Mittwoch, 2. Dezember 2015

32. Kapitel



Ich war so glücklich darüber, dass wir endlich die Einziege gefunden hatten und somit jemanden, der uns vielleicht über den Verbleib von Freundschafs Verwandtschaf aufklären konnte, dass mich nicht einmal die Gedankenspinne nervte – denn natürlich musste Mr. Ian Woon sofort über unseren Fortschritt informiert werden. Auch er schien sich über die neusten Entwicklungen zu freuen.
„Hat sie euch schon gesagt wo ihr die Freundschafe finden könnt?“, wollte er wissen.
„Wir haben sie noch nicht gefragt“, gab meine Oma zu. „Zu allererst haben wir ihr ein Bad verpasst.“
Wir alle dachten kurz zurück an das Erlebnis mit dem Schißstand und Mr. Ian Woon blockte sofort jeden weiteren Erklärungsversuch. „Alles klar. Das ist nachvollziehbar.“
Ich wollte nicht einmal darüber nachdenken wie lange die arme Ziehe in diesem Schißstand verbracht haben mochte. Dass sie nicht vollkommen traumatisiert war, war ein wahres Wunder. Allzu lange konnte es allerdings nicht gewesen sein, denn Freundschaf hatte sie zurückverwandeln können. Beim Könling hatte das damals funktioniert, als er in einen Geier verwandelt worden war. Bei Hannes war alle Hoffnung vergebens, da er schon zu lange ein Frosch gewesen war, als er endlich Freundschaf über den Weg gelaufen war. Omas Hand schien sowieso ein Sonderfall zu sein.
„Was ist denn mit Blue los?“, fragte Mr. Ian Woon plötzlich.
Blue war gerade dabei, seine Gefühle für mich zu denken. Und das nicht zu knapp. Ich ermahnte ihn in Gedanken, aber wie immer hatte er seine liebe Not damit eine Mauer in seinem Kopf zu errichten.
„Er hat aus Versehen einen Liebestrank getrunken“, erklärte ich. „Es ist eine lange Geschichte.“
Bevor ich auch nur anfangen konnte sie zu denken, meinte Mr. Ian Woon nur „Schon klar. Romantika“ und gab sich mit der Erklärung zufrieden.
Blues Gedanken wurden wirklich nervig, vor allem, weil ich bemerkte, dass ich langsam rot anlief. Ob Liebestrank oder nicht, was er über mich dachte war irgendwie… nett. Auch wenn alles nur an einem Gebräu lag. Das brachte mich ganz schnell zurück auf den Boden der Tatsachen. Ich wollte lieber nicht wissen was er über mich dachte, wenn er nicht gerade die Welt durch eine rosarote Brille sah.
„Ich wünsche euch jedenfalls viel Glück dabei die Einziege zu befragen und die Freundschafe zu finden.“
Irgendetwas an seinem Tonfall gefiel mir ganz und gar nicht.
„Was ist los?“, fragte auch Phoenix, die den gleichen Gedanken gehabt zu haben schien wie ich.
„Die Eyebros werden langsam ungeduldig“, gab der König des NaNo-Landes zu. „Ich weiß nicht wie lange sie den Ansturm auf den Großen Roten Knopf des Verderbens noch mitmachen.“
„Dann müssen wir uns beeilen“, fasste Phoenix die neue Information zusammen.
„Viel Glück!“ Und damit war die Verbindung zu Mr. Ian Woon auch schon unterbrochen.
Die Einziege und Freundschaf waren im Zimmer von meiner Oma und mir untergebracht. Nach dem Bad hatten wir die arme Ziege in einen ganzen Haufen Handtücher eingewickelt und vor die Heizung verfrachtet, zusammen mit einem Napf voll Wasser und einem anderen mit Futter. Der Koch hatte ein paar Karotten übrig gehabt und hatte jemand anderen losgeschickt, um frisches Gras zu holen.
Mittlerweile sah die Ziege etwas lebhafter aus als direkt nachdem Freundschaf sie zurückverwandelt hatte. Als sie uns sah, gab sie ein wohliges Meckern von sich. Meine Oma hatte bereits das Übersetzungsgerät parat und das Meckern verwandelte sich in ein gekrächztes „Dankeschön“.
„Gern geschehen“, meckerte meine Oma zurück.
„Danke, dass ihr mir geholfen habt. Ich wäre wahnsinnig geworden, wenn ich noch einen Tag länger bei dem Verrückten hätte bleiben müssen.“
„Mäh“, machte Freundschaf zustimmend.
„Freundschaf hat mir schon erzählt, dass ihr seine Verwandtschaf sucht.“ Die Ziege ziegte an, dass sie aufstehen wollte und ich half ihr aus den Handtüchern heraus. „Ich habe seit Jahren versucht sie wiederzufinden“, meinte sie.
Die konnte einem wirklich leid tun. Sie hörte sich so traurig an.
„Aber ich konnte sie nicht finden. Ich habe nur Gerüchte von anderen Tieren aufgeschnappt. Und dann hat mich dieser Zauberlehrling zur Übung in ein Stofftier verwandelt und war zu blöd, um es rückgängig zu machen.“ Sie schnaubte abfällig.
Mit schief gegangenen Zaubern kannten wir uns mittlerweile etwas aus. Immerhin hatten wir einen Froschprinzen dabei und meine Oma, der ihre Hand hinterherlief, statt sich, wie es sich gehörte, an ihrem Handgelenk zu befinden.
„Was hast du denn aufgeschnappt?“, fragte ich.
„Ich habe gehört, dass die Freundschafe gefangen gehalten werden, in einer anderen Region, beziegungsweise in Österreich, um genau zu sein.“
„In Österreich?!“ Blue stöhnte und ließ sich aufs Bett fallen.
„Ja. In einer Art Gefängnis, aber ich weiß nichts Genaues“, gab die Ziege zu. „Und ich weiß auch nicht wieso.“ Ihre Augen verengten sich, sodass man die eckigen Pupillen kaum noch sehen konnte, als Zorn in ihr aufzieg.
Freundschafe im Gefängnis? Wenn die auch nur annähernd so waren wie unser Freundschaf, gab es wirklich keinen Grund dafür die armen Schafe so zu behandeln. Ganz zu schweigen davon, dass wir sie brauchten, um den Großen Roten Knopf des Verderbens aufzuhalten.
„Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich gerne ein bisschen schlafen. Ich bin noch ziemlich fertig davon ein Kuscheltier gewesen zu sein. Tut mir leid, wenn ich euch nicht weiter helfen konnte.“
„Mäh“, machte Freundschaf.
„Freundschaf hat Recht. Du hast genug getan und du hast uns sehr geholfen. Dankeschön“, sagte Phoenix
Wir packten die Einziege wieder in die Handtücher ein und ließen sie vor der Heizung liegen, ehe wir uns in Blues und Hannes‘ Schlafzimmer zurückziegen. Die Ziege gefunden zu haben schien unser Verhalten zu beeinflussen, denn das Wort „Ziege“ schien plötzlich unverhältnismäßig oft vorzukommen.
„Wie kommen wir nach Österreich?“, sprach ich das offensichtliche Problem an.
Die Grenzen des NaNo-Landes waren ein einziges Mysterium. Sogar das Buch, das mir Himmelrich aus der Wandernden Bibliothek geschenkt hatte und das die Grenze zur Realität aufzeigte, hatte mir nicht viel dabei geholfen das System zu verstehen. Die Regionen des NaNo-Landes veränderten sich ständig. Deutschland und Österreich waren zum Beispiel vor wenigen Jahren noch eine Region gewesen, doch da so viele neue Wrimos dazugekommen waren, waren sie getrennt worden. Seitdem verschwammen die Grenzen immer mehr.
Einige Wrimos besuchten beide Regionen regelmäßig, von dem, was ich gehört hatte. Wie man genau zwischen ihnen wechselte war allerdings ein einziges Rätsel. Es war genauso ein Rätsel wie die Frage wie genau wir zwischen dem NaNo-Land und der Realität hin und her wechselten. Das alles war mehr als verwirrend.
„Fragen wir doch einfach Heinrich. Man müsste doch nach Österreich fliegen können“, schlug Blue schließlich vor.
Gesagt, getan. Heinrich war noch immer mit dem Teppich beschäftigt. Tatsächlich sah er nach den vielen Stunden, die er bereits mit der Wiederaufbereitung verbracht hatte, nicht mehr ganz so zerrupft aus wie am Anfang. Er war zwar immer noch rosa und schien an den Rändern auseinander zu fallen, doch ich hatte nicht mehr das Gefühl, dass die Fasern unter meinem Hintern nachgeben würden, wenn ich mich setzte.
„Entschuldigung, aber wir hätten eine kleine Frage“, sagte meine Oma.
Sofort sah der Fakir auf. Wenn meine Oma mit ihm sprach, war er generell aufmerksam. Meistens beobachtete er sie aus mindestens einem Augenwinkel und als wir mit dem Teppich abgestürzt waren, hatte er sich auf dem ganzen Weg durch die Comedy-Gegend ununterbrochen bei ihr für die Bruchlandung entschuldigt.
„Kein Problem. Was ist los?“
„Können Sie uns nach Österreich fliegen?“ Blue sah ihn erwartungsvoll an.
„Mmh… Österreich. Ich weiß leider nicht genau wo das liegt“, meinte der Fakir.
Wenn es um die Realität ging, konnte ich das genau sagen. Hier im NaNo-Land war ich leider auch überfragt. Vielleicht war es wie bei der Grenze zur Realität und man konnte nur zu bestimmten Zeitpunkten durch eine unsichtbare Stelle, einen Riss, von einer Seite auf die andere wechseln. Falls das so war, würde das ein echtes Problem werden.
„Moment!“, rief Blue. „Die Krabben!“
Alle sahen ihn verwirrt an. Sogar Freundschaf, das uns aus Einzieges Zimmer gefolgt war, schaute ihn mit schief gelegtem Kopf an.
„Erinnert ihr euch nicht an die Krabben, die wir auf Lurz‘ Piratenschiff gefunden haben? Die traurigen njojn Krabben, die angeblich aus Österreich eingewandert sind?“
„Was ist mit denen?“, fragte meine Oma.
„Wenn die aus Österreich gekommen sind, muss es einen Übergang vom Wörtermehr nach Österreich geben. Das ist eine logische Schlussfolgerung.“
Okay, jetzt war ich wirklich beeindruckt. Bisher hatte ich Blue für denjenigen gehalten, der mit dem Schwert auf Sachen eindrosch ohne sich Gedanken darüber zu machen wo sie herkamen. Und da präsentierte er einfach die Lösung zu unserem Problem. Naja, vielleicht.
„Oma, ruf doch mal deinen Freund an.“
Der Fakir verzog leicht das Gesicht und widmete sich wieder seinem Teppich, während meine Oma die Lurzwahltaste ihres Handys betätigte.

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