Donnerstag, 1. Januar 2015

62. Kapitel



Mein Zeigefinder gab glücklicherweise nicht den Geist auf – oder sollte ich sagen unsere Autorin ließ ihn nicht den Geist aufgeben – sodass wir am nächsten Morgen wie geplant weiterreisen konnten. Allerdings konnte der Wirt keinen einzigen Toast und kein Nutella auftreiben, da alle Vorräte über Nacht auf mysteriöse Art und Weise verschwunden waren.
Das war dann wohl die Rache der Autorin. Deren Name war übrigens Stephanie, wie meine Oma gestern noch aus ihr herausbekommen hatte. Ohne mein Lieblingsfrühstück konnte ich mittlerweile gut auskommen, da wir während der Reise auch nicht immer etwas davon gehabt hatten, und ich verlor kein Wort darüber, obwohl meine Freunde mich aus dem Augenwinkel beobachteten. Auch sie hatten mitbekommen was hier gespielt wurde.
„Weißt du“, meinte meine Oma während des Frühstücks. „Irgendwie erinnert sie mich an dich. Ihr seid beides so richtige Sturköpfe.“
Danach ignorierte ich sie für eine Weile und sie brachte das Thema nicht mehr zur Sprache. Also wirklich. Ich sollte wie die Autorin sein. Ein Gedanke nagte trotzdem an meinem Verstand, denn oft hatten die Charaktere meiner Geschichten einige meiner Eigenschaften. In einem gewissen Sinne waren sie also ich, oder zumindest wie ich.
„Vielleicht sollten wir uns einfach irgendwo reinschlauchen und unter die Leute mischen, um nicht einzufallen“, meinte Blue irgendwann.
„Wie war das? So ganz verstanden habe ich den Satz nicht“, bemerkte ich.
„Naja, wenn wir unserer Autorin nicht einfallen, werden wir die ganzen Probleme vielleicht los!“
Das war eine nette Vorstellung, aber ich dachte nicht, dass das funktionieren würde. So viel Glück hatten wir nicht. Fast war ich froh als wir uns endlich auf den Weg machen konnten. Die Reise verlief die ersten paar Stunden recht normal, außer dass wir immer wieder unsere Richtung korrigieren mussten, da die Wandernde Bibliothek ihre Position leicht veränderte. Warum musste das Teil auch wandern? Konnte es nicht einfach stillstehen? Dann gäbe es vielleicht einen Anschluss zum gesunden Menschenversand.
Wenn ich vorschlug den gesunden Menschenversand zu benutzen, musste ich wirklich unter Zeitdruck sein. Je schneller wir diese Geschichte beendeten, desto eher würden wir auch die Autorin los sein. Dann könnte ich mich endlich auf meine Vorbereitungen für NaNoWriMo konzentrieren.
„Was grinst du eigentlich so?“, fragte ich Hannes.
„Naja“, meinte er. „Die Autorin hat mir gestern verraten, dass die Chance besteht, dass ich wieder ein Mensch werde, irgendwann. Das ist besser als nichts, oder?“
Na immerhin eine Sache bekam sie hin. „Super!“, rief ich. „Ich freu mich für dich! :D“
„…du sahst gerade einen Moment lang wirklich seltsam aus…“, meinte Blue. „Du hattest keine Nase mehr und dein Mund sah ungefähr dreimal so groß aus wie er sein sollte…“
„Wirklich? Das habe ich gar nicht bemerkt.“ Ich runzelte die Stirn. „Autorin?!“
„Naja… ein Smiley… ich chatte so viel… da ist es reingerutscht…“, kam die Antwort von oben.
Das dürfte doch wohl nicht wahr sein! Da verpasste die mir einfach ein Smileygesicht! Trotzdem hielt ich meine Wut zurück. Wenn sie herausbekam wie sehr mich das ärgerte würde sie es womöglich öfter machen, nur um mir auf den Geist zu gehen.
Gegen Mittag entschlossen wir uns kurz zu rasten. Wir waren irgendwo zwischen dem Horrorland und Schreibstadt nahe einem Erdwall ein wenig abseits vom Weg. Auf einer Seite fiel es steil und felsig ab. Wasser gab es keines, doch wir hatten uns in der Drachenschenke mit Wasserfalschen versorgt, sodass wir uns darüber keine Gedanken machen mussten. Während Oma eine Art Picknick ausbreitete, nutzten wir die Zeit, um im nahe gelegenen Bach zu angeln.
„Moment mal. Autorin?! Wenn wir kein Wasser haben, wo sollen wir dann angeln?“, fragte ich verwirrt.
„Ups, mein Fehler“, dröhnte die Stimme wieder.
Der Bach, der sich eben noch neben uns befunden hatte, war plötzlich ein winziges Rinnsal.
„Na super. Warum änderst du das ausgerechnet so? Hättest du uns den Bach nicht lassen können? Ein paar Fische wären wirklich nicht schlecht.“
„So war’s schneller…“
„Ach halt doch den Mund“, grummelte ich und stocherte mit einem düsteren Blick im Rinnsal herum.
Nachdem wir doch keine Fische hatten fangen können waren, wir alle in einer etwas schlechteren Laune. Wenigstens war das gestohlene Essen aus der Horrorburg mittlerweile alle, sodass ich mir wenigstens keine Gließmaden oder Hirngummi mehr antun musste. Auch wenn die Schauermöhrchen im Nachhinein ganz niedlich gewesen waren.
Der Tag war für einen Oktobertag erstaunlich warm. Ich wusste nicht, ob die Autorin uns damit einen Gefallen tun wollte, oder ob sie uns in unseren Robben schwitzen sehen wollte. Falls es Letzteres war, dann hatte sie ihr Ziel erreicht.
„Wah“, beschwerte sich Blue irgendwann. „Ich bekomme kaum noch Luft.“
„Warte mal.“ Ich knöpfte ihm vorsichtig die Robbe auf, um ihm Lust zu verschaffen. „Äh was?!“, schrie ich. „Das war ja nun wirklich nicht meine Absicht!“
Die Autorin stöhnte nur. „Mach doch einfach was man dir sagt.“
„Vergiss es! Wir passen doch gar nicht zusammen!“, versuchte ich ihr klar zu machen.
„Na gut…“ Der spöttische Unterton gefiel mir gar nicht.
Als wir über den nächsten Hügel gekommen waren, erfuhr ich auch was sie so witzig gefunden hatte. Unter uns in der Landschaft stand ein einsamer Lustschutzbunker.
„Haha, wie witzig“, grummelte ich nur.
„Da kannst du ja Zuflucht suchen falls ich dich und Blue verkuppeln will“, kicherte die Autorin. Mann, war die kindisch. Die war ja fast so schlimm wie Blue.
Das musste ich sofort zurücknehmen, denn kurz nachdem wir den Lustschutzbunker passiert hatten, standen wir vor einem dunklen Tunnel, der sehr gruselig aussah und in den ich am liebsten nicht gehen würde. Der Zeigefinder deutete jedoch genau auf den Eingang.
„Müssen wir da wirklich durch?“, stöhnte ich.
„Hör auf dich zu beschweren“, meinte die Autorin. „Bisher habt ihr auch einfach weitergemacht wenn sowas kam.“
„Da wusste ich auch noch nicht, dass wir eine Wahl haben“, murmelte ich.
Meine Oma meinte nur „papperlapapp“ und ging vor. Sie hatte sich jedenfalls nicht verändert, ob mit oder ohne Autorin. Die Hand hatte die Autorin ihr allerdings auch nicht zurückgegeben.
Die Reise durch den Tunnel dauerte nicht lange und bald öffnete sich der Gang in eine riesige Höhle. Wobei riesig maßlos untertrieben war. Sie war enorm. Sie war gigantisch. Sie war das maßloseste Synonym für groß, das mir gerade nicht einfiel.
„Immerhin gibt sie zu, dass ihr die Worte fehlen“, stellte ich fest.
Langsam ging die Höhle in ein Gewölle über. Tapfer stapften wir eine ganze Weile im dunklen Gewölle herum. Unsere Schuhe und Stiefel verfingen sich immer wieder in dem weichen Zeug und ich hatte das Gefühl, dass wir nur langsam vorankamen.
„Bist du sicher, dass du kein Gewölbe meinst?“, hakte ich bei der Autorin nach.
„Nein, ich meine das große Gewölle. Siehst du nicht wie flauschig das hier ist?“, antwortete die Autorin und ich ließ das Thema fallen.
Auch das Ende des Gewölles kam langsam in Sicht – da sprang plötzlich ein Wesen hinter einem riesigen Wollberg hervor. Das Monster grunzte nur, ein bösartiges, niederträchtiges, grauenerregendes Grunzen.
„Irgendjemand sollte ihr wirklich mal bei den Adjektiven helfen“, murmelte ich.
Allerdings verstummte ich als ich die messerschafen Fangzähne des Monsters sah, das und gegenüber stand. Als nächstes fiel mir auf weshalb wir es nicht früher gesehen hatten. Der Rest seines Körpers bestand aus Wolle, die dieselbe Farbe hatte wie der Untergrund des Gewölles. Wir waren in der Höhle eines Vampirschafs gelandet.
Mein Wissen über Vampirschafe, die während der Reise auf dem Weg nur kurz aufgekommen waren, beschränkte sich darauf, dass sie einen sehr seltsamen Schaf-Wach-Rhythmus besaßen, was mich bei Vampirschafen nicht besonders überraschte.
„Deine Verwandschaf, Freundschaf?“, fragte meine Oma freundlich.
Natürlich, ihr schrecklicher Optimismus. Freundschaf schien tatsächlich zu versuchen mit dem Vampirschaf zu reden, denn es machte „Mäh!“ und gleichzeitig einen Schritt auf das Vampirschaf zu. Dieses schnappte jedoch nach Freundschaf und das zog sich einige Meter zurück. Soviel zu dem Plan.
Blue legte die Hand an seine Schwertscheide und zog dann sein Dingsda, denn der Autorin fiel das Wort nicht ein. Das brachte auch bei Blue das Fass zum Überlaufen, denn der fuchtelte mit dem Schwert herum.
„Ernsthaft?!“ Blue hielt mitten im Angriff inne. „Wenn ich die Hand an die SCHWERTscheide lege, dann ist das Wort, das du suchst, SCHWERT- Hnnngh… und untersteh dich mir wieder eine Klobürste zu verpassen, nur weil du das Wort nicht tippen kannst!“
„Das war eine Kloppbürste“, korrigierte die Autorin ihn. „Was wenn ich das Wort Schwert einfach nicht hinbekomme? Dann ist es eben eine Kloppbürste geworden! Ihr habt’s doch überlebt, oder?“
„WENN DU’S NICHT SCHREIBEN KANNST, DANN ÜB, VERDAMMT NOCHMAL!“, schrie Blue und hieb nach dem Vampirschaf.
Das wich aus und versuchte ihn mit seinen messerschafen Fangzähnen zu erwischen. Falls es Freundschaf biss, würde sich das dann in ein Vampirschaf verwandeln? Was, wenn es einen von uns biss? Würde es Auswirkungen haben? Würden wir uns in Schafe, Vampire, oder Vampirschafe verwandeln?
Ich konnte darauf verzichten es herauszufinden. Meine Oma hatte bereits ihren Starb fester gepackt und versuchte einen Schlag zu landen. Leider stellte sich jedoch heraus, dass der Starb keine Auswirkungen auf das Schaf hatte. Meine Vermutung war, dass es schon tot war und deshalb nicht noch einmal getötet werden konnte.
Blue und das Schaf tanzten mehrere Minuten umeinander herum. Das Schaf versuchte immer wieder ihn zu beißen, erwischte jedoch nie mehr als Luft. Allerdings konnte ich sehen, dass Blue langsam müde wurde. Die Paraden, mit denen er sich gegen das Schaf verteidigte, wurden immer schwerfälliger und wo das Schaf am Anfang des Kampfes mehrere Attacken gebraucht hatte, um einen Fast-Treffer zu landen, geschah das nun alle paar Sekunden. Irgendwann musste einer davon treffen.
Die Lösung für unseren Gegner fand ich. Meine Wut auf die Autorin hatte die Feder längst wieder dazu gebracht zu leuchten und mir war aufgefallen, dass das Vampirschaf jedes Mal zurückwich wenn es in die leuchtende Feder blickte. Mit weniger als einem Gedanken brachte ich das Licht dazu einen Kegel um uns zu bilden. Das Vampirschaf stieß sofort einen heiseren Schrei aus und flüchtete zurück in die Weiten des Gewölles. Immerhin das waren wir jetzt los. Nur Blue meinte immer noch Schafe im Tunnel beobachten zu können, auch wenn ich eher dachte, dass es Schatten waren.
Danach war die Reise durch das Gewölle nur noch nervig, aber weniger gefährlich und bald standen wir in einem Talkessel. Ringsum waren Berge, so hoch, dass man bei einigen die weißen Gipfel nicht vom Himmel unterscheiden konnte.
„Ist das hier schon Teil der Blockadenberge?“, fragte ich meine Oma.
„Es sieht fast so aus…“, erwiderte sie verwirrt. „Aber dieser Durchgang ist nirgends auf der Katze eingezeichnet.“
Es wunderte mich nicht, dass sie die faltbare Katze auswendig kannte. In solchen Dingen konnte man ihr normalerweise vertrauen. Selbst wenn sie sagte, dass wir uns in einem Teil des NaNo-Landes befanden, den vorher nur wenige, wenn überhaupt, Menschen betreten hatten und der nirgends verzeichnet war.
Die nächste Überraschung war ein gigantisches Gebäude. Dass es sehr alt war, konnte ich daran erkennen, dass es denselben Baustil hatte wie die Pilzizeistation, das Gemeindehau und der Sonnenschrein. Das bedeutete es gab viele Säulen. Außerdem war das Gebäude mit mehreren hohen Türmen versehen. Das bei weitem Seltsamste an der Konstruktion waren jedoch die Beine, die ihm aus dem… Buch sprossen? Das ganze Gebäude war auf einem gigantischen Buch errichtet worden, aus dessen Einband mehrere Beine ragten, die die Bibliothek langsam aber sicher vorwärts trugen. Auch hier machte der Name im Nachhinein Sinn. Allerdings hatte ich mir nicht vorgestellt, dass „Wandernde Bibliothek“ so wörtlich zu nehmen war.
„Es gibt Legenden über die Wandernde Bibliothek“, sagte meine Oma. „Sie sind tausende von Jahren alt. Damals wanderte sie auf unserer Seite der Blockadenberge herum und es gab oft Sichtungen. Irgendwann muss die den Weg hierher gefunden haben.“
„Meinst du sie wird irgendwann wieder in die Nähe einer Stadt kommen?“, fragte ich neugierig.
„Natürlich. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass das bald geschehen wird. Sie muss erst vor Kurzem wieder in diesen Teil des Landes zurückgekehrt sein. Dafür, dass es ein so riesiges Gebäude ist, kommt sie ganz schön schnell voran.“
Das ließ sich nicht leugnen. Zwar standen wir hier erst seit etwa einer Minute mit offenen Mündern, doch die Bibliothek hatte sich bereits einige Meter weitergeschleppt.
„Wie kommen wir da rein?“, sprach ich schließlich die Frage aus, die allen durch den Kopf gehen musste.
„Erstmal hinlaufen“, meinte Blue sarkastisch. „Dann kann ja vielleicht einer von uns ein Lasso da hochwerfen und raufklettern und die anderen hochziehen.“
„Das wäre dann wohl dein Part“, konterte ich nüchtern. „Immerhin bis du derjenige mit den Kraftpillen.“
„Ähm, Leute? Es gibt eine Treppe“, vermeldete Hannes und deutete mit einem Finger zwischen die zwei vordersten Beine.
Erst jetzt sah ich die breite Treppe, die sich dort befand. Sie ging bis fast auf den Boden und von dort… ich war mir nicht sicher, aber es sah aus als würde eine Strickleiter auf der Erde schleifen damit man die Treppe erreichen konnte, egal auf was für einem Gelände sich die Bibliothek befand.
„Na dann woll’n wir mal“, seufzte Blue. „Sonst läuft uns das Ding noch weg.“
Wir hatten die Größe des Tals unterschätzt und es kostete uns noch einmal eine Stunde bis wir die Bibliothek erreicht hatten. Auch deren Größe hatten wir unterschätzt, denn als wir vor ihr standen war sie gigantisch. Allein die Beine waren größer als jeder Kirchturm. Ich fragte mich langsam wie dieses Ding im Reich der Legenden hatte verschwinden können, denn es war wirklich nicht zu übersehen. Gab es im NaNo-Land ein Reich der Legenden? Nicht nur als Sprichwort, sondern als wirkliches Land? Es würde mich jedenfalls nicht überraschen wenn wir einigen Dingen aus diesem Land begegnet waren, allen voran die TSoD und der Starb.
Wir hatten Glück. Da die Bibliothek gerade über bergiges Gelände marschierte mussten wir uns nur auf einem Hügel aufstellen und warten, dass die Treppe auf der richtigen Höhe war. Ansonsten wäre es für Freundschaf sehr schwierig gewesen das Gebäude zu betreten, da es wohl kaum eine Strickleiter hochklettern konnte.

5 Kommentare:

  1. Ich muss wieder mal sagen... von einem schwächer werdenden Schreibstil merk ich hier nichts.

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    1. Das ist beruhigend. Ist mein Schreibstil denn soweit in Ordnung? Das ist ja praktisch so wie es aus meinem Kopf gekommen ist...

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    2. Also ich finde ihn Klasse ^^ Und das ist bei mir ja auch nicht viel anders wenn ich schreibe XD

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    3. Naja, meine Geschichten will ich aber noch überarbeiten. Allerdings weiß ich da nie wo ich anfangen soll...

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    4. Ich wär schon froh wenn ich mich überhaupt mal zu irgendeiner Überarbeitung aufraffen könnte...

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