Donnerstag, 20. November 2014

20. Kapitel

Ich war immer noch nicht darüber hinweggekommen, dass meine Oma eine Wörterheldin war, obwohl sie als solche von der gesamten Piratenmannschaft gefeiert wurde. Nach dem Sieg über die Historicylla waren überall Met- und Rumfässer aufgemacht worden, während der Smutje das Beste aus der Küche zusammenwarf.
Der Piratenkapitätän hatte jedoch Kurs auf den nächsten Hafen nehmen lassen, um dort vor Anker zu gehen und ein richtiges Fest auf die Beine zu stellen. Es war ein extra Kombüsenschiff organisiert worden, das mehr Auswahl an Essen mitbrachte, sowie Fässer vom besten Wein, die das Wirtshaus an Land zu bieten hatte. Blue war begeistert davon endlich etwas anderes als das Essen an Bord zu bekommen.
Bevor das Fest jedoch begann, hob der Kapitätän sein Glas. „Am heutigen Tag verstarben viele gute Piraten sowie unsere Gruppe Seeläute. Nie wieder werden ihre Weisen unsere Nacht durchdringen. Wir danken ihnen für jede Minute, die wir mit ihnen verbringen dürften und opfern nun eine Minute unserer Zeit um ihrer zu gedenken.“
Man konnte eine Nadel fallen hören so leise war es. Nur das Rauschen der See erkland, während sich die Wellen am Rumpf des Schiffes brachen. Ich konnte den Anblick der von Quallen platzenden Männer immer noch nicht vergessen. Wer allerdings wieder aufgetaucht war, war Fabio der Erlfisch. Der Smutje hatte mich nur mit einem wissenden Blick bedacht als der völlig durchnässte aber vollkommen lebendige Mann kurz nach dem Sieg über das Monster zurück an Bord gekrabbelt war uns als erstes seinen treuen Dackel in den Arm genommen hatte.
Neben meiner Oma war er einer der Helden, die heute geehrt wurden. Damon stand ebenfalls auf der Liste, da er das Trebuchet zum Laufen gebracht und die Idee mit den Wörtern gehabt hatte.
Meine Oma nahm das Ganze relativ gleichmütig hin. Sie hatte ihr übliches Lächeln aufgesetzt, genau wie ihren lila Samthut. Ihr Regenschirm sah mittlerweile recht abgenutzt aus, doch auch er war noch immer an ihrer Seite.
„Nun, nachdem wir der Toten gedacht haben, wollen wir die Lebenden feiern, die es uns ermöglicht haben heute hier zu sein. Zuerst ein Toast auf Marga, die wohl schnellste Schreiberin, die wir je auf unserem Schiff zu Gast hatten!“
„Auf Marga!“, echote das ganze Schiff
Nach Toasts auf diverse andere Personen eröffnete der Kapitätän die Party. Blue machte sich augenblicklich über das Buffet her, denn er war seinem Schwur allzu treu geblieben und hatte kaum etwas gegessen seit er den Smutje das erste Mal in der Küche besucht hatte. Aber dafür Rotzwein trinken, ja klar.
Mir selbst steckte der Kampf noch in den Knochen. Was ich am liebsten wollte war schlafen. Was ich wollte war Zeit, um darüber nachzudenken was genau eigentlich passiert war. Und warum. Das warum ärgerte mich am meisten. Hatte das etwas mit den Angreiferes und Rauchninjas zu tun gehabt? Oder war das einfach nur Piratenalltag gewesen?
Blue hatte im Alleingang fast die Hälfte der Gerichte vernichtet und das Buffet sah nun reichlich durcheinander aus. Trotzdem entdeckte ich irgendwo einen Schaschlikspieß und einen Apfel. Das meiste andere sah recht seltsam aus.
„Das war ein Abenteuer! Wow!“, sagte er, wobei sich der Satz jedoch eher anhörte wie „Dasch ba eim Abemdeuer! Bow!“, da er den ganzen Mund voller Essen hatte.
„Ja, kannst du laut sagen.“
Über uns turnte das Totenklopfäffchen durch die Takelage, das sich auf dem Schiff von uns allem am meisten zu Hause fühlte. Deshalb hatte Lurz auch schon beschlossen es hierzubehalten und zum offiziellen Schiffsaffen zu machen. Mir war das eigentlich recht, denn Kaffee war zwar unheimlich süß, aber Tiere schleppten wir genug mit uns rum.
Apropos. Ich sollte Fluffles mal wieder Füttern. Aber momentan liefen an allen Ecken und Enden des Schiffs Menschen herum. Sogar die Familien der Mannschaft hatten sich eingefunden. In extra Quartieren gab es sogar Kojen für die Kinder der Piraten und Piratinnen. Die Kinder rannten laut kreischend zwischen den Partygästen herum.
„Du, Blue. Was meinst du wann wir an Land müssen?“, fragte ich ihn.
„Wasch?“ Er hatte sich gerade etwas in den Mund gesteckt, das aussah wie ein halbes Schwein.
„Ach, vergiss es. Hey, was ist das für Musik?“
Da drei von vier Mitgliedern der Seeläute gestern gestorben waren und das letzte Mitglied sich in seiner Kajüte eingeschlossen hatte, um zu trauern, musste die Musik auf der Feier von anderen fabriziert werden. Blue hatte es auch gehört und irritiert ging er dem Singaal nach.
„Wasch is dasch?“
Auch wenn sich meine Aussprache etwas besser anhören würde, hatte er vollkommen Recht. Auf einer improvisierten Bühne schlängelten sich mehrere Singaale. Ihre Mäuler schnappten auf und zu und es kamen tatsächlich Wörter heraus. Ihre Stimmen hätten sich bestimmt großartig angehört, wenn sie nicht alle gerade dabei gewesen wären Seemannslieder zu schmettern.
Die wiederum kamen bei der Crew äußerst gut an. Einige der Piraten gröhlten mit und schwenkten ihre Metkrüge im Takt. Der einzige, der konzentriert aussah, war Damon, der in einer Ecke hockte und eine neue Gummiente bemalte.
„Was wird es dieses Mal?“, fragte ich neugierig.
Ein Blick auf das gelbe Tier genügte. Es hatte einen lockigen, weißen Schopf bekommen, eine lila Jacke und an einen der Flügel hatte Damon einen geblümten lila Regenschirm gezeichnet.
„Sieht echt gut aus“, lobte ich ihn.
Dann hielt ich nach dem echten Exemplar Ausschau. Wo war meine Oma abgeblieben? Die Tür der Kapitätänskajüte stand einen Spalt offen und zögernd näherte ich mich. Es gab Dinge, die man lieber nicht wissen wollte. Und trotzdem konnte ich die Neugier nicht bekämpfen und spähte durch den Spalt hinein.
„Ich kann euch morgen früh nach der Feier hier im Hafen rauslassen. Von dort kommt ihr innerhalb weniger Stunden zurück zum Konvent und könnt von dort mit dem gesunden Menschenversand zurück zur Drachenschenke reisen“, meinte Lurz gerade.
Allein bei der Erwähnung des gesunden Menschenversands wurde mir übel.
„Und du denkst wirklich, dass es eine Möglichkeit gibt die Plotbunnyinvasion zu beenden?“, wollte meine Oma wissen und stützte sich auf ihren Regenschirm.
„Das glaube ich wirklich. Wenn man lange genug sucht, gibt es eigentlich immer einen Weg.“ Er räusperte sich kurz und trat von einem Fuß auf den anderen. „Außerdem… wir werden uns wiedersehen.“
„Woher weißt du das?“
„Uh, äh, Bauchgeflügl?“
„Bauchgeflügl?“ Meine Oma runzelte verwirrt die Stirn. Mir ging es nicht anders.
„Naja, du weißt schon.“
Mir war aufgefallen, dass sich beide duzten. Nun ja, nach so einer Seeschlacht konnte man doch sagen man kannte sich und hatte zumindest schon zusammen einen Kampf bestritten.
Lurz räusperte sich erneut. „Du weißt schon, diese Flatterdinger im Bauch, wo es sich anfühlt als würdest du dich gleich übergeben.“
„Du meinst Schmetterlinge im Bauch?“, hakte meine Oma nach.
„Ja genau. Die.“
Sie war einen Moment still und drehte den Regenschirm hin und her. „Ich glaube es hat mir noch niemand eine seltsamere Liebeserklärung gemacht“, meinte sie schließlich.
Im Stillen konnte ich ihr nur zustimmen. Trotzdem strahlte sie, genau wie Lurz.
„Natürlich könntet ihr auch noch einen Tag hier bleiben. Wir würden hier vor Anker gehen und wir zwei könnten zum Beispiel einen Standspaziergang machen“, meinte er fast schüchtern.
„Was ist ein Standspaziergang?“, fragte meine Oma die Frage, die auch mir gerade durch den Kopf ging.
„Das sind natürlich die, bei denen man aufrecht geht. Damit grenzen sie sich ab von den Kriechspaziergängen, Krabbelspaziergängen und Kauerspaziergängen.“
„Ich würde wirklich gerne einen Spaziergang egal welcher Art mit dir machen, aber leider müssen wir immer noch die Bunnyinvasion beenden.“ Sie seufzte, dann lächelte sie ihn jedoch an. „Das verschieben wir auf meinen nächsten Besuch am Wörtermehr.“
Lurz lächelte nun ebenfalls und beugte sich ein Stück zu ihr hinunter.
Okay! Es war Zeit für mich zu verschwinden. So leise wie möglich zog ich mich zurück und schloss die Tür zur Kajüte. Das freute mich für meine Oma, auch wenn wir unseren Auftrag erledigen mussten bevor wir das Wörtermehr wieder besuchen konnten. Sie hatte es verdient jemanden so nettes wie Lurz kennenzulernen.
„Mir hat wieder jemand einen Trout Smiley verpasst.“ Blue war neben mir aufgetaucht und auf einer Seite seines Gesichts glänzte etwas Nasses. „Nur weil ich einen Scherz gemacht habe.“
Ich musste ein Kichern unterdrücken und entdeckte dann direkt hinter Blue den Mann, der immer mit Blöcken warf. Da er zu uns hinüber starrte gab ich ihm ein thumbs up. Er verstand, denn sofort warf er einen kurzen Block über seine Schulter, der Blue am Arm traf.
„Au! Woher nimmt der die Dinger nur?“, maulte Blue und rieb sich den Arm.
„Immerhin war es dieses Mal ein kurzer Block“, meinte ich grinsend.
Allerdings hatte Blue mir heute wohl das Leben gerettet. Zumindest hatte er mich von den Themen befreit, da sollte ich besser aufhören ihn zu triezen.
„Danke nochmal. Wegen heute Nachmittag, meine ich.“
Die Singaale hatten mittlerweile unter großen Applaus die Bühne verlassen und es schwebte nun über allem der Klang der Feige. Ob es dasselbe Musikinstrument war, das ich Blue heute Nachmittag gegen den Kopf geschossen und danach zum Kämpfen benutzt hatte, wusste ich nicht.
„Kein Thema. Wenn du die Themen nicht abgelenkt hättest, hätten sie uns vermutlich von hinten erwischt. Das war echt gut mitgedacht.“
Das war dann wohl ein Waffenstillstand zwischen uns. Zumindest bis er von meinem Plotbunny erfuhr. Das konnte heiter werden.
Den Rest der Feier verbrachten wir damit zu essen, zu tanzen und uns von allen Piraten zu verabschieden. Meine Oma war irgendwann mit leuchtenden Augen aus Lurz‘ Kajüte gekommen, um uns dann aber mit trauriger Miene mitzuteilen, dass wir das Schiff morgen verlassen mussten. Den Menschenversand hatte sie nicht erwähnt, vermutlich weil sie erwartete, dass ich mich quer stellte.
Hätte ich vielleicht auch. Ich hasste das Ding.
Die Party lenkte mich jedoch soweit vom gesunden Menschenversand ab, dass ich den Gedanken daran aufschob. Stattdessen fabrizierte ich in einer ruhigen und unbeobachteten Minute noch ein wenig Wortsalat für Fluffles. Dann sah ich den Piraten dabei zu wie sie Freundschaf fütterten, indem sie mit dem Trebuchet Salatköpfe in die Luft schossen, die Freundschaf dann auffing. Naja, zumindest etwa jeden Fünften, denn der Rest verschwand auf Nimmer Wiedersehen irgendwo im Nirgendwo, oder landete im Meer, weil nicht gut genug gezielt wurde. Langsam begann ich mich wirklich zu fragen wo das Zeug landete, das verschwand.
Damon sah dem Treiben ebenfalls zu. Seine Ente hatte er vermutlich fertig bekommen, denn sie war nirgends zu sehen.
„Weißt du, dass Chuck deinem Freund Blue das Schwert geschenkt hat?“, meinte er.
Ich schüttelte nur den Kopf. Das würde aber erklären warum Blue so gute Laune gehabt hatte als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte – obwohl ihm gerade der andere Pirat erneut einen Block an den Kopf geworfen hatte.
„Deshalb dachte ich du solltest vielleicht das hier haben.“
Als er den Bogen hervorholte wurden meine Augen groß. „Den soll ich wirklich haben?“
„Ja. Außerdem ist das hier noch ein besonderer Bogen.“ Damon nahm einen Pfeil aus dem Köcher und schloss den Pfeil in den Bogen ein. „Das ist ein neues Modell aus Zaubereiche. Es hat ein Geheimfach im Griff. Da kannst du auch andere Sachen reintun, aber ein Extrapfeil schadet nie, dachte ich.“
„Danke!“ Ich überraschte ihn damit, dass ich ihm um den Hals fiel.
Irgendwann tauchte eine Meerfreu, die auf einem bissigen Seeesel ritt, aus dem Wörtermehr auf, vermutlich weil sie von der Musik angelockt worden war. Da sie sich nur singend unterhalten konnte, begann sie klangsam mit einem der Seemänner zu sprechen, der wie gebannt an ihren Lippen hing.  Als sie begann leise ein Augenlied zu summen, bei dem sie aufreizend mit den Augen klimperte, war er komplett hin und weg.
Der Feigenspieler unterhielt uns noch eine Weile, auch wenn diese langsam ungedudlig wurde. Das war dann das Stichwort für alle sich in ihre Kojen zurückzuziehen.

1 Kommentar:

  1. Das nenn ich doch mal ne Liebeserklärung... die vergisst man nicht so schnell.

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