Sonntag, 2. November 2014

2. Kapitel


Ein Autor war bei Rot über die Kreuzung gefahren, doch glücklicherweise hatte es keiner außer mir mitbekommen. Ich wusste nicht was im NaNo-Land die Strafe dafür war. Vielleicht wollte ich es auch nicht wissen.
Meine Oma und ich waren lieber zu Fuß gegangen. Das erste, was ich draußen getan hatte, war die Platten zu bestaunen, in denen die Laternen verschwunden waren. Dann hatte ich einen kleinen Zweig von einem der Bäume abgebrochen. Sofort hatte das Blatt aufgehört sich zu bewegen.
Als wir in eine belebtere Straße gekommen waren, hatte ich zuerst befürchtet, dass mich alle anstarren würden. Allerdings war es eher anders herum gewesen. Ich hatte alle angestarrt, denn hier waren nicht weniger seltsame Gestalten unterwegs als vor meinem Fenster.
Mit meinem tunikaähnlichen blauen Shirt, das meine Oma als „plakative Pluse“ bezeichnet hatte, der schwarzen Hose aus Stoff, den hohen Stiefeln, an denen mehrere Blumsen hingen – selbstgehäkelte, schwarze Blumen, die bei jedem Schritt hin und her schwangen – und dem mitternachtsblauen Reisemantel, kam ich mir auf einmal nicht ganz so seltsam vor. So ein Outfit hätte ich sonst nur angezogen, wenn ich zu einer Kostümfeier eingeladen war.
Außerdem hatte sich meine Oma, zumindest was meine Kleidung betraf, an meine Lieblingsfarben gehalten. Wenn wir beide von Kopf bis Fuß in lila herumgelaufen wären, hätte das vermutlich doch Aufmerksamkeit erregt. Der riesige Regenschirm mit den lila Blumen war schon mehr als genug.
Sobald wir auf die Hauptstraße kamen, wurde die Menschenmenge dichter. „Wo kommen die denn alle her?“
„Es ist Anfang Oktober. Da erinnern sich die meisten Leute daran, dass NaNoWriMo bald ansteht.“
„Schon im Oktober?“ Ich sah einer Mutter mit einem Kind an jeder Hand nach, denen glitzernde Flügel aus dem Rücken wuchsen.
„Natürlich! Die meisten wollen ihren Roman vorplanen. Man kann auch seine Freunde wiedertreffen, die man ein Jahr lang nicht gesehen hat, sich darüber austauschen was aus den Geschichten vom letzten Jahr geworden ist…“, erklärte sie und zog mich zur Seite, da ich sonst gegen einen Mann gelaufen wäre, der so hoch wie breit war und einen dicken Fellmantel trug. Oder war das seine Haut?
„Wurden denn schon Romane veröffentlicht, die bei NaNo geschrieben wurden?“
Zu viel Hoffnung wollte ich mir nicht machen. Erstmal musste ich den November an sich überleben. Aber Fragen schadete ja nicht.
„Oh, ein paar gibt es immer. Einige wurden von Verlagen angenommen, wieder andere veröffentlichen ihre Geschichten lieber selbst.“
„Waaaaah!“
Ich blieb abrupt stehen, denn fast wäre ich gegen ein Mottorad gelaufen. Das Ding stand einfach mitten auf dem Bürgersteig!
„Alles in Ordnung, Mia?“
„Warum hat das Ding überall Hasen?“, fragte ich leicht entgeistert.
Tatsächlich war das Motto des Mottorads klar. Der Sitz war mit weißem Kunstfell überzogen und auf die Seiten waren in rosa kleine Kaninchen gemalt. Sogar am Lenker baumelten zwei Kuscheltiere, die – wie nicht anders zu erwarten –Kaninchen waren.
„Plotbunnys.“ Meine Oma stupste einen der Kuschelkaninchen an. „So nennen wir die Ideen, die dich einfach nicht in Ruhe lassen wollen. Das kennst du bestimmt auch. Die, die schreib mich jetzt! Schreib mich zuerst! rufen und dabei so niedlich schauen, dass du nicht nein sagen willst. Und weil die sich vermehren wie die Karnickel…“
„Plotbunnys“, seufzte ich.
Wie sollte ich diese ganzen Begriffe nur im Kopf behalten? Duschigel, Plotbunnys… was kam als nächstes? Auch „NaNoWriMo“ war nicht das einfachste Wort. Wie sprach man das nochmal aus?
„Wir sind da“, unterbrach meine Oma meinen Gedankenfluss.
Das „da“ stellte sich als kleines Café heraus. Vor der Tür standen einige Stühle, bei denen die orangene Farbe an vielen Stellen bereits abgeblättert war. Eine Markise, ebenfalls in orange, war gerade eingezogen. Da das Wetter schon sehr herbstlich war, konnte ich den Besitzern das nicht verübeln. Vereinzelt saßen Menschen da, oft mit aufgeklappten Laptops vor sich. Die meisten schlürften an einem Kaffee. Einer hatte bereits sechs leere Tassen vor sich und arbeitete an seiner siebten. Dass er nicht mehr still sitzen konnte und mit den Füßen einen seltsamen Takt aufs Pflaster tanzte, war kein Wunder.
„Und das soll mir helfen?“
„Allerdings.“
Meine Oma zog mich ins Café hinein. Als sie die Glastür zur Seite schob, erhaschte ich gerade noch so einen Blick auf ein Plakat, das dort klebte. Es warnte vor jemandem namens „Verröter“.
„Was ist ein Verröter?“
„Der? Irgendein Verrückter, der nachts heimlich Gegenstände rot färbt. Die Pilzizei versucht schon seit einem Monat ihn zu fassen, aber bisher hatten sie keinen Erfolg.“ Ich meinte sie noch murmeln zu hören „wenn es wenigstens lila wäre“, doch sie hatte mich in einen der klapprigen Stühle gedrückt und mir eine Karte in die Hand gegeben bevor ich fragen konnte was genau eine Pilzizei war.
„Ich empfehle die Pancakes. Aber dieses Mal schneide besser mit dem Messer, nicht mit der Gabel.“
„Haha“, grummelte ich.
Meine Oma winkte einen Kellner heran, der aussah als würde er einen Kaffee dringender benötigen als der Mann, dessen Füße nun zu Tapdance übergegangen waren. Anscheinend hatte der arme Kerl die Nachtschicht gehabt, denn die Ringe unter seinen Augen waren dunkler als der lila Samthut meiner Oma. Das, oder er war ein Vampir. …er war doch kein Vampir, oder?
Misstrauisch beobachtete ich ihn, während Oma die Bestellung aufgab und für mich gleich mitbestellte. Wozu mir dann die Karte geben? Als der Kellner meinen Blick bemerkte, sah ich schnell zur Seite und versuchte mich stattdessen auf ein Pärchen am Nachbartisch zu konzentrieren.
„Du wirkst wie die personifizierte Gutmüdigkeit“ neckte gerade die Frau.
Der Mann gähnte und hielt sich eine Hand vor den Mund. „Absolute und komplette Übermüditis, sagt der Doktor.“
„Wie willst du dann NaNo schaffen?“ Die Frau sah nun wirklich besorgt aus.
„Der Herr dort sollte wirklich weniger Kaffee trinken.“ Meine Oma hatte ebenfalls den Mann entdeckt mit dessen Kaffeetassen man eine halbe Armee versorgen konnte. „Und das sagt die komplett Kaffeesüchtige.“
Der Kellner kam zurück, doch da ich dieses Mal seinen Blick auf mir spürte, beobachtete ich lieber weiter den Mann draußen. Das tat ich bis ich die Frau am Tisch direkt hinter uns entdeckte.
„Was zum…?“
Vor mir wurde ein Teller mit Pancakes abgestellt, den ich jedoch ignorierte. Stattdessen war ich fasziniert von der Frau, die von einem Seil an der Decke baumelte und Mühe hatte ihren Cappuccino zu erreichen.
„Was?“ Meine Oma nahm einen Schluck aus ihrer Kasse Taffe und ignorierte die hochgezogene Frau gegenüber.
„Ach nichts.“ Wieder eine Sache, die ich nicht wissen wollte. Etwas anderes interessierte mich brennend. „Was ist das? Neben den Pancakes?“
Ich stocherte skeptisch mit der Gabel in der aprikosenfarbenen Marmelade herum, die neben meinen Pancakes war. Mittlerweile würde ich jede Wette eingehen, dass das keine Aprikose war.
„Das ist Marmelade aus Persimmons.“
„Per-was?“
„Persimmons. Eine Birnensorte, die aus einem der Nachbarländer importiert wird. Ich kann dir mal welche kaufen, wenn du möchtest. Die schmecken echt gut! Noch besser sind allerdings Permapersimmons.“
„Okay…“ Dass jetzt auch noch das Obst verrückte Namen hatte, sollte mich eigentlich nicht überraschen.
„Permapersimmons sind sowas wie die Dauervariante der Frucht. Die Bäume tragen nur alle 100 Jahre genau drei davon. Die werden nie alle, egal wie viel man von ihnen isst. Deshalb sind sie sehr teuer.“
„Aha. Du Oma? Sind hier eigentlich alle verrückt?“
Zu meiner Verwunderung lächelte sie nur. „Was glaubst du denn? Man kann nicht ganz normal im Kopf sein, wenn man sich freiwillig dafür anmeldet 50.000 Wörter in einem Monat zu schreiben, meinst du nicht?“
Da konnte ich ihr nicht widersprechen. Sie trank ihren Taffe und ich aß meine Pancakes mit Persimmons – die übrigens wirklich fantastisch schmeckten. Der Vampir-Kellner hatte sich nun tatsächlich eine Tasse Kaffee gemacht und saß auf einem leeren Stuhl.
„Was machen wir heute sonst noch?“
Viel hatte meine Oma nicht verraten wollen, als ich endlich eingewilligt hatte dieses Jahr an NaNoWriMo teilzunehmen und außerdem versprochen hatte, den November mit ihr zu verbringen.
„Ich dachte du solltest die Stadt und die nähere Umgebung etwas besser kennenlernen. Dazu machen wir eine Landschaftsbeschreiung. Die startet hier direkt vor der Tür.“
Sie grinste mich an während ich verwirrt die Stirn runzelte. Eine Landschaftsbeschreiung? Da ich nicht immer alle Wörter wiederholen wollte, die sie sagte, blieb ich dieses Mal stumm. Ich würde schon herausfinden was das war.
Das geschah schneller als gedacht. Ziemlich bald nachdem der letzte Pancake in meinem Mund verschwunden war, hielt ein Wagen vor der Tür. Es war einer dieser riesigen Busse, bei denen es eine zweite Etage gab, über der kein Dach war. Eines dieser Touristendinger.
„ALLE MANN EINSTEIGEN!“, schrie ein kleiner Mann mit Schnauzbart und Monokel. „DIE LANDSCHAFTSBESCHREIUNG STARTET BALD! ALLE, DIE SICH ANGEMELDET HABEN, GEHEN BITTE ZUM BUSFAHRER, UM IHRE NAMEN ABHAKEN ZU LASSEN!“
„Ich hatte nicht in Erinnerung, dass es so laut ist“, meinte Oma nachdenklich.
Dann zuckte sie jedoch mit den Schultern und tat wie der cholerische Pimpf geheißen hatte. Mein Stuhl knarzte verdächtig als ich mich erhob und ich machte in Gedanken einen Vermerk diesen Tisch zu meiden sollten wir noch einmal herkommen. Der Vampir-Kellner sah uns mit gelangweiltem Blick nach und ging dann zum Kaffeefritzen, der sich noch einen Tasse bestellt hatte.
„ALLE DA?“, schrie der Reiseleiter.
Der Busfahrer gab keine Antwort, was Sinn machte, denn bei näherem Hinsehen bemerkte ich die Ohrstöpsel, die er in den Ohren hatte.
„GUT, DANN KÖNNEN WIR JA ANFANGEN! DA DRÜBEN SEHEN SIE DIE KRIECHE DIESER STADT! DU BESCHEUERTE KRIECHE! DU PASST HIER ÜBERHAUPT NICHT REIN MIT DEINEN BOGENFENSTERN UND DEM BUNTEN GLAS! DEIN BAUSTIL IST JA KOMPLETT ANDERS ALS ALLES DRUMHERUM!“
Zu meiner Überraschung begannen einige andere Gäste nun ebenfalls die vorbeiziehenden Gebäude zu beleidigen. Der Begriff „Landschaftsbeschreiung“ begann Sinn zu machen.

7 Kommentare:

  1. "DU BESCHEUERTE KRIECHE!" *lach* *kringel*
    Ich bin den Fehlerthreads leider nicht allzu treu gefolgt, deswegen sind einige Dinge für mich neu... aber die bescheuerte Krieche hat mich doch echt lauthals zum Lachen gebracht.

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  2. Die personifizierte Gutmüdigkeit kenn ich...das war einer von meinen. *grins* Herrlich, die Landschaftsbeschreiung. Und die Krieche! Wie könnte man sie vergessen? Da fällt mir ein, hast du eigentlich an das Department of Redundancy Department gedacht? Das gehört so fest zum NaNo, dass es bestimmt Teil der Regierung in Schreibstadt ist.

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  3. Was war das nochmal genau für ein Department? Bisher kommt es nämlich noch nicht vor. Aber es ließe sich bestimmt einbauen. Demnächst lernen sie nämlich mehr oder weniger die ganze Regierung kennen.

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  4. Ich lese das hier alles nach und nach, bin ja selten im Internet bzw. überhaupt mal zuhause.
    So eine Landschaftsbeschreiung würde ich ja auch gerne mal mitmachen... Meinst du, das kann man auch in Deutschland mal organisieren? =)
    Bin begeistert!

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  5. Also bei der Pilzizei hab ich gut lachen müssen XD

    Ich muss aber auch mal sagen, das ich die Umsetzung echt originell finde <.< Das als NaNoist zu lesen macht unheimlichen Spaß ^^

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  6. Herrlich, einfach nur herrlich! :D So ne Landschaftsbeschreiung eignet sich bestimmt bestens zum Abreagieren ;) Aber hier in Deutschland gäbe das dann sicher Ärger mit der Pilzizei xD

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  7. Ich glaube, eine Landschaftsbeschreiung könnte mir gefallen :D. Aber nicht, dass dann die Pilzizei aus dem Boden wächst und mich holt :O

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