Samstag, 29. November 2014

29. Kapitel

Die Stuhlmenschen knarrten mit ihren Gliemaßen, während über allem immer noch das Schluchzen des Bäckers zu hören war. Blue und ich standen Rücken an Rücken. Er hatte sein Schwert gezogen, während ich meinen Bogen in der Hand hatte. Zwar würde es nichts bringen Pfeile abzuschießen, aber es gab mir immerhin ein beruhigendes Gefühl eine Waffe in der Hand zu halten.
„Wie wird man die nur los?“, fragte ich verzweifelt. „Hey! Wir haben gar nichts gemacht! Das Gebäck hat uns angegriffen, nicht umgekehrt!“
Die Leute schienen uns nicht zu hören, denn sie kamen trotzdem näher und knarzten unheilvoll.
Plötzlich ging die ganze Gegend in Flammeln auf. Die Stuhlmenschen schrien erbost auf, als das flammige Feuer an ihren Gliedmaßen zehrte. Mit einem letzten Blick auf uns ergriffen sie die Flucht. Nur vier Personen blieben auf dem Platz zurück. Blue und ich, sowie der Bäcker, der immer noch um seine Brote weinte und eine Gestalt, die durch das Feuer auf uns zukam.
„Die Flammeln tun dir nichts. Die wirken nur gegen Stuhlmenschen“, grinste Blue und ging direkt durch das Feuer. „Siehst du?“
„Das waren Sie, die uns gerettet haben, oder?“, fragte ich die Gestalt. „Danke!“
Ich stutzte als die Gestalt vor uns zum Stehen kam. Es war ein sehr deformierter Mann, der sich kurz verbeugte und dann mit einer Stimme, die wie ein Reibeisen war, sagte: „Die Flammeln werden bald verlöschen. Folgt mir.“
Zögernd nickte ich. So ganz trauen tat ich dem Wesen nicht, aber immerhin hatte es uns gerade gerettet.
„Blue, was ist das?“
„Das ist ein Namm“, erklärte er.
„Ein was?“
„Ein Namm. So etwas passiert wenn durch einen Zauber versucht wird einen Menschen zu erschaffen. Du kennst doch sicher die Geschichte von Frankensteins Monster, oder? Das hier ist so ähnlich, nur dass es mit Zauberei und nicht Wissenschaft angegangen wurde – wobei einige sagen, dass es da keinen großen Unterschied gibt. Beim Spruch ist etwas schief gegangen und er ist ein Namm geworden. So einfach ist das.“ Blue zuckte mit den Schultern.
Dann nahm er sein Pferd und folgte dem Namm durch die Straßen. Das hier schien das Dorf der unvollständigen Kreaturen zu sein. Erst Stuhlmenschen, dann ein Namm. Aber immerhin schien der uns gut gesinnt zu sein. Ich folgte den beiden und neben mir lief Freundschaf.
Der Namm führte uns zu einem Haus, das etwas abseits von der Stadt lag. Ein hoher Zaun umgab es, als müsste er sich vor etwas schützen. Dank uns hatte er sich gerade vermutlich die Stuhlmenschen zum Feind gemacht, also war der Zaun eine weise Maßnahme. Die Pferde banden wir draußen an einem Apfelbaum an. Dann folgten wir dem Namm ins Haus.
„Es hat sich schon herumgesprochen, dass eine Gruppe Helden in Robben losgezogen ist, um die Plotbunnys aufzuhalten“, sagte er sobald sich die Tür geschlossen hatte und wir in dem kleinen Raum standen, der sowohl das Schlafzimmer und die Küche als auch das Wohnzimmer beinhaltete. Eine winzige Tür ging zu einer Seite weg, hinter der ich das noch fehlende Badezimmer vermutete. „Ich nehme an das seid ihr. Auch wenn ich unter einer Gruppe mehr als zwei Personen verstehe.“
„Wir mussten uns trennen“, sagte Blue. „Wir sind auf dem Weg zum Könling, weil wir seine Hilfe brauchen. Die anderen beiden Mitglieder unserer Gruppe mussten in die Horrorgegend.“
„Das ist eine sehr gefährliche Ecke“, bestätigte der Namm.
Konnten die Leute nicht mal aufhören das zu sagen? Ich machte mir sowieso schon Sorgen um meine Oma. Da musste mir das nicht noch jeder unter die Nase reiben. Obwohl das, was sie dort erlebten nicht viel schlimmer sein konnten als das, was uns hier passierte. Diese ganze Gegen war einfach nur gaga.
„Wenn ihr mit dem Könling sprechen wollt, müsst ihr zuerst um eine Audienz bitten. Ich habe einen Spiegel hier, damit könnt ihr seine Sekretärin benachrichtigen.“ Er deutete auf einen Spiegel, der an der Wand über einer Kommode hing.
„Ein Spiegel? Wie kann man damit jemanden benachrichtigen?“, murmelte ich.
„Das ist wie ein Videochat“, meinte Blue. „Richtig cool eigentlich. Wenn man die richtige Kombination von Mustern auf dem Rahmen drückt wird man mit einem anderen Spiegel verbunden und kann mit den Leuten dort sprechen. Ich wollte auch immer so einen haben.“
„Mmh.“ Ich sah das Ding zweifelnd an. Also ich wusste jedenfalls nicht wie man das bediente.
„Ich kann die Nachricht für euch weiterleiten“, schlug der Namm hilfsbereit vor. „Da Mr. Ian Woon bestimmt von eurer Ankunft berichtet hat wird euch der Könling erwarten. Er wird euch bestimmt morgen empfangen.“
„Morgen erst?“
Dann hatten wir ein Problem. Im Saubertrank wollte ich bestimmt kein Zimmer nehmen. Es würde nicht helfen wenn ich als Karte und Blue doppelt vor dem Könling erschien. Aber hier konnten wir auch nicht bleiben. Man denke an die Stuhlmenschen.
„Wenn es euch nichts ausmacht zusammen auf dem Sofa zu übernachten könntet ihr hier für eine Nacht unterkommen“, bot der Namm an.
Dass wir ihn getroffen hatten war das Beste, das uns hätte passieren können. „Danke!“
„Sofern es euch nichts ausmacht natürlich“, beeilte er sich zu sagen. „Ich hätte zum Beispiel schon längst wieder Staubsaufen sollen. Nur ist leider mein Staunsauger kaputt.“
Er deutete auf eine seltsame Maschine, die an der Wand lehnte. Direkt daneben befand sich das, was der Aufschrift nach zu urteilen, eine Reissäge war. Als ich mir die Reissäge näher ansah, entdeckte ich den Aufkleber mit den Worten made in China.
„Natürlich macht es uns nichts aus! Nicht wahr, Blue?“
Der war immer noch fasziniert vom Spiegel und nickte nur.
„Die meisten Menschen machen einen Bogen um mich“, meinte der Namm und ließ den deformierten Kopf hängen. „Ich glaube sie haben Angst vor mir.“
„Dann sind die meisten Menschen Idioten.“ Soweit nichts Neues. Das war mir schon vorher klar gewesen.
Das schien den Namm aufzumuntern, denn er begann, ein Lied summend, Teller und Tassen auf den Wohnzimmertisch zu stellen. Danach setzte er Kaffee auf.
„Könnte einer von euch vielleicht die Kekse aus der Verratskammer holen?“, bat der Namm
„Was um Hummels Willen ist eine Verratskammer?“
„Da wurden früher Verräter drin festgehalten. Gerne auch mal Plotbunnys. Aber keine Sorge, das ist schon ewig her und ich habe gut sauber gemacht.“
In einer Nische neben der Küchenzeile fand ich hinter einen Vorhang die Verratskammer. Sie sah eigentlich aus wie eine stinknormale Vorratskammer. Ich schnappte mir eine Schachtel Schokoladenkekse – von den ganzen fliegenden Schokoladenmuffins hatte ich irgendwie einen Heißhunger auf Schokolade bekommen – und zog den Vorhang wieder zu.
Auf einmal hörte ich ein Kichern. Zuerst dachte ich, dass mein Spott zurückgekehrt war, doch von dem hatte ich nichts mehr gehört seit wir das Dorf betreten hatten.
„Das ist nur der Vorrat“, erklärte der Namm. „Manchmal kichert der. Ich gehe ihn ausmachen falls es dich nervt, aber normalerweise hört der irgendwann von selbst wieder auf.“
„Äh, danke. Geht schon.“
Ich stellte die Kekse zum mittlerweile fertig gebrühten Kaffee auf den Tisch. Ich bat allerdings lieber um eine Tasse Tee.  Während Blue und ich schon an unseren Getränken schlürften, benutzte der Namm den Spiegel. Von hier konnte ich nur eine rundliche Frau mit Dauerwelle sehen, die ihm antwortete, dann war das Gespräch auch schon beendet und der Namm setzte sich zu uns.
„Mr. Ian Woon hat euch tatsächlich schon angekündigt und ihr habt morgen eine Audienz. Gleich morgen früh, was bedeutet, dass ihr früh aufstehen müsst um rechtzeitig anzukommen. Es ist wichtig pünktlich zu sein, immerhin werdet ihr mit dem Könling sprechen.“
„Ist er ein guter Herrscher?“, fragte ich.
„Ja, das ist er. Als die Plotbunnyinvasion begonnen hat, hat er zum Beispiel sofort Boden nach Schreibstadt geschickt“, sagte der Namm.
„Ja, ich hab die Bekanntschaft von einem gemacht.“ Wie es denen wohl ergangen war? Waren sie doch den Bunnys erlegen, oder hatten sie weiter holde Maiden gerettet?
„Nicht nur das. Er hat auch Männer an unseren Grenzen postiert. Die konnten die Bunnys natürlich nicht ewig aufhalten, aber zumindest sind nicht ganz so viele zu uns durchgekommen. Oder habt ihr hier schon Bunnys gesehen?“
Bisher noch nicht. Das war mir gar nicht aufgefallen! Aber wenn die Bunnyinvasion wirklich so schlimm war wie alle sagten warum hatten wir hier noch keine gesehen?
„Sie wurden alle eingefangen und werden nun in bestimmten Häusern der Stadt aufbewahrt. Es kommen immer neue nach und die Bunnys in den Gebäuden vermehren sich natürlich auch. Irgendwann wird eins entstehen, das den anderen beim Ausbruch helfen kann. Dann wird die Invasion schlimmer sein als vorher.“ Der Namm nahm einen Schluck Kaffee. „Deshalb hat es der Könling auch so eilig euch zu sehen. Er wird euch bestimmt helfen.“
Das wagte ich zu bezweifeln. Bisher war keine unserer Ideen in der Umsetzung besonders leicht gewesen. Besonders wenn es um Könige und Schätze ging wollte ich nichts beschwören. Bei den meisten von ihnen konnte ich mir vorstellen, dass sie sich nur äußerst ungern von ihren Reichtümern trennen würden.
Das Kichern im Verratsraum hatte immer noch nicht aufgehört. Im Gegenteil, mittlerweile war es so laut geworden, dass es unsere Gespräche beeinträchtigte.
„Was ist denn heute nur mit meinem Vorrat los?“, ärgerte sich der Namm. „Das macht der doch sonst nie!“
Ein weiteres Geräusch mischte sich zum Kichern. Es hörte sich an als hätte es im Verratsraum begonnen zu regnen. Ein leichtes Rieseln, das allerdings schnell in ein Rauschen überging. Unter dem Vorhang begann etwas Weißes zu schimmern, das sich schnell über den Boden ausbreitete. Das Rauschen nahm weiter zu. Der Vorhang wurde nun zur Seite gedrückt und die Welle aus weißem Zeug ergoss sich direkt vor unsere Füße – und sie wuchs immer weiter.
„Eine totale Reisüberflutung!“, schrie Blue und sprang auf das Sofa.
„Ich hatte befürchtet, dass das irgendwann mal passieren würde“, seufzte der Namm. „Den verzauberten Reis habe ich geschenkt bekommen. Wenn man ihn nicht schnell genug isst, vervielfältigt er sich. Genau deshalb habe ich die Reissäge gekauft.“
„Funktioniert die?“, fragte Blue, bereits auf dem Weg zur Reissäge. Mit den Worten „na immerhin werden wir nicht verhungern“ warf er den Motor an. „Alle Namm mir nach!“
Der Motor dröhnte und der Reis rauschte während Blue mit der Säge auf das weiße Zeug einhieb. Tatsächlich schien der Berg aus Reis sofort zu schrumpfen. Diese Säge musste auch irgendwie magisch sein, denn Blue trieb den Reis zurück in die Verratskammer, solange bis auch das letzte Korn zurück in seine Packung gesprungen war und sich der Reisverschluss daran von alleine geschlossen hatte.
„Vielleicht sollten wir Milchreis machen“, schlug der Namm vor. „Bevor wir in die Stadt gehen.“
„Aber da sind doch die Stuhlmenschen…“ Die Erinnerung an den Besuch eben war noch sehr frisch. Das musste kein zweites Mal sein.
„Solange ich dabei bin tut euch niemand was. Es hat auch seine Vorteile wenn Menschen Angst vor mir haben.“

4 Kommentare:

  1. War es Absicht das du bei dem Kapitel keine Einrückungen gemacht hast... und was haben die Zahlen zwischendrinn zu sagen?

    Und Mia und Blue schlafen zusammen! Na ob das was wird.

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    1. Nein, war es nicht. Weißt du noch? Das war glaube ich eins der Kapitel, die ich bei dir hochgeladen habe. Da gab es ja ein paar Probleme mit dem Computer, sodass ich es von einem PDF aus machen musste. Dabei scheinen die Einrückungen abhanden gekommen, aber dafür die Seitenzahlen im Post gelandet zu sein.

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    2. Außerdem unterschätzt du meine Sturheit. Ich hatte mir vorgenommen dieses Jahr keine Liebesbeziehung mit reinzubringen (von Lurz und Marga mal abgesehen).

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    3. Stimmt, ich erinnere mich da war was... und ich überschätze deine Sturheit lieber als sie zu unterschätzen.

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