Freitag, 1. Dezember 2017

45. Kapitel



Das Kloster der Wunder versank genauso im Nebel wie alles andere. Die Schaden nagten an den Mauern; vielleicht waren auch darin Geschichten gelagert. Das ganze Land schien ja daraus zu bestehen.
„Oma… was passiert eigentlich mit dem Wörtermehr, wenn der Nebel es erreicht?“ Ich hatte gerade erst daran gedacht, dass das Wörtermehr aus, nunja, Wörtern bestand. Und der Nebel schien alles zu löschen, was mit Geschichten zu tun hatte.
„Oh.“ Sie sagte nichts weiter, beschleunigte aber ihren Schritt.
Ich hoffte mit aller Kraft, dass Lurz und seine Mannschaft sicher waren. Falls das Mehr auf einmal unter ihnen verschwinden würde… Besser nicht darüber nachdenken.
Wir kamen an die große Pforte des Klosters und ein heftiges Déjà-vu überkam mich. Zögern hob ich die Hand und klopfte. Es wurde wieder zuerst das Dingsda, das…
„Wie heißt nochmal die komische Klappe, die da gerade zur Seite geschoben wird?“, flüsterte ich meiner Oma zu. „Du weißt schon, das Gucklochdingsda.“
„Keine Ahnung“, erwiderte sie. „Frag später nochmal.“
Was machten wir nochmal? Ich hatte das Gefühl schon einmal hier gewesen zu sein. Es hatte irgendetwas mit Wundern zu tun. Und mit Plotbunnys? Nein, das war falsch. Da war irgendwas falsch.
„Mäh“, machte Freundschaf und schob seine Nase in meine Handfläche. Geistesabwesend begann ich die weiche Nase zu streicheln und dann sein Ohr zu kraulen.
„Mäh“, machte Freundschaf und meine Erinnerung war wieder da.
Das würde schwieriger werden als gedacht.
„Und ihr seid?“ Eine Nonne starrte uns durch das Gucklochdingsda an.
„Wir brauchen ein Wunder“, meinte Oma. „Wir würden gern mit der Mutter Oberin sprechen.“
„Tut mir leid; das ganze NaNo-Land steckt gerade in einer Krise und wir haben unsere persönliche Krise, weil die komplette Bibliothek gelöscht wurde. Kommt wieder wenn der Nebel verschwunden, oder alle Geschichten wieder da sind.“
Sie hatte das Gucklochdingsda schon halb zugeschoben, da machte Freundschaf „Mäh“ und die Nonne hielt inne. Einen Moment lang schaute sie das Schaf nur an, runzelte die Stirn, dann erhellte sich ihre Miene.
„Freundschaf! Dich hatte ich ja fast vergessen!“ Sofort wurde uns das Tor geöffnet und die Nonne begann Freundschaf zu streicheln, das seine Nase an ihr rieb und sich die Streicheleinheiten gefallen ließ. „Kommt rein, kommt rein!“
Hinter uns wurde das Tor wieder geschlossen.
„Einen Moment lang hatte ich vergessen warum wir hier sind.“ Blue kratzte sich am Hinterkopf und verwuschelte seine blauen Haare. „Mia… das macht mir Angst.“
Ich sagte nichts weiter dazu, sondern umklammerte mit einer Hand meinen Bogen und folgte der Nonne. Die war immer noch mit Freundschaf beschäftigt und fragte es allerlei – was zum Beispiel passiert war seit es mit uns aufgebrochen war. Wie sie die ganzen Mäh-Laute übersetzen konnte war, nun ja, ein Wunder.
„Schwester? Was soll ich mit den Kartoffeln machen?“
Eine Gestalt trat aus einem der Gänge. In einer Hand hielt sie ein Messer, was vielleicht gruselig gewesen wäre, wenn sie nicht in der anderen Hand eine Kartoffel gehalten hätte, die aussah als hätte jemand sich an moderner Kunst versucht.
„Sie schälen natürlich.“ Die Schwester seufzte. „Das ist unser Arbeitslosengel. Er ist uns eines Tages zugeflogen und weil er sonst keinen Ort hatte, an dem er bleiben konnte, haben wir ihm der Köchin als Gehilfen zugeteilt. Normalerweise macht es ihm Spaß, aber was sein Talent als Koch angeht…“
„Nichtexistent“, stimmte der Engel zu. Jetzt erkannte ich auch, dass das, was ich für Schatten gehalten hatte, dunkle Flügel waren, die er auf dem Rücken zusammengefaltet hatte. „Aber Kartoffelnschälen sollte sich irgendwie machen lassen.“
Leise murmelnd verschwand er zurück in Richtung Küche und ließ nur ein Stück Kartoffelschale zurück. Die Schwester seufzte erneut.
„Eigentlich ein netter Kerl. Unser Schmutzengel ist viel schwieriger im Umgang. Und er könnte auch mal wieder sauber machen. Vor allem sich selbst.“
Ich fragte lieber nicht.
„Der Schnatzengel wiederum…“
„Mäh“, machte Freundschaf und lenkte die Nonnen glücklicherweise ab. Ich hätte schwören können, dass es mir verschmitzt zuzwinkerte.
„Hier sind wir.“
Die Nonne blieb vor einer Tür stehen, die mir bekannt vorkam. Dann streckte sie einen Schlüssel in das Schloss. Seltsamer Schlüssel, den man zuerst strecken musste, bevor er ins Schloss passte. Vielleicht war die Tür extra gesichert.
„Es haben schon mehrere Leute versucht ein Wunder zu stehlen, also müssen wir vorsichtig sein“, erklärte sie. Anscheinend hatte sie meinen Blick gesehen. „Überzeugt euch selbst, dass es denen nicht sonderlich gut geht. Ich hole die Mutter Oberin. Versucht es nicht schlimmer zu machen als es sowieso schon ist.“
Und mit diesen aufmunternden Worten ließ sie uns inmitten der kranken Wunder stehen.
„Immerhin scheint sie uns so weit zu vertrauen, dass sie nicht denkt wir würden ihr ein Wunder stehlen“, meinte Phoenix und ließ sich auf einem Holzschemel nieder.
„Wer würde die schon stehlen wollen?“ Blue beugte sich über eins der Wunder, die immer noch auf Brettern lagen. Offensichtlich war immer noch Brettruhe angesagt, auch wenn ich mir nicht sicher war, dass das wirklich half. „Die sehen nicht so aus, als würden sie in nächster Zeit irgendeiner Art von Wunder vollbringen, wenn ihr mich fragt. Außerdem…“ Er ließ sich an der Wand hinabgleiten, lehnte sich dagegen und zog die Beine an. „…viel schlimmer als es jetzt ist, kann es eh nicht werden. Da muss sich die gute Schwester keine Sorgen machen.“
„Sei nicht so pessimistisch, Blue.“ Omas Händchen rückte ihren Hut zurecht, der wieder einmal verrutscht war. „Dankeschön, Händchen“, nickte sie ihm zu. „Es ist noch nicht alles verloren. Wer weiß, vielleicht geschieht ja ein Wunder?“
„Haha.“ Blue stützte seinen Kopf auf seinen Armen ab. „Ich merke wie langsam aber sicher alle Geschichten, die ich im Kopf hatte, verschwinden und ich soll nicht so pessimistisch sein? Das ist als würde ich meinen halben Kopf verlieren. Mehr sogar. Ohne meine Geschichten, was bin ich dann? Ein Overachiever ohne Wörter?“
Oma betrachtete ihn schweigen und auch Phoenix schien keinerlei aufmunternde Worte zu haben.
„Dann schreiben wir Neue“, beschloss ich kurzerhand.
„Häh?“ Blue sah immer noch aus wie eine zertretene Fußmatte.
„Sobald der Nebel verschwunden ist und die Schafe den Knopf bewachen – falls sie denn jetzt immun dagegen sind – fangen wir an neue Geschichten zu schreiben!“ Die Vorstellung mein Bunny nie wieder zu sehen oder mich an es zu erinnern war zwar grauenhaft, aber dann würde ich eben gerade darüber eine Geschichte schreiben. „Dann fangen wir eben bei Null an. Na und? Außerdem werden Overachiever gerade dann gebraucht.“
Gerade in dem Moment kam die Oberschwester herein.
„Mäh“, machte Freundschaf.
„Ja da hol mich doch… Freundschaf! Schwester Luise hat schon erzählt du wärst zu Besuch. Schön euch alle wiederzusehen, auch wenn die Umstände unschön sind“, begrüßte sie uns.
„Allerdings unschön“, murrte Blue, hatte sich aber immerhin aus seiner Fetalposition erhoben.
Die Oberschwester drehte sich zu einem Wunder um und zog die Wundwinkel nach oben, aber ihr Lächeln überzeugte nicht. „Immer noch krank“, murrte sie.
Ich hatte keine Ahnung, was ein Wundwinkel war, aber es klang schmerzhaft und sah auch so aus.
„Ich kann mir schon denken warum ihr hier seid. Ihr wollt versuchen das alles durch ein Wunder rückgängig zu machen.“
Warum sah sie so betreten dabei aus? Das versprach keinen guten Ausgang des Gesprächs.
„Der Große Rote Knopf des Verderbens ist selbst aus einem Wunder entstanden.“ Ihre Miene verdunkelte sich. „Eines der Wunder wurde gestohlen und für diesen schrecklichen Zweck missbraucht. Unsere Chroniken erzählen davon.“
„Was hat das mit unserem jetzigen Problem zu tun?“, fragte Phoenix höflich.
Ob die Nonnen nicht bemerkt hatten, dass sie ein Zombie war, oder dass es sie nicht scherte, war schwer zu erkennen. Ich war nur froh, dass sie das Kloster hatte betreten dürfen. Oder die Nonnen hatten alle Geschichten über Zombies vergessen und wussten nicht mehr was das war. Auch eine Möglichkeit. Irgendwelche Vorteile musste diese ganze Sache doch haben.
„Ein Wunder kann nicht durch ein Wunder aufgehoben werden. Das ist eine der Grundregeln; sonst würde absolutes Chaos herrschen.“ Sie seufzte wieder. „Aber ihr könnt gerne ein Wunder mitnehmen.“
„Super! Danke!“ Blue grinste. „Vielleicht können wir es benutzen, um Hannes zurückzuverwandeln.“
„Tut mir leid, aber das geht auch nicht.“ Die Oberschwester sah Hannes an, der schluckte und dann seufzte.
„Dachte ich mir schon fast. Bei mir hilft irgendwie nichts. Und wenn Wunder helfen würden, hätte mein Vater das sicher schon versucht.“
„Tut mir echt leid“, murmelte ich, doch er zuckte nur mit den Schultern.
„Dann bleibe ich entweder für immer ein Frosch, oder muss warten, bis sich jemand in mich verliebt. So oder wird es wohl eine Ewigkeit sein.“
„Entschuldigung, aber warum benutzt ihr das Wunder nicht, um die anderen Wunder zu heilen?“, warf Oma plötzlich ein. „Ich meine mich zu erinnern letztes Mal von so einer Idee gehört zu haben.“
Ganz dumpf erinnerte auch ich mich daran, aber dieser Teil der Reise war anscheinend gerade dabei aus meinem Kopf zu verschwinden. Ich streckte die Hand nach Freundschaf aus und kraulte seine Nase, um wieder klare Gedanken fassen zu können. Ein fluchsicheres Schaf dabeizuhaben, war definitiv von Vorteil.
„Wir haben es versucht und das erste gesunde Wunder dafür aufgebraucht. Es hat nicht funktioniert. Und dafür haben wir das arme Ding verschwendet.“ Sie seufzte. So viele Seufzer hier heute. „Also nehmt euch unser gesundes Wunder und schaut, ob ihr es irgendwie benutzen könnt, um die Situation erträglicher zu machen.“
„Danke. Wir werden unser Bestes geben“, versprach meine Oma und wir alle nickten artig. „Dann sollten wir zurück zum Gesunden Menschenversand. Bevor die noch komplett dichtmachen und nicht mal uns hin und her schicken.“
Es wäre zu blöd, wenn wir ausgerechnet dafür das Wunder aufbrauchen mussten. Transport sollte leichter sein.

1 Kommentar:

  1. "Ohne meine Geschichten, was bin ich dann? Ein Overachiever ohne Wörter?“" ... that was deep..."...Außerdem werden Overachiever gerade dann gebraucht.“" ... und gleich wieder aufmunternd ^^

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