Mittwoch, 19. November 2014

19. Kapitel

Das war also die Schattenseite des Wörtermehrs. Nicht nur traurige Krabben konnten geformt werden, sondern auch solche Dinger. Mit dem Bogen würde ich da nicht viel ausrichten. Also harrte ich der Dinge die da kamen.
Und sie kamen schnell. Diese Teile waren aus verschiedenen Buchstaben und Symbolen zusammengesetzt, die sich zu seltsamen, teils missratenen Lebewesen geformt hatten. Die ersten Symbolde schwangen sich über die Reling und begannen ihre Arme um einige Piraten zu schlingen, woraufhin sie versuchten diese ins Meer zu ziehen.
Der Kampf war eröffnet. Blue ging mit einem lauten Kriegsgeschrei auf die Symbolde los, die versuchten Chuck zu erledigen, während ich zu Damon eilte, der  ebenfalls von einigen der Kreaturen umringt war. Da ich keine Waffe hatte, trat und hieb ich einfach mit der Feige nach den Viechern. Da sie aus Wörtern bestanden, zerfielen sie leicht in ihre Einzelteile und die Buchstaben kullerten über das Deck. In Freundschafs Fell hatten sich schon mehrere Wörter verfangen und es rannte leicht panisch von einem Ende des Schiffs zum anderen. Dabei sprang es praktischerweise immer wieder durch Symbolde hindurch, die in tausend Wörter zersprangen.
„Schickt sie zurück in die Buchtsbanen, aus denen sie gekommen sind!“, schrie einer der Piraten. Der Rest stimmte ins Geschrei mit ein.
Damon kam alleine klar, also sah ich mich nach jemand anderem um, der meine Hilfe brauchte. Meiner Oma ging es ebenfalls bestens. Ihr Regenschirm war nur noch ein lila Schatten, der zwischen den Symbolden herumflitzte und einen nach dem anderen vernichtete. Auf der anderen Seite des Bootes bemerkte ich jedoch einen Kampf dessen Ende noch offen war. Obwohl der Pirat versuchte sich aus dem Begriff zu befreien wand sich dieser immer fester und fester um ihn.
Beherzt griff ich in die Buchstabensuppe und bekam tatsächlich etwas zu fassen. Ich zog uns zog bis sich der Begriff in die Länge dehnte wie ein alter Kaugummi. Mit einem Schnappen zersprang er in viele Buchstaben, die sich zu den Überresten der Symbolde auf den Planken gesellten.
Einige Themen, die aus dem Mehr am Heck des Schiffes gekrochen waren, waren dabei die Piraten einzukreisen. Am besten war es wohl man griff sie zusammen von vorne an, aber dazu musste jemand das Thema in die richtige Richtung locken.
„Hierher, Thema, hierher! Ich hab auch ein ganz tolles Leckerchen für dich!“ Ich schüttelte eine Hand voll Buchstaben, die ich vom Boden geklaubt hatte.
Überraschenderweise schien es zu funktionieren. Ein Thema wandte sich um und folgte mir, dann ein zweites, ein drittes und als sich alle zu mir umgedreht hatten wurde mir klar, dass ich in der Patsche steckte.
Ich wich einige Schritte zurück, um die Themen weiter vom Kampf abzulenken. Nur musste jetzt irgendjemand die von hinten angreifen.
„Blue! Ein bisschen Hilfe wäre nett!“
Blue, der immer noch um Chuck herumtanzte, obwohl auch der prima allein klarkam, bemerkte meine Misere erst jetzt. Die ersten Themen waren schon fast bei mir bevor er sie mit dem Schwert zerlegte.
„Danke“, meinte ich spitz.
„Kein Thema“, erwiderte er.
„Oh haha.“
Ein Pirat rannte mit einem lauten Kriegsstein an mir vorbei und auf seine Angreifer zu. Moment. Ein schreiender Stein? Als ich jedoch sah wie wirksam die Methode war, wollte ich fast meinen eigenen schreienden Kriegsstein. Er hieb auf einen der Symbolde ein bis der kaum mehr zu erkennen war und wandte sich dann dem nächsten zu. Der letzte wand sich auf dem Schiffsboden.
„Hey, ich glaube der lebt noch.“ Ich betrachtete das Wesen misstrauisch. Seine Silhouette hatte sich stark verändert  seit er auf den Kriegsstein getroffen war. „Wobei ich befürchte, dass er in ein Komma geprügelt wurde.“
Tatsächlich schmolz der Symbold in sich zusammen und wurde ein einziges Komma, das ich sofort über Bord warf.
Die Symbolde gingen zurück und erste Jubelschreie erklangen, da schnellte etwas anderes aus dem Mehr empor. Doppelte Buchstaben sprangen an Deck und wurden dort zu Quallen.
„Attacke der doppelten Buchstaben!“, schrie jemand.
Doch einer der Seemänner war bereits über Bord gegangen. Sein Körper verformte sich im Wasser bis er aufgequallen war. Ich wollte nicht hinsehen… aber trotzdem konnte ich meinen Blick nicht abwenden als ohne Vorwarnung der Seemann platzte und einen Schwall winziger doppelter Buchstaben in die Freiheit entließ.
„Mach dir keine Sorgen. Wir werden sie von ihren Quallen erlösen“, versprach Blue und begann mit seinem Schwert auf sie einzuschlagen. Doch da wurde schon der nächste Pirat ins Wasser gezogen.
„Macht das Trebuchet fertig!“, hörte ich Lurz‘ kraftvolle Stimme über den Lärm hinweg.
Einige seiner Männer befolgten augenblicklich den Befehl und richteten das große Trebuchet aus. Im Wasser waren nun größere Quallen zu sehen, die gut auch zwei Piraten auf einmal verschlucken konnten.
„Mia! Wir brauchen jemanden, der auf den Ausloser drückt!", rief Damon. „Der Kerl, der das sonst macht, ist aufgequallen!“
Statt einer Antwort stand ich sofort neben dem Trebuchet, das die Piraten auf die größte Qualle gerichtet hatten. Es wurden einige letzte Veränderungen vorgenommen. Und…
„Jetzt, Mia!“
Ich schlug mit der Faust auf den Ausloser der Waffe. Das Geschoss wurde hoch in die Luft geschleudert, nur um in einem großen Lichtblitz zu verschwinden. Die gigantische Qualle kam immer noch näher.
„Was habe ich falsch gemacht?“
„Nichts“, beruhigte Damon mich während er und die anderen das nächste Geschoss einspannten. „Unser werter Kapitätän hatte auch mal was mit einer Hexe, genau wie Roger dort drüben.“ Er deutete auf den Tentakelaugentyp. „Allerdings hat die Hexe nicht ihn, sondern sein Schiff verflucht. Alle Bordwaffen können nur durch Auslosen betätigt werden. Feuer!“, schrie er erneut.
Ich hieb auf den Ausloser. Wieder verschwand das Geschoss mitten im Flug. Wieder tat es der Qualle nichts.
„Ich glaube fast dem Kapitätän wäre es lieber gewesen sie hätte ihn verflucht und nicht sein geliebtes Schiff.“ Damon richtete Das Trebuchet wieder aus und legte das Geschoss ein. „Feuer!“
„Warte! Nein! Das ist Freundschaf!“
Tatsächlich hatte Damon in aller Eile kein Geschoss erwischt, sondern Freundschaf auf das Trebuchet geschnallt. Sofort korrigierte er seinen Fehler, während ich versuchte das Bild von fliegenden Schafen aus meinem Kopf zu vertreiben.
„Okay. Feuer!“
„Was wenn wir dieses Mal wieder nicht treffen?“
„Dann gnade uns Gott. Feuer!“
Ich schlug ein drittes Mal auf den Knopf. Das Geschoss segelte durch die Luft. Kurz bevor es die Qualle traf, verschwand es jedoch. Soviel zu aller guten Dinge sind drei. Wer’s glaubt.
„Nochmal, Beeilung“, wies Damon die anderen an. „Sonst ist sie nicht mehr in Schussreichweite!“
Sobald alle Hände das Geschoss verlassen hatten hieb ich auf den Knopf und schaute der fliegenden Kugel hinterher. Mit einem lauten Spritzer traf sie die Qualle genau in der Mitte und zog sie mit sich in die Tiefen des Mehres. Die kleinen Quallen zogen sich sofort zurück und ließen auch von den Männern ab, die sie fast ins Wasser gezogen hatten.
Damit war es jedoch nicht getan. Ich war nicht die einzige, die den dunklen Schatten bemerkt hatte, der unter unserem Boot seine Kreise zog. Schon eine kleine Bewegung des Schiffes, auf die man nicht gefasst war, konnte ausreichen, um jemanden gut fünfzig Meter weit in die Tiere stürzen zu lassen – sofern es denn Tiere waren und nichts Finstereres.
„Alle Mann an Deck! Die Historicylla greift an!“, schrie einer der Piraten.
„Was ist eine Historicylla?!“, fragte ich, während ich versuchte Freundschaf zu beruhigen, das den Schreck darüber beinah von Bord gegangen zu sein immer noch nicht verwunden hatte.
„Das ist eine Kreatur aus den Tiefen des Wörtermehrs“, erklärte der Smutje knapp.
Einer der Männer beugte sich über die Reling – da schnellte das Ding hoch und zog ihn ins Wasser.
„Nein, Fabio!“, rief jemand von den Piraten.
Fabio war völlig geschluckt von dem, was er da sah. Ein Happs und er war verschwunden.
„Ach, keine Sorge“, meinte der Koch.
„Wieso? Der wurde gerade von einem gigantischen Seemonster verschluckt! Natürlich mache ich mir Sorgen!“
„Der ist in Ordnung, du wirst schon sehen. Er hat erlfisches Blut.“
„Äh… was ist das?“
„Na kennst du das Gedicht nicht? Wer schwimmt so spät bei Nacht und Fackel, es ist der Erlfisch mit seinem Dackel… ehrlich nicht?“
„Dackel?“ Langsam hatte ich das Gefühl, dass alle um mich herum nur Verrückte waren. Inklusive mir.
„Alles für den Dackel, alles für den Club. Und sein Dackel ist noch hier. Der kommt wieder.“
„Woher willst du wissen, dass er überlebt?“, fragte ich erneut.
„Su solltest mittlerweile wissen, dass ich aalwissen bin“, klärte er mich auf.
Das Monster zog weiter seine Kreise, zumindest bis das ganze Boot einen Satz machte und ich beinah von den Beinen gerissen wurde. Ich lief zu meiner Oma hinüber, die auf ihren Regenschirm gestützt dastand und nachdenklich aufs Wörtermehr hinausschaute.
„Was ist? Hast du eine Idee?“
„Ein Stück Papier, schnell!“, rief sie. „Und etwas zu schreiben!“
Zum Glück hatte ich noch immer die Schreibfischfeder in der Tasche, die ich heute Morgen für Fluffles‘ Wortsalat benutzt hatte. Weil das so gut funktioniert hatte, hatte ich mir gleich mehr Papier genommen und es in meine Hosentasche gestopft.
„Was um Hummels Willen tust du da?“, fragte Lurz entgeistert. „Wenn du Hilfe brauchst, hilft Schreiben glaube ich auch nicht weiter.“
„Natürlich hilft das weiter! Wir sind auf einem Wörtermehr; was denkst du woraus das besteht und was denkst du warum es so heißt wie es heißt?“, meinte Oma freundlich und schrieb weiter auf dem Blatt Papier. Wie sie so viele Wörter in so kurzer Zeit zustande brachte konnte ich mir nicht erklären. Ich hatte allein eine halbe Stunde für ein bisschen Wortsalat gebraucht.
Schreiben musste sie. Um Hilfe schreiben.
Das Monster hatte aufgehört unser Schiff zu rammen; die Historicylla war nun direkt neben unserem Boot. Von hier aus konnte ich sehen, dass sie ihre eigenen Buchstaben um sich sammelte. Sie bildeten Wörter, dann Sätze, dann Paragraphen.
„Schreib, Oma, schreib! Es ist dir dicht auf den Versen!“
„Wörter!“, rief Damon.
„Was?“ Lurz runzelte die Stirn.
„Na wir brauchen mehr Wörter! Schafft welche für Marga ran!“
Sofort waren alle Piraten auf den Knien und suchten das Deck nach Buchstaben und Wörterfragmenten ab, welche die Symbolde hinterlassen hatten. Wer immer etwas gefunden hatte hielt es meiner Oma hin. Diese schüttelte entweder den Kopf, woraufhin die Wörter in die Krabbenkiste entleert wurden – nicht ins Wörtermehr damit wir unserem Gegner nicht noch mehr Munition boten – oder sie nickte und fügte die Handvoll Wörter in ihren Text ein. Schon bald schrieb sie auf der Rückseite, dann an der zweiten.
Worüber schrieb sie da genau? Was war das für ein Kampf zwischen den beiden?
Die Wörter im Wasser wurden immer weniger. Die auf unserem Deck ebenfalls, doch meine Oma schrieb immer noch wie eine Verrückte an ihrem Papier. Der Schatten bewegte sich. Etwas Dunkles streckte sich zur Reling empor, wie der Lachswall vorhin.
„Da rührt sich was!“, schrie ich, um die anderen darauf aufmerksam zu machen.
Ein Schwall aus Wörtern ergoss sich auf das Deck. Er türmte sich hoch auf, mehr als drei Meter und alle überragend. Wie ein Tsunami rollte er vorwärts und das Ziel war meine Oma.
„Beeil dich!“
Gerade als die schwarze Welle auf sie niederstürzte, setzte sie den letzten Punkt und hielt das Papier vor sich wie ein Schild.
Die Welle brach an ihrem Papier. Wörter stoben in alle Richtungen und unter unserem Boot tobte die Historicylla. Mit dem Papier in der Hand ging sie gegen die Welle an und trieb sie immer weiter auf die Reling zu. Ihre Worte funktionierten wie ein Schutzwall, den sie sich selbst erschrieben hatte.
Mit einer letzten Anstrengung drückte der Wörterschwall des Monsters gegen das Stück Papier. Doch endlich gab es auf. Mit etwas wie einem Seufzer fielen die Wörter in sich zusammen. Es wurden Buchstaben daraus. Der Schatten unter dem Boot verschwand. Meine Oma warf das Stück Papier über Bord und im Wasser verschwanden die letzten schwarzen Schlieren.
„Das setzte der Debatte ob die Feder oder das Schwert mächtiger ist wohl endgültig ein Ende“, meinte meine Oma nur und klopfte sich einige letzte Wörter an ihrer Robbe ab.

2 Kommentare:

  1. Jetzt gehts aber ab... ist auf jeden Fall verdammt spannend.

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  2. OH! Meine Verse haben es in deinen Roman geschafft! Ach, das freut mich jetzt aber :)
    Das war ein super Kampf!

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