Freitag, 5. Dezember 2014

35. Kapitel



Schnell liefen sie durch den verlassenen Gang auf den türlosen Türrahmen zu, um rasch hineinzuschlüpfen. Marga verschwand durch die Öffnung und verschwendete keine Sekunde damit sich nach den anderen umzusehen und somit kostbare Sekunden zu verschwenden. Auch das hier war genial eingerichtet. Wer würde auch vermuten, dass sich der Geheimgang ausgerechnet in dem Gang befand, der nicht einmal eine Tür besaß?
Der Wachmann in seinem mottenzerfressenen Mantel drückte sich dicht an die Wand. Seine Hand war um einen Säbel geschlossen, den sie im Vorbeigehen aus einer verlassenen Waffenkammer hatten mitgehen lassen. Des Weiteren hatte Phoenix Margas und ihren Rucksack auf dem Rücken und sie hatten in der Burgküche alles mitgehen lassen was nicht niet- und nagelfest gewesen war, auch wenn einiges davon nicht gerade essbar aussah.
„Los, weiter“, ermunterte Marga ihn. „Die Geheimtür ist noch ein ganzes Stück weiter hinten.“
Entschlossen ging sie weiter. Die Hand, die es sich wieder in ihrer Brusttasche bequem gemacht hatte, hielt den kleinen Schlüssel fester.
Der Gang kam ihnen ewig vor. Immer wenn ein Gang rechts abzweigte nahm Marga ihn, während die anderen ihr mit verwirrtem Gesichtsausdruck folgten. Das Ganze hatten sie schon mindestens zehnmal gemacht, als sich der Wachmann zu Wort meldete.
„Waren wir nicht eben schon einmal in diesem Gang?“, fragte er. „Der Boden, die Anordnung der Fackeln, ja sogar die Wände kommen mir bekannt vor!“
„Natürlich kommen sie dir bekannt vor. Wir sind im Kreis gelaufen“, erklärte Marga. „Das ist auch ganz richtig so. Wenn es einfach wäre den Raum zu finden, wäre er schon längst entdeckt worden. Man muss etwas anders denken als gewöhnlich wenn man hier weiterkommen will.“ Deshalb war sie die perfekte Person für diese Aufgabe. „Wir sind da.“
Sie hielten vor einer großen, hölzernen Tür, die sich von der Farbe her kaum von den Wänden unterschied und so von den Wänden kaum zu unterscheiden war und so beinahe mit diesen verschmolz.
„Die ist aber gut getarnt…“ bemerkte Phoenix.
Marga nahm die Hand aus der Tasche und setzte sie in eine Nische in der Wand. Das Händchen ließ die Gelenke seiner Finger knacken und steckte den Schlüssel in ein für den Rest der Gruppe unsichtbares Schlüsselloch. Marga hörte wie der Schlüssel in der Wand gedreht wurde. Dann kroch ihre Hand wieder aus der Nische und ließ sich artig von Marga in die Tasche der Robbe zurücksetzen.
Vor ihnen war die Wand zur Seite geglitten und hatte eine Treppe entblößt, die in die Tiefe zu führen schien. Es war stockfinster dort unten, düster, dunkel und unheilvoll, denn der Keller schien das Licht der Fackeln, das von hier nach unten schien, zu absorbieren und in sich aufzunehmen und zu verschlingen bis nichts mehr davon übrig blieb und im Keller eine lichtlose, undurchdringliche Schwärze herrschte.
„… hat noch jemand von euch das Gefühl, dass es dort unten wirklich dunkel ist…?“, fragte der Wachmann.
„Es ist nur dunkel solange man sich davor fürchtet“, sagte Marga fest.
Mit ihrer linken Hand schraubte sie eine der Fackeln gegenüber der Tür aus ihrer Halterung und ging voran. Die Schritte hinter ihr und die tanzenden Lichter von zwei weiteren Fackeln zeigten ihr, dass die anderen beiden ihrem Beispiel gefolgt waren. Hinter ihnen schob sich die Tür wieder vor die Öffnung. Weiter und weiter führte die Treppe in die Tiefe. Marga hatte irgendwann aufgehört zu zählen wie viele Stufen und Windungen sie bereits hinter sich hatten. Sie war nur erleichtert als die Treppen endlich ein Ende fanden.
Auf der anderen Seite des Ganges befanden sich die Türen eines Auzugs. Die Türen waren aus dunklem Holz, das mit goldenen Verzierungen überzogen war. Diese waren jedoch vom Alter und dem Staub hier unten fast schwarz geworden. Marga streckte die Hand nach dem Knopf aus, der den Auzug rufen würde, doch der Wachmann hielt sie zurück.
„Lassen Sie mich das machen. Immerhin würde ich ohne Sie noch immer in einem Schrank hocken. So gruselig es hier unten auch sein mag, dieser Geheimgang ist unsere beste Chance aus der Burg zu entkommen.“
Er drückte auf den Knopf. Ein durchdringendes Pling! ertönte und ein Rumpeln kündigte an, dass sich der Auzug in Bewegung gesetzt hatte. Gleichzeitig schrie der Mann auf und taumelte zurück. Seine Fackel ließ er fallen und Marga sprang sofort einen Schritt zurück, um der Flamme auszuweichen. Sein Körper schien sich zu grotesken Formen zu verzerren. Durch die Fackel auf dem Boden tat es ihm sein Schatten an der Wand gleich. Beine und Arme verformten sich bis der Mann sich nicht mehr rührte, sondern nur keuchend auf dem Boden lag.
Einen Moment lang geschah nichts. Dann stemmte er sich mühsam in den Vielfüßlerstand. Er hatte nun unweigerlich Ähnlichkeit zu Margas abgetrennter Hand. Sein Kopf war unnatürlich verdreht und als er versuchte zu laufen bewegten sich seine Gliedmaßen ähnlich wie die Beine einer Spinne. Der zerfledderte Mantel flatterte bei jedem Schritt und bei jedem Zweiten wurde die Unterhose entblößt, die der Wachmann als einziges Kleidungsstück außer dem Mantel immer noch trug.
„Gut, dass Sie den Knopf nicht angefasst haben“, stellte der Mann fest. Traurig sah er auf seine krummen Beine.
„Das bekommen wir schon wieder hin“, versuchte Marga ihn zu trösten. „Sobald wir hier herausgekommen sind, finden wir jemanden der die Flüche aufheben kann. Wer weiß, vielleicht ist es noch ganz nützlich so herumzulaufen.“
Der Wachmann sah sie zweifelnd an.
„Denken Sie an meine Hand“, erinnerte Marga ihn. „Wenn ich nicht von einem Fluch getroffen worden wäre, wären wir gar nicht hier.“
Er sah nicht besonders überzeugt aus.
„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte Marga. „Wenn wir zusammen in einen Horrorauzug steigen, der seinem Namen vermutlich alle Ehre machen wird, sollten wir zumindest den Ihren ebenfalls wissen.“
Diese Frage war so absurd, so banal normal, dass Marga fast nicht darauf gekommen war. Allerdings dachte sie, dass man in der Lage sein sollte einander beim Namen nennen wenn man sich zusammen in einen Geheimraum wagte.
„André“, sagte der Wachmann. „Ich würde sagen nett Sie kennenzulernen, aber die Situation lässt das nicht unbedingt zu.“
Dennoch hielt er ihr eine verdrehte Hand hin, die Marga mit ihrer verbliebenen schüttelte.
„Schön Sie kennenzulernen.“
Damit stieg sie in den Auzug und sah die anderen erwartungsvoll an. Diese standen zögernd im Gang. Vielleicht lag es daran, dass es im Auzug keine Knöpfe gab, sondern verschrumpelte und offensichtlich echte, menschliche Köpfe an der Wand angebracht waren. Insgesamt gab es drei Sitze sowie eine Menge Köpfe und Hebel. Außerdem war der Auzug beleuchtet, sodass sie ihre Fackeln löschen konnten. André fasste als erster Mut. Außerdem verdrehte er sich, um an den Kopf für das die unterste Etage zu kommen. Phoenix schloss sich ihnen an.
„Fertig?“, fragte der Wachmann.
„Nicht wirklich. Aber besser runter als zurück zu dem verrückten Nagetier, nicht wahr?“, seufzte Phoenix.
„Ich hätte es nicht besser sagen können.“
André zog einen Kopf an den schwarzen Haaren, woraufhin dieser sich senkte. Die Türen des Auzugs schlossen sich, das Rumpeln setzte erneut ein und schon bewegte sich das Gefährt weiter in die Tiefe. Für einen Moment schien alles in Ordnung zu sein. Dann jedoch gab es einen Ruck, der alle im Auzug übereinander fallen ließ und das Gefährt raste in die Tiefe.
Marga fühlte sich als würde sie unendlich lange fallen. Ihr Magen schlingerte wie ein unerfahrener Eisläufer in der Kurve und sie schloss die Augen in der Hoffnung, dass es helfen würde den Schwindel zu vertreiben. Das tat es nicht.
„Drück den Notkopf! Jetzt!“, schrie Phoenix.
André schaffte es irgendwie sich so zu verrenken, dass er an einem Kopf mit feuerroten Haaren ziehen konnte, den Marga ebenfalls als Notkopf eingestuft hätte. Es gab ein langgezogenes Quietschen, das sich anhörte wie Fingernägel auf einer Tafel, dann kam der Auzug langsam zum Stehen.
Alle rappelten sich auf und klopften sich den Staub von den Robben. Der Wachmann tätschelte der älteren Dame neben sich beruhigend die Hand, die ängstlich und zitternd auf dem Boden hockte und Marga beim Sturz aus der Robbentasche gefallen war. „Na, na, Hand. Das wird schon wieder. Obwohl der Auzug seinem Namen alle Ehre macht.“
Das Licht im Auzug flackerte und gab dann den Geist auf. Sie sah sich in der Dunkelheit um, ob sie etwas im Dunkeln sah, aber um sie herum herrschte nur Dunkelheit. Zuerst wünschte Marga sich sie hätten ihre Fackeln angelassen. Dann erinnerte sie sich daran, dass sie vermutlich nun am Boden gelegen hätten und davon ausgegangen wären, dass sie mit den Robben darauffielen. Da war ihr ein dunkler Auzug lieber als Brandlöcher in der Robbe.
Hinter ihr hatte Phoenix die Initiative ergriffen und ihre Fackeln wieder zum Leuchten gebracht. Im Licht der Flammen sahen die Köpfe noch gruseliger aus als vorher, da sich tiefe Schatten in die Falten und Furchen ihrer Gesichter gruben.
„Ich müsste es schaffen die Tür aufzubekommen“, meinte André.
Er schaffte es seine Finger in den Spalt zwischen den Auzugtüren zu bekommen und sie mit Hilfe seiner deformierten Arme aufzustemmen. Sie waren tatsächlich in der Nähe eines Stockwerks gelandet, denn nur der obere Teil der Türöffnung war von einer Wand verdeckt. Durch den unteren Teil müssten sie sich zwängen können. Allerdings schien es etwa zwei Meter nach unten zu gehen.
André schob zuerst seinen Säbel durch die Öffnung, sodass dieser mit einem metallischen Scheppern auf dem Boden darunter landete. Dann hievte er sich selbst aus dem Auzug, um Marga und Phoenix aufzufangen als sie ebenfalls das gefährliche Transportmittel verließen. Ein Blick auf die Stockwerksanzeige ließ sie erkennen wie knapp sie dem Tod entronnen waren.
„Wir befinden uns im untersten Stockwerk“, bemerkte Marga. „Wie gut, dass der Auzug rechtzeitig stehen geblieben ist. Ach, wie spät ist es eigentlich?“
„Es war früher Nachmittag als wir losgegangen sind“, meinte André. „Mittlerweile müsste es später Abend sein.“
„Danke.“
„Igitt!“, wurde Marga unterbrochen.
Phoenix hatte die Fackel weiter in den Gang gehalten, der tiefer in die Geheimkammer führte. Eine eklig anmutende, dickflüssige Substanz klebte an den Wänden und bildete eine winzige Passage, durch die sie sich würden zwängen müssen. Es erinnerte sehr an die Warzen, die sie gestern hatten durchqueren müssen.
„Keine Sorge.“
André trat vor und säbelte Eiter, um den Weg freizumachen. Marga war dankbar dafür ihm nur dabei zusehen zu müssen. Es war immer noch eklig sich nun durch die gelbe Pfütze zu zwängen während man darauf bedacht war die Robben hochzuhalten, um sie nicht mit Eiter zu beschmutzen.
„Das erinnert mich sehr an den Weg zum Thronsaal“, meinte Marga. „Schaut mal, da vorne gibt es sogar eine ähnliche Tür!“
Die Tür direkt vor ihnen sah der Tür zum Thronsaal des Hamsters wirklich zum Verwechseln ähnlich. Nur von der Farbe her war sie, zumindest im Fackellicht, dunkler. André begann sie aufzuschieben und ein unheimliches Licht empfing sie.

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