Dienstag, 6. Januar 2015

67. Kapitel



Wir standen nun vor einem abgeriegelten Raum, in dem mehrere Wissenschaftler mit Schutzanzügen zu Gange waren. Sie hantierten mit Reagenzgläsern, deren Inhalt sie ab und zu unter Mikroskopen betrachteten, dann irgendwelche Flüssigkeiten mit Pipetten hineintropften und das Ganze wiederholten.
„Dort werden die NaNo-Bots untersucht. Sie sind die Erreger des gruppalen Infekts“, erklärte er. „Wir haben uns bereiterklärt euch eine winzige Menge zu Verfügung zu stellen.“
Dabei klang der Direktor nervöser als während der ganzen Führung zuvor. Es schien ihm nicht besonders zu gefallen den gruppalen Infekt aus seiner Einrichtung herauszulassen.
„Warum ist das so gefährlich? Wenn sowieso alle im NaNo-Land bereits mit dem gruppalen Infekt infiziert sind, dürfte doch nichts passieren falls er aus Versehen freigelassen wird“, wunderte ich mich.
Das zumindest hatte der Weise in der Küche gesagt. Dass wir alle eh schon infiziert waren und den Infekt in die reale Welt bringen sollten, damit mehr Leute ins NaNo-Land kommen würden.
„Hier wird aber vor allem an Mutationen des gruppalen Infekts geforscht. Sollte eine davon es nach draußen schaffen, dann Gnade uns Gott.“
Okay, das hörte sich dann wieder verständlich und viel, viel schlimmer an. Allerdings würden sie ja wohl wissen was für eine Infektion sie uns mitgaben und sollten sich deshalb keine Sorgen machen müssen. Der Direktor führte uns zurück in sein Arbeitszimmer, wo er aus einem kleinen Tresor eine Phiole mit einer klaren Flüssigkeit hervorzog. Es war gerade ein Schluck darin.
„Das ist alles?“, fragte Blue.
Er hörte sich ein wenig enttäuscht an und ich konnte es ihm nicht verübeln. Die Mangos waren irgendwie spannender gewesen.
Nach der Führung verließen wir das Gebäude. Die Freusprechanlage wünschte und noch einen „wundervollen und fröhlichen“ Tag und dann wurden wir von Pilzizisten in ihren Autos zu unserem Hotel zurückgebracht. Scheinbar wollten sie bei uns kein Risiko mehr eingehen.
Auf dem Weg zurück begegneten wir den Fluchtkörpern erneut. Die Pilzizisten staunten nicht schlecht als sie ein mit rosa Plüschbunny behängtes Motrorad, gesteuert von mehreren orientierungslosen und hektisch-verpeilten Mangos, bei denen die eine nicht wusste, was die andere tat, am Politzeitauti vorbeiflitzen sahen.
„Geronimoooooo!!!“, schrie eine der Mangos und gab Gas.
Eine Verfolgungsjagd stand außer Frage, obwohl die sichtlich verwirrten Beamten den Vorfall an die Zentralstelle durchgaben.  
Ob sie sich Sorgen machten, dass uns etwas getan wurde, oder dass wir jemand anderem etwas taten, wurde übrigens nicht besprochen. Ehrlich gesagt war es mir auch egal warum wir eine Eskorte verdienten, denn wir hatten jetzt etwas ganz anderes im Auge.
„Wo befindet sich nochmal der Übergang zur Realität?“, fragte Blue als wir zurück in unserem Hotelzimmer waren.
„Ganz in der Nähe von Technopolis“, antwortete ich mit einem Seufzen.
Das hatten wir schon tausendmal besprochen seit wir die Wandernde Bibliothek verlassen hatten. Ich hatte den ganzen Flug nach Technopolis über dem Buch gebrütet, das Himmelrich uns mitgegeben hatte. Außer der Information, die wir brauchten, enthielt es noch jede Menge andere interessante Fakten. Allerdings hatte ich die Seite über die Grenze zur Realität bestimmt so oft gelesen wie Blue mich danach fragte.
„Egal wie oft du fragst, die wird sich nicht verschieben.“ Hoffte ich jedenfalls.
Das Gute an der Sache war, dass sich der Übergang zwischen dieser und der anderen Welt ganz in der Nähe von Technopolis befand. Der Nachteil der Sache war, dass er sich etwa drei Kilometer über dem Erdboden befand, was Blue natürlich alles andere als glücklich machte.
„Wir müssen immer noch einen Weg finden da hochzufliegen. Mit dem Flugzeug können wir nichts anfangen. Wir bräuchten einen Militärhubschrauber oder sowas. Irgendwas, wo man die Tür während des Flugs öffnen kann“, murmelte ich wieder.
„Ah!“, rief meine Oma.
Ihr schien eine Idee gekommen zu sein, denn sie griff nach ihrem Handy. Dort drückte sie die Lurzwahltaste eins und wartete darauf, dass abgenommen wurde. Das mit ihr und dem Piratenkapitätän schien etwas Ernstes zu sein wenn sie ihn sogar schon auf der ersten Kurzwahltaste hatte.
Die beiden flirteten eine Weile bis meine Oma zum interessanten Punkt kam. Sie beschrieb unsere Situation und fragte ob Lurz nicht jemanden kenne, der uns zur Grenze bringen konnte. Ihrem Dank an Lurz nach zu urteilen hatte er tatsächlich eine Möglichkeit gefunden. Oder sie wollte ihm kein schlechtes Gewissen machen, weil er uns nicht helfen konnte. Nach erneutem Geturtel legte sie auf.
„Er hat einen guten Freund, der einen Hubschrauber fliegt und der ganz in der Nähe wohnt. Der würde uns mitnehmen. So können wir an die Grenze zur Realität herankommen.“ Als ich sie amüsiert ansah, fügte sie hinzu „Das hat er irgendwann mal erwähnt.“
„Aha.“
Ich ließ die Sache auf sich beruhen, obwohl ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Ich fragte außerdem nicht wann genau Lurz ihr das erzählt hatte.
„Ähm“, räusperte sich plötzlich unsere Autorin. „Ich habe mir das Ganze nochmal überlegt und… ich glaube nicht, dass ich bei NaNoWriMo mitmachen werde. Zumindest nicht dieses Jahr.“
„Was?!“
Das dürfte doch nicht wahr sein! Jetzt ließ die uns einfach sitzen? Das konnte sie aber wirklich vergessen.
„Du hast gesagt du würdest es machen!“, meinte auch Blue genervt.
„Naja… inoffiziell vielleicht. Aber ich habe mir das nochmal überlegt und… ich glaube nicht, dass ich das schaffe! Das sind immerhin 50.000 Wörter in einem Monat! Das sind fast 2000 Wörter pro Tag!“
„1667“, korrigierte meine Oma mit einem Lächeln.
Stephs Stimme zitterte trotzdem. „Das schaffe ich einfach nicht! Ich muss meinen Eltern im Haushalt helfen und ich muss für Arbeiten lernen und mich mit Freunden treffen und ich habe auch noch andere Hobbys!“
„Meinst du ich nicht?“, fragte ich sie. „Und trotzdem habe ich mich von meiner Oma überreden lassen. Du kriegst jetzt keine kalten Füße!“
„Doch, kriege ich!“, schrie sie. „Ihr seid doch alle vollkommen wahnsinnig das überhaupt zu versuchen!“
Da konnte ich ihr nicht widersprechen. Allerdings war auch sie nicht ganz normal, wenn man es genau nahm. Immerhin schrieb sie eine so verrückte Geschichte wie unsere.
„Hör mal“, versuchte ich ihr zu erklären. „Mir geht es doch genauso. Ich habe auch unheimlich viele Sachen während des Novembers zu tun. Aber ich versuche es wenigstens.“
„Man muss die 50.000 Wörter nicht schaffen“, stimmte auch Blue zu.
„Sagte der Overachiever mit den tausenden von Wörtern“, grummelte unsere Autorin.
„Dann denk an Phoenix“, versuchte es meine Oma mit warmer Stimme. „Sie hat so oft schon bei NaNoWriMo mitgemacht, aber sie hat nicht jedes Mal gewonnen. Manchmal hat sie es geschafft, manchmal hat sie sogar 60.000 Wörter geschafft, manchmal hat es eben nicht funktioniert. Es gibt solche Jahre und solche. Aber davon darf man sich doch nicht abschrecken lassen.“
Die Stille statt der Proteste war schon mal mehr als wir zustande gebracht hatten.
„Oder schau mich an!“, fuhr meine Oma fort. „Ich schaffe die 50k mit Müh und Not und dieses Jahr werde ich eine Hand weniger haben! Bis zum November wird die nämlich nicht wieder ganz werden. Aber versuchen tue ich es trotzdem.“
„Versuch es einfach mal“, schloss ich noch einmal an. „Was ist das Schlimmste, was passieren kann?“
Es blieb wieder ruhig. Dann antwortete eine schüchterne Stimme „Okay“.
Das musste für den Moment reichen. Trotzdem fühlte ich mich nicht wohl als wir uns schlafen legten. Was, wenn sie über Nacht ihre Meinung noch einmal änderte? Dann würden wir morgen in einem Hubschrauber sitzen und stundenlang an der Grenze zur Realität warten, dass sie sich öffnete und nichts würde geschehen.
Diese Vorstellung half mir nicht gerade einzuschlafen. Ich wusste genau wie es sich anfühlte versagt zu haben, denn als wir in der Drachenschenke den Weisen in der Küche getroffen hatten, hatten wir gedacht versagt zu haben. Das war kein schönes Gefühl gewesen und ich würde alles geben um es nicht noch einmal erleben zu müssen.

In einer Ecke war ein Angestellter des Flugplatzes damit beschäftigt Satellitenkatzen zu studieren. Die waren, zumindest laut Starlight, wesentlich fortschrittlicher als beispielweise unsere faltbare Katze. So ganz sicher war ich mir da nicht, denn immerhin war auch auf denen die Grenze zur Realität nicht zu sehen.
Die meisten der Beamten wollten es uns nicht sagen, aber keiner von ihnen schien wirklich daran zu glauben, dass sich die Grenze direkt über ihnen befand. Das beste Argument dagegen war, dass sie nie gesehen hatten, dass jemand dort hindurch gekommen wäre, denn es fielen immerhin keine Leute vom Himmel. Ich hingegen hatte einen seltsamen Optimismus an den Tag gelegt, den ich wohl doch von meiner Oma geerbt hatte.
Der Bekannte von Lurz hatte die Sondererlaubnis bekommen auf dem Flugplatz zu landen. Noch war er nicht da, aber in weniger als zehn Minuten sollte er auftauchen, sodass die Mission beginnen konnte. Mehrere Pilzizisten waren damit beschäftigt Schaulustige auf Abstand zu halten, die versuchten auf den Flugplatz zu kommen. In der Bevölkerung hatte es sich schon herumgesprochen, dass anscheinend jemand versuchen wollte die Bunnyplage zu beenden. Allerdings waren die Gerüchte darüber wie genau das passieren sollte teilweise haarsträubend.
Eins davon besagte, dass wir eine Laserwaffe mit an Bord nehmen würden, mit der wir die Bunnys von oben mithilfe eines neuartigen Zielgerätes einfach abschießen würden. Als ob es so einfach wäre.
Der momentane Plan sah vor, dass wir mit dem Hubschrauber so nah wie möglich an die Stelle flogen, an der sich der Übergang zur realen Welt befinden sollte. Dann würde sich unsere Autorin bei NaNoWriMo anmelden, was sie hoffentlich in diese Welt verschlagen würde. Dadurch sollte sich die Grenze so lange öffnen, dass wir die geöffnete Phiole mit den NaNo-Bots, die den gruppalen Infekt verursachten, einfach durch das Loch schießen konnten. Soweit zumindest die Theorie.
Anscheinend hatte jedoch nicht nur der menschliche Teil der Bevölkerung mitbekommen, dass etwas im Busch war. Ganze Scharen von Plotbunnys hatten sich um das Gelände versammelt. Ob sie wussten was wir vorhatten und darauf hofften, dass wir neue Autoren ins NaNo-Land bringen konnten, denen sie auf den Geist gehen konnten, ob sie Angst vor dem hatten was wir versuchten und uns aufhalten wollten, oder ob sie einfach von der großen Menschenmenge angezogen wurden… wir hatten keine Ahnung.
Blue hatte ein anderes Argument gegen unseren Plan. Auf einmal schienen ihm davon unglaublich viele einzufallen.
„Wird es nicht ewig dauern bis die neuen Wrimos ankommen? Wir haben schon den 24. Oktober! Bis die sich mit dem gruppalen Infekt angesteckt haben, hat NaNo schon längst begonnen! Die werden sich doch gar nicht trauen mitzumachen!“
Die Koordinatoren des Flugplatzes standen in der Nähe und sahen nun interessiert zu uns hinüber. Das bedeutete wohl alle stellten sich diese Frage. Glücklicherweise hatte ich mir noch etwas über den gruppalen Effekt durchgelesen als wir den Tag im Hotel verbracht hatten. Das zahlte sich wirklich aus.
„Der gruppale Infekt wirkt unglaublich schnell“, erklärte ich. „Er verbreitet sich in Windeseile, sodass wir eigentlich schon nach wenigen Minuten mit neuen Autoren rechnen können.“
„Aber wo tauchen die dann auf?“ Blue gab einfach keine Ruhe.
Dazu hatte ich zum Glück etwas in meinem schlauen Buch gelesen. Wir hatten Himmelrich und Mathilda wirklich mehr zu verdanken als sie wussten.
„Sie tauchen in der Genregegend auf, in der ihre Geschichte spielt. Wenn sie keine wirkliche Idee haben, landen sie in Schreibstadt.“
Das würde besonders praktisch sein, da sich dort immer noch die meisten Plotbunnys befanden. Der Rest der hoffentlich eintreffenden Autoren würde sich über das ganze NaNo-Land verteilen, sodass überall gleichzeitig das Plotbunnyproblem angegangen werden würde. Blue sah nicht überzeugt aus, aber in diesem Moment kam einer der Fluglotsen zu uns.
„Euer Helikopter ist im Anflug informierte er uns.“ Dann verzog er das Gesicht als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Aber… seid ihr euch sicher, dass ihr mit dem Teil fliegen wollte?“
„Natürlich!“, rief meine Oma. „Das ist ein Freund von Lurz, die sicherste Möglichkeit zu reisen!“
Nun war ich diejenige, die nicht ganz überzeugt war. Der Gesichtsausdruck des Fluglotsen hatte mich beunruhigt. So sehr meine Oma ihn auch in Schutz nehmen mochte, Lurz war nicht gerade der zuverlässigste Mensch. Es sähe ihm ähnlich uns jemand komplett Verrücktes zu empfehlen. Wie sich herausstellen sollte, war es noch viel, viel schlimmer.

3 Kommentare:

  1. Jetzt machst du mir ein schlechtes Gewissen... meine armen Chars aus "Schattenmagier".

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    1. Naja <.< Bei der Szene als sie versuchen die Autorin zu überreden beim NaNo mitzumachen ^^ Ich stell mir meine Truppe jetzt vor wie sie in der Wüste sitzen und versuchen mich zu überreden XD

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