Ich war so glücklich darüber, dass wir
endlich die Einziege gefunden hatten und somit jemanden, der uns vielleicht
über den Verbleib von Freundschafs Verwandtschaf aufklären konnte, dass mich
nicht einmal die Gedankenspinne nervte – denn natürlich musste Mr. Ian Woon
sofort über unseren Fortschritt informiert werden. Auch er schien sich über die
neusten Entwicklungen zu freuen.
„Hat sie euch schon gesagt wo ihr die
Freundschafe finden könnt?“, wollte er wissen.
„Wir haben sie noch nicht gefragt“, gab meine
Oma zu. „Zu allererst haben wir ihr ein Bad verpasst.“
Wir alle dachten kurz zurück an das Erlebnis
mit dem Schißstand und Mr. Ian Woon blockte sofort jeden weiteren
Erklärungsversuch. „Alles klar. Das ist nachvollziehbar.“
Ich wollte nicht einmal darüber nachdenken
wie lange die arme Ziehe in diesem Schißstand verbracht haben mochte. Dass sie
nicht vollkommen traumatisiert war, war ein wahres Wunder. Allzu lange konnte
es allerdings nicht gewesen sein, denn Freundschaf hatte sie zurückverwandeln
können. Beim Könling hatte das damals funktioniert, als er in einen Geier
verwandelt worden war. Bei Hannes war alle Hoffnung vergebens, da er schon zu
lange ein Frosch gewesen war, als er endlich Freundschaf über den Weg gelaufen
war. Omas Hand schien sowieso ein Sonderfall zu sein.
„Was ist denn mit Blue los?“, fragte Mr. Ian
Woon plötzlich.
Blue war gerade dabei, seine Gefühle für mich
zu denken. Und das nicht zu knapp. Ich ermahnte ihn in Gedanken, aber wie immer
hatte er seine liebe Not damit eine Mauer in seinem Kopf zu errichten.
„Er hat aus Versehen einen Liebestrank
getrunken“, erklärte ich. „Es ist eine lange Geschichte.“
Bevor ich auch nur anfangen konnte sie zu denken,
meinte Mr. Ian Woon nur „Schon klar. Romantika“ und gab sich mit der Erklärung
zufrieden.
Blues Gedanken wurden wirklich nervig, vor
allem, weil ich bemerkte, dass ich langsam rot anlief. Ob Liebestrank oder nicht,
was er über mich dachte war irgendwie… nett. Auch wenn alles nur an einem
Gebräu lag. Das brachte mich ganz schnell zurück auf den Boden der Tatsachen.
Ich wollte lieber nicht wissen was er über mich dachte, wenn er nicht gerade
die Welt durch eine rosarote Brille sah.
„Ich wünsche euch jedenfalls viel Glück dabei
die Einziege zu befragen und die Freundschafe zu finden.“
Irgendetwas an seinem Tonfall gefiel mir ganz
und gar nicht.
„Was ist los?“, fragte auch Phoenix, die den
gleichen Gedanken gehabt zu haben schien wie ich.
„Die Eyebros werden langsam ungeduldig“, gab
der König des NaNo-Landes zu. „Ich weiß nicht wie lange sie den Ansturm auf den
Großen Roten Knopf des Verderbens noch mitmachen.“
„Dann müssen wir uns beeilen“, fasste Phoenix
die neue Information zusammen.
„Viel Glück!“ Und damit war die Verbindung zu
Mr. Ian Woon auch schon unterbrochen.
Die Einziege und Freundschaf waren im Zimmer
von meiner Oma und mir untergebracht. Nach dem Bad hatten wir die arme Ziege in
einen ganzen Haufen Handtücher eingewickelt und vor die Heizung verfrachtet,
zusammen mit einem Napf voll Wasser und einem anderen mit Futter. Der Koch
hatte ein paar Karotten übrig gehabt und hatte jemand anderen losgeschickt, um frisches
Gras zu holen.
Mittlerweile sah die Ziege etwas lebhafter
aus als direkt nachdem Freundschaf sie zurückverwandelt hatte. Als sie uns sah,
gab sie ein wohliges Meckern von sich. Meine Oma hatte bereits das
Übersetzungsgerät parat und das Meckern verwandelte sich in ein gekrächztes
„Dankeschön“.
„Gern geschehen“, meckerte meine Oma zurück.
„Danke, dass ihr mir geholfen habt. Ich wäre wahnsinnig
geworden, wenn ich noch einen Tag länger bei dem Verrückten hätte bleiben
müssen.“
„Mäh“, machte Freundschaf zustimmend.
„Freundschaf hat mir schon erzählt, dass ihr
seine Verwandtschaf sucht.“ Die Ziege ziegte an, dass sie aufstehen wollte und
ich half ihr aus den Handtüchern heraus. „Ich habe seit Jahren versucht sie
wiederzufinden“, meinte sie.
Die konnte einem wirklich leid tun. Sie hörte
sich so traurig an.
„Aber ich konnte sie nicht finden. Ich habe
nur Gerüchte von anderen Tieren aufgeschnappt. Und dann hat mich dieser
Zauberlehrling zur Übung in ein Stofftier verwandelt und war zu blöd, um es
rückgängig zu machen.“ Sie schnaubte abfällig.
Mit schief gegangenen Zaubern kannten wir uns
mittlerweile etwas aus. Immerhin hatten wir einen Froschprinzen dabei und meine
Oma, der ihre Hand hinterherlief, statt sich, wie es sich gehörte, an ihrem
Handgelenk zu befinden.
„Was hast du denn aufgeschnappt?“, fragte
ich.
„Ich habe gehört, dass die Freundschafe
gefangen gehalten werden, in einer anderen Region, beziegungsweise in
Österreich, um genau zu sein.“
„In Österreich?!“ Blue stöhnte und ließ sich
aufs Bett fallen.
„Ja. In einer Art Gefängnis, aber ich weiß
nichts Genaues“, gab die Ziege zu. „Und ich weiß auch nicht wieso.“ Ihre Augen
verengten sich, sodass man die eckigen Pupillen kaum noch sehen konnte, als
Zorn in ihr aufzieg.
Freundschafe im Gefängnis? Wenn die auch nur
annähernd so waren wie unser Freundschaf, gab es wirklich keinen Grund dafür die
armen Schafe so zu behandeln. Ganz zu schweigen davon, dass wir sie brauchten,
um den Großen Roten Knopf des Verderbens aufzuhalten.
„Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich
gerne ein bisschen schlafen. Ich bin noch ziemlich fertig davon ein Kuscheltier
gewesen zu sein. Tut mir leid, wenn ich euch nicht weiter helfen konnte.“
„Mäh“, machte Freundschaf.
„Freundschaf hat Recht. Du hast genug getan
und du hast uns sehr geholfen. Dankeschön“, sagte Phoenix
Wir packten die Einziege wieder in die
Handtücher ein und ließen sie vor der Heizung liegen, ehe wir uns in Blues und
Hannes‘ Schlafzimmer zurückziegen. Die Ziege gefunden zu haben schien unser
Verhalten zu beeinflussen, denn das Wort „Ziege“ schien plötzlich unverhältnismäßig
oft vorzukommen.
„Wie kommen wir nach Österreich?“, sprach ich
das offensichtliche Problem an.
Die Grenzen des NaNo-Landes waren ein
einziges Mysterium. Sogar das Buch, das mir Himmelrich aus der Wandernden
Bibliothek geschenkt hatte und das die Grenze zur Realität aufzeigte, hatte mir
nicht viel dabei geholfen das System zu verstehen. Die Regionen des NaNo-Landes
veränderten sich ständig. Deutschland und Österreich waren zum Beispiel vor
wenigen Jahren noch eine Region gewesen, doch da so viele neue Wrimos
dazugekommen waren, waren sie getrennt worden. Seitdem verschwammen die Grenzen
immer mehr.
Einige Wrimos besuchten beide Regionen
regelmäßig, von dem, was ich gehört hatte. Wie man genau zwischen ihnen
wechselte war allerdings ein einziges Rätsel. Es war genauso ein Rätsel wie die
Frage wie genau wir zwischen dem NaNo-Land und der Realität hin und her
wechselten. Das alles war mehr als verwirrend.
„Fragen wir doch einfach Heinrich. Man müsste
doch nach Österreich fliegen können“, schlug Blue schließlich vor.
Gesagt, getan. Heinrich war noch immer mit
dem Teppich beschäftigt. Tatsächlich sah er nach den vielen Stunden, die er
bereits mit der Wiederaufbereitung verbracht hatte, nicht mehr ganz so zerrupft
aus wie am Anfang. Er war zwar immer noch rosa und schien an den Rändern
auseinander zu fallen, doch ich hatte nicht mehr das Gefühl, dass die Fasern
unter meinem Hintern nachgeben würden, wenn ich mich setzte.
„Entschuldigung, aber wir hätten eine kleine
Frage“, sagte meine Oma.
Sofort sah der Fakir auf. Wenn meine Oma mit
ihm sprach, war er generell aufmerksam. Meistens beobachtete er sie aus
mindestens einem Augenwinkel und als wir mit dem Teppich abgestürzt waren,
hatte er sich auf dem ganzen Weg durch die Comedy-Gegend ununterbrochen bei ihr
für die Bruchlandung entschuldigt.
„Kein Problem. Was ist los?“
„Können Sie uns nach Österreich fliegen?“
Blue sah ihn erwartungsvoll an.
„Mmh… Österreich. Ich weiß leider nicht genau
wo das liegt“, meinte der Fakir.
Wenn es um die Realität ging, konnte ich das
genau sagen. Hier im NaNo-Land war ich leider auch überfragt. Vielleicht war es
wie bei der Grenze zur Realität und man konnte nur zu bestimmten Zeitpunkten
durch eine unsichtbare Stelle, einen Riss, von einer Seite auf die andere wechseln.
Falls das so war, würde das ein echtes Problem werden.
„Moment!“, rief Blue. „Die Krabben!“
Alle sahen ihn verwirrt an. Sogar
Freundschaf, das uns aus Einzieges Zimmer gefolgt war, schaute ihn mit schief
gelegtem Kopf an.
„Erinnert ihr euch nicht an die Krabben, die
wir auf Lurz‘ Piratenschiff gefunden haben? Die traurigen njojn Krabben, die
angeblich aus Österreich eingewandert sind?“
„Was ist mit denen?“, fragte meine Oma.
„Wenn die aus Österreich gekommen sind, muss
es einen Übergang vom Wörtermehr nach Österreich geben. Das ist eine logische
Schlussfolgerung.“
Okay, jetzt war ich wirklich beeindruckt.
Bisher hatte ich Blue für denjenigen gehalten, der mit dem Schwert auf Sachen
eindrosch ohne sich Gedanken darüber zu machen wo sie herkamen. Und da präsentierte
er einfach die Lösung zu unserem Problem. Naja, vielleicht.
„Oma, ruf doch mal deinen Freund an.“
Der Fakir verzog leicht das Gesicht und widmete
sich wieder seinem Teppich, während meine Oma die Lurzwahltaste ihres Handys
betätigte.
Ah... ich ahne wo das hinführt.
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