Sonntag, 14. Dezember 2014

44. Kapitel



Der Namm hatte uns mit Freuden aufgenommen als wir vollkommen erschöpft vor seiner Tür aufgetaucht waren. Weniger fröhlich war der Könling gewesen als wir ihn über den Spiegel darüber in Kenntnis gesetzt hatten wo sein Sohn abgeblieben war.
Da das ganze Haus des Namm aus einem einzigen Zimmer bestand, war das entstehende Vater-Sohn-Gespräch von allen mitbekommen worden, egal wie sehr man sich bemüht hatte wegzuhören. Es waren so viele Schimpfwörter darin vorgekommen, dass ich den Könling nie wieder mit denselben Augen sehen würde. Außerdem war viel geschrien worden.
Glücklicherweise hatten sich die Gemüter irgendwann beruhigt, was vielleicht mehr dem Schwein geschuldet war, das wir im Hintergrund hatten sehen können als es eins der wunderschönen Fenster im Theosaal durchschlagen hatte. Danach hatte der Könling das Gespräch abgewürgt, allerdings mit der Drohung, dass es bald fortgesetzt werden würde.
Das war gestern Abend gewesen. Nun war es bereits Morgen und wir saßen auf unseren neuen Pferden, auf dem Weg zur Drachenschenke. Die Stuhlmenschen begegneten uns glücklicherweise nicht, unsere Pferde schienen nicht reden zu können und zusammen schafften Hannes und ich es Blue von einem Besuch beim Saubertrank abzubringen. Soweit lief alles super. Zum Mittagessen aßen wir die Rationen, die uns der Namm mitgegeben hatte, ich fütterte Fluffles mit Wortsalat und Freundschaf graste friedlich am Wegesrand.
Die Stelle, an der wir dem Drachen begegnet waren, umgingen wir dieses Mal frühzeitig und liefen stattdessen durch den Wald. Die Nasen, die auf der Wiese herumtollten, legten zwar nahe, dass kein Drache in der Nähe war, aber wir hatten in den letzten Tagen genug Abenteuer gehabt. Außerdem mussten wir mehreren Plotbunnys ausweichen, die nun auch in diese Region vorgedrungen zu sein schienen. Sie zogen in ganzen Gruppen durch die Gegend und ein paar Mal schafften wir es nur ganz knapp ihnen aus dem Weg zu gehen.
Am späten Nachmittag kam die Drachenschenke in Sicht. Wir hielten uns wieder nah am Wald, sodass wir die zwei Gestalten, die auf der anderen Seite auf die Schenke zuritten, erst bemerkten, als wir fast mit ihnen kollidierten.
„Waaah!“
Dass ich mich nicht besser ausdrückte, lag vermutlich daran, dass es sich bei den Gestalten um zwei Schlammmonster handelte. Erst als ich den lila Regenschirm bemerkte, der am Arm der einen Person baumelte, erkannte ich wer die Sumpfkreaturen waren.
„Oma?! Phoenix! Seid ihr das?“
Die beiden waren von oben bis unten mit verkrusteter Erde bedeckt. Selbst die Robben waren voller Schlamm, sahen in Phoenix‘ Fall mehr graus als grau aus und dass Omas Robbe einmal weiß gewesen war, war nicht zu erkennen.
„Und wo ist dein Hut?“
„Der ist fast im See ertrunken“, meinte meine Oma mit einem Lächeln. „Aber Hand hat ihn mir zurückgebracht. Nicht wahr, Hand?“
Ich schrie auf und fiel beinah vom Pferd als eine Hand aus der Tasche ihrer Robbe lugte und mir mit einigen Fingern zuwinkte. Noch schrecklicher war die Feststellung, dass sie die goldenen Ringe meiner Oma an den Fingern trug, was bedeuten musste…
„Ist das deine Hand?!“, kreischte ich.
„Ein Fluch, nehme ich an“, meinte Hannes neben meinem Ohr. „Glaub mir, ich kenne mich damit aus.“
„Ist das ein sprechender Frosch?“, meinte meine Oma, eher interessiert als erschrocken.
„Gestatten, Prinz Johannes, Sohn des Könlings. Ich…“
„Er brauchte einen Tapetenwechsel“, unterbrach ich ihn. „Was ist mit deiner Hand passiert?!“
„Ein Fluch. Was für ein kluger Prinz“, meinte sie.
„Danke.“
Er verbeugte sich von meiner Schulter aus. Am liebsten hätte ich sie beide erwürgt. Um Hummels Willen, meiner Oma fehlt eine Hand! Und jeder außer mir schien es auf die leichte Schulter zu nehmen! Sogar Blue tätschelte mir nur beruhigend den Oberarm und meinte „Relax“.
„Relax?!“, explodierte ich. „Die Hand meiner Oma hängt ihr aus der Robbentasche! Interessiert das hier keinen?!“
„Ist das ein Plotbunny in deiner Tasche?“
Bei dieser Feststellung hörte sich meine Oma entsetzter an als wenn sie über ihre fehlende Hand redete. Na gut, dann übergingen wir eben die Tatsache, dass sie ein Krüppel war und unterhielten uns über Hasen. Verstehe einer ihre Prioritäten.
„Oma, Fluffles. Fluffles, Oma“, stellte ich vor, müde die Handgeschichte zu diskutieren. „Fluffles ist mein Plotbunny und ich schleppe ihn seit der schwingenden Stadt mit mir rum.“ Bevor die beiden mit der Debatte anfangen konnten, die ich bereits mit Blue und dem Könling geführt hatte, deutete ich auf die Drachenschenke. „Ich schlage vor wir gehen in die Drachenschenke. Dann könnt ihr euch duschen, eure Robben gleich mit und wir treffen uns im Schankraum, um uns auszutauschen.“
Phoenix sah aus als wäre sie nicht ganz damit einverstanden, doch meine Oma lächelte schon wieder.
„Das ist eine fantastische Idee. Ich habe das Gefühl nur noch aus Erde zu bestehen.“
Amen. Ich würde froh sein wenn meine Oma ihr Dasein als Schlammmonster beendete.
Bevor wir jedoch die Drachenschenke betreten konnte, wurde versucht die Tür wieder zu verschießen. Dieses Mal war der Übeltäter ein bierbäuchiger Kerl, der einen lila VW-Bus vorgefahren hatte. Aus allen Fenstern lugten seltsame Vögel heraus.
„Sind das… Dodos?“
Tatsächlich handelte es sich bei den Vögeln um die eigentlich ausgestorbenen, aber hier quicklebendigen, Dodos, flugunfähige, fette Vögel. Meine Oma war eher vom VW-Bus begeistert, vermutlich wegen der Farbe. Der Dodovan stand eine Weile mit laufendem Motor vor der Drachenschenke, bis der wutschnaubende Wirt, der sofort gekommen war um die Tür zu reparieren, den Mann um die Schenke herum dirigierte. Dort befand sich der Stall, wo wir bereits unsere Pferde untergebracht hatten – unsere hätten sich bestimmt lautstark über die Zustände beschwert, da sie sich an den könlingichen Stall gewöhnt hatten, was mich unheimlich erleichtert sein ließ, dass wie andere Pferde bekommen hatten – und nebenan eine Garage.
Die Drachenschenke musste so einige seltsame Gestalten beherbergt haben. Heute würden außerdem noch Dodos dazukommen. Und trotzdem wurde alles stehen und liegen gelassen als unsere Gruppe durch die Tür kam. Es herrschte fast absolute Stille bis wir auf der Treppe zu unseren Zimmern waren. Worüber da hinter unserem Rücken geredet wurde konnte ich mir nur zu gut vorstellen.
Sogar als wir über eine Stunde später alle geduscht und neu eingekleidet an einem Tisch im Schankraum saßen, warfen uns einige Leute immer noch neugieriger Blicke zu. Das lag eventuell daran, dass die Hand meiner Oma auf dem Tisch hockte und mit den Fingern wackelte. Meine Oma störte das wenig, denn sie begann sofort mich nach unseren Abenteuern auszufragen.
Am Ende unserer Geschichte angekommen, starrte ich völlig geisterabwesend in meine Tasse. Endlich keine Geister mehr. Kein Polstergeist, keine Scheibengeister und keine arroganten Geschichter. Auch Fluffles schien nun von allen Gruppenmitgliedern akzeptiert zu werden, auch wenn ich es vorsichtshalber tief in meine Brusttasche geschubst hatte. Sonst würde es noch einen Aufstand in der Drachenschenke auslösen.
Freundschaf hatte sich neben meine Oma gehockt und diese hielt ihm ihre Hand hin. „Kannst du mir vielleicht helfen?“, fragte sie freundlich.
Freundschaf sah sie einen Moment lang aus großen, treuen Augen an. Dann stupste es mit seiner Nase zuerst die abgetrennte Hand und dann den Armstumpf meiner Oma an.
Ich hielt den Atem an. Einmal hatte ich schon gesehen was Freundschaf bewirken konnte und das war spektakulär gewesen. Dieses Mal war es wie beim Prinzen – es geschah absolut gar nichts.
Meine Oma zuckte mit den Schultern. „Dann ist der Fluch wohl zu stark, oder es ist zu lange her, dass ich verflucht wurde. Da kann man wohl nichts machen.“
Noch immer war mir absolut schleierhaft wie sie so ruhig sein konnte. Ihr fehlte eine Hand, verdammt nochmal! Andererseits passte das zu meiner Oma. Die Situation, die sie ihrer guten Laune beraubte, musste noch erfunden werden.
Dann erzählten Oma und Phoenix was ihnen passiert war und ich war froh, dass ich nicht in die Horrorgegend hatte reisen müssen und entsetzt darüber was die beiden erlebt hatten. Allein bei dem Beinregen wäre mir übel geworden.
Während wir der Geschichte lauschten, bestellte meine Oma gestörte Erdnüsse. Die wanderten zwar mit wirrem Gekicher auf dem Teller herum, doch bei so einer spannenden Geschichte überlebten sie nicht lange. Sie wurden vor allem von Blue und mir verputzt. Sobald die gestörten Erdnüsse das Zeitliche gesegnet hatte, ging Blue zu Schokoladenwaffeln über.
„Also habt ihr die Traveling Shovel of Death auch nicht gefunden“, seufzte ich und fasste damit unsere Situation zusammen.
„Nein. Dafür aber den Starb.“
Meine Oma klopfte mit ihrem Regenschirm auf den Boden. Der sah nicht viel anders aus als vorher, bis vielleicht auf die kleine Veränderung, dass der Stiel ein wenig rauer und weniger gerade war. Eben wie ein Stab. Oder ein Starb.
Phoenix hingegen schien fasziniert vom Zeigefinder. „Wisst ihr eigentlich was für ein großer Schatz das ist?“
„Bisher nicht wirklich.“
Ich hatte auf dem Weg weiterhin versucht etwas auf dem Zeigefinder einzustellen, doch er zeigte nie etwas anderes an als 404 – not found. Ich war ehrlich gesagt kurz davor gewesen das Ding in den nächstbesten Straßengraben zu werfen.
„Das könnte wirklich nützlich sein, gut gemacht.“
Naja. Wie auch immer. Was mich viel mehr interessierte war wie wir weiter vorgehen würden. Diese Frage brachte erst einmal alle zum Schweigen während wir überlegten. Die TSoD zu finden schien immer noch unsere größte Hoffnung zu sein, aber da sie weder im Schloss des Könlings gewesen war, noch in der Geheimkammer des Hamsters, hatten wir ein Problem.
„Ich habe von einer Hexe gehört…“, begann Phoenix.
„Hör mir bloß auf mit Hexen“, quakte Hannes.
Der saß ausnahmsweise nicht auf meiner Schulter, sondern neben einem Teller mit Wasser. Als der Wirt ihn gefragt hatte ob er ein paar Fliegen wolle, hatte er glücklicherweise verneint. Ich wusste nicht, ob ich den Anblick heute ertragen hätte.
„Sie soll eine gute Hexe sein und lebt am Waldesrand in der Fantasygegend“, meinte Phoenix.
Stöhnend ließ ich den Kopf in den Nacken fallen. „Da kommen wir gerade her! Hättest du das nicht vorher sagen können?“
„Nun ja, mit Hexen, ob gut oder böse, ist das immer so eine Sache. Man weiß nie woran man ist. Deshalb hätte ich das gerne vermieden.“
Na super. Und das sollte mich beruhigen? Da hatte ich aber noch ein Wörtchen mitzureden.
Der Wirt hatte gerade eine neue Fuhre Waffeln für Blue gebracht, als die Tür aufging und sich quietschend wieder öffnete.
„Doppeltüren“, erklärte der Wirt. „Damit die Leute sie mir nicht immer aufschießen.“
Er setzte an das weiter zu erläutern, da war Phoenix schon aus dem Stuhl gesprungen. „Rauchninjas!“, rief sie.
Sofort brach Panik in der Drachenschenke aus. Stühle und Tische wurden umgeworfen bei dem Versuch den Ninjas zu entkommen.
„Alle zu den Waffeln!“, schrie Blue.
„Äh… wären Waffen nicht besser?“
„Nö. Wieso? Mit leerem Magen in die Schlacht? Also ehrlich…“
Blue war eben eher mampferprobt als kampferprobt. Trotzdem, oder gerade deswegen, hätte ich ihm am liebsten eins mit dem Starb meiner Oma übergebraten. Die ersten Rauchninjas hatten uns beinah erreicht. Wieder einmal würden meine Pfeile nicht viel bringen. Also zog ich mein dreiklinkiges Messer, das meine Oma misstrauisch beäugte. Da hatten wir in unserer Erzählung wohl etwas ausgelassen.
„Was?“, fuhr ich sie an. „Ich muss mich verteidigen können!“
Das bewahrheitete sich augenblicklich, denn der erste Rauchninja griff an. Blue, der sich nun doch für Waffen anstatt Waffeln entschieden hatte, versuchte ihn mit seinem Schwert anzugreifen. Der Ninja wich jedoch aus – um meiner Oma in den Regenschirm zu laufen.
Sie versetzte ihm einen ordentlichen Schlag, woraufhin der Ninja zusammenklappte und sich in schwarzen Staub auflöste. Okay, bisher fand ich den Starb wesentlich praktischer als den Zeigefinder. Auch Hannes stieß einen bewundernden Pfiff aus. Bisher hatte ich nur gewusst, dass so komische Regenwaldfrösche das konnten.
Die anderen Ninjas hielten inne und starrten entgeistert – zumindest soweit ich das bei den schwarzen Masken sagen konnte, aber wie konnte es anders sein? – auf den lila geblümten Regenschirm. Einer ergriff die Initiative. Er versuchte mit Wirten zu verletzen, nicht mit einer Klinge. Da nur ein Wirt in der Nähe war, traf es den. Mit einem Heulen, das sich anhörte als hätte er gerade entdeckt, dass seine Tür wieder aufgeschossen worden war, flog er durch die Luft auf uns zu.
Wir schafften es gerade so dem ungewöhnlichen Wurfgeschoss auszuweichen und der Wirt landete auf unserem Tisch. Dieser verabschiedete sich mit einem lauten Krachen und war nur noch als Einzelteillager auf dem Boden zu finden. Freundschaf drückte sich leise mähend zwischen die Überreste einiger Stühle, während der Froschprinz sich in dessen Wolle kauerte. Er war von meiner Schulter gesprungen – eine Weise Entscheidung, wenn man mich fragte. Wie schon vorher festgestellt, war es in Kampfsituationen weniger zu gebrauchen und ein Frosch konnte auch nicht viel ausrichten.
Danach begannen uns die Ninjas mit den verschiedensten Gegenständen zu bewerfen. Fast alle Falschen hinter der Bar gingen dabei zu Bruch, sowie die halbe Einrichtung – nämlich alles, was sich auf der Ninja-Seite der Schenke befand. Als sie anfangen mit so seltsamen kleinen Wurfsternen zu hantieren, musste ich mir trotz der ernsten Lage ein Lachen verkneifen. Da hatten die jetzt erst dran gedacht? Die Dinger waren bestimmt effektiver als Falschen.




Ich machte mich bereit die Dinger notfalls mit meinem dreiklinkigen Messer abzuwehren, da wurde ich an meiner Robbe gepackt.
„Kein Wirt", zischte eine Stimme und zerrte mich nach hinten in ein Gebüsch.

1 Kommentar:

  1. Schlammmonster... warum nur musste ich jetzt an Dogma denken.

    Und yeah XD Der Dodovan ^^ Übrigens hattest du beim Bild geschrieben das der erst in Kapitel 45 auftaucht <.<

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