Dienstag, 8. Dezember 2015

37. Kapitel



Blues Zweifel waren unberechtigt. Es funktionierte mehr als gut. Die MLs aus dieser Region waren genauso nett wie die aus unserer und versprachen sofort alles ihnen Mögliche zu tun, um uns dabei zu helfen die Verwandtschaf von Freundschaf zu finden. Leider hatten sie noch nie von einem Gefängnis für Freundschafe gehört. Dafür besorgten sie uns eine Unterkunft – wieder mal ein Hostel. Die waren wir ja mittlerweile gewöhnt.
Zuerst hatten die MLs angeboten uns in einem großen, teuren Hotel unterzubringen, aber alle (außer Blue) hatten sofort protestiert und gemeint eine günstigere Unterkunft wäre mehr als in Ordnung. Wenn unser Aufenthalt hier auch nur annähernd so lief wie sonst auch, würden wir sowieso nicht lange bleiben.
Außerdem hatten sie angeboten uns Karten für das Ballett der Wiener Staatsopfer zu besorgen, doch wir wollten unsere Zeit lieber damit verbringen die Freundschafe zu suchen. Auch wenn sich das sehr… interessant anhörte. Wenn auch besorgniserregend.
Immerhin bekam Blue endlich etwas zu essen, was seine Laune ein wenig verbesserte. Wir hatten uns einen kleinen Pub gesucht, um dort etwas zu essen und saßen zusammen im Schankraum. Der Name des Pubs war „Skorion“ – was auch immer das zu bedeuten hatte. Vielleicht war es eine seltsame Art von Skorpion? Oder ein Sternzeichen? Was auch immer es war, das Essen war nicht schlecht.
Wir waren mit „bitte nehmen Sie hier Prost!“ begrüßt worden, was Blue besonders gefreut hat. Er hatte sofort ein Bier bestellt. Ich hatte mich mit einer kalten Kirschlimonate zufrieden gegeben. Das war ein Getränk, das aus Kirschen, Limetten und Tomaten gemacht war. Es schmeckte besser als es sich anhörte. Dann bestellten wir das Essen.
Zuerst hendelte es – was bedeutete, dass sowohl meine Oma als auch ich Hähnchen bekamen. Phoenix aß mitgebrachtes Gehirn-Substitut. Es sah recht unappetitlich aus, war aber besser als die Alternative. Blue bestellte sich zu seinem Bier Wurstsemmel. Es sah aus wie Semmeln belegt mit Wurst. Das war definitiv normaleres Essen als wir bisher gehabt hatten.
Hannes sah so aus als wollte er eine lästige Fliege versuchen, die schon seit geraumer Zeit um unseren Tisch flog und uns allen auf die Nerven ging. Als er schließlich seine Zunge vorschnellen ließ und die Fliege verschluckte, waren wir ehrlich gesagt alle recht erleichtert.
Zum Nachtisch bot uns der Kellner ein Stück Schokoloda an. Blue sah ihn nur etwas schokiert an, denn aus Versehen war der Kellner gestolpert und die Schokolade war in seinem Gesicht gelandet. Der Kellner schaute erschrocken in Richtung Kükentür. Das war die Tür zur Küche, die aus unerfindlichen Gründen die Form eines Kükens hatte.
„Oh mein Gott, das tut mir so leid!“, entschuldigte er sich sofort. „Bitte beschweren Sie sich nicht beim Küchenchef.“
Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass ihm das öfter passierte und er schon mehrmals Ärger deswegen gehabt hatte.
„Ihr könnte die Schokoloda auch umsonst haben“, bot er an.
„Da das Zeug sowieso über mein halbes Gesicht verteilt ist… warum nicht?“
Bedeutete das, dass Blues Laune sich hob? Oder, dass der Liebestrank noch wirkte? Vielleicht war er auch durch das gute Essen besänftigt. Der Kellner sah jedenfalls sehr erleichtert aus und ließ uns die Schokoloda da.
„Pub Brawl!!!“, schrie plötzlich jemand.
Ich duckte mich, als es wieder begann zu hendeln, dieses Mal weil jemand anfing mit seinem Essen zu werfen.
„Ahhh!“
Ich fand mich unter dem Tisch kauernd wieder, direkt neben Hannes. Über mir gab es ein seltsam dumpfes Geräusch und ich traute mich den Kopf über die Tischkante zu strecken. Meine Oma hatte ihren Regenschirm aufgespannt und das fliegende Hähnchen abgewehrt.
„Was zum Teufel ist hier los?“, fragte ich.
Unsere ganze Gruppe hatte Schutz hinter dem Regenschirm gesucht, während die ungewöhnlichen Geschosse von ihm abprallten.
„Das ist ein Pub Brawl“, erklärte Phoenix. „Normalerweise wird das ab und zu im November veranstaltet. Jeder Teilnehmer schreibt 500 Wörter – aber nicht an seiner eigenen Geschichte, sondern an der eines anderen.“
„Aber… das könnte doch die ganze Geschichte durcheinander bringen!“, meint Blue entgeistert.
„Natürlich müssen die nicht weiterverwendet werden und es wird auch niemand zum Teilnehmen gezwungen - aber es kann sehr lustig sein“, meinte Phoenix.
„Warum kämpfen die Leute dann auf einmal und werfen Hähnchen, wenn es doch normalerweise ums Schreiben geht?“, wollte ich wissen.
Phoenix zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ist das die Variante, die außerhalb vom NaNo veranstaltet wird?“
Ich zuckte zusammen als der Koch mit lautem Geschrei aus der Küche gestürmt kam, einen Kochlefel schwingend. Bevor er irgendjemandem einen Schlag damit versetzen konnte, wurde er jedoch von einem Einweghandschuah getroffen.
„Jo voi leiwand Seppl, a Schuach!“, schrie jemand vom anderen Ende des Raumes.
„Äh…“ Ich versuchte die Person ausfindig zu machen, aber vergeblich. „Was genau bedeutet das? Hatte das überhaupt etwas mit dem Kampf zu tun.“
Blue sah mich verwirrt an. Vermutlich hatte auch er keine Idee. So oder so, bevor wir weiter spekulieren konnten, begann eine Frau mit einer Handtasche auf Omas Regenschirm einzuschlagen.
Tatäschlich war es eine Tatasche. So eine hatte ich mir mal fast gekauft. Darin konnte man Taten oder sogar Tatsachen aufbewahren. Momentan war sie allerdings eher nervig, sodass meine Oma die Besitzerin mit einem Schlag des im Regenschirm enthaltenen Starbs schlafen schickte.
Ein Tastatier rannte vor unseren Füßen entlang. Es sah aus wie eine Tastatur, die man an ein Tablet oder sowas anschließen konnte und es zog ein langes USB-Kabel hinter sich her. Seine Tasten klapperten und eine Spur aus Buchstaben folgte ihm. Niemand sonst schien es zu beachten und es verschwand durch die Eingangstür.
„Äh…“ Dazu würde ich nichts weiter sagen.
Ablenkung kam sogleich in Form eines Mannes, der ebenfalls den aufgespannten rosa-geblümten Regenschirm erspäht hatte. Um ehrlich zu sein war der vermutlich schwer zu verfehlen.
Sobald er an unserem Tisch ankam begann er seine Gliedmaßen seltsam ruckartig zu bewegen. Ein Arm traf Freundschaf, das ein klägliches „Mäh!“ ausstieß und versuchte sich unter eine Sitzbank zu quetschen. Leider war es ein wenig zu füllig, sodass es aussah als hätte jemand versucht ein überdimensionales, sehr flauschiges Kissen zu verstauen.
„Das ist Krampfkunst - der neueste Schrei in Martial Arts“, erklärte Blue.
Was auch immer es war hatte keine Chance gegen meine Oma, die auch diesen Angreifer mit ihrem Schirm einen Schlag auf den Kopf verpasste. Sofort fiel er zu Boden. Dafür, dass er Freundschaf so erschreckt hatte, hoffte ich, dass er vom Aufprall ein paar blaue Flecken behalten würde.
„Das ist doch ein Schwert, oder?“, rief jemand anderes. „Lass uns kämpfen!“
Ein Mädchen hatte den Platz des nun schlummernden Mannes eingenommen. Es hatte ebenfalls ein Schwert an der Seite und ihre Hand befand sich am Knauf.
„Lass uns…“
Weiter kam sie nicht, denn auch sie wurde vom Regenschirm/Starb niedergestreckt. Wir konnten nur mit aufgerissenen Augen zusehen wie sich meine Oma den Weg durch den Raum bahnte und eine Person nach der anderen zu Boden ging. Manchmal vergaß ich wie mächtig ihr Regenschirm sein konnte, wenn sie es wollte.
Der Kellner, der als einziger nicht beim Kampf mitmachte, sondern sich hinter dem Tresen zusammengekauert hatte, wagte es den Kopf hervorzustrecken, sobald der Kampfeslärm etwas nachgelassen hatte. Beim Anblick meiner Oma schluckte er. Dann wanderte sein Blick über die schlafenden Leute unter denen auch der Koch war, immer noch den Löffel in der Hand haltend.
„Und ich muss das wieder aufräumen…“, seufzte er nur.
Er verschwand durch die Kükentür, nur um kurz danach mit einem Wischbären unter dem Arm wieder in den Gastraum zu kommen. Den setzte er in die Mitte des Raumes und schnappte sich dann einen Besen. Er begann das zerbrochene Geschirr, die geworfenen Hähnchen und alles andere zur Seite zu fegen, während der Wischbär sich um die Reste kümmerte und einen sauber gewischten Boden hinterließ.
„Ähm… entschuldigung…“, meinte Phoenix plötzlich. „Ich glaube die Eingangstür ist versperrt.“
Tatsächlich hatte es irgendjemand fertig gebracht ein Energiefeld vor die Eingangstür zu zaubern. Phoenix versuchte gerade hindurchzukommen, doch das Schild warf sie immer wieder zurück.
„Oh. Dann müsst ihr wohl warten. Das war vermutlich Amanda.“
Er deutete auf eine blonde Frau, die schnarchend über einem Tisch lag.
„Sie ist eine Magierin. Und eine ziemlich mächtige noch dazu. Das Ding hält vermutlich mehrere Stunden. Oder einen Tag. Wenn sie betrunken ist macht sie manchmal seltsame Dinge…“
Der Kellner widmete sich wieder dem Besen und dem Wischbären.
„So lange haben wir aber nicht! Wir müssen versuchen die Freundschafe zu finden!“, beschwerte sich Hannes.
Er hatte sich zusammen mit Freundschaf unter der Bank versteckt, was vermutlich besser für ihn war, wenn man es genau sah.
Der Kellner zuckte nur mit den Schultern und ignorierte uns. Zumindest bis meine Oma ihm den Regenschirm vor die Brust hielt.
„Junger Mann, es ist sehr unhöflich seine Gäste so zu behandeln. Es muss doch eine Hintertür geben!“, meinte sie.
Der Kellner schielte misstrauisch auf den Regenschirm. Dann blickte er zurück auf die ganzen Leute, die in der Kneipe verteilt lagen. Er schluckte und legte endlich den Besen zur Seite.
„K-keine H-hintertür. A-aber einen G-gang g-gibt es.“ Er deutete mit einem zitternden Arm auf die Kükentür. „Hinter d-dem Tiefkühl-s-schrank…“
„Danke.“ Meine Oma nahm den Schirm herunter und schritt würdevoll durch die Kükentür.
„Ist die immer so?“, fragte der Kellner.
„Nur wenn sie genervt ist“, meinte ich zwinkernd und folgte meiner Oma durch die Tür.
Diejenige, die den Kühlschrank verschob war allerdings Phoenix. Mit dem ganzen Essen drin war der ziemlich schwer, aber als Zombie stellte das kein Hindernis für unsere Freundin dar. Dahinter kam wirklich ein Tunnel zum Vorschein. Warum waren es immer Tunnel?
Meine Einschätzung musste ich bald zurücknehmen, denn der Tunnel weitete sich bis wir in einem Kellerraum standen. An den Wänden waren Regale aufgereiht, auf denen nebeneinander mehrere Hüte lagen.
„Huten Morgen“, meinte Blue.
„Was?“ Ich sah ihn verwirrt an.
Er deutete nur auf das Schild, das er gerade vorgelesen hatte. Es prangte über einem der Regale. Am anderen Ende lief der Raum wieder spitz zu. Der Keller der Hüte entpuppte sich als langer Gang. Also doch wieder ein Gang.
„Na dann auf geht’s“, meinte ich nur.
Wenn ich heute eins gelernt hatte, dann dass die Österreicher genauso verrückt waren wie die Wrimos in meiner Region.

3 Kommentare:

  1. Ich stell ja sonst eher ungern Bitten... aber von dieser Eskalation hätte ich zu gerne ein Bild :)

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    1. Oh je. Ich weiß nicht, ob ich das malen werde. Bilder mit vielen Leuten und vielen Gegenständen sind teilweise recht schwer zu malen...

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    2. Das war auch mehr dahingesagt ;) Ich kann mir vorstellen wie aufwändig das ist, von daher nimm die Bitte nicht so ernst :)

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