Sonntag, 30. November 2014

30. Kapitel



„Alles klar und bereit zum Tarnsport?“
Phoenix sah wesentlich motivierter aus als sie am letzten Tag gewesen war. Aus ihrem geschwärzten Gesicht leuchteten ihre weißen Zähne und sie hatte sich sogar eine schwarze Mütze übergezogen. Ihre Robbe hatte sie gegen die dunkle Regenjacke ausgetauscht, die sie ganz am Anfang getragen hatte. Das einzige, das den Eindruck eines Einbrechers zumindest etwas zunichte machte, war die Kette, die um ihren Hals hing. Marga war sie schon früher aufgefallen. Es war eine rot-goldene Feder, die aussah als wäre sie aus Metall. Sie musste etwa so lang sein wie ihr Mittelfinger.
Marga war wesentlich weniger wohl bei der Sache. Sie fühlte sich schlecht in der dunklen Kleidung und die Farbe in ihrem Gesicht juckte. Allerdings hatte sie dem Plan zugestimmt und würde ihn jetzt durchziehen müssen – schließlich mussten sie irgendwie in die Burg kommen und wenn das ihr einziger Plan war, mussten sie es wenigstens versuchen. Je schneller das geschafft war, desto schneller konnten sie diese schreckliche Gegend verlassen.
„Nicht bereit, aber es wird schon“, grummelte Marga.
Diese Horrorgegend saugte ihr ihre ganze gute Laune aus. Jetzt jedoch griff sie ihren Regenschirm fester und folgte Phoenix den Berg hinunter zur Burg. Die Pferde hatten sie im Wald auf einer Lichtung gelassen. Marga hatte sie nicht anbinden wollen. Falls etwas schief ging, sollten die Tiere eine Möglichkeit zur Flucht haben.
Der Wachosten war, wie der Name vermuten ließ, im Osten der Burg. Es war eine kleine Hütte, die direkt an die Burg gebaut worden war und immer von mindestens zwei Wachmännern besetzt war. Im Wachnorden, Wachwesten und Wachsüden sah es genauso aus. Sie hatten beschlossen den Wachosten außer Gefecht zu setzen, weil der am nächsten am Wald lag.
Phoenix schlich zuerst über die heruntergelassene Zugbrücke auf den schmalen Streifen Gras, der die Burg umzog. Auf diesem waren die Wachposten gebaut. Man musste bei einem von ihnen einen Hebel betätigen, um das Zuggitter der Burg zu überwinden.
Phoenix, die voranging, schaute vorsichtig durch eins der Fenster in die kleine Hütte. Dann sah sie sich um und sah sie an, um sich umzusehen und sie anzusehen. Sie hielt drei Finger hoch. Drei Finger, drei Wachen. Das war einer mehr als sie erwartet hatten. Allerdings machten Marga die Männer weniger Sorgen als die Krokodielen im Wassergraben.
Aus der Tasche zog Phoenix etwas leuchtend Rotes. Dann machte sie Feuer unter einer kleinen Zündschnur, die aus dem Ding hing und warf es durch das Fenster in die Hütte.
Es war als hätte sie Feuerwehrkörper auf glühende Kohlen geworfen – was sie in gewisser Weise getan hatte, denn genau das war es gewesen. Ein Feuerwehrkörper. Phoenix hatte ihr erklärt, dass sie in der freiwilligen Feuerwehr von Schreibstadt arbeitete und so auch Mr. Ian Woon kennen gelernt hatte. Zu Übungszwecken, wenn sie das Bekämpfen von Feuern üben wollten, hatte die freiwillige Feuerwehr extra für solche Einsätze Feuerwehrkörper hergestellt, um Feuer zu legen.
Einer davon ging nun in der Hütte los. Mit lauten Schreien verließen die Männer den Wachosten. Da Phoenix und sie sich in die Ecke zwischen Burg und Hütte gedrängt hatten bemerkten die Wachen sie nicht einmal als sie in Panik vorbeirannten.
Sobald sie außer Sichtweite waren stieg Phoenixfeder durch die Türöffnung in die brennende Hütte. Obwohl das ebenfalls Teil des Plans war, war Marga dabei gar nicht behaglich, doch sie verrichtete ihre Aufgabe und hielt mit dem Regenschirm im Anschlag Wache.
Das Rumpeln des Fallgitters ertönte und plötzlich erschien ihr der ganze Plan einfach nur dumm. Selbst wenn sie es in die Burg schafften, wie sollten sie wieder herauskommen? Das Rumpeln würde die ganze Burg aufwecken!
In dem Moment kehrte Phoenixfeder zurück. Nicht einmal ihre Kleidung war angesengt und sie trug wieder das breite Grinsen auf dem Gesicht.
„Beeil dich. Das Gitter bleibt eine Weile oben, aber ich habe es gerade so weit hochgezogen, dass wird zwei hindurchpassen.“
Sie ging um Marga herum und als erste durch das Fallgitter, das nun wirklich einen Spalt über der Erde schwebte. Von den Wachen war immer noch nichts zu sehen und so folgte Marga ihrer Kameradin in die Burg. Diese Jacke war wirklich erstaunlich. Sie schien tatsächlich aus Drachenhaut zu sein, wie Phoenix am Anfang einmal behauptet hatte. Als solche war sie natürlich feuerfest, was für eine Frau, die bei der freiwilligen Feuerweht arbeitete, natürlich nicht das Schlechteste war.
Kaum hatte sie sich durch den Spalt zwischen Gitter und Boden gezwängt, fiel das Gitter mit einem lauten Knall herunter. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ein Vor gab es allerdings auch nicht, denn urplötzlich wurde der Innenhof der Burg von hunderten Fackeln beleuchtet. Wachmänner standen auf allen Seiten und richteten im Licht glänzende Speere auf die beiden Eindringlinge. Sie waren eingespeert!
„Der Ham… Master erwartet Sie schon.“
Einer der Wachmänner trat vor. Mit einem Nicken bedeutete er zwei anderen Wachen sie in Gewahrsam zu nehmen. In diesem Fall bedeutete das ihnen eine Speerspitze in den Rücken zu drücken damit sie dem Mann folgten. Marga schluckte. Das gehörte definitiv nicht mehr zu ihrem Plan. Phoenixfeder sah entschuldigend zu ihr hinüber bevor sie durch eine Tür ins Innere der Burg geschoben wurde. Die Speerspitze im Rücken, trat sie ebenfalls ein.
Der Mann hatte gesagt der Master würde sie erwarten. Das bedeutete wohl, dass ihre Mission von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen war.
Das Innere der Burg lenkte sie von ihren Gedanken ab. Die Wände sahen nicht mehr aus wie der Stein von draußen, sondern als seien sie etwas Lebendiges. Wenn sie sich auf eine Stelle konzentrierte, dachte sie fast die Wand atmen zu sehen. Da sie allerdings nie stehen bleiben dürfte (man erinnere sich an die Speerspitze in ihrem Rücken) konnte sie ihren Verdacht nicht bestätigen.
An einer Stelle war die Wand besonders schmal und zu beiden Seiten wuchs etwas, das aussah wie eine riesige Warze. Alle mussten sich durch diese Stelle quetschen, inklusive der Wachmänner, die ebenfalls angeekelte aussahen. Sie waren erwarzt worden.
„Iii, wie eklig“, murmelte Marga.
Dann jedoch weitete sich der Gang wieder bis er vor einer großen, eisenbeschlagenen Holztür endete. Einer der Wachmänner kopfte daran indem er seinen Kopf, der in einem metallenen Helm steckte, gegen das Holz schlug. Das tat er dreimal bis die Tür aufschwang.
Mit den Speeren im Rücken wurden beide in den Saal geschoben. Dann schloss sich die Tür hinter ihnen, ohne dass die Wachen ihnen gefolgt waren und sie standen dem Herrn des Schlosses gegenüber.
Ein totes Licht erfüllte den ganzen Saal und ließ ihn uneinladend und unheimlich wirken. Mehrere Soldaten standen in voller Rüstung im Spalier vor einem riesigen, steinernen Thron am Ende des Saals. Zu dessen Seiten standen mehrere Diener, die Tabletts mit allen möglichen Leckereien zu halten schienen. Auf dem Thron selbst hockte eine kleine Gestalt, etwa so groß wie normal großer Hund.
„Stopp!“, rief die Gestalt.
Phoenix und Marga blieben stehen und sahen sich fragend an. Die Stimme der Gestalt hatte hoch geklungen, so als hätte jemand zu viel Helium eingeatmet und versuchte nun mit einer Ehrfurcht gebietenden Stimme zu sprechen. Es hatte ein bisschen was von Mickey Maus.
„Ich bin der Master dieses Reiches. Niemand betritt oder verlässt mein Herrschaftsgebiet ohne meine Erlaubnis oder ohne dass ich es mitbekomme. Was wollt ihr hier, Diebe?“
Das Licht im Saal wurde heller bis Marga erkennen konnte wer auf dem Thron saß. Wäre die Situation nicht so furchteinflößen gewesen, hätte sie gelacht. Der Herrscher des Reiches war ein Hamster. In einen schwarzen Pelzmantel gehüllt und mit einer goldenen Krone auf dem fetten Kopf, hockte er auf seinem Thron. Auf vielen der Tabletts lagen, wie Marga nun feststellte, Nüsse und auf einem ringelten sich ein paar Würmer.
„Wir sind keine Diebe“, begann Phoenix. Auch um ihre Mundwinkel zuckte es.
So ganz korrekt war das nicht. Immerhin hatten sie vor die TSoD zu stehlen falls sie sich tatsächlich hier in der Burg befinden sollte. Wobei ihr selbst nicht ganz klar war, ob man es als Stehlen bezeichnen konnte wenn der Eigentümer der Sache keine Ahnung hatte wo sie sich befand und wie man da dran kam.
„Was seid ihr dann? Diejenigen, die die Plotbunnys auf mein Land losgelassen haben? Redet oder spürt den Zorn des Master!“
Marga musste ein Prusten unterdrücken. Der Hamster hatte wohl eine leicht cholerische Veranlagung. Die Diener behielten jedoch ihre ernsten Mienen bei, was sie sich fragen ließ, ob Lachen in dieser Situation angemessen war. Vermutlich war es das eher nicht.
„Wir versuchen die Plotbunnys aufzuhalten. Dazu brauchen wir die TSoD, die sich, laut Gerüchten, in einem Geheimraum in dieser Burg befinden soll.“ Offensichtlich hatte Phoenix beschlossen die Wahrheit zu sagen.
Vermutlich war das gut so. Auf die Schnelle war selbst ihr keine vernünftige Erklärung dafür eingefallen warum sie versuchten in diese Burg einzudringen. Alles andere hätte vermutlich ihre sofortige Enthauptung nach sich gezogen – oder, wenn der Hamster ein wenig kreativer war, hätte man sie den Krokodielen zum Fraß vorgeworfen.
„Die TSoD? Das ist nur ein Gerücht. In dieser Burg gibt es keinen Geheimraum. Ich selbst habe schon danach suchen lassen“, zeterte der Hamster. „Wachen! Werft die beiden den Krokodielen vor!“
Anscheinend war er ein wenig kreativ, was die Situation verschlimmerte.
„Wie Ihr wünscht.“ Einer der Soldaten verneigte sich tief. „Es soll alles geschehen wie Ihr es befehlt, Hamster.“
„Master, verdammt nochmal, Master! Wie oft muss ich euch das noch sagen!“, wetterte das cholerische Nagetier.
„Wie Ihr wünscht, Muster.“
„Master! Das heißt Master!“
„Natürlich, Eure Hiheit“, versuchte es der Wachmann erneut.
Unter dem Fell war der Kopf des Hamster bestimmt knallrot geworden vor Wut. Als König der Kiffer bezeichnet zu werden schien dem Herrscher der Burg gar nicht zu gefallen.
„MASTER!“, kreischte er. Dann jedoch wurde er verdächtig ruhig und musterte den Wachmann mit böse funkelnden Augen. „Ich habe es mir anders überlegt“, sagte er an eine andere Wache gewandt. „Werft zuerst den da in den Burggraben. Aber zieht ihm zuerst die Rüstung aus. Der Zimmermann für die Krokodielen kostet immer so viel wenn sie sich ihre Zähne ausbeißen.“
„Was… nein!“, rief der erste Wachmann. Doch zwei andere hatten ihn bereits gepackt und zerrten ihn zu einer Tür direkt hinter dem Thron. Das erklärte warum es keiner wagte zu lachen.
„Nun zu euch. Ihr glaubt wirklich hier einen geheimen Raum finden zu können?“
Der Hamster sah ein wenig interessiert aus, was ihr Hoffnung machte. Andererseits war es nachvollziehbar. Ein geheimer Raum in der eigenen Burg, den niemand finden konnte, war nicht gerade gut für die Reputation.
„Ja. Wir haben handfeste Beweise, dass es ihn gibt und einige Anhaltspunkte wo. Allerdings müssten wir uns in der Burg frei bewegen können.“
Bei den handfesten Beweisen hatte Phoenix etwas übertrieben. Der letzte Teil gefiel Marga allerdings besser.
„Mmh.“ Der Hamster winkte einem Diener heran, der daraufhin sein Tablett anhob, nahm sich eine Nuss und schob sie von einer Backe in die andere. „Mmh. Nun gut.“ Jetzt sprach er nicht mehr nur wie Mickey Maus, sondern nuschelte auch noch. „Unter einer Bedingung. Wenn ihr den Raum gefunden habt und sich darin tatsächlich die TSoD befinden sollte, dann gehört sie mir. Bevor ich sie habe verlasst ihr diese Burg nicht lebendig.“
Ein cholerisches Nagetier mit einer todbringenden Schaufel? Das kam ihr wie keine gute Idee vor. Phoenix nickte jedoch.
„Abgemacht.“
„Denkt daran. Ihr dürft euch frei in der Burg bewegen. Aber setzt ihr auch nur einen Fuß vor das Tor, seid ihr tot. Solltet ihr den Raum innerhalb von einer Woche nicht gefunden habt, ebenfalls.“ Mit einem Knacken zerbiss der Hamster die Nuss. „Habt ihr das verstanden?“
„Natürlich, Master.“ Phoenix verbeugte sich und Marga tat es ihr schnell nach.
Besonders die Anrede am Schluss schien dem Nagetier gefallen zu haben. Es winkte einer Wache.
„Führt die zwei auf ihre Zimmer. Sie sind bis auf Weiteres meine Gäste und als solche sind die zu behandeln solange sie sich an meine Bedingungen halten.“
Der Wachmann salutierte knapp und bedeutete den beiden dann mitzukommen. Sie wurden ebenfalls durch die Tür auf der anderen Seite geführt. Zum Glück waren die Wände hier aus normalem Stein. Margas Vermutung war, dass der andere Eingang nur dazu diente den Gästen Angst zu machen oder sie anzuekeln. Zumindest Letzteres funktioniert sehr gut.
Von vorne kamen zwei Wachen geeilt. Einer blieb in der Tür stehen während der andere dem Hamster Bericht erstattete.
„Der Wachmann, den wir in den Graben werfen sollten, ist auf der Flucht. Wir haben ihm die Rüstung abgenommen und vorsichtshalber auch noch den Rest der Kleidung bis auf die Unterhose. Aber er ist uns entkommen.“
„WAS?!“ Die Worte kamen in einem schärferen Tobfall als Marga sie je gehört hatte. „Findet ihn! Fangt ihn, wenn er noch lebt – und wenn nicht, dann tötet ihn!“
Der Wachmann stammelte etwas Entschuldigendes bevor er sich schnell durch die Tür zurückzog, die sein Kumpane ihm aufgehalten hatte. Wenn man bedachte was mit dem letzten Wachmann passiert war, der den Hamster verärgert hatte, war er glimpflich davongekommen.
Die beiden Wachen bogen in einen Gang ab, während Phoenix und Marga in einen anderen geführt wurden. Dort war gerade eine Frau dabei den Boden zu wischen. Sie ergriff wieder und wieder den Lappen, um ihn in den Eimer mit Seifenauge zu tauchen. Die Augen, sie sie aus der Seife her anschauten, erinnerten Marga sehr an die, die sie gestern im Cocktail gehabt hatten.
Der Raum, in dem sie von nun an untergebracht waren, war recht ansehnlich. Die Farben waren zu dunkel, doch immerhin waren die Wände aus Stein und nicht aus dem seltsamen Zeug vor dem Thronsaal. Das war alles worauf Marga gehofft hatte. Der Horror begann allerdings als sie sich auf ihre Seite des Bettes setzte. Entsetzt starrte sie auf die luxuroöse Bettwäsche, die prall gefüllt war mit Daumen. Ansteckend und ekelhaft!
„Also da drin schlafe ich nicht“, kommentierte sie das Bett trocken.
Die Matratze schien allerdings sicher zu sein und so entfernten sie und Phoenix nur die Bettdecke und das Kissen und rollten sich unter ihren Robben zusammen. Marga hielt sich nicht damit auf ihr Nachthemd anzuziehen.
Sie hörten wie ein Schlüssel im Schloss der Tür gedreht wurde. Dann wurde mit einem Quietschen die Türklinge heruntergedrückt um zu testen ob die Tür auch verschlossen war.
Es musste ganz schön weh tun auf so eine Türklinge zu drücken, dachte Marga noch bevor sie einschlief.

Samstag, 29. November 2014

29. Kapitel

Die Stuhlmenschen knarrten mit ihren Gliemaßen, während über allem immer noch das Schluchzen des Bäckers zu hören war. Blue und ich standen Rücken an Rücken. Er hatte sein Schwert gezogen, während ich meinen Bogen in der Hand hatte. Zwar würde es nichts bringen Pfeile abzuschießen, aber es gab mir immerhin ein beruhigendes Gefühl eine Waffe in der Hand zu halten.
„Wie wird man die nur los?“, fragte ich verzweifelt. „Hey! Wir haben gar nichts gemacht! Das Gebäck hat uns angegriffen, nicht umgekehrt!“
Die Leute schienen uns nicht zu hören, denn sie kamen trotzdem näher und knarzten unheilvoll.
Plötzlich ging die ganze Gegend in Flammeln auf. Die Stuhlmenschen schrien erbost auf, als das flammige Feuer an ihren Gliedmaßen zehrte. Mit einem letzten Blick auf uns ergriffen sie die Flucht. Nur vier Personen blieben auf dem Platz zurück. Blue und ich, sowie der Bäcker, der immer noch um seine Brote weinte und eine Gestalt, die durch das Feuer auf uns zukam.
„Die Flammeln tun dir nichts. Die wirken nur gegen Stuhlmenschen“, grinste Blue und ging direkt durch das Feuer. „Siehst du?“
„Das waren Sie, die uns gerettet haben, oder?“, fragte ich die Gestalt. „Danke!“
Ich stutzte als die Gestalt vor uns zum Stehen kam. Es war ein sehr deformierter Mann, der sich kurz verbeugte und dann mit einer Stimme, die wie ein Reibeisen war, sagte: „Die Flammeln werden bald verlöschen. Folgt mir.“
Zögernd nickte ich. So ganz trauen tat ich dem Wesen nicht, aber immerhin hatte es uns gerade gerettet.
„Blue, was ist das?“
„Das ist ein Namm“, erklärte er.
„Ein was?“
„Ein Namm. So etwas passiert wenn durch einen Zauber versucht wird einen Menschen zu erschaffen. Du kennst doch sicher die Geschichte von Frankensteins Monster, oder? Das hier ist so ähnlich, nur dass es mit Zauberei und nicht Wissenschaft angegangen wurde – wobei einige sagen, dass es da keinen großen Unterschied gibt. Beim Spruch ist etwas schief gegangen und er ist ein Namm geworden. So einfach ist das.“ Blue zuckte mit den Schultern.
Dann nahm er sein Pferd und folgte dem Namm durch die Straßen. Das hier schien das Dorf der unvollständigen Kreaturen zu sein. Erst Stuhlmenschen, dann ein Namm. Aber immerhin schien der uns gut gesinnt zu sein. Ich folgte den beiden und neben mir lief Freundschaf.
Der Namm führte uns zu einem Haus, das etwas abseits von der Stadt lag. Ein hoher Zaun umgab es, als müsste er sich vor etwas schützen. Dank uns hatte er sich gerade vermutlich die Stuhlmenschen zum Feind gemacht, also war der Zaun eine weise Maßnahme. Die Pferde banden wir draußen an einem Apfelbaum an. Dann folgten wir dem Namm ins Haus.
„Es hat sich schon herumgesprochen, dass eine Gruppe Helden in Robben losgezogen ist, um die Plotbunnys aufzuhalten“, sagte er sobald sich die Tür geschlossen hatte und wir in dem kleinen Raum standen, der sowohl das Schlafzimmer und die Küche als auch das Wohnzimmer beinhaltete. Eine winzige Tür ging zu einer Seite weg, hinter der ich das noch fehlende Badezimmer vermutete. „Ich nehme an das seid ihr. Auch wenn ich unter einer Gruppe mehr als zwei Personen verstehe.“
„Wir mussten uns trennen“, sagte Blue. „Wir sind auf dem Weg zum Könling, weil wir seine Hilfe brauchen. Die anderen beiden Mitglieder unserer Gruppe mussten in die Horrorgegend.“
„Das ist eine sehr gefährliche Ecke“, bestätigte der Namm.
Konnten die Leute nicht mal aufhören das zu sagen? Ich machte mir sowieso schon Sorgen um meine Oma. Da musste mir das nicht noch jeder unter die Nase reiben. Obwohl das, was sie dort erlebten nicht viel schlimmer sein konnten als das, was uns hier passierte. Diese ganze Gegen war einfach nur gaga.
„Wenn ihr mit dem Könling sprechen wollt, müsst ihr zuerst um eine Audienz bitten. Ich habe einen Spiegel hier, damit könnt ihr seine Sekretärin benachrichtigen.“ Er deutete auf einen Spiegel, der an der Wand über einer Kommode hing.
„Ein Spiegel? Wie kann man damit jemanden benachrichtigen?“, murmelte ich.
„Das ist wie ein Videochat“, meinte Blue. „Richtig cool eigentlich. Wenn man die richtige Kombination von Mustern auf dem Rahmen drückt wird man mit einem anderen Spiegel verbunden und kann mit den Leuten dort sprechen. Ich wollte auch immer so einen haben.“
„Mmh.“ Ich sah das Ding zweifelnd an. Also ich wusste jedenfalls nicht wie man das bediente.
„Ich kann die Nachricht für euch weiterleiten“, schlug der Namm hilfsbereit vor. „Da Mr. Ian Woon bestimmt von eurer Ankunft berichtet hat wird euch der Könling erwarten. Er wird euch bestimmt morgen empfangen.“
„Morgen erst?“
Dann hatten wir ein Problem. Im Saubertrank wollte ich bestimmt kein Zimmer nehmen. Es würde nicht helfen wenn ich als Karte und Blue doppelt vor dem Könling erschien. Aber hier konnten wir auch nicht bleiben. Man denke an die Stuhlmenschen.
„Wenn es euch nichts ausmacht zusammen auf dem Sofa zu übernachten könntet ihr hier für eine Nacht unterkommen“, bot der Namm an.
Dass wir ihn getroffen hatten war das Beste, das uns hätte passieren können. „Danke!“
„Sofern es euch nichts ausmacht natürlich“, beeilte er sich zu sagen. „Ich hätte zum Beispiel schon längst wieder Staubsaufen sollen. Nur ist leider mein Staunsauger kaputt.“
Er deutete auf eine seltsame Maschine, die an der Wand lehnte. Direkt daneben befand sich das, was der Aufschrift nach zu urteilen, eine Reissäge war. Als ich mir die Reissäge näher ansah, entdeckte ich den Aufkleber mit den Worten made in China.
„Natürlich macht es uns nichts aus! Nicht wahr, Blue?“
Der war immer noch fasziniert vom Spiegel und nickte nur.
„Die meisten Menschen machen einen Bogen um mich“, meinte der Namm und ließ den deformierten Kopf hängen. „Ich glaube sie haben Angst vor mir.“
„Dann sind die meisten Menschen Idioten.“ Soweit nichts Neues. Das war mir schon vorher klar gewesen.
Das schien den Namm aufzumuntern, denn er begann, ein Lied summend, Teller und Tassen auf den Wohnzimmertisch zu stellen. Danach setzte er Kaffee auf.
„Könnte einer von euch vielleicht die Kekse aus der Verratskammer holen?“, bat der Namm
„Was um Hummels Willen ist eine Verratskammer?“
„Da wurden früher Verräter drin festgehalten. Gerne auch mal Plotbunnys. Aber keine Sorge, das ist schon ewig her und ich habe gut sauber gemacht.“
In einer Nische neben der Küchenzeile fand ich hinter einen Vorhang die Verratskammer. Sie sah eigentlich aus wie eine stinknormale Vorratskammer. Ich schnappte mir eine Schachtel Schokoladenkekse – von den ganzen fliegenden Schokoladenmuffins hatte ich irgendwie einen Heißhunger auf Schokolade bekommen – und zog den Vorhang wieder zu.
Auf einmal hörte ich ein Kichern. Zuerst dachte ich, dass mein Spott zurückgekehrt war, doch von dem hatte ich nichts mehr gehört seit wir das Dorf betreten hatten.
„Das ist nur der Vorrat“, erklärte der Namm. „Manchmal kichert der. Ich gehe ihn ausmachen falls es dich nervt, aber normalerweise hört der irgendwann von selbst wieder auf.“
„Äh, danke. Geht schon.“
Ich stellte die Kekse zum mittlerweile fertig gebrühten Kaffee auf den Tisch. Ich bat allerdings lieber um eine Tasse Tee.  Während Blue und ich schon an unseren Getränken schlürften, benutzte der Namm den Spiegel. Von hier konnte ich nur eine rundliche Frau mit Dauerwelle sehen, die ihm antwortete, dann war das Gespräch auch schon beendet und der Namm setzte sich zu uns.
„Mr. Ian Woon hat euch tatsächlich schon angekündigt und ihr habt morgen eine Audienz. Gleich morgen früh, was bedeutet, dass ihr früh aufstehen müsst um rechtzeitig anzukommen. Es ist wichtig pünktlich zu sein, immerhin werdet ihr mit dem Könling sprechen.“
„Ist er ein guter Herrscher?“, fragte ich.
„Ja, das ist er. Als die Plotbunnyinvasion begonnen hat, hat er zum Beispiel sofort Boden nach Schreibstadt geschickt“, sagte der Namm.
„Ja, ich hab die Bekanntschaft von einem gemacht.“ Wie es denen wohl ergangen war? Waren sie doch den Bunnys erlegen, oder hatten sie weiter holde Maiden gerettet?
„Nicht nur das. Er hat auch Männer an unseren Grenzen postiert. Die konnten die Bunnys natürlich nicht ewig aufhalten, aber zumindest sind nicht ganz so viele zu uns durchgekommen. Oder habt ihr hier schon Bunnys gesehen?“
Bisher noch nicht. Das war mir gar nicht aufgefallen! Aber wenn die Bunnyinvasion wirklich so schlimm war wie alle sagten warum hatten wir hier noch keine gesehen?
„Sie wurden alle eingefangen und werden nun in bestimmten Häusern der Stadt aufbewahrt. Es kommen immer neue nach und die Bunnys in den Gebäuden vermehren sich natürlich auch. Irgendwann wird eins entstehen, das den anderen beim Ausbruch helfen kann. Dann wird die Invasion schlimmer sein als vorher.“ Der Namm nahm einen Schluck Kaffee. „Deshalb hat es der Könling auch so eilig euch zu sehen. Er wird euch bestimmt helfen.“
Das wagte ich zu bezweifeln. Bisher war keine unserer Ideen in der Umsetzung besonders leicht gewesen. Besonders wenn es um Könige und Schätze ging wollte ich nichts beschwören. Bei den meisten von ihnen konnte ich mir vorstellen, dass sie sich nur äußerst ungern von ihren Reichtümern trennen würden.
Das Kichern im Verratsraum hatte immer noch nicht aufgehört. Im Gegenteil, mittlerweile war es so laut geworden, dass es unsere Gespräche beeinträchtigte.
„Was ist denn heute nur mit meinem Vorrat los?“, ärgerte sich der Namm. „Das macht der doch sonst nie!“
Ein weiteres Geräusch mischte sich zum Kichern. Es hörte sich an als hätte es im Verratsraum begonnen zu regnen. Ein leichtes Rieseln, das allerdings schnell in ein Rauschen überging. Unter dem Vorhang begann etwas Weißes zu schimmern, das sich schnell über den Boden ausbreitete. Das Rauschen nahm weiter zu. Der Vorhang wurde nun zur Seite gedrückt und die Welle aus weißem Zeug ergoss sich direkt vor unsere Füße – und sie wuchs immer weiter.
„Eine totale Reisüberflutung!“, schrie Blue und sprang auf das Sofa.
„Ich hatte befürchtet, dass das irgendwann mal passieren würde“, seufzte der Namm. „Den verzauberten Reis habe ich geschenkt bekommen. Wenn man ihn nicht schnell genug isst, vervielfältigt er sich. Genau deshalb habe ich die Reissäge gekauft.“
„Funktioniert die?“, fragte Blue, bereits auf dem Weg zur Reissäge. Mit den Worten „na immerhin werden wir nicht verhungern“ warf er den Motor an. „Alle Namm mir nach!“
Der Motor dröhnte und der Reis rauschte während Blue mit der Säge auf das weiße Zeug einhieb. Tatsächlich schien der Berg aus Reis sofort zu schrumpfen. Diese Säge musste auch irgendwie magisch sein, denn Blue trieb den Reis zurück in die Verratskammer, solange bis auch das letzte Korn zurück in seine Packung gesprungen war und sich der Reisverschluss daran von alleine geschlossen hatte.
„Vielleicht sollten wir Milchreis machen“, schlug der Namm vor. „Bevor wir in die Stadt gehen.“
„Aber da sind doch die Stuhlmenschen…“ Die Erinnerung an den Besuch eben war noch sehr frisch. Das musste kein zweites Mal sein.
„Solange ich dabei bin tut euch niemand was. Es hat auch seine Vorteile wenn Menschen Angst vor mir haben.“

Freitag, 28. November 2014

28. Kapitel



Die Tür zum Hakenfisch ließ sich schwer öffnen und ließ ein unheilvolles Knarren hören als Marga es schließlich doch schaffte. Sobald die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, war das dumpfe Aufschlagen der Beine nur noch im Hintergrund zu vernehmen. Vermutlich hatte die Kneipe eine extra Abschirmung gegen so etwas, vor allem wenn es öfter passierte.
Der Hakenfisch war eine verrauchte, mit Möbeln aus dunklem Rauch eingerichtete Kneipe. Bei den Möbeln musste Marga zweimal hinsehen, doch es handelte sich wirklich um Rauch. Er hatte die Form von Tischen, Stühlen und einer Bar angenommen und da einige vermummte Gestalten auf den Stühlen saßen, mussten sie solide sein. Es sei denn die Gestalten waren körperlos, was natürlich auch sein konnte. Im hinteren Teil des Raumes standen außerdem zwei Sessel, die aus toten Ratten gefertigt zu sein schienen.
Erhellt wurde der Raum vom staubigen Lumpen. Staub war sowieso überall. Selbst die Falschen hinter der Bar waren von einer dicken Staubschicht überzogen. Nur auf den Rauchmöbeln war kein Staub zu sehen, was bei Marga wieder die Frage aufkommen ließ ob sie solide waren oder nicht.
In einer Ecke der Schenke war der Holzboden so weit aufgerissen, dass man das Gras darunter sehen konnte. Sogar hier standen ein Tisch und ein paar Stühle, die einzigen, die im Raum noch frei waren.
Die Stimmung war genauso düster wie die EIntichtung. Einzig ein dunkles Rotz dominierte die Wand hinter der Bar und gab dem Raum wenigstens so etwas wie Atmosphäre.
„Ich müsste mal kurz durch.“ Eine der vermummten Gestalten war vor ihnen aufgetaucht. „Sie blockieren die Tür. Es ist ein Notfall; es geht um Leichen und Tod.“
„Natürlich“, sagte Marga und zog Phoenix einen Schritt zur Seite um die Gestalt durchzulassen. Warum sich der Mann nur beeilte wenn sowieso alle gestorben waren? Wenn jemand am Leben wäre und in Todesgefahr schwebte würde sie die Hektik ja verstehen, aber so…
Marga stütze Phoenix so lange bis sie die Bar erreicht hatten und sich auf den Rauchhockern niedergelassen hatten. Sie waren, wie Marga erleichtert feststellte, aus festem Material und sogar recht bequem.
„Wenn Sie hier sitzen, müssen Sie auch was nehmen“, polterte der Barkeeper.
„Natürlich. Machen Sie uns irgendwas.“
Im nächsten Moment wünschte sie sich die Worte zurücknehmen zu können, denn gerade war ihr aufgefallen, dass der Cocktail, den ein Mann zu ihrer Rechten trank die Farbe und Konsistenz von Schlamm hatte. Der Mann warf ihnen nur einen missbilligenden Blick zu, dann nahm er seinen Cocktail und setzte sich in einen der Rattensessel.
„Hier.“
Der Barkeeper knallte ihnen zwei Cocktails hin. Sie standen auf dem Tresen vor ihnen und schauten ihnen tief in die Augen. Marga schlucke. Da waren Augen in ihrem Getränk. Und davon sogar eine ganze Menge. Als sie keine Anstalten machte das Gebräu zu trinken, blinzelten ihr die Augen zu.
„Danke“, sagte sie dem Barkeeper, die Augen nicht von den Augen nehmend.
Um dem Blick des Barkeepers zu entgehen stellte sie die Getränke auf den kleinen Tisch in der Ecke wo das Gras zu sehen war und half dann Phoenix sich dazuzusetzen. Diese hielt sich den Kopf, auf dem sich eine Platzwunde von der Größe eines Fingers befand.
„Ach Gottchen, Phoenix. Bist du in Ordnung?“, flüsterte Marga.
„Es geht schon. Aber dieses Bein war schwer“, sagte Phoenix. „Hast du einen Erste-Hilfe-Kasten dabei? Ein Pflaster wäre nicht schlecht.“
„Das sieht aus als bräuchtest du mehr als ein Pflaster. Wenn du Pech hast muss das genäht werden.“
„Aber sicher nicht in dieser Gegend. Die halten nicht viel von Ärzten“, erklärte Phoenix.
„Tatsächlich tun sie das nicht.“ Einer der anderen Gäste klinkte sich in ihre Unterhaltung ein. „Ich selbst bin elendig verblutet ohne dass mir irgendjemand geholfen hat“, lamentierte das Wesen.
„Sind Sie in Ordnung?“ Marga sah sich den neuen Gesprächspartner etwas genauer an. „Sie wirken etwas verwesend.“
Der Zombie drehte sich beleidigt zur Seite. „Und da versucht man nett zu sein.“
„Ich wollte Sie nicht beleidigen, wirklich. Nur sind Sie der erste Zombie dem ich begegne.“
„Ach wirklich?“ Der Zombie wirkte milde interessiert. „Das ist aber merkwürdig. Ich kenne sehr viele von meiner Art.“
„Gut zu wissen.“
Marga war einen Moment von den Füßen ihres Gegenübers abgelenkt, denn das Gras reichte ihm bis knapp zu den Knöchlein, die durch halb verschwundenes Fleisch und Haut zu sehen war.
„Wollen Sie vielleicht einen Cocktail?“, fragte sie den Zombie. „Ich glaube jetzt doch nicht, dass ich Alkohol zu mir nehmen sollte. Also falls Sie Interesse haben…“
Der Zombie war tatsächlich begeistert von der Aussicht und so wurde Marga immerhin einen der Augencocktails los. Der andere stand noch vor Phoenix, die ins Leere starrte. Hoffentlich hatte sie keine Gehirnerschütterung abbekommen.
Marga ging zurück zur Bar und fragte die Barkeeperin nach einem Tee und außerdem nach einem Zimmer. Mit einer gefüllten Tasse und einem kleinen Schlüssel kehrte sie zu Phoenix zurück.
„Nicht sehr gesprächig, ihre Mitreisende“, meinte der Zombie.
„Nehmen Sie es ihr nicht übel. Sie hat gerade ein Bein an den Kopf bekommen“, versuchte Marga zu erklären.
„Ja, in diesem Teil des Landes muss man vorsichtig sein. Nur ein falscher Schritt und – zack! – wird man ermolcht. Traurig ist das, wirklich traurig.“
„Ermolcht hört sich wirklich nicht schön an“, bestätigte Marga und besah sich ihren Tee. Er hatte eine seltsame Farbe und Konsistenz, wie anscheinend alles das hier serviert wurde.
„Ja, vor allem für den Molch ist das immer eine schreckliche Erfahrung.“
Der Zombie nahm einen Schluck von seinem Cocktail. Dann fischte er mit seinen Skelettfingern eins der Augen aus der Flüssigkeit und fing an es zu essen. Es war auf jeden Fall gut, dass Mia nicht dabei war, denn sie schien ja einen etwas sensibleren Magen zu haben. Marga schluckte nur kurz und sah dann auf ihren Tee, der, wie sie nun vermutete, eher ein Teer war.
„Dieses Wetter ist schrecklich“, führte der Zombie ihre Unterhaltung fort. „Und der Graf sitzt bestimmt grufselig in seinem Schloss während ich meinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Plotbunnys jagen ist gerade das, was einem das meiste Geld bringt, wussten Sie das?“
„Plotbunnys? Gibt es hier auch so viele davon?“ Dann hatten sie sich aber schon weit verbreitet.
„Ja, gibt es. Und teilweise sind es wirklich scheußliche Dinger. Erst gestern habe ich eins gefangen, das tatsächlich rosa war und mit lauter kleinen Herzchen bestückt war! Wenn es wenigstens eins von denen mit Fledermausflügeln gewesen wäre. Aber so eins…“ Allein die Erinnerung ließ ihn schaudern. „Da sieht man zu was die Welt verkommt.“
Seine Theorie wurde davon untermauert, dass der Barmann und die Barfrau anfingen sich zu küssen.
„Und ich war der Überzeugung gewesen, dass sie nur eine einfache Angst-Elle war“, meinte es, das rümpfend was von seiner Nase übrig war.
Marga beschloss mutig zu sein und trank einen Schluck von ihrem Teer. Er hatte tatsächlich etwas von Straßenbelag, doch die Wärme half ihr den Schauer zu vertreiben, der ihr den Rücken hinunterlief.
Sobald sie den Teer geleert hatte entschuldigte sie sich beim Zombie für den frühen Aufbruch und schenke ihm als Entschädigung den zweiten Augencocktail. Dann half sie der immer noch stummen Phoenix die Treppe hinauf. Das Zimmer war spärlich eingerichtet. Überall wuselten Schlammasseln herum und die Betten sahen aus als würden sie einbrechen sobald man sich hinlegte.
In Phoenix‘ Rucksack, in dem sich auch ihre Sachen befanden, da die jüngere Frau darauf bestanden hatte alles zu tragen, fand sich Verbandszeug. Fachgerecht verarztete sie die Platzwunde und stellte sich dann den Handywecker so ein, dass sie alle paar Stunden geweckt wurde. Falls ihre Partnerin eine Gehirnerschütterung hatte, dürfte sie die Nacht nicht durchschlafen.
In dieser Bruchbude wäre ihr selbst das sowieso schwer gefallen. Wenn man nicht aufpasste wurde man bestimmt im Schlaf ermolcht.

Am Morgen war Marga froh, dass die endlich aufstehen konnte. Der Schlafrhythmus der Nacht steckte noch in ihren Knochen und auch Phoenix sah alles andere als fit aus. Dafür bekam Marga ein „guten Morgen“ zu hören, was wohl bedeutete, dass es ihrer Kollegin besser ging.
Sie aßen ein wenig Proviant auf ihrem Zimmer. Da sich die Getränke als größtenteils ungenießbar herausgestellt hatten, nahm Marga an, dass es um das Essen nicht besser bestellt war.
Sie packten ihre Sachen und gingen nur hinunter um zu zahlen. Der Zombie saß an der Bar und aß etwas, das an Kohle erinnerte. Er winkte ihr freundlich zu, während Phoenix die Übernachtung bezahlte.
„Sollen wir noch eine Zeitung mitnehmen?“, überlegte Marga als sie einen Stapel davon auf dem Tresen liegen sah.
„Besser nicht. Das einzig interessante da drin sind die Horrorskope. Aber die machen dir Angst auch nur einen Fuß aus der Tür zu setzen“, meinte Phoenix.
Über Nacht hatte es aufgehört Beine zu regnen und sogar die Beine waren auf mysteriöse Art und Weise verschwunden. Alles sah normal aus. Dunkel und düster, aber durchaus normal.
Die Pferde schienen sehr erleichtert zu sein endlich die Gegenwart der Echse verlassen zu können. Im Stall hatten sie Wasser und Heu gehabt und so waren sie die einzigen der Truppe, die halbwegs versorgt gewesen waren. Außer mit Schlaf, denn die beiden sahen ebenfalls so aus als hätten sie in der Nacht kein Auge zubekommen.
Die Straße war mit seltsamen Büschen gesäumt. Eine Sorte davon trug glänzende, kirschähnliche Fürchte, während die nächste mit toten Beeren bestückt waren. Phoenix meinte, dass man beides zwar essen könnte, aber nicht unbedingt sollte.
Es dauerte den halben Tag bis sie die Burg erreichten, doch der Anblick half nicht gerade ihre Laune zu heben. Die ganze Burg war von einem Wassergraben umgeben, in dem es von sieben-Meter-Krokodielen nur so wimmelte. Die Dielen hatten scharfe Kanten wie die Zähne von Haien und lauerten direkt unter der Wasseroberfläche. Marga und Phoenix hatten nur von ihnen erfahren, weil eine aus dem Wasser gesprungen war um nach einem Vogel zu schnappen, der zu tief über den Burggraben geflogen war.
Auf allen Seiten stand die Burg frei, sodass sie schon von Weitem gesehen werden würden falls sie versuchen sollten sich anzuschleichen. Auf einer anderen Seite befand sich ein großer See. Nach den Krokodielen im Wassergraben schied der als Einstiegsmöglichkeit jedoch nach einstimmigem Beschluss aus.
Phoenix hatte einen Feldstecher, eine Mischung aus einem Fernglas und einem Feldstecher, wobei Marga sowieso nie den Unterschied zwischen den beiden verstanden hatte, aus dem Rucksack gezogen, durch den sie die Burg beobachtete.
„Wir müssen uns irgendwie reinschleichen. Am besten geht das wenn wir zuerst den Wachosten außer Gefecht setzen und uns dann weiter vorarbeiten. Wenn wir mindestens noch den Wachnorden oder den Wachsüden danach erledigen haben sie keine Zeit mehr die Zugbrücke hochzuziehen.“ Phoenix rieb sich die Augen. „Ich glaube nicht, dass dieser schlechte Trick aus Filmen sich als Getrüpp einzukleiden hier funktionieren wird. Hier gehen leider keine Truppen ein und aus unter die wir uns mischen könnten.“
Marga war währenddessen dabei sich die Schläfen zu markieren. „Lass es uns endlich hinter uns bringen. Ich hasse diese Farbe im Gesicht, selbst wenn es nur zur Tarnung ist. Schwarz ist so gar nicht mein Ding.“
Ihre weiße Robbe war im Rucksack verstaut worden und sie hatte sich dazu überreden lassen zumindest ein Oberteil in dunklem lila anzuziehen und sich das Gesicht zu schwärzen. Nur auf ihren Regenschirm hatte sie bestanden. Wenn sie auf Wachen des Masters trafen wollte sie sich verteidigen können.

„Wir müssen warten bis es dunkel ist. Im Tageslicht würden wir sofort entdeckt werden.“

Marga sah zum Horizont. Die Sonne war noch zu sehen, doch es würde keine Stunde mehr dauern bis sie unterging. Immerhin mussten sie nicht mehr lange warten.