Donnerstag, 4. Dezember 2014

34. Kapitel



Marga erwachte als ein Jammerjunge in den Raum huschte und das Feuer im Ofen neu schnürte. All seine Kleidung war so grau wie die Asche und seine Füße waren bar. Er wickelte einen Draht um die Flamme und zog ihn hin und her bis die Flamme wieder hoch aufloderte. Dann schnürte er den Draht zu und rieb sich die Hände, die seltsamerweise nicht verbrannt waren.
Als er sah, dass er sie geweckt hatte, verbeugte er sich kurz und verschwand dann durch die Tür. Sie wartete darauf das vertraute Geräusch des sich drehenden Schlüssels zu hören, doch dieses Mal blieb die Tür geöffnet. Dann dürften sie sich jetzt wohl nach dem Geheimraum umsehen.
Langsam kroch Marga unter ihrer Robbe hervor, die immer noch schlief und deren Pelz sich langsam hob und senkte. Auch Phoenix war noch am Schlafen. Deshalb machte sie sich daran das Zimmer zu erkunden. Zu mehr als die Daumenbettwäsche zu entfernen war sie gestern nicht mehr fähig gewesen.
In einer Ecke des Raumes war ein kleines Bücherregal angebracht. Man musste sich bücken um es zu erreichen, doch Marga zog es magisch an. Sie ging in die Hocke und zog eines der Bücher heraus, doch bevor sie es auch nur aufschlagen konnte, fuhr ein brennender Schmerz durch ihre Hand.
Marga schrie auf und taumelte zurück. Phoenix setzte sich augenblicklich auf und Margas Robbe fiel vor lauter Schreck von der Matratze.
„Was ist passiert?“, fragte Phoenix schlaftrunken.
Marga fasste mit ihrem rechten Handgelenk nach ihrer rechten Hand. Diese befand sich nämlich leider nicht mehr dort wo sie hingehörte, sondern lag auf dem Boden. Es gab weder Blut noch tat es besonders weh, denn wo eigentlich entweder eine Hand oder eine Wunde sein sollte war nur glatte Haut.
„Ach du liebe Güte! Da hat mich wohl ein Fluch getroffen.“
Mehr interessiert als entsetzt musterte sie ihre Hand, die ihr fröhlich zuwinkte.
„Was?!“
Phoenix war nun auch aus dem Bett. Marga ging auf sie zu, während ihr abgetrenntes Körperteil hinter ihr herlief wie ein Händchen, das seinem Besitzer folgte, wohin auch immer er gehen mochte. Dabei lief es auf allen fünf Fingern, was der Hand ein spinnenähnliches Aussehen verlieh.
„Marga… deine Hand!“
Phoenix starrte entsetzt auf das Händchen, das nun mit den Fingern wackelte und dann versuchte am herunterhängenden Zipfel von Phoenix‘ Robbe auf die Matratze zu klettern.
Marga hob ihre eigene Robbe auf und warf sie sich um. Dann hielt sie ihrem verlorenen Körperteil die Hand hin, die noch mit ihrem Arm verbunden war. Die Hand zögerte kurz und krabbelte dann auf ihren Arm und auf Margas andere Hand. Marga steckte sie in eine Tasche der Robbe, in der Hoffnung, dass sie dort sicher war.
„Braves Händchen. Was für ein Glück, dass ich beidhändig bin, nicht wahr?“, meinte Marga freundlich und kraulte die Hand in ihrer Tasche am Mittelfinger. „Allerdings hoffe ich schon, dass ich die bis zum November wiederhabe. Mit einer Hand zu schreiben ist nicht ganz einfach.“
Phoenix starrte sie immer noch entgeistert an. Marga wollte versuchen sie zu beruhigen. Das hier war nur ein schwacher Fluch. Die richtig fiesen brachten Opfergaben mit sich, tiefschwarze Magie und Rituale. Es war nicht damit getan nur ein verfluchtes Buch anzufassen. Und selbst falls ihre Hand bis zum November nicht an ihrem angestammten Platz sein würde, wären die Nonnen im Kloster der Wunder gewiss bereit ihr ein Wunder zu überlassen sobald sie wieder gesund waren.
Bevor sie jedoch auch nur eine ihrer Schlussfolgerungen teilen konnte, ertönte ein unheimliches Rascheln in der hinteren Ecke des Raumes.
„Das kam aus dem Kleiderschrank“, stellte Marga fest. „Ich gehe mal nachsehen.“
„Bist du sicher, dass du noch etwas anfassen willst?“, fragte Phoenix zweifelnd.
Marga zuckte nur mit den Schultern. „Besser ich als du. Eine von uns sollte voll funktionsfähig bleiben. Wenn du mich fragst sollte das diejenige mit den agileren Gliedmaßen sein.“
Wobei das momentan sie war. Wer konnte schon von sich behaupten seine Hand meterweit von sich strecken zu können? Dass diese dabei selbstständig war, stellte eventuell ein kleines Problem dar, aber Marga konnte durchaus Vorteile erkennen.
Ohne zu zögern ging sie zum Schrank hinüber und öffnete die Tür. Dann grinste sie sich um und lächelte Phoenix zu.
„Das ist nur ein Mann in Unterhose. Nichts Gefährliches.“
„Ein… was?“
Phoenix war nun endgültig wach und starrte in den Kleiderschrank. Marga vermutete stark, dass es sich bei dem leicht bekleideten Mann um den Wachmann von gestern handelte, der nur knapp den Krokodielen entkommen war. Dafür sprach, dass er den Finger an die Lippen gelegt hatte und sie mit flehendem Blick ansah.
„Bitte, verratet mich nicht. Der Hamster lässt mich sonst umbringen!“
„Natürlich nicht“, versicherte Marga ihm.
Sie machte den Fehler zu versuchen ihm beruhigend den Arm zu tätscheln, wobei sie vergaß, dass ihr einer Arm nun in einem Stumpf endete. Die Augen des Wachmanns wurden noch größer und ähnelten schließlich Tellern als die Hand einige Finger aus der Tasche steckte und ihm freundlich zuwinkte.
„Sie wissen nicht zufällig wo sich der Geheimraum im Schloss befindet?“, fragte sie höflich, den Gesichtsausdruck des Mannes ignorierend.
„N-nein“, stammelte der Wachmann, immer noch auf das Händchen starrend.
„Das ist ungeschickt.“
Die anderen beiden schienen immer noch in Schock zu sein. Ihnen jetzt mit Theorien zu kommen wo man nach der Geheimkammer suchen könnte würde sie bestimmt überfordern. Also schlenderte Marga stattdessen zum Fenster, um sich einen Überblick zu verschaffen. Draußen sah sie etwas, das sie sofort ablenkte.
„Wer ist das?“, fragte sie.
Der Mann, scheinbar dankbar sich nützlich machen zu können, hievte sich aus dem Schrank. Er blickte ebenfalls hinunter auf die schmale, hagere Gestalt, gehöllt in einen Wolledermantel, die eine ganze Horde Kinder herumzukommandieren schien.
„Das ist Lucy“, erklärte er. „Sie ist für die Kinder zuständig, die als „Salat des Bösen“ geboren wurden.“
„Salat des Bösen?“, fragte Marga interessiert. Tatsächlich sahen die meisten der Kinder nicht sonderlich vertrauenswürdig aus. Ihre Handtasche würde sie ihnen jedenfalls nicht überlassen.
„Ja. Der Wortsalat, den sie schreiben ist…“ Er schauderte. „Wirklich abgrundtief böse. Das ist die Geheimwaffe des Hamsters, die Waffe gegen Plotbunnys. Sobald sie den Wortsalat essen, den diese Kinder fabrizieren, werden sie vergiftet und sterben daran.“
„Könnte das ein Mittel sein, um die Plotbunnys loszuwerden?“, fragte Marga.
Ausgerechnet hier ein alternatives Mittel gegen die Plage zu finden war unerwartet. Allerdings behagte es ihr nicht bei dem Gedanken Lucy und den Salat des Bösen zur Bekämpfung der Bunnys zu nutzen. Etwas an ihnen war einfach falsch.
„Oh nein!“ Der Wachmann bestätigte ihr Bauchgefühl. Er sah geradezu schockiert aus. „Das ist eine durchaus böse Methode. Niemand bei Verstand sollte sich mit Lucy anlegen.“
„Wickeln Sie sich besser in die Daumendecke“, schlug Marga vor. „Ich könnte mir vorstellen, dass Ihnen ziemlich kalt geworden ist wenn Sie die ganze Nacht in unserem Schrank gehockt haben.“
„Ich wusste, dass man Sie einschließen würde“, meinte der Mann. „Demnach schien mir dieses hier das sicherste Zimmer zu sein.“
„Phoenix, meinst du die geben uns Kleidung wenn wir danach fragen?“
Ihre Kameradin sah ein wenig verunsichert aus. „Wir können es ja versuchen…“
„Gut, dann ist das unsere erste Station. Danach sehen wir uns in der Burg um. Vielleicht finden wir ja einen Hinweis auf den Geheimgang.“
„Der Hamster befiehlt uns alle paar Monate danach zu suchen, aber niemand hat ihn bisher gefunden“, sagte der Wachmann. „Wie können Sie so optimistisch sein? Vor allem wenn Sie gerade Ihre Hand verloren haben!“
Er schielte erneut auf die Hand, die nun spielerisch an ein paar Haaren der Robbe zupfte. Marga lächelte nur erneut. Ihrer Erfahrung nach war Optimismus niemals unangebracht. Manchmal führte eine gute Portion davon dazu, dass genau das geschah, worauf man gehofft hatte.
Nachdem sie einige Wachen gefragt hatten wie sie zum Hofschneider kamen und diese, offensichtlich verwirrt von der Frage, stotternd Wegbeschreibungen zustande gebracht hatten, fanden sie den gesuchten Raum.
Dominiert wurde der Raum von Schwarz- und Grautönen. Es war generell eine sehr dunkle Atmosphäre, in der Marga mit ihrer schneeweißen Robbe leuchtete wie eine Fackel. Ihre blumige Kleidung zog ebenfalls sofort die Blicke des Schneiders auf sich, der ihre lila Bluse und die blau gemusterte Hose ansah als seien sie rosarote Plotbunnys, die sich zwischen seine Kreationen verirrt hatten.
Auch die Frau, der er gerade mit ein paar Nadeln das Kleid, das sie trug, auf eine vernünftige Länge absteckte, sah angeekelt auf sie herab.
„Welchen Stoff hätten Sie gern für den Saum, Madenmoiselle?“, fragte der Schneider.
Nun erst sah Marga, dass die Haare der Frau, die sie zuerst für weiße, dicke Stränen gehalten hatte, Maden waren.
„Dieser Stoff ist in Ordnung. Aber vergesst nicht, immer die Nähte zu prüfen, nicht, dass da irgendwelche schattigen Gestalten wohnen. Die schattigsten Gestalten tauchen immer in der Naht auf und ich will schließlich nicht verflucht werden.“
Der Schneider nickte ernst und machte sich sofort daran jede Naht des Kleides abzutasten.
„Und fragen Sie was die da wollen“, flüsterte Die Madenmoiselle und deutete auf Marga und Phoenix. „Dann gehen sie vielleicht schnell wieder. Von der Robbe wird mir ganz anders.
Kurze Zeit später verließen sie den Schneider mit einem fleckigen alten Mantel über dem Arm. Es war nicht perfekt, doch bestimmt würde der Wachmann diesen Mantel der Option vorziehen fast nackt herumzulaufen. Der Wachmann zeigte sich wirklich dankbar als sie ihm ihre Ausbeute übergaben und Marga musste zugeben, dass sie ebenfalls erleichtert war als die Unterhose aus ihrem Sichtfeld verschwand.
Die Hand in ihrer Tasche bewegte sich plötzlich. Sie versuchte anscheinend aus der Robbe zu krabbeln, schaffte es aber nicht ganz sich zu befreien.
„Moment, Kleine. Das haben wir gleich.“
Marga kramte in der Tasche nach ihrer Hand. Vorsichtig, um sie nicht zu verletzten, nahm sie das Händchen heraus und setzte es auf den Boden.
„Und nun?“
Die anderen zwei sahen sie mit dem Blick an, der ihr langsam nur allzu bekannt vorkam. Die Hand ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern, sondern ging zum Bücherregal hinüber, die sie ins Leben gerufen hatte. Entschlossen nahm Hand das Buch in die Hand, an dem Marga sich heute Morgen den Fluch eingefangen hatte.
Als Marga versuchte das Buch ebenfalls zu berühren, schlug ihre Hand ihre Hand zur Seite und wedelte drohend mit dem Zeigefinger.
„Du willst dir doch die andere Hand nicht auch noch abfluchen lassen!“, rief Phoenix entsetzt.
Da war etwas Wahres dran. Also wartete Marga ab was ihre Hand vorhatte. Diese schien einige Schwierigkeiten damit zu haben die Seiten des Buches umzublättern, doch schließlich hielt sie bei einer Seite inne. Marga beugte sich über die Wörter und begann zu lesen.
„Braves Händchen!“, lobte sie als sie am Ende der Seite angekommen war.
„Was hat sie gefunden?“, fragte Phoenix zweifelnd.
„Das Buch, in dem der Geheimgang erwähnt wird. Kein Wunder, dass den nie jemand gefunden hat. Wenn jeder seine Hand verliert, der dieses Buch anfasst, hat keiner das Bedürfnis es zu lesen. Alle denken nur daran wie sie ihre Hand wiederbekommen können. Dabei ist genau das der Schlüssel zum Buch.“
Wenn man es so sah, war der Schutz des Buches genial. Nur ihre Hand war schlauer gewesen. Diese hatte ihre Heldentaten für heute noch nicht beendet und klappte das Buch zu, nur um aus dem hinteren Teil einen winzigen, silbernen Schlüssel zu ziehen und triumphierend zu schwenken.
„Braves Händchen“, sagte Marga erneut und kraulte die Hand an der Handfläche.
Die Blicke, die sich Phoenix und der Wachmann hinter ihrem Rücken zuwarfen und die eindeutig fragten ob sie noch alle Tassen im Schrank hatte, bemerkte sie nicht.

1 Kommentar:

  1. (Zitat) „Und fragen Sie was die da wollen“, flüsterte Die Madenmoiselle und deutete auf Marga und Phoenix. „Dann gehen sie vielleicht schnell wieder. Von der Robbe wird mir ganz anders.

    Ein November mit nur einer Hand... nein Danke.

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