Freitag, 1. Dezember 2017

43. Kapitel



„Aua! Oma, du erdrückst mich ja fast“, beschwerte ich mich und versuchte mich aus dem Schraubstockgriff von Oma Marga zu befreien.
„Ich bin nur so froh, dass es dir gut geht“, seufzte sie und machte immer noch keine Anstalten mich loszulassen.
Blue wurde währenddessen von Phoenix und einer ML der Region Österreich belagert, um von unserer Odyssee zu erzählen. Einige Schafe, unter anderem das Wissenschaf und Lichtschaf, standen um sie herum und mähten ab und zu, um ebenfalls einen Beitrag zum Gespräch zu leisten. Freundschaf, das natürlich auch mitgekommen war, sprang von einem seiner Verwandtschafe zum anderen. Es schien sich gar nicht entscheiden zu können, wen es zuerst begrüßen sollte.
Ich schaffte es endlich, dass meine Oma von mir abließ. „Wir müssen irgendwie die anderen Gefangenen da drin befreien! Die können nicht da bleiben; der Ort war einfach schrecklich.“
Freundschaf hatte mittlerweile Lichtschaf gefunden und stupste es immer wieder mit seiner Nase an. Ich hätte schwören können, dass seine Augen feuchter wurden. Konnten Schafe weinen? Ich hatte eigentlich gedacht nein.
„Aber das Gefängnis ist verschwunden!“, bemerkte Blue.
„Kein Problem“, warf die ML ein. „Das einzige Problem bisher war, dass wir den genauen Ort des Gefängnisses nicht kannten. Wir können das übernehmen und ihr kümmert euch um den Großen Roten Knopf des Verderbens.“
Ach ja. Den gab es ja auch noch.
„Und damit sollten wir uns beeilen“; meinte Phoenix. „Die Eyebros haben gestern ihren Streik angefangen und der Knopf wurde im Keller versteckt. Aber entweder wird es bald jemanden dorthin ziehen, oder der Knopf wird sich teleportieren, um jemanden zu finden, der ihn drückt.“
„Was? Schon? Ich dachte die würden länger durchhalten“, maulte Blue. „Was für Weicheier.“
„… ihr wart eine Woche weg.“
Ich sah meine Oma nur an. Und wartete. Und wartete. Den Witz fand ich recht unlustig.
„Ihr wart wirklich eine Woche weg“, beharrte sie.
„Das kann nicht sein.“ Blues Stimme war ein Flüstern. „Das war ein Tag. Falls wir länger ohnmächtig waren höchstens zwei!“
„Das ganze Gefängnis ist ein Motivationsloch“, erklärte die ML. „Alles dort geht langsamer voran als in der richtigen Welt. Man kann keinen klaren Gedanken fassen und wenn, dann dauert es ewig bis man ihn umgesetzt hat.“
„Dann müssen wir sofort zum Großen Roten Knopf des Verderbens!“ Ich sprang auf, sackte aber sofort in mich zusammen als ich bemerkte, dass ich keinen Plan hatte wie genau wir das anstellen sollten.
„Ich weiß nicht, ob wir euch in irgendwiener Weise helfen können, aber geht zurück in die Stadt und ich werde eine Freundin bitten zu sehen was sich machen lässt.“
„Die wiener Weise hört sich vielversprechend an“, meldete sich Hannes von meiner Schulter. „Allerdings müssen wir irgendwie die ganzen Schafe mitschleppen.“
„Kein Problem.“ Die ML deutete auf eine Reihe Lastwagen, die gerade auf die Wiese gefahren kamen. „Ich habe mir erlaubt euch den Transport zu planen.“
So viele LKWs wir auch hatten, es war nicht ganz einfach hunderte Schafe hineinzubekommen. Einige wollten unbedingt mit bestimmten anderen Schafen zusammen fahren, die Kollateralschafe schienen sowieso keine Ahnung zu haben was los war und wollten lieber Gras futtern (aber da wir nicht wussten, ob sie nicht doch wichtig waren, mussten sie erst einmal mit). Weltherrschaf versuchte die Kontrolle an sich zu reißen und musste von meiner Oma mit dem Starb bedroht werden. Wissenschaf verzettelte sich in den Navis der Fahrer. Und Winterschaf schaffte es irgendwie die Reifen eines LKW einzufrieren.
Am schlimmsten war Freundschaf. Es schien sich einfach nicht entscheiden zu wollen in welchem LKW es mitfahren wollte. Es rannte zwischen Lichtschaf, Gastfreundschaf und Alarmbereitschaf hin und her, sprang mal in einen Anhänger, nur um dann im nächsten Moment wieder abzuspringen und zum nächsten zu rennen.
Oma Marga erbarmte sich schließlich. „Schau mal, Freundschaf. Ihr werdet alle Zeit der Welt haben, die ihr zusammen verbringen könnt. Aber jetzt müssen wir los. Such dir aus, wo du mitfahren möchtest, ja?“
„Mäh“, machte Freundschaf, sah sie aus treuen Augen an und sprang schließlich in die Kabine, in der schon Phoenix saß und in die auch meine Oma steigen würde.
Die lächelte es an, setzte sich dazu und schloss die Tür. Ich konnte gerade noch sehen wie Freundschaf ihr seinen Kopf in den Schoß legte und sich dann von ihr streicheln ließ. Jetzt kamen mir fast die Tränen.
Endlich waren wir abfahrbereit, doch selbst jetzt beschwerten sich die meisten Schafe mehr als lautstark. Als wir vor der Hauptbibliothek in Vieann ankamen, war ich vollkommen fertig. Die anderen hatten ebenfalls dunkle Ringe unter den Augen und Hannes hatte mehrfach gut auf Blue einreden müssen, um ihn davon abzuhalten ein Schaf zu erwürgen.
„Ihr seht aus als könntet ihr mordendlichen Tee gebrauchen“, bemerkte einer der Menschen, die uns in Empfang genommen hatten.
„Wenn es bedeutet, dass ich diese Schafe ermorden darf“, grummelte Blue.
„Die brauchen wir noch!“, meinte Hannes.
Blue grummelte noch mehr.
„Das hier ist eh nur ein Zwischenstopp. Daria begleitet euch ins Labarorytory.“
„Ins was?“ Doch ich wurde unterbrochen als ein Wirbelwind von Daria über uns hereinbrach.
„Hallooooo! Ich hab schon so viel von euch gehört! Ihr müsst also schnell zurück in die Deutschland-Ecke des NaNo kommen?“
„Äh…“ Blue schienen endlich einmal die Worte zu fehlen, vor allem als ihm Daria um den Hals fiel. Danach tat sie dasselbe mit Oma, Phoenix und mir. Sogar Hannes tätschelte sie den Kopf und ihre Umarmung versank so tief in Freundschafs Fell, dass man nur noch ihren pinken Zopf sehen konnte, der aus der Wolle herausragte.
„Ja, das wäre sehr nett“, antwortete meine Oma.
„Was ist ein Labarorytory?“, fragte Hannes.
„Ich glaube ihr habt sowas ähnliches. Froschungslabor, oder so…?“ Daria hing immer noch in Freundschafs Fell fest. „Ooooh, ist das weich!“
Wir ließen die Schafe gleich in den LKWs. Zum Glück wussten die Fahrer wo das Labor war, denn Daria beschäftigte sich die ganze Fahrt über nur mit Freundschaf.
„Ich bin gespannt ihr Gesicht zu sehen, wenn wir den Rest der Verwandtschaf rauslassen“, flüsterte Blue nur grinsend.
Wir saßen ziemlich gequetscht auf der Sitzbank, Freundschaf und Daria neben uns. „Es gibt noch mehr?“, quiekte die.
Na das konnte ja heiter werden. Warum gabelten wir immer so seltsame Charaktere auf? Andererseits… wir waren wohl auch nicht ganz ohne. Das stellten wir auch gleich mal unter Beweis, als wir beim… Laborartory?... ankamen, vom Direktor begrüßt wurden und dann erstmal alle Schafe ausluden, die sich in die LKWs gequetscht hatten.
„Und die… aber die… Sie haben mir nicht gesagt, dass so viele verschickt werden müssen!“ Der Direktor schlug die Hände über dem Kopf zusammen, während er Daria verzweifelt anschaute.
Die würde ihm nicht sonderlich helfen, denn sie hing immer noch in Freundschaf.
„Mäh“, machte Freundschaf.
„Halt durch, Kumpel“, flüsterte Blue. „Wir sind bald weg von hier. Und weg von ihr.“
„Mäh“, machte Freundschaf.
„Da müssen wir wohl umdisponieren.“ Der Direktor drehte sich mit Schwung um. „Folgt mir!“
„Mäh“, machte Freundschaf und seine Verwandtschaf begann ihm hinterherzulaufen.
„Das“, meinte Blue nur „ist das Seltsamste, was ich je gesehen habe.“
Da ich ihm nicht widersprechen konnte, folgte ich lieber dem Direktor, bevor ich ihn vor lauter Schafen nicht mehr sehen konnte. „Wie genau wollen Sie uns denn helfen zurück in unsere Region zu kommen?“ Der gesunder Menschenversand hatte mich misstrauisch gemacht.
„Wir haben eine neue Methode zu reisen entwickelt. Es ist eine Art von Teleportation, wenn man es denn so nennen kann.“
„Cool! Warum beamen Sie nicht schon Leute hin und her?“, fragte Blue.
„Das Transportmittel ist noch nicht ganz ausgereift. Es gab ein paar… Unfälle.“
„Das klingt irgendwie… ominös.“ Hannes krallte sich fester in meine Robbe.
„Ach, keine Sorge! Unsere Forschen sind Koryphäen auf ihrem Gebiet!“
Hinter uns versuchten die Schafe sich durch eine viel zu kleine Tür in die Einrichtung zu quetschen. Ich hatte keine Lust ebenfalls zerquetscht zu werden und wartete lieber in sicherem Abstand. Auch Freundschaf sah nur gelangweilt zu wie sich seine Familie durch die Tür zwängte.
Ein plötzlicher Schrei ließ mich zusammenzucken. „Koryphäen, ja?“
„Das ist nur unsere Schreimaschine“, winkte der Direktor ab. „Die hat noch ein paar Probleme.“
„Kriegen wir eine Führung?“ Blue hatte auf einmal leuchtende Augen bekommen.
Der Direktor hatte schon den Mund geöffnet, lächeln, um vermutlich zu sagen das sei kein Problem, da schnitt ich ihm das Wort ab. „Wir haben keine Zeit! Großer Roter Knopf des Verderbens. Untergang des NaNo-Landes. Klingelt da was?“
Den Rest des Weges legte er grummelnd zurück. Der Direktor blieb ebenfalls ruhig. Sollten sie doch schmollen. Ich machte mir Sorgen um Fluffles.
„Wir haben die Apparatur extra in einer großen Halle aufgebaut, um irgendwann größere Gegenstände transportieren zu können. Das sollte sogar für eine Schafherde reichen.“ Der Direktor stieß eine große Doppeltür auf. „Ich lasse euch in den fähigen Händen meiner Forscher.“
Sein dramatischer Abgang wurde etwas dadurch geschmälert, dass Darias Handy anfing zu klingeln.
„Ja?“ Sie hörte einige Sekunden wie gebannt zu und eine Denkfalte erschien auf ihrer Stirn. „Alles klar.“ Sie steckte das Handy wieder weg und sah uns entschuldigend an. „Tut mir leid, aber mein Bruder mutiert. Ich fürchte ich muss euch allein lassen.“
„Ich begleite Sie hinaus.“
Die beiden verschwanden zusammen in dem Gewirr der Gänge und unsere Gruppe stand mal wieder allein mit einer Schafherde da. Typisch. Allerdings waren wir keine Leute, die lange über die Situationen nachdachten, in denen sie sich befanden.
„Dann mal auf das eventuell funktionstüchtige annähernd Teleporter-ähnliche Gerät zu benutzen“, fasste Phoenix die Situation zusammen. „Na gut.“
Drinnen wurden wir bereits von den ach so fähigen Forschern erwartet, deren Augen immer größer wurden je mehr Schafe es durch die Doppeltüren schafften. Ein anderer wiederum bekam ein immer größeres Lächeln.
„Fabelhaft! Ich wollte schon immer versuchen eine zu große Menge an Personen auf einmal zu verschicken, aber es wurde gesagt das sei zu gefähr…“
„Willkommen bei unserer kleinen Forschungsgruppe“, unterbrach ein anderer Forscher das Gebrabbel seines Kollegen – was vielleicht besser so war, bevor er uns erzählen konnte wie gefährlich dieses Unterfangen eigentlich war.
„Warum gehen wir nochmal nicht zu Lurz‘ Schiff zurück?“, murmelte Blue.
Oma sah ihn tadelnd an. „So gerne ich ihn und sein Schiff auch mag, das ist einfach zu langsam. Und dann müssen wir vom Wörtermehr aus noch zum Großen Roten Knopf des Verderbens kommen. Nein. Viel zu weit. Die ML hat uns versichert es gäbe einen Weg, der uns direkt an unser Ziel befördern wird.“
„Oh ja, da hat sie Recht“, ereiferte sich Wissenschaftler Nummer zwei. „Mit dieser Methode kann man in ganz Eutopa reisen!“
„…was zum Teufel ist Eutopa?“ Hannes lugte unter meinen Haaren hervor.
„… das ist der Kontinent, auf dem sich unsere NaNo-Regionen befinden. Hattet ihr kein Erdkunde in der Schule?“
Solches Erdkunde jedenfalls nicht.
„Und was sind die Risiken?“, fragte Hannes nun.
Das wollte ich eigentlich gar nicht so genau wissen, aber der erste Forscher, der gesprochen hatte, fing schon wieder an.
„Es kann dazu kommen, dass man zu einem Forschungsgreisenden wird! Man altert durch den Trip enorm. Die letzte tierische Testperson, der das passiert ist, war ein Welpe, als wir in losgeschickt hatten, und kam in hohem Alter wieder zurück.“
Das waren ja großartige Aussichten.
„Bitte sagt euren Schafen sie sollen sich ordentlich in Reihen aufstellen. Ihr könnt auf den Stühlen hier Platz nehmen.“
„Wie genau funktioniert das jetzt? Was passiert gleich mit uns?“ Wieder Hannes.
Eine Forscherin fuhr einen Wagen mit allerlei gefährlich aussehenden Apparaturen zu uns heran. Mehrere Kolleginnen und Kollegen fuhren mit ähnlichen Wägen bei den Schafen vorbei, die sich war in Reihen aufgestellt hatten, wobei ich diese nicht ordentlich nennen würde.
„Kein Grund zur Sorge. Es kommen nur ein paar Fingerspritzen in die Schläfen, um zu verhindern, dass euer Gehirn Schaden nimmt. Und dann eine Bewässerungskanüle damit der Wasserhaushalt nicht durcheinandergerät. Das waren die größten Probleme mit dieser Methode.“
„Ich hasse Nadeln“, grummelte Blue, ließ die Prozedur allerdings über sich ergehen.
Einige der Schafe hatten größere Probleme. Das Weltherrschaf hatte große Probleme seine Anhängerschafe dazu zu bringen sich mit Nadeln stechen zu lassen und Lichtschaf wurde panisch und rannte durch die ganze Halle, seine Nase blinkend wie die Sirene von Alarmbereitschaf und sein Mäh verzweifelt. Herzschaf schaffte es irgendwann es zu beruhigen und dazu zu überreden sich an seinen Platz zu begeben.
„Okay, alle fertig?“ Einer der Forscher schaute in die Runde. „Gut. Ich ziehe jetzt das Antitransparent runter.“
„Das was?“
Doch Hannes Frage ging in der allgemeinen Geschäftigkeit unter, die nun herrschte. Die Wägen wurden weggefahren und die Forscher verschwanden einer nach dem anderen in einem Nebenraum. Ich hätte schwören können die Wände waren mit Metall verstärkt.
„Wir können leider nicht hier bleiben“, erklärte der Wissenschaftler, der die letzten Kanülen anlegte. „Sonst würden wir uns eventuell weder hier noch dort einfinden. Diesen Ort bezeichnen wir als „Nirgendwo“. Wir haben schon ein paar Versuchstiere dort verloren. Und einen Menschen. Bisher konnten wir keinen Kontakt aufnehmen, aber wir arbeiten dran.“ Er zwinkerte mir tatsächlich zu. „Stellt euch nur vor was für Geschichten sie erzählen können wird, falls sie wieder zurückkommt!“, schwärmte er.
„Falls“, grummelte Blue. „Falls ist nicht gut.“
„Okay, ich werde ab jetzt über Lautsprecher mit euch kommunizieren. Und versucht die Schafe ruhig zu halten!“
Mit der ominösen Warnung verschwand auch er in Richtung des Raumes und wir blieben in der mittlerweile nicht mehr ganz so leeren Halle mit Stühlen, Schläuchen und Schafen zurück. Gleichzeitig begann eine Art Raumabtrennung von der Decke zu fahren. Das war dann wohl das Antitransparent. Ich konnte sehen was er damit gemeint hatte.
Auf den ersten Blick schien es eine Plastikplane zu sein, die einen milchigen Schimmer an sich hatte. Manchmal hatte ich jedoch das Gefühl sie würde sich für einen Augenblick klären, sodass ich die besorgten Gesichter hinter der Scheibe eines Raumes erkennen konnte. Dann wurde sie wieder trüb.
„Wir fahren jetzt mit der Akkupunktur fort“, dröhnte eine Stimme aus einem Lautsprecher, was mich zusammenzucken und einige Schafe erschrocken mähen ließ. „In etwa fünf Minuten solltet ihr dann ankommen. Viel Glück und gute Reise!“
„Bitte nicht noch mehr Nadeln bitte nicht noch mehr Nadeln bitte nicht noch mehr Nadeln“, betete Blue.
Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass er damit kein Glück haben würde. Das unbestimmte Gefühl wich einem Kribbeln als die Stelle, an der uns die Wasserkanüle gesetzt worden war, anfing sich seltsam anzufühlen.
„Das war keine Wasserkanüle“, fluchte Hannes.
Ich erwartete, dass die Welt anfing zu verschwimmen. Oder, dass ich ein Ziehen in meiner Magengegend fühlen würde. Dass es sich anfühlen würde, als würde Disapparieren, wie in Harry Potter. Stattdessen wurde das Antitransparent auf einmal doch transparent – nur war dahinter kein Raum mehr. Eine Schlierenwelt aus Regenbögen und seltsamen Formen waberte um uns herum, dann wurde das Antitransparent wieder milchig. Alles innerhalb des Transparents blieb jedoch gleich. Der Boden unter unseren Füßen, der haargenau aussah wie in der alten Turnhalle meiner Schule. Die Schafe, die entweder ängstlich mähten, oder auf etwas herumkauten, das ich nicht sehen konnte.
„Mia…“, flüsterte Blue.
Sofort als ich mich zu ihm umdrehte, schaute ich in seine ängstlichen Augen. So hatte er nicht einmal ausgesehen als wir mit dem Fakir-Ferkehr geflogen waren.
Als Antwort auf die Frage, die meine Lippen nicht einmal verlassen hatte, hob er seinen rechten Arm hoch. In den linken Arm hatten sie die Kanüle gestochen, doch der rechte war es, der nun langsam anfing zu verschwimmen.
„Was…?“ Ein Blick auf meine eigenen Arme und die von Oma und Phoenix zeigte mir, dass nur Blue im Begriff war sich in Luft aufzulösen – oder was auch immer das hier war.
„Ich glaube die haben nicht alles von der Flüssigkeit in meinen Arm bekommen, weil ich so gezappelt habe.“ Er schluckte und schaute wieder auf seinen Arm hinab, der mittlerweile bis zum Ellbogen so durchsichtig war, dass man den Hallenboden und die Schafe hinter ihm erkennen konnte.
Innerhalb weniger Sekunden verschwand der Arm bis zur Schulter hinauf. Als ich auf seine Füße schaute, bemerkte ich, dass auch seine Schuhe schon weg waren und die Hosenbeine auf dem besten Weg waren sich ebenfalls aus dem Staub zu machen. Blue saß nah genug, dass ich seine Hand nehmen konnte und ich zögerte keine Sekunde lang. Wenn das so weiterging, würde er verschwunden sein bis wir beim Großen Roten Knopf des Verderbens angekommen waren. Was konnte ich nur machen? Die Feder um meinen Hals wurde schon wieder warm, doch ich ignorierte sie erst einmal.
Interessanterweise tauchten auf einmal seine Unterschenkel wieder auf, genau wie Teile seiner Schulter. Dafür sog Blue erschrocken die Luft ein und starrte auf meine Fingerspitzen. „Lass sofort los, Mia!“
Er versuchte seine Hand wegzuziehen, aber ich klammerte mich nur noch fester an seiner fest, egal wieviele Fingerspitzen mir jetzt fehlten.
„Solange wir uns berühren scheint es langsamer zu gehen“, meinte ich.
„No kidding.“ Hannes wedelte mit einer Froschhand vor meinem Gesicht herum, der ebenfalls die Fingerspitzen fehlten. „Hast du schonmal daran gedacht, dass ich auch noch auf deiner Schulter sitze?“
Allerdings rührte er sich trotzdem nicht von der Stelle, was wohl bedeutete er wollte nicht, dass Blue im Nichts verschwand. Ach nein. Nirgendwo.
Es war ein seltsames Gefühl seine eigenen Finger verschwinden zu sehen und nichts davon zu merken. Es kribbelte nicht, es tat nicht weg, es fühlte sich an als wäre noch alles an seinem Platz. Sogar wenn ich versuchte die Finger zu bewegen schien alles zu funktionieren – bis eben auf die Tatsache, dass da nichts war, was sich bewegte. Noch seltsamer war es, als wir wieder bei der Schulter angekommen waren.
„Mia!“, stöhnte meine Oma vom Stuhl direkt neben uns.
„Ähm, ja. Wir haben ein kleines Problem. Aber noch geht’s.“ In meiner Angst um Blue hatte ich ganz vergessen, dass es meine Oma vielleicht auch etwas anging, wenn ihre Enkelin verschwand.
Sie griff nach meiner Hand bevor ich sie warnen konnte und mein Arm tauchte wieder auf. Nur meine Hand war noch verschwunden. Ein Blick auf Blue und ein Schielen auf Hannes sagten mir, dass es bei den beiden ähnlich aussah.
„Seltsames Gefühl“, meinte Oma und wackelte mit ihren Fingern. Zumindest sah ich wie sich die Sehnen kurz über ihrem Handgelenk bewegten, was mich vermuten ließ, dass es das war, was sie tat.
„Hier, ich helfe euch.“ Phoenix‘ Hand landete auf Omas anderer Hand und nur unsere Fingerspitzen waren noch weg. Anscheinend funktionierte das Ganze bei Zombies genauso.
Etwas anderes war ebenfalls ein interessantes Konzept. Omas Händchen, das auf ihrer Schulter saß, hatte ebenfalls keine Fingerspitzen mehr. Ich wollte immer noch herausfinden, ob es eine eigenständige Kreatur war, oder immer noch zu meiner Oma gehörte. Die Forscher hatten es jedenfalls vorsichtshalber auch mit einer Kanüle versehen.
Die Welt außerdem des Antitransparents verschwamm wieder in einem Farbwirbel und unsere Hände verschwanden auf einen Schlag.
„Wie lange noch?“ Sogar in Hannes‘ Froschgesicht konnte ich eine grimmige Miene erkennen.
„Es müssten höchstens noch ein paar Minuten sein“, meinte Phoenix.
„Mäh“, machte Freundschaf von einem Stuhl weiter und schaute mit traurigem Blick auf unsere händchenhaltende Reihe. Es tat mir irgendwie leid, dass es sich nicht lang genug strecken konnte, um uns ebenfalls zu berühren. Andererseits brauchten die anderen Freundschafe ja irgendwen, der sie führte, falls wie alle im Nirgendwo verschwanden.
„Ich glaub mir wird schlecht“, stöhnte Blue.
Auch ich spürte ein leichtes Ziehen im Magen. Die Schafe hinter uns mähten und sowohl Blue als auch meine Oma hielten meine Hände fester umklammert. Ich spürte sogar den Druck, obwohl sie immer noch nicht zu sehen war.
Das Antitransparent wurde komplett transparent und mein Magen machte aus anderen Gründen einen Salto. Der Fußboden unter uns verschwand, ebenso die Stühle, auf denen wir saßen. Ich konnte weder Blue sehen, noch meine Oma, noch die Schafe, noch sonst irgendetwas außer wirbelnden Farben. Nur der Druck an meinen Händen ließ mich glauben, dass ich nicht ganz allein im Weltall schwebte.
Dann schlug ich so hart auf dem Boden auf, dass ich das Gefühl hatte nie wieder sitzen zu können.

1 Kommentar:

  1. Ich hab keine Fehler entdecken können... und finde es bisher nicht langweilig, vor allem aber sehr unterhaltsam wenn ich das bildlich vorstelle mit den Schafen XD

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