Freitag, 1. Dezember 2017

42. Kapitel



„Blue?“ Die Frage kam eher als Husten heraus.
Das lag wohl hauptsächlich an dem Schaf auf meiner Brust, denn als ich es wegschob, konnte ich wieder besser atmen.
„Blue? Hannes?“
„Gah…“, grummelte es von irgendwo weiter vorne.
Es gab immer noch Licht im Raum, wenn auch weniger blau, da das Blau mittlerweile auf dem Boden verteilt war. Ich konnte also super die Hand erkennen, die zuckend unter einem Haufen Schafe hervorragte.
„Mia, hilft mir!“ Dachte ich zumindest gehört zu haben, denn es klang eher wie ein „Mmh, mmmh m“. Da hatte wohl jemand den Mund voller Wolle.
„Geschieht dir recht!“, schimpfte ich und zog das erste Schaf vom Haufen.
Es taumelte etwas als es wieder festen Boden unter den Hufen hatte, fing sich aber sofort und begann von selbst einem weiteren Schaf zu helfen, das auf Blue gelandet war.
„Was für eine beknackte Idee war das denn? Das war sowas wie ein Aquarium! Ist doch klar, dass das Wasser irgendwo hin muss! Und jetzt haben wir einen Haufen tropfnasser Schafe und vermutlich genug Lärm gemacht damit das gesamte Wachteam gleich hier auftaucht!“
„Mia!“ Ein patschendes Geräusch sagte mir, dass Hannes gerade durch diverse Pfützen auf mich zugehüpft kam. „Das war eine sehende Welle!“
Ich hörte nicht auf die Schafe zu bewegen, drehte mich aber lange genug zu Hannes um damit er mein Stirnrunzeln sehen konnte. „Was?“
„Das ist eine hochmoderne Alarmanlage, sowas wie ein Alarmsignal, sowas wie… ach egal, die Kurzfassung ist, dass das hier garantiert nicht unbemerkt geblieben ist!“, erklärte er und wich einem torkelnden Schaf aus.
„Alarmbereitschaf?“
„Mäh-mäh?“, machte es vom anderen Ende des Raumes.
„Sei in, äh, Bereitschaft. Wir bekommen vermutlich gleich Gesellschaft. Schafschützen, positioniert euch und verteidigt uns. Gastfreundschaf, nimm Wasserschaf auf den Rücken, alle anderen helfen den anderen Schafen wieder auf die Beine zu kommen. Wir müssen weiter. Hannes, du übernimmst die Koordination.“
„Aber… warum…?“
Ich hörte nicht weiter auf ihn, oder das dumpfe „mh mh mh?“, das unter dem Haufen Schafe erklang, sondern rannte zurück in die Waffenkammer.
Ich war mir recht sicher, dass ich dort genau das gesehen hatte, was wir noch brauchten bevor wir uns in Bewegung setzen konnten. Meine Vermutung wurde bestätigt als ich zurück in den überschwemmten Raum kam und Hannes verzweifelt um Wasserschaf herumsprang.
„Irgendwas stimmt nicht! Es ist ganz grün angelaufen und schnappt nach Luft!“
„Es schnappt nicht nach Luft, sondern nach Wasser“, korrigierte ich ihn.
Ein wenig Wasser schwappte noch hinter dem bisschen Glasrand, der stehen geblieben war, sodass ich das riesige Goldfischglas füllen konnte, das ich mitgebracht hatte. Das stülpte ich Wasserschaf über und befestigte es mit Klebeband an seinem Hals, sodass es nicht einmal mehr tröpfelte. Vermutlich würde es ein Albtraum werden das wieder ab zu bekommen, aber seinen Tod wollte ich nicht auf meiner Kappe haben. Es hatte wohl, wie vermutet, seine Kiemen irgendwo am Kopf.
„Und das passiert, wenn man unüberlegt handelt“, schnauzte ich Blue an, der sich unter den letzten Schafen wegzog. „Und jetzt schnapp dir dein Schwert und tu was du am besten kannst. Und das ist nicht Aquarien sprengen!“
Zu meiner Genugtuung sah er sehr angeschafen an. Schafe hatten auf ihm gelegen, ihn bei dem Versuch freizukommen in die Seite getreten und generell so zugerichtet, dass er morgen von blauen Flecken übersäht sein würde und seinem Namen alle Ehre machen würde. Die Auwirkungen seiner Dummheit würden jedenfalls eine Weile anhalten. Aua eben. Nun ja, nicht, dass das gerade von Vorteil war. Wir brauchten ihn in einer Verfassung, in der er kämpfen konnte.
Bisher hatte sich noch nichts gerührt, auch wenn ich trotzdem nicht glaubte, dass wir unbemerkt geblieben waren. Hierbleiben konnten wir allerdings auch nicht. Also setzte ich mich zusammen mit Blue an die Spitze der Schafherde und wir gingen weiter. Keinen Gang weiter wurden wir wieder aufgehalten.
„Määääh“, machte es aus einer der Zellen.
„Oh Gott, was jetzt“, fluchte ich nur, schob ein kleines Fenster zur Seite, das an dieser anderen Art von Zelle angebracht war und schaute natürlich einem Schaf ins Gesicht.
„Blue, ich hab ein Spacesheep gefunden“, erklärte ich nach einem längeren Blick auf die riesigen, mandelförmigen Augen, den grünen Teint des Fells und nachdem ich den Haufen Klamotten in der Ecke als einen Raumanzug identifiziert hatte.
„Mia, nein. Wir müssen weiter…“ Er brach ab, als er bemerkte, dass der Rest der Herde ihm nicht gefolgt war, als er die nächsten Schritte gemacht hatte. „Mist.“
„Allerdings“, stimmte ich ihm zu.
Vor allem, weil wir weder weiteren Sprengstoff hatten (jetzt war die Sache mit der Lautstärke eh schon egal), noch wollte ich wieder die Feder benutzen. „Ich versuche es mit dem Bogen.“
Blue warf mir einen zweifelnden Blick zu und trat vorsichtshalber mehrere Meter zur Seite. Ich ebenfalls, da der Gang immer noch recht eng war und ich nicht aus Versehen eins der Schafe treffen wollte. Vielleicht, ganz vielleicht, hatte ich ja Glück und der Bogen war so froh mich wiederzusehen, dass ich mal etwas Vernünftiges mit ihm verschoss.
Ich spannte die Sehne, zielte und schoss…
„Eine Pfeife?!“, fluchte ich und sah wie die Pfeife nutzlos an der Holztür abprallte. „Das ist ja echt das Letzte! Ich kann…“
„Mia, runter!“
Im nächsten Moment hatte ich Blues Ellbogen in meinem Gesicht, einen fast zerquetschten Hannes am Hals und flog rücklings durch den Raum. Schon wieder. Keine Sekunde später ertönte ein ohrenbetäubender Knall und aus dem Augenwinkel zwischen Blues Robbe hindurch sah ich wie etwas in Flammen aufging.
Blue rappelte sich zuerst auf, dann ich, während Hannes mir ins Ohr stöhnte er sei ein Frosch, kein Kissen.
„Die Pfeife hat die Tür komplett abgefackelt“, bemerkte Blue.
Ich ließ das mal unkommentiert und befahl stattdessen Gastfreundschaf das Wasserschaf näher an die Tür zu bringen. Mit dem Wink eines Hufs produzierte es einen Schwall Wasser, der das Feuer löschte. Mittlerweile hatte ich einen schafen Blick dafür bekommen welche Fähigkeiten unsere neuen Freunde hatten je nachdem wie sie hießen.
„Na komm, Spacesheep. Wir müssen weiter.“
„Määääh“, machte Spacesheep und seine Stimme klang dabei irgendwie hallend.
Hinter ihm kamen unerwarteterweise zwei weitere Vierbeiner aus der Zelle getrabt und wurden sofort mit einem Mähkonzert begrüßt.
„Das sind dann wohl Zweiziege und Dreiziege“, merkte Hannes an. „Einziege ist lieber alleine unterwegs, aber die anderen finden sich oft in Gruppen zusammen. Oft wird auch eine Einziege, wenn man sie zu einer anderen Einziege steckt, zu einer Zweiziege.“
„…woher weißt du das schon wieder?“, fragte ich.
„Hat Archiblad erzählt, während du am Bericht über meinen Vater geschrieben hast.“
„Aha.“
Auch das ließ ich lieber unkommentiert, bedeutete den Neuankömmlingen nur sich irgendwo einzureihen, und setzte unseren Weg fort.
Wieder waren wir nur ein paar Gänge weiter gekommen, da erschallte plötzlich ein ohrenbetäubendes „MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH…!“, das ich als Alarmbereitschafs Sirene identifizierte. Die Sirene auf seinem Rücken drehte sich ebenfalls wieder und produzierte flackerndes Licht.
„Blue, kannst du sehen was…?“
„MÄH-MÄH-MÄH-MÄH…!“
Ich duckte mich instinktiv, als ein Bolzen der Schafschützen haarschaf an meinem Kopf vorbeizischte und einen Wächter traf, der sich erbeamt hatte. In einer leicht pulsierenden Wolke tauchte eine ähnliche Gestalt auf, die sofort noch einen Bolzen in den Torso geschossen bekam. Waren wir hier in Star Trek gelandet?
„MÄH-MÄH-MÄH-MÄH…!“
„Runter, Mia!“, rief Blue, als der nächste Bolzen der Schafschützen über meinen Kopf sauste.
Er selbst hatte sein Schwert gezogen und stürzte sich auf die nächsten Wachen, die vor uns auftauchten.
„MÄH-MÄH-MÄH…!“
Selbst über Alarmbereitschafs Sirene hinweg hörte ich, dass vom Ende der Herde ebenfalls Kampfeslärm ertönte.
Mit dem leisen Gebet, dass mein Bogen immer noch Pfeifen verschoss, spannte ich ihn und zielt auf unsere Gegner. Als die ersten verzweifelt versuchen mussten ihre Klamotten zu löschen, atmete ich erleichtert auf. Wenn ich schon mit seltsamen Gegenständen schoss, dann wenigstens mit welchen, die Schaden machten.
„MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH-MÄH…!“
„Ist ja gut, Alarmbereitschaf!“ Langsam dröhnten mir wirklich die Ohren.
Die sofort einsetzende Stille war eine wahre Wohltat. Naja, Stille bis auf den Kampfeslärm eben.
Ein wollig-weiches Etwas schob sich an mir vorbei und rannte auf die Wachen zu. Ich spürte einen Hauch von Kälte, dann wurde der Gang vor uns plötzlich zu einem gruseligen Winter-Wunder-Land. Die Bolzen der Schafschützen stoppten und Blue ließ sein Schwert herunterhängen, um auf die Statuen zu starren, die sich nun direkt vor uns befanden.
„Das“, bemerkte er „ist wirklich grausig.“
Da standen sie, die Wachen, eingefroren von Winterschaf. Wie die Frau es jemals geschaft hatte die Verwandtschafe von Freundschaf zu fangen, war mir immer mehr ein Rätsel. Das waren alles sowas wie Superschafe.
„Mmmäh“, machte Winterschaf mit einem leicht stolzen Unterton und marschierte vor uns her.
„Ehrlich gesagt wäre mir eine schwertwiegende Entscheidung lieber gewesen“, meinte Blue, zuckte dann aber mit den Schultern und setzte sich in Bewegung.
Ein Blick über die Schafsherde hinweg nach hinten zeigte mir das inmitten der anderen stolzierende Weltherrschaf, umgeben von seiner Anhängerschaf. Das, worüber sie stolzierten, waren übel zugerichtete Wachleute. Wenn wir nicht aufpassten, würde es irgendwann wirklich die Welt übernehmen.
„Was denn jetzt schon wieder?“, stöhnte ich nur, als die Herde schon wieder stehen blieb.
„Das ist alles falsch!“, beantwortete die Frauenstimme von vorne meine Frage. „Falsch, falsch, falsch! Ihr müsst hier bleiben damit die Welt wieder normal wird!“
„Normal ist langweilig.“ Blue hatte sein Schwert doch wieder gehoben. „Und jetzt lassen Sie uns durch. Wir haben Schafe und wir haben keine Angst sie zu benutzen!“
Die Frau sah uns nur verwirrt an, als verstünde sie nicht was gerade passierte. „Es ist alles gut. Alles gut. Keine Schafe. Keine Overachiever, keine Magie…“
„…kein Spaß?“, warf Blue ein. „Ehrlich, Lady, so funktioniert die Welt nicht.“
„Ihr müsst erst an mir vorbei, wenn ihr nach draußen wollt!“ Sie stellte sich breitbeinig hin, verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte uns an.
„Okay.“ Blue setzte sich wieder in Bewegung. „Schafe – alleschaf vorwärts!!!“, brüllte er.
Und die Hölle brach los. Innerhalb weniger Sekunden war ich in einem Meer aus Wolle gefangen und wurde mit vorangetrieben. Rechts von mir Schafbeine, links von mir Schafbeine, Mähs überall und das entsetzte Gesicht der Frau, das immer näher kam und dann unter der Meute begraben wurde.
Die Stampede von Freundschafen rollte durch das Gefängnis wie eine freigelassene Welle der Verwüstung. Ein Gang, noch ein Gang, rechts herum, noch ein Gang… ich konnte weder stoppen, noch mich bemerkbar machen. Hannes hatte sich in meinem Haar verkrallt und wimmerte mir etwas ins Ohr. Manchmal konnte ich Blues blauen Haarschopf ein paar Meter vor mir ausmachen.
Dann rannten wir auf eine Tür zu, dann war es als würde die Tür unter der schieren Wucht von Schafen nach außen explodieren und dann standen wir unter einem sternenklaren Nachthimmel.
Auf irgendeine Art und Wiese hatten wir es auf irgendeine Wiese geschafft. Ich sog die frische Luft ein und sogar die Schafe beruhigten sich langsam wieder. Einige tollten im Gras herum, wieder andere begannen sofort einen wohlverdienten Mitternachtssnack einzunehmen. Als ich mich umdrehte, sah ich, wo das Gefängnis hätte sein müssen, nur ein Stück Wiese, das ein wenig dunkler schien als der Rest.
„Wir haben es geschafft!“ Blue fiel mir um den Hals und riss mich beinahe zu Boden. „Endlich aus dem miesen Loch raus! Ich könnte den Boden küssen! Oder die Schafe!“
Wider Willen lachte ich und wirbelte mit Blue über die Wiese, inmitten der Schafherde. „Wir müssen immer noch die anderen holen. Und das NaNo-Land retten“, erinnerte ich ihn. „Schon vergessen?“
„Das nicht. Aber die Atmosphäre von dem Gefängnis war absolutes Gift für jede Art von Kreativität.“ Blue atmete tief durch, wieder und wieder.
„Genieß du die frische Luft.“ Ich hingegen machte mich auf die Suche nach Lanschaf. Irgendwie mussten wir ja unsere Freunde auf den Plan rufen.
Lanschaf zu bedienen war etwas schwieriger als gedacht, vor allem, weil es ständig entweder versuchte zu seinen Freunden zu rennen, oder weil es einen besonders saftigen Grashalm entdeckt hatte, den es unbedingt lieber fressen musste, als das Gras, das direkt vor seiner Nase wuchs. Ganz zu schweigen von den generellen Problemen, die man mit Technik immer hatte.
Sogar Blue kam wieder mit dazu, doch zusammen schafften wir es ein Signal zu bekommen und Omas Handy anzurufen. Es war sowieso alles besser als die Gedankenspinnen.

1 Kommentar:

  1. "Zu meiner Genugtuung (sag) sah er sehr angeschafen an. Schafe(n) hatten..."
    „Was denn jetzt schon wieder?“, stöhnte ich nur, als die Herde schon wieder stehen blieb.(“)

    Mir sind jetzt nur die drei Fehler untergekommen... ansonsten freu ich mich gerade einfach nur über die Schafstampede ^^

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