Donnerstag, 25. Dezember 2014

55. Kapitel



Wir stolperten am Fluss entlang, immer noch auf der Flucht vor den Schwertreitern. Von hier konnte man den Rauch aufsteigen sehen, der vom brennenden Zelt stammen musste. Von eventuellen Verfolgern hatten wir bisher niemanden gesehen, nur ab und zu ein einsames Plotbunny, das jedoch recht schnell wieder zwischen den Bäumen des Waldes verschwand.
Obwohl wir alle vollkommen am Ende waren, wagten wir es nicht stehen zu bleiben. Mittlerweile gingen wir nur noch im Schnellschritt, da rennen nicht mehr drin war. Dennoch legten wir eine ordentliche Geschwindigkeit hin. Erst als meine Oma keuchend stehen blieb und sich auf ihren Starb stütze, hielten wir inne.
„Es tut mir leid“, keuchte sie. „Aber ich kann nicht mehr.“
Ihr Gesicht war so rot angelaufen, dass ihre Haare noch weißer aussahen als sonst. In Kombi mit ihrer wieder einmal lila Kleidung sah das reichlich seltsam aus. Auch Freundschaf sah sehr mitgenommen aus und ließ seine Ohren hängen.
„Dann müssen wir uns einen sicheren Platz suchen“, meinte Blue. „Am besten einen Ort wo wir schlafen können.“
Er hatte Recht. Der Himmel wurde immer dunkler und die Sonne war kurz davor unterzugehen. Langsam begann ich mich zu wundern wie lange ich außer Gefecht gesetzt gewesen war wenn so viel Zeit vergangen war. Um nicht auf freier Fläche zu sein, wo wir leicht entdeckt werden würden, gingen wir ein Stück zurück in den Wald. Ein umgefallener Baum, der bei seinem Fall auf einem Stein gelandet war, bot einen Unterschlupf, der zumindest die gröbste Kälte und eventuell sogar ein wenig Regen abhalten würde. Unter diesem machten wir es uns bequem.
„Eigentlich sollten wir eine Wache aufstellen“, gähnte Blue. „Aber ich glaube nicht, dass ich die Augen offen halten könnte.“
Meine Oma lehnte bereits mit dem Rücken am Stein, in ihre Robbe gewickelt, und hatte die Augen geschlossen. Sie reagierte auf den Vorschlag nicht einmal, was mich vermuten ließ, dass sie bereits eingeschlafen war. Ich gähnte ebenfalls.
„Ich kann es ja versuchen, aber ich bin mir nicht sicher wie lange ich wach bleiben kann“, meinte ich schläfrig.
„Ich bleibe wach“, schlug Hannes vor. „Die meiste Zeit des Tages werde ich sowieso von diversen Personen rumgetragen. Dann bin ich wenigstens mal nützlich.“
Mit dem Vorschlag schien Blue einverstanden, denn er kuschelte sich in seine schwarze Robbe, durch die er beinah mit der Dunkelheit verschmolz, und war sofort eingeschlafen.
Ich hatte die Verbitterung in der Stimme des Froschprinzen gehört. „Du bist nicht nutzlos“, versuchte ich ihm klarzumachen.
„Doch“, sagte er. „Als Frosch bin ich absolut nutzlos. Mein Vater hatte Recht. Wie könnte sich irgendjemand jemals in mich verlieben?“
Da ich nicht wusste was ich darauf erwidern sollte, rollte ich mich ebenfalls unter meiner Robbe zusammen. In meiner Brusttasche atmete Fluffles ruhig und regelmäßig. Während ich ihm beim Schlafen zuhörte, driftete ich selbst weg.

„Wacht auf!“ Blues Stimme riss mich aus meinen Träumen. „Das müsst ihr euch unbedingt ansehen; es ist unglaublich!“
Da seine Stimme anstatt panisch eher begeistert klang, machte ich mir keine Sorgen, dass etwas passiert sein könnte. Am liebsten hätte ich mich umgedreht, um weiterzuschlafen, doch nun hielt mich meine Neugier wach – und die Feststellung, dass dieser Schlafplatz mir nicht mehr so bequem vorkam wie gestern Nacht.
Seufzend setzte ich mich auf und gähnte. Meine Haare waren ein einziges schwarzes Vogelnest auf meinem Kopf, das ich auf die Schnelle nicht entwirren konnte. Meine Oma sah mich mit schläfrigen Augen und verrutschtem lila Hut an.
„Was hat er denn?“, gähnte sie.
Das würde ich herausfinden. Und wehe es war nichts Spannendes. Ich würde ihn umbringen wenn er mich für nichts und wieder nichts aufgeweckt hatte. Ich folgte Blue durch den Wald zu einer Lichtung. Zuerst wusste ich nichts weshalb er deswegen so aufgeregt war, aber nach einem kurzen Blick über die Wiese klappte mir der Mund auf.
Zuerst einmal war die Lichtung so warm, dass ich am liebsten meine Robbe abgestreift hätte. Da gerade Oktober war, schien die Lichtung besonders nett weil sie so schön warm war; überall sonst wurde es schon richtig kalt. Überall wuchsen Blumen, doch solche hatte ich noch nie gesehen. Die häufigste Variante war etwas, das wie ein Käseblümchen aussah und von denen Blue eine Handvoll hielt.
„Iss das bloß nicht!“, warnte ich ihn. „Wer weiß was das Zeug mit dir anstellt!“
„Es gibt auch Butterblumen“, meinte er grinsend. „Hier.“
Einige größere Blumen mit gelben Blättern standen verteilt auf der Lichtung. In ihrem Innern beherbergten sie jeweils ein Stück Butter, das im Sonnenlicht glänzte und aus unerfindlichen Gründen nicht schmolz. Blue war damit beschäftigt die Käseblümchen einzubuttern. Ich ließ mich auf den Boden sinken, um mir das Gras genauer anzusehen, denn es schien kein normales Gras zu sein. Abwesend zupfte ich kleine Glasbrüschel aus dem Boden und hielt sie gegen das Sonnenlicht. Sie glitzerten und warfen Regenbögen auf mein Gesicht.
„Die sind wunderschön“, murmelte ich.
„Und die sind nicht mal das Beste!“ Blue deutete auf etwas in der Mitte der Lichtung. „Schau dir mal diesen Pfannkuchenteich an!“
Neugierig geworden trat ich näher und sah einen Teich, dessen Grund tatsächlich aus einem riesigen Pfannkuchen zu bestehen schien. Auf ihm schwammen die groteskesten Enten, die ich je gesehen hatte. Zeitungsenten, Leuchtenten, Elem-Enten, Kompon-Enten, Entegegen, Entewarnungen und eine Öff-Ente, die mit einem Ön/Öff-Schalter ausgestattet war.
In der Mitte des Teiches erhob sich eine Fontöne aus sprudelndem Wasser. Immer wenn ein Schwall Wasser aus ihr emporschoss, ertönte ein Klang wie von einem Horn, unterlegt mit Trompeten. Von hier aus konnte man außerdem den Honigzont sehen, hinter dem gerade die Sonne aufging. War denn hier wirklich alles essbar?
„Wag es ja nicht das zu essen!“, schrie ich Blue wieder an, der dabei war sich die Käseblümchen in den Mund zu schieben.
„Warum?“, fragte er, hielt aber inne.
„Erinnerst du dich nicht was im Saubertrank passiert ist? Und Oma mit ihrer Hand? Und Phoenix? Und da willst du irgendwelche Blumen von irgendeiner Lichtung essen? Wenn du verflucht werden willst, bitte.“
Ein Gekecker ertönte nun und kleine, in buntes Papier eingewickelte Honigbonobos begannen um den Pfannkuchenteich zu rennen. Die Affen schnappten sich Käseblümchen und begannen darauf herumzukauen.
„Die essen das auch!“, maulte Blue.
„Ja, und schau dir an wie die aussehen. Es könnte sein, dass du dich in ein gigantisches Bonbon verwandelst! Oder einen Affen“, konterte ich. Wobei der Unterschied von Blue und dem Affen nicht ganz so prägnant wäre. „Zumindest sollten wir das Gebiet zuerst auskundschafen. Das hört sich nach einem Job für Freundschaf an.“
Schmollend ließ Blue die Blumen fallen und marschierte zurück zu unserem Lager. Fein, wenn er sauer auf mich war, sollte er doch. Ich hatte ihm möglicherweise das Leben gerettet, aber gut. Meine Oma stand am Rand des Waldes, Hannes auf der Schulter. Freundschaf war neben ihr und alle starrten auf die wunderschöne Lichtung.
„Gehen wir“, schnauzte Blue sie an.
„Was für eine Laus ist dem denn über die Leber gelaufen?“, flüsterte meine Oma mir zu während wir ebenfalls zurück zum Baumstamm gingen.
„Ich habe ihm verboten was von dem Zeug auf der Lichtung zu essen“, erklärte ich. „Du kennst ja Blue.“
Am liebsten hätte auch ich den ganzen restlichen Tag auf der Lichtung verbracht, doch die Zeit drängte. Wir hatten nur noch etwa zwei Wochen bis NaNoWriMo begann und bis dahin mussten die Bunnys verschwunden oder zumindest anderweitig versorgt sein. Dazu brauchten wir die TSoD – oder zumindest war das der Plan, denn ob sie funktionierte wussten wir ja noch nicht.
Die Landschaft um uns herum wurde langsam bergiger und immer öfter mussten wir auf meine Oma warten, die ihren Schirm wieder als Krückstock benutzte. Hannes hatte es sich wieder auf meiner Schulter bequem gemacht und schien, anders als Blue, der immer noch sauer auf mich war, bester Laune zu sein.
Der Zeigefinder zeigte immer noch in die Richtung, in der die Mitte des Waldes zu liegen schien. Was würde eigentlich passieren wenn wir sie erreichten, es dort aber nichts gab? Würde der Zeigefinder sich nur noch im Kreis drehen? Die Frage erübrigte sich, denn gerade begann er genau das zu tun. Mist. Wie die Mitte des Waldes kam mir das hier nicht vor, denn auf der faltbaren Katze erstreckte er sich noch viele Kilometer weiter.
„Das hier ist die Mitte des Waldes“, sagte ich, einen bitteren Geschmack im Mund. „Es war alles umsonst. Hier gibt es rein gar nichts.“
„Gar nichts würde ich das nicht nenne“, meinte meine Oma und deutete zur Kuppe des Hügels, den wir gerade bestiegen.
Von dort stieg eine dünne Rauchfahne auf. Unsere Anstrengungen verdoppelnd, erklommen wir den letzten Teil des Hügels, um auf ein Dorf zu schauen. Es sah allerdings komplett anders aus als jedes Dorf, das ich bisher gesehen hatte. Zuerst einmal standen alle Häuser auf dem Kopf. Die Giebel waren im Boden versenkt und die Haustüren befanden sich an oberster Stelle. Durch die Fenster gingen die kleinen Wesen, die dort zu leben schienen, ein und aus. Diese liefen außerdem auf ihren Händen statt auf ihren Füßen und trugen ihre Kleidung verkehrt herum.
„Ich weiß was das ist!“, rief meine Oma. „Wir haben das Antital gefunden!“
„Das was?“ Verwirrt starrte ich auf das kleine Tal.
„Das Antital! Dort leben die Gegenwichte. Alles, was sie sagen, ist eine einzige Lüge, also sollte man immer das Gegenteil von dem tun, was sie einem raten. Allerdings müssen sie immer die Wahrheit sagen… äh, die Lüge. Wenn man die richtige Frage stellt und die Antwort ins Gegenteil verkehrt, können die recht hilfreich sein.“
„Auf Wiedersehen!“, rief sie einem der Wesen zu.
„Eine unschöne Nacht“, grüßte das zurück und winkte mit seinem Fuß.
„Siehst du?“, strahlte meine Oma.
Ich war noch nicht überzeugt von der ganzen Sache. Eine konkrete Frage zu stellen war manchmal schwierig genug. Diese Frage auch noch so ins Gegenteil zu verkehren, dass man eine vernünftige Nicht-Antwort darauf bekam, erschien mir fast unmöglich. Meine Oma lief jedoch auf das Dorf zu und mir blieb nichts anderes übrig als zu folgen. Blue schien von der Entwicklung so vor den Kopf gestoßen zu sein, dass er seinen Ärger über mich vergaß und mir einen fragenden Blick zuwarf.
„Ja, sie ist ein wenig verrückt“, bestätigte ich die Frage darin. „Ja, ihr Optimismus nervt meistens. Und ja, meistens hat sie Recht damit.“
Ich folgte ihr, obwohl mein Magen sich zusammenzog. Als ich daran dachte, dass alle Gegenwichte zurücklügen würden, überfiel mich ein Hauch von Ohnmacht.
„Auf Wiedersehen!“, begrüßte meine Oma schon wieder einen von ihnen und erhielt ein freundliches „Tschüss“ als Antwort. „Wir hoffen, dass ihr uns auf keinen Fall weiterhelfen könnt. Wo ist die Traveling Shovel of Death nicht?“, fragte sie.
Daran einfach ein nicht an die Frage zu hängen, hatte ich irgendwie nicht gedacht. Plötzlich kam ich mir dumm vor. So war die einzige Antwort entweder, dass sie wussten wo die Traveling Shovel of Death war, oder eben genau der Platz, an dem sich die TSoD befand. Meine Oma war genial.
„Hey! Bleib weg!“, rief der Wicht einer alten Gegenwichtin zu, die auf einer umgedrehten Bank über einem der Häuser saß. „Dort verachtet jemand deinen Rat!“
Die Alte kam herbeigeschlürft und tauschte die üblichen Höflichkeiten mit meiner Oma aus. Diese wiederholte ihre Frage. Ich hielt den Atem an. Konnte es wirklich so einfach sein?
„Ich kenne keine schwache Waffe wie die, von der ihr nicht erzählt habt“, meinte sie dann. „Eine Legende schweigt davon, dass sie sich nicht hinter dem magischen Portal im Arschiv befindet.“
„Wo kann man das umgehen?“
„Nie geradehaus und dann rechts am Fluss. Man kann es nur verfehlen“, kam die Erklärung.
Mein Kopf drehte sich von den ganzen Verneinungen und mitkommen tat ich schon längst nicht mehr. Wo sollte man jetzt langgehen und wo nicht?
„Ich verachte Sie dafür, dass Sie mir diese Frage gestellt haben“, sagte meine Oma nun freundlich und schüttelte der Wichtin den Fuß. „Bitte für die Behinderung.“
„Ungern nicht geschehen.“
Meine Oma winkte ihnen noch ein „Hallo“ zu, die Wichte riefen „Willkommen“ zurück und damit war das Gespräch nicht beendet. Äh, beendet. Was auch immer. „Das war doch nicht so schwer“, sagte sie und begann in die Richtung zu gehen, in die ihr die Gegenwichte geraten hatten nicht zu gehen.

1 Kommentar:

  1. Ich kam gestern einfach nicht zum lesen *ächz* <.< Arschiv XD Wieder mal ein Top Kapitel ^^

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