zuwinkte.
„Was?!“
Phoenix
war nun auch aus dem Bett. Marga ging auf sie zu, während ihr abgetrenntes
Körperteil hinter ihr herlief wie ein Händchen, das seinem Besitzer folgte,
wohin auch immer er gehen mochte. Dabei lief es auf allen fünf Fingern, was der
Hand ein spinnenähnliches Aussehen verlieh.
„Marga…
deine Hand!“
Phoenix
starrte entsetzt auf das Händchen, das nun mit den Fingern wackelte und dann
versuchte am herunterhängenden Zipfel von Phoenix‘ Robbe auf die Matratze zu
klettern.
Marga
hob ihre eigene Robbe auf und warf sie sich um. Dann hielt sie ihrem verlorenen
Körperteil die Hand hin, die noch mit ihrem Arm verbunden war. Die Hand zögerte
kurz und krabbelte dann auf ihren Arm und auf Margas andere Hand. Marga steckte sie in eine Tasche der
Robbe, in der Hoffnung, dass sie dort sicher war.
„Braves
Händchen. Was für ein Glück, dass ich beidhändig bin, nicht wahr?“, meinte
Marga freundlich und kraulte die Hand in ihrer Tasche am Mittelfinger.
„Allerdings hoffe ich schon, dass ich die bis zum November wiederhabe. Mit
einer Hand zu schreiben ist nicht ganz einfach.“
Phoenix
starrte sie immer noch entgeistert an. Marga wollte versuchen sie zu beruhigen.
Das hier war nur ein schwacher Fluch. Die richtig fiesen brachten Opfergaben
mit sich, tiefschwarze Magie und Rituale. Es war nicht damit getan nur ein
verfluchtes Buch anzufassen. Und selbst falls ihre Hand bis zum November nicht
an ihrem angestammten Platz sein würde, wären die Nonnen im Kloster der Wunder
gewiss bereit ihr ein Wunder zu überlassen sobald sie wieder gesund waren.
Bevor
sie jedoch auch nur eine ihrer Schlussfolgerungen teilen konnte, ertönte ein
unheimliches Rascheln in der hinteren Ecke des Raumes.
„Das
kam aus dem Kleiderschrank“, stellte Marga fest. „Ich gehe mal nachsehen.“
„Bist
du sicher, dass du noch etwas anfassen willst?“, fragte Phoenix zweifelnd.
Marga
zuckte nur mit den Schultern. „Besser ich als du. Eine von uns sollte voll
funktionsfähig bleiben. Wenn du mich fragst sollte das diejenige mit den
agileren Gliedmaßen sein.“
Wobei
das momentan sie war. Wer konnte schon von sich behaupten seine Hand meterweit
von sich strecken zu können? Dass diese dabei selbstständig war, stellte
eventuell ein kleines Problem dar, aber Marga konnte durchaus Vorteile
erkennen.
Ohne
zu zögern ging sie zum Schrank hinüber und öffnete die Tür. Dann grinste sie
sich um und lächelte Phoenix zu.
„Das
ist nur ein Mann in Unterhose. Nichts Gefährliches.“
„Ein…
was?“
Phoenix
war nun endgültig wach und starrte in den Kleiderschrank. Marga vermutete
stark, dass es sich bei dem leicht bekleideten Mann um den Wachmann von gestern
handelte, der nur knapp den Krokodielen entkommen war. Dafür sprach, dass er
den Finger an die Lippen gelegt hatte und sie mit flehendem Blick ansah.
„Bitte,
verratet mich nicht. Der Hamster lässt mich sonst umbringen!“
„Natürlich
nicht“, versicherte Marga ihm.
Sie
machte den Fehler zu versuchen ihm beruhigend den Arm zu tätscheln, wobei sie
vergaß, dass ihr einer Arm nun in einem Stumpf endete. Die Augen des Wachmanns
wurden noch größer und ähnelten schließlich Tellern als die Hand einige Finger
aus der Tasche steckte und ihm freundlich zuwinkte.
„Sie
wissen nicht zufällig wo sich der Geheimraum im Schloss befindet?“, fragte sie
höflich, den Gesichtsausdruck des Mannes ignorierend.
„N-nein“,
stammelte der Wachmann, immer noch auf das Händchen starrend.
„Das
ist ungeschickt.“
Die
anderen beiden schienen immer noch in Schock zu sein. Ihnen jetzt mit Theorien
zu kommen wo man nach der Geheimkammer suchen könnte würde sie bestimmt
überfordern. Also schlenderte Marga stattdessen zum Fenster, um sich einen
Überblick zu verschaffen. Draußen sah sie etwas, das sie sofort ablenkte.
„Wer
ist das?“, fragte sie.
Der
Mann, scheinbar dankbar sich nützlich machen zu können, hievte sich aus dem
Schrank. Er blickte ebenfalls hinunter auf die schmale, hagere Gestalt, gehöllt
in einen Wolledermantel, die eine ganze Horde Kinder herumzukommandieren
schien.
„Das
ist Lucy“, erklärte er. „Sie ist für die Kinder zuständig, die als „Salat des
Bösen“ geboren wurden.“
„Salat
des Bösen?“, fragte Marga interessiert. Tatsächlich sahen die meisten der
Kinder nicht sonderlich vertrauenswürdig aus. Ihre Handtasche würde sie ihnen
jedenfalls nicht überlassen.
„Ja.
Der Wortsalat, den sie schreiben ist…“ Er schauderte. „Wirklich abgrundtief
böse. Das ist die Geheimwaffe des Hamsters, die Waffe gegen Plotbunnys. Sobald
sie den Wortsalat essen, den diese Kinder fabrizieren, werden sie vergiftet und
sterben daran.“
„Könnte
das ein Mittel sein, um die Plotbunnys loszuwerden?“, fragte Marga.
Ausgerechnet
hier ein alternatives Mittel gegen die Plage zu finden war unerwartet.
Allerdings behagte es ihr nicht bei dem Gedanken Lucy und den Salat des Bösen
zur Bekämpfung der Bunnys zu nutzen. Etwas an ihnen war einfach falsch.
„Oh
nein!“ Der Wachmann bestätigte ihr Bauchgefühl. Er sah geradezu schockiert aus.
„Das ist eine durchaus böse Methode. Niemand bei Verstand sollte sich mit Lucy
anlegen.“
„Wickeln
Sie sich besser in die Daumendecke“, schlug Marga vor. „Ich könnte mir
vorstellen, dass Ihnen ziemlich kalt geworden ist wenn Sie die ganze Nacht in
unserem Schrank gehockt haben.“
„Ich
wusste, dass man Sie einschließen würde“, meinte der Mann. „Demnach schien mir
dieses hier das sicherste Zimmer zu sein.“
„Phoenix,
meinst du die geben uns Kleidung wenn wir danach fragen?“
Ihre
Kameradin sah ein wenig verunsichert aus. „Wir können es ja versuchen…“
„Gut,
dann ist das unsere erste Station. Danach sehen wir uns in der Burg um.
Vielleicht finden wir ja einen Hinweis auf den Geheimgang.“
„Der
Hamster befiehlt uns alle paar Monate danach zu suchen, aber niemand hat ihn
bisher gefunden“, sagte der Wachmann. „Wie können Sie so optimistisch sein? Vor
allem wenn Sie gerade Ihre Hand verloren haben!“
Er
schielte erneut auf die Hand, die nun spielerisch an ein paar Haaren der Robbe
zupfte. Marga lächelte nur erneut. Ihrer Erfahrung nach war Optimismus niemals
unangebracht. Manchmal führte eine gute Portion davon dazu, dass genau das
geschah, worauf man gehofft hatte.
Nachdem
sie einige Wachen gefragt hatten wie sie zum Hofschneider kamen und diese,
offensichtlich verwirrt von der Frage, stotternd Wegbeschreibungen zustande
gebracht hatten, fanden sie den gesuchten Raum.
Dominiert
wurde der Raum von Schwarz- und Grautönen. Es war generell eine sehr dunkle
Atmosphäre, in der Marga mit ihrer schneeweißen Robbe leuchtete wie eine
Fackel. Ihre blumige Kleidung zog ebenfalls sofort die Blicke des Schneiders
auf sich, der ihre lila Bluse und die blau gemusterte Hose ansah als seien sie
rosarote Plotbunnys, die sich zwischen seine Kreationen verirrt hatten.
Auch
die Frau, der er gerade mit ein paar Nadeln das Kleid, das sie trug, auf eine
vernünftige Länge absteckte, sah angeekelt auf sie herab.
„Welchen
Stoff hätten Sie gern für den Saum, Madenmoiselle?“, fragte der Schneider.
Nun
erst sah Marga, dass die Haare der Frau, die sie zuerst für weiße, dicke
Stränen gehalten hatte, Maden waren.
„Dieser
Stoff ist in Ordnung. Aber vergesst nicht, immer die Nähte zu prüfen, nicht,
dass da irgendwelche schattigen Gestalten wohnen. Die schattigsten Gestalten
tauchen immer in der Naht auf und ich will schließlich nicht verflucht werden.“
Der
Schneider nickte ernst und machte sich sofort daran jede Naht des Kleides
abzutasten.
„Und
fragen Sie was die da wollen“, flüsterte Die Madenmoiselle und deutete auf
Marga und Phoenix. „Dann gehen sie vielleicht schnell wieder. Von der Robbe
wird mir ganz anders.
Kurze
Zeit später verließen sie den Schneider mit einem fleckigen alten Mantel über
dem Arm. Es war nicht perfekt, doch bestimmt würde der Wachmann diesen Mantel
der Option vorziehen fast nackt herumzulaufen. Der Wachmann zeigte sich
wirklich dankbar als sie ihm ihre Ausbeute übergaben und Marga musste zugeben,
dass sie ebenfalls erleichtert war als die Unterhose aus ihrem Sichtfeld
verschwand.
Die
Hand in ihrer Tasche bewegte sich plötzlich. Sie versuchte anscheinend aus der
Robbe zu krabbeln, schaffte es aber nicht ganz sich zu befreien.
„Moment,
Kleine. Das haben wir gleich.“
Marga
kramte in der Tasche nach ihrer Hand. Vorsichtig, um sie nicht zu verletzten,
nahm sie das Händchen heraus und setzte es auf den Boden.
„Und
nun?“
Die
anderen zwei sahen sie mit dem Blick an, der ihr langsam nur allzu bekannt
vorkam. Die Hand ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern, sondern ging zum
Bücherregal hinüber, die sie ins Leben gerufen hatte. Entschlossen nahm Hand
das Buch in die Hand, an dem Marga sich heute Morgen den Fluch eingefangen
hatte.
Als
Marga versuchte das Buch ebenfalls zu berühren, schlug ihre Hand ihre Hand zur
Seite und wedelte drohend mit dem Zeigefinger.
„Du
willst dir doch die andere Hand nicht auch noch abfluchen lassen!“, rief
Phoenix entsetzt.
Da
war etwas Wahres dran. Also wartete Marga ab was ihre Hand vorhatte. Diese
schien einige Schwierigkeiten damit zu haben die Seiten des Buches
umzublättern, doch schließlich hielt sie bei einer Seite inne. Marga beugte
sich über die Wörter und begann zu lesen.
„Braves
Händchen!“, lobte sie als sie am Ende der Seite angekommen war.
„Was
hat sie gefunden?“, fragte Phoenix zweifelnd.
„Das
Buch, in dem der Geheimgang erwähnt wird. Kein Wunder, dass den nie jemand
gefunden hat. Wenn jeder seine Hand verliert, der dieses Buch anfasst, hat
keiner das Bedürfnis es zu lesen. Alle denken nur daran wie sie ihre Hand
wiederbekommen können. Dabei ist genau das der Schlüssel zum Buch.“
Wenn
man es so sah, war der Schutz des Buches genial. Nur ihre Hand war schlauer
gewesen. Diese hatte ihre Heldentaten für heute noch nicht beendet und klappte
das Buch zu, nur um aus dem hinteren Teil einen winzigen, silbernen Schlüssel
zu ziehen und triumphierend zu schwenken.
„Braves
Händchen“, sagte Marga erneut und kraulte die Hand an der Handfläche.
Die Blicke, die sich
Phoenix und der Wachmann hinter ihrem Rücken zuwarfen und die eindeutig fragten
ob sie noch alle Tassen im Schrank hatte, bemerkte sie nicht.
(Zitat) „Und fragen Sie was die da wollen“, flüsterte Die Madenmoiselle und deutete auf Marga und Phoenix. „Dann gehen sie vielleicht schnell wieder. Von der Robbe wird mir ganz anders.
AntwortenLöschenEin November mit nur einer Hand... nein Danke.