Montag, 4. Dezember 2017

51. Kapitel



Nach dem ganzen Hin- und Hergerenne der letzten Woche, war ich froh, mich an Deck von Lurz‘ Schiff breitmachen zu können.
Nachdem wir drei Tage in der immer noch nicht wieder wandernden Bibliothek verbracht hatten, hatte die Gedankenspinne endlich funktioniert. Es hatte einen weiteren Tag gedauert, bis Mr. Ian Woon sich daran erinnert hatte wie genau sie funktionierte und unsere Gesprächsanfrage entgegen genommen hatte. Danach war alles etwas einfacher gewesen.
Himmelrich und Mathilda, die es übernommen hatten die Neuschreibung der Bücher zu überwachen, hatte eine ganze Einheit Pilzizisten und Beamte zugeteilt bekommen, deren einzige Aufgabe für die nächsten Monate es sein würde den Schreibfedern jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Oder so ähnlich jedenfalls.
Das Ganze wurde bereits als die „Manifestierung“ beschrieben – das (wieder)Erscheinen von Manifesten. Die Wandernde Bibliothek hatte seit Jahrhunderten, wenn nicht sogar seit Jahrtausenden, keinen solchen Ansturm mehr erlebt. Immer mehr Leute kamen, die sich nur daran erinnerten, dass sie eine Geschichte vergessen hatten, um den Schreibtsich darum zu bitten, ihre Geschichten zuerst zu schreiben.
Viele von ihnen waren im Gebäude gegenüber untergebracht, in dem der Große Rote Knopf des Verderbens in der Mitte des großen Salls verweilte, von Schafen bewacht. Auch das hatte Mr. Ian Woon übernommen. Mit was für Mitteln auch immer, hatte die Regierung der Region Deutschland sich mit den Schafen auf die Vertragsbedingungen geeinigt. Soweit ich das mitbekommen hatte, betraf es unter anderem die Bereitstellung eines Gemeinschafsraums, in dem sich die Schafe während ihrer Pausen ausruhen konnten. Des Weiteren hatten sie Urlaubstage und Schichten abgesprochen – und dass sie so viel Essen bekamen wie sie wollten, egal auf was sie gerade Hunger hatten.
Neben all den Schafen, den Federn und den Leuten, die angefangen hatten hektisch herumzurennen, war ich ganz froh gewesen, als meine Oma angekündigt hatte, wir seien lange genug dort gewesen und sie würde jetzt nachsehen wie es Lurz ging. Der einzige Nachteil an der Sache war, dass sowohl Freundschaf, als auch Phoenix geblieben waren, um entweder den Großen Roten Knopf des Verderbens, oder die Manifestierung zu überwachen. Ohne die beiden war es einfach nicht dasselbe.
Zu der Zeit, als wir gegangen waren, hatte die Magie bereits begonnen, zurückzukehren. Die Wandernde Bibliothek war wieder unübersichtlicher geworden, und obwohl sie noch keine Anstalten machte einen Schritt zu gehen, hatte sie wieder ihre vorherige Höhe erreicht. Zum Abschied hatte Himmelrich sogar eine Außenwand gehoben, ähnlich wie zu der Zeit, als er Freundschaf ins Schreibzimmer gebracht hatte. Zum Abschied eine Wand zu heben hatte uns zum Lachen gebracht, Mathilda zum die Lippen zusammenkneifen und die Pilzizeihelfer dazu, vor lauter Staunen alle Stöße Papier fallen zu lassen, die sie gerade transportierten.
„Hey, Mia.“
Blue ließ sich neben mir auf einem Liegestuhl nieder. Er lächelte erst mich an, dann schloss er die Augen und hielt sein Gesicht in die Sonne.
„Das war eine geniale Idee von Lurz, in wärmere Gefilde zu fahren.“
„M-mh.“ Vermutlich hatte er einfach nur versucht meine Oma zu beeindrucken. Falls ja, hatte das auf jeden Fall funktioniert.
„Diese Art des Reisens ist definitiv besser als der Fakir-Ferkehr…“
Von dem hatte Blue absolut genug. Nachdem wir festgestellt hatten, dass Lurz und seiner Crew nichts fehlte, hatten wir bemerkt, dass der Fakir ebenfalls noch an Bord war. Seine Situation war allerdings leicht präkerer als die der Piraten.
Als die Nebelschwaden das Wörtermehr erreicht hatten, hatte es, wie wir befürchtet hatten, angefangen sich zu leeren. Lurz‘ Schiff war irgendwann auf Grund gelaufen. Schon weit vorher hatte der Teppich des Fakirs seine Flugfähigkeit verloren. So war die Crew mitten im Matsch gestrandet und der Fakir mit der Crew. Für letzteren stellte sich das als schlimmer heraus.
Nach der Löschung aller Geschichten hatten die Piraten nämlich vergessen was genau der Fakir bei ihnen eigentlich verloren hatte. Da er nur etwas davon gestammelt hatte er erinnere sich nur dunkel daran, auf einem Teppich angereist zu sein, schlossen sie ihn vorsichtshalber in einer Kajüte ein, um sicherzugehen, dass die seltsamen Wahnvorstellungen nicht auf andere übergreifen konnten.
Zum Glück hatten sie den Teppich nicht über Bord geworfen, sodass wir, nachdem wir die Situation aufgeklärt hatten, den Fakir-Ferkehr in Anspruch nehmen konnten, um nach unseren Freunden zu sehen - zum Wörtermehr hatten wir nämlich reiten müssen und das war nur leicht besser als der gesunde Menschenversand. Das Schiff war leider erst wesentlich später fahrtüchtig gewesen, da das Wörtermehr sich extrem langsam wieder füllte. Estelle, den Nonnen im Kloster, den Priestern beim Sonnentempeln und unseren anderen über das NaNo-Land verstreuten Freunden ging es gut, was wir nach mehrtägigen Rundflügen herausfanden.
„Ich hab sowas von die Nase voll vom Fliegen“, führte Blue seinen Gedankengang weiter.
„Deshalb sind wir auf einem Schiff“, munterte ich ihn auf.
Auch wenn die Welt um uns herum trotzdem weiterging. Täglich erhielten wir Berichte von Mr. Ian Woon, dass eine andere Eigenheit des NaNo-Landes zurückgekehrt war. Erst gestern hatte er uns berichtet, jemand hätte tatsächlich ein Heiligenschwein über Schreibstadt gesehen. Ein paar Plotbunnys waren auch wieder aufgetaucht und die Autoren hatten begonnen, sie aufzuschreiben. Es blieb nur zu hoffen, dass es auch wirklich neue Geschichten waren und nicht nur welche, die sie durch den Großen Roten Knopf des Verderbens vergessen hatten.
Mit meinen Fingerspitzen strich ich über das ausgedruckte Manuskript, das auf meinem Bauch lag. Sobald mir Fluffles‘ Geschichte wieder eingefallen war und sie auf meinem Laptop aufgetaucht war, hatte ich damit begonnen sie zu überarbeiten. Sie einmal vergessen zu haben, schien wahre Wunder zu bewirken was das Überarbeiten anging, also hatte die ganze Sache vielleicht sogar einen kleinen Vorteil gehabt. Trotzdem konnte ich mich nicht davon abhalten immer wieder zu überprüfen, dass meine Geschichte auch wirklich noch da war.
„Deine Oma hat übrigens gerade wieder Nachricht von Mr. Ian Woon bekommen.“
„Echt?“ Neugierig schaut ich Blue an. „Was ist jetzt wiedergekommen?“
„Die Erinnerung der Wachen in Österreich.“
Das war nicht die Antwort, die ich erwartet hatte. „An was genau haben sie sich erinnert? Daran wie man andere MLs kontaktiert?“
Er schüttelte den Kopf. „Das haben sie anscheinend vor ein paar Tagen bereits geschafft. Sie haben sich daran erinnert warum genau sie unsere liebe Gefängniswärterin festgenommen haben und haben gleichzeitig herausgefunden, dass sie für die Sache mit dem Großen Roten Knopf des Verderbens verantwortlich war.“
„Was?
„Jap. Anscheinend dachte sie, alle seltsamen Sachen im NaNo-Land auf Geschichten zurückgeführt zu haben. Ihre logische Schlussfolgerung war, dass die Geschichten verschwinden mussten. Also hat sie Uneinigkeit zwischen den Wachen gesäht, sodass sie anfangen zu streiken.“
„Huh.“ Da hatten wir doch, ohne es zu wissen, den Bösewicht der Geschichte lahmgelegt. So ganz Unrecht hatte sie mit ihrer Theorie allerdings nicht gehabt. Alles, was mit Geschichten zu tun hatte, hatten wir vergessen. Die Welt war definitiv ein wenig trostloser gewesen.
„Das Gefängnis wurde auch durchsucht und alle befreit, die noch darin gefangen waren. Sie haben es „das Motivationsloch“ genannt und versuchen es unschädlich zu machen bevor es all seine Macht zurückerhält.“
Wie ein Motivationsloch hatte es sich auch angefühlt.
„Anscheinend wollen sich die MLs persönlich bei uns bedanken. Wir können uns also wieder auf ein Fest zu unseren Ehren freuen. Dieses Mal in Österreich.“
„Solange wir hinfinden…“, grummelte ich nur „und nicht wieder durch Raum und Zeit zurückreisen müssen…“
Blue lachte hell und drehte seine Nase wieder der Sonne zu. „Das kann noch ein paar Wochen warten. Erstmal haben alle andere Probleme. Die Manifestierung wird noch lange dauern und bis alles wieder beim Alten ist…“ Er zuckte mit den Schultern, die Augen immer noch geschlossen. „…können wir unseren Urlaub genauso gut genießen.“
Ein Schatten huschte über uns durch den Himmel und Blues Augen flogen auf. „Oh nein. Da kommt er wieder…“
Der Fakir landete auf einem freien Stück Deck und half meiner Oma von dem alten, mottenzerfledderten Teppich. „Bitte sehr, meine Dame.“
„Danke für den Flug“, meinte Oma, richtete ihren Hut und griff ihren Regenschirm fester, um sich damit abzustützen.
„Oh-oh.“
Ich sah sofort was Blue meinte als Lurz auf Deck erschien. Er hatte natürlich bemerkt, dass der Teppichflieger meiner Oma schöne Augen machte und hatte sich darüber beschwert sooft er es mitbekam. Meine Oma hatte ihn immer abgewimmelt und gesagt sie hätte schon einen Freund, aber der Kerl war echt hartnäckig. Ich hatte das Gefühl, sie ertrug ihn nur, weil ich das Fliegen so viel Spaß machte.
Lurz räusperte sich vernehmlich.
„Das wird super“, flüsterte Blue. „Ich wünschte ich hätte Chips. Oder Popcorn.“
„Es ist natürlich, dass man diese bezaubernde Lady zuvorkommend behandeln will, aber ihr dabei auf den Hintern zu starren ist unangemessen.“
Blue verschluckte sich fast vor Lachen.
„Wenn dein Blick noch einmal nach unten gleitet, schieße ich dich das nächste Mal, wenn du alleine mit dem Teppich startest, mit unseren Trebuchets ab. Das ist etwa eine eins zu drei Chance dem Geschoss zu entgehen. Ich an deiner Stelle würde mir das gut überlegen.“
Der Fakir schluckte betreten, machte zu aller Erstaunen eine Verbeugung und rollte seinen Teppich zusammen.
„Meine Oma hat einen seltsamen Geschmack“, stellte ich nur fest. „Ich hoffe Lurz schießt den Fakir nicht mit dem Trebuchet ab, nur weil er mit meiner Oma geflirtet hat. Das wäre irgendwie übertrieben.“
„Freu dich, das NaNo-Land ist wieder normal.“ Blue lächelte und schaute Oma und Lurz nach, die Händchenhaltend in Richtung Kajüte verschwanden. „Sollen wir mal schauen, was der Smutje heute vorhat zu kochen?“
Sicherer wäre es auf jeden Fall. Nach dem Chaos mit den Geschichten wollte ich mir keine Lebensmittelvergiftung zuziehen.
„Und danach können wir Damon suchen und herausfinden was er mit den Leuten gemeint hat, die etwas im Schilf führen. Der Urlaub wird langsam langweilig“, schlug ich unschuldig vor.
Blues Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen und er kopierte im Scherz die Verbeugung des Fakirs. „Nach dir.“ 

Ende

3 Kommentare:

  1. Die Manifestierung... das klingt wirklich wie ein Meilenstein der Geschichte. Nach dem Motto: Vergesst den Buchdruck von Gutenberg ^^

    Ich war am Ende aber fast ein wenig enttäuscht gewesen... ich hatte mich schon so darauf gefreut das der Fakir Oma schöne Augen macht, davonfliegt und dann im Flug auf die untergehende Sonne von Lurz abgeschossen wird XD So war ja die ursprüngliche Planung... trotzdem muss ich sagen, eine tolle Geschichte, die du ganz wunderbar rübergebracht hast. Kompliment und Respekt!

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    1. Mir ist dann leider klar geworden, dass Oma von dem eifersüchtigen Gehabe nicht beeindruckt wäre und vermutlich Schluss machen würde, wenn Lurz eine Person verletzt, nur weil ihm nicht gefällt wie diese Martha anschaut.
      Da ich die beiden als Pärchen mag, hat Lurz das dann gelassen.

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    2. Mmh, stimmt wohl leider... ich hätte es trotzdem lustig gefunden XD

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