Das
Kloster der Wunder versank genauso im Nebel wie alles andere. Die Schaden
nagten an den Mauern; vielleicht waren auch darin Geschichten gelagert. Das
ganze Land schien ja daraus zu bestehen.
„Oma…
was passiert eigentlich mit dem Wörtermehr, wenn der Nebel es erreicht?“ Ich
hatte gerade erst daran gedacht, dass das Wörtermehr aus, nunja, Wörtern
bestand. Und der Nebel schien alles zu löschen, was mit Geschichten zu tun
hatte.
„Oh.“
Sie sagte nichts weiter, beschleunigte aber ihren Schritt.
Ich
hoffte mit aller Kraft, dass Lurz und seine Mannschaft sicher waren. Falls das
Mehr auf einmal unter ihnen verschwinden würde… Besser nicht darüber
nachdenken.
Wir
kamen an die große Pforte des Klosters und ein heftiges Déjà-vu überkam mich.
Zögern hob ich die Hand und klopfte. Es wurde wieder zuerst das Dingsda, das…
„Wie
heißt nochmal die komische Klappe, die da gerade zur Seite geschoben wird?“,
flüsterte ich meiner Oma zu. „Du weißt schon, das Gucklochdingsda.“
„Keine
Ahnung“, erwiderte sie. „Frag später nochmal.“
Was
machten wir nochmal? Ich hatte das Gefühl schon einmal hier gewesen zu sein. Es
hatte irgendetwas mit Wundern zu tun. Und mit Plotbunnys? Nein, das war falsch.
Da war irgendwas falsch.
„Mäh“,
machte Freundschaf und schob seine Nase in meine Handfläche. Geistesabwesend
begann ich die weiche Nase zu streicheln und dann sein Ohr zu kraulen.
„Mäh“,
machte Freundschaf und meine Erinnerung war wieder da.
Das
würde schwieriger werden als gedacht.
„Und
ihr seid?“ Eine Nonne starrte uns durch das Gucklochdingsda an.
„Wir
brauchen ein Wunder“, meinte Oma. „Wir würden gern mit der Mutter Oberin
sprechen.“
„Tut
mir leid; das ganze NaNo-Land steckt gerade in einer Krise und wir haben unsere
persönliche Krise, weil die komplette Bibliothek gelöscht wurde. Kommt wieder
wenn der Nebel verschwunden, oder alle Geschichten wieder da sind.“
Sie
hatte das Gucklochdingsda schon halb zugeschoben, da machte Freundschaf „Mäh“
und die Nonne hielt inne. Einen Moment lang schaute sie das Schaf nur an,
runzelte die Stirn, dann erhellte sich ihre Miene.
„Freundschaf!
Dich hatte ich ja fast vergessen!“ Sofort wurde uns das Tor geöffnet und die
Nonne begann Freundschaf zu streicheln, das seine Nase an ihr rieb und sich die
Streicheleinheiten gefallen ließ. „Kommt rein, kommt rein!“
Hinter
uns wurde das Tor wieder geschlossen.
„Einen
Moment lang hatte ich vergessen warum wir hier sind.“ Blue kratzte sich am
Hinterkopf und verwuschelte seine blauen Haare. „Mia… das macht mir Angst.“
Ich
sagte nichts weiter dazu, sondern umklammerte mit einer Hand meinen Bogen und
folgte der Nonne. Die war immer noch mit Freundschaf beschäftigt und fragte es
allerlei – was zum Beispiel passiert war seit es mit uns aufgebrochen war. Wie
sie die ganzen Mäh-Laute übersetzen konnte war, nun ja, ein Wunder.
„Schwester?
Was soll ich mit den Kartoffeln machen?“
Eine
Gestalt trat aus einem der Gänge. In einer Hand hielt sie ein Messer, was
vielleicht gruselig gewesen wäre, wenn sie nicht in der anderen Hand eine
Kartoffel gehalten hätte, die aussah als hätte jemand sich an moderner Kunst
versucht.
„Sie
schälen natürlich.“ Die Schwester seufzte. „Das ist unser Arbeitslosengel. Er
ist uns eines Tages zugeflogen und weil er sonst keinen Ort hatte, an dem er
bleiben konnte, haben wir ihm der Köchin als Gehilfen zugeteilt. Normalerweise
macht es ihm Spaß, aber was sein Talent als Koch angeht…“
„Nichtexistent“,
stimmte der Engel zu. Jetzt erkannte ich auch, dass das, was ich für Schatten
gehalten hatte, dunkle Flügel waren, die er auf dem Rücken zusammengefaltet
hatte. „Aber Kartoffelnschälen sollte sich irgendwie machen lassen.“
Leise
murmelnd verschwand er zurück in Richtung Küche und ließ nur ein Stück
Kartoffelschale zurück. Die Schwester seufzte erneut.
„Eigentlich
ein netter Kerl. Unser Schmutzengel ist viel schwieriger im Umgang. Und er
könnte auch mal wieder sauber machen. Vor allem sich selbst.“
Ich
fragte lieber nicht.
„Der
Schnatzengel wiederum…“
„Mäh“,
machte Freundschaf und lenkte die Nonnen glücklicherweise ab. Ich hätte
schwören können, dass es mir verschmitzt zuzwinkerte.
„Hier
sind wir.“
Die
Nonne blieb vor einer Tür stehen, die mir bekannt vorkam. Dann streckte sie
einen Schlüssel in das Schloss. Seltsamer Schlüssel, den man zuerst strecken
musste, bevor er ins Schloss passte. Vielleicht war die Tür extra gesichert.
„Es
haben schon mehrere Leute versucht ein Wunder zu stehlen, also müssen wir
vorsichtig sein“, erklärte sie. Anscheinend hatte sie meinen Blick gesehen.
„Überzeugt euch selbst, dass es denen nicht sonderlich gut geht. Ich hole die
Mutter Oberin. Versucht es nicht schlimmer zu machen als es sowieso schon ist.“
Und
mit diesen aufmunternden Worten ließ sie uns inmitten der kranken Wunder
stehen.
„Immerhin
scheint sie uns so weit zu vertrauen, dass sie nicht denkt wir würden ihr ein
Wunder stehlen“, meinte Phoenix und ließ sich auf einem Holzschemel nieder.
„Wer
würde die schon stehlen wollen?“ Blue beugte sich über eins der Wunder, die
immer noch auf Brettern lagen. Offensichtlich war immer noch Brettruhe
angesagt, auch wenn ich mir nicht sicher war, dass das wirklich half. „Die
sehen nicht so aus, als würden sie in nächster Zeit irgendeiner Art von Wunder
vollbringen, wenn ihr mich fragt. Außerdem…“ Er ließ sich an der Wand
hinabgleiten, lehnte sich dagegen und zog die Beine an. „…viel schlimmer als es
jetzt ist, kann es eh nicht werden. Da muss sich die gute Schwester keine
Sorgen machen.“
„Sei
nicht so pessimistisch, Blue.“ Omas Händchen rückte ihren Hut zurecht, der
wieder einmal verrutscht war. „Dankeschön, Händchen“, nickte sie ihm zu. „Es
ist noch nicht alles verloren. Wer weiß, vielleicht geschieht ja ein Wunder?“
„Haha.“
Blue stützte seinen Kopf auf seinen Armen ab. „Ich merke wie langsam aber
sicher alle Geschichten, die ich im Kopf hatte, verschwinden und ich soll nicht
so pessimistisch sein? Das ist als würde ich meinen halben Kopf verlieren. Mehr
sogar. Ohne meine Geschichten, was bin ich dann? Ein Overachiever ohne Wörter?“
Oma
betrachtete ihn schweigen und auch Phoenix schien keinerlei aufmunternde Worte
zu haben.
„Dann
schreiben wir Neue“, beschloss ich kurzerhand.
„Häh?“
Blue sah immer noch aus wie eine zertretene Fußmatte.
„Sobald
der Nebel verschwunden ist und die Schafe den Knopf bewachen – falls sie denn
jetzt immun dagegen sind – fangen wir an neue Geschichten zu schreiben!“ Die
Vorstellung mein Bunny nie wieder zu sehen oder mich an es zu erinnern war zwar
grauenhaft, aber dann würde ich eben gerade darüber eine Geschichte schreiben.
„Dann fangen wir eben bei Null an. Na und? Außerdem werden Overachiever gerade
dann gebraucht.“
Gerade
in dem Moment kam die Oberschwester herein.
„Mäh“,
machte Freundschaf.
„Ja da
hol mich doch… Freundschaf! Schwester Luise hat schon erzählt du wärst zu
Besuch. Schön euch alle wiederzusehen, auch wenn die Umstände unschön sind“,
begrüßte sie uns.
„Allerdings
unschön“, murrte Blue, hatte sich aber immerhin aus seiner Fetalposition
erhoben.
Die
Oberschwester drehte sich zu einem Wunder um und zog die Wundwinkel nach oben,
aber ihr Lächeln überzeugte nicht. „Immer noch krank“, murrte sie.
Ich
hatte keine Ahnung, was ein Wundwinkel war, aber es klang schmerzhaft und sah
auch so aus.
„Ich
kann mir schon denken warum ihr hier seid. Ihr wollt versuchen das alles durch
ein Wunder rückgängig zu machen.“
Warum
sah sie so betreten dabei aus? Das versprach keinen guten Ausgang des
Gesprächs.
„Der
Große Rote Knopf des Verderbens ist selbst aus einem Wunder entstanden.“ Ihre
Miene verdunkelte sich. „Eines der Wunder wurde gestohlen und für diesen
schrecklichen Zweck missbraucht. Unsere Chroniken erzählen davon.“
„Was
hat das mit unserem jetzigen Problem zu tun?“, fragte Phoenix höflich.
Ob die
Nonnen nicht bemerkt hatten, dass sie ein Zombie war, oder dass es sie nicht
scherte, war schwer zu erkennen. Ich war nur froh, dass sie das Kloster hatte
betreten dürfen. Oder die Nonnen hatten alle Geschichten über Zombies vergessen
und wussten nicht mehr was das war. Auch eine Möglichkeit. Irgendwelche
Vorteile musste diese ganze Sache doch haben.
„Ein
Wunder kann nicht durch ein Wunder aufgehoben werden. Das ist eine der
Grundregeln; sonst würde absolutes Chaos herrschen.“ Sie seufzte wieder. „Aber
ihr könnt gerne ein Wunder mitnehmen.“
„Super!
Danke!“ Blue grinste. „Vielleicht können wir es benutzen, um Hannes
zurückzuverwandeln.“
„Tut
mir leid, aber das geht auch nicht.“ Die Oberschwester sah Hannes an, der
schluckte und dann seufzte.
„Dachte
ich mir schon fast. Bei mir hilft irgendwie nichts. Und wenn Wunder helfen
würden, hätte mein Vater das sicher schon versucht.“
„Tut
mir echt leid“, murmelte ich, doch er zuckte nur mit den Schultern.
„Dann
bleibe ich entweder für immer ein Frosch, oder muss warten, bis sich jemand in
mich verliebt. So oder wird es wohl eine Ewigkeit sein.“
„Entschuldigung,
aber warum benutzt ihr das Wunder nicht, um die anderen Wunder zu heilen?“,
warf Oma plötzlich ein. „Ich meine mich zu erinnern letztes Mal von so einer
Idee gehört zu haben.“
Ganz
dumpf erinnerte auch ich mich daran, aber dieser Teil der Reise war anscheinend
gerade dabei aus meinem Kopf zu verschwinden. Ich streckte die Hand nach
Freundschaf aus und kraulte seine Nase, um wieder klare Gedanken fassen zu
können. Ein fluchsicheres Schaf dabeizuhaben, war definitiv von Vorteil.
„Wir
haben es versucht und das erste gesunde Wunder dafür aufgebraucht. Es hat nicht
funktioniert. Und dafür haben wir das arme Ding verschwendet.“ Sie seufzte. So
viele Seufzer hier heute. „Also nehmt euch unser gesundes Wunder und schaut, ob
ihr es irgendwie benutzen könnt, um die Situation erträglicher zu machen.“
„Danke.
Wir werden unser Bestes geben“, versprach meine Oma und wir alle nickten artig.
„Dann sollten wir zurück zum Gesunden Menschenversand. Bevor die noch komplett
dichtmachen und nicht mal uns hin und her schicken.“
Es
wäre zu blöd, wenn wir ausgerechnet dafür das Wunder aufbrauchen mussten.
Transport sollte leichter sein.
"Ohne meine Geschichten, was bin ich dann? Ein Overachiever ohne Wörter?“" ... that was deep..."...Außerdem werden Overachiever gerade dann gebraucht.“" ... und gleich wieder aufmunternd ^^
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