Samstag, 5. Dezember 2015

35. Kapitel



Das Deck war mit Buchstaben übersäht. Einige davon krochen noch über die Holzdielen, doch die meisten rührten sich nicht. Sie verfingen sich in meinen Haaren, in meiner Robe und im Griff der Schaufel, die ich unaufhörlich schwang.
Neben mir kämpfte Blue genauso zielstrebig. Einer nach dem anderen fielen die Symblobs und Ververben unseren mehr oder weniger konventionellen Waffen zum Opfer. Immer mehr zogen sich unsere Feinde zurück und retteten sich freiwillig über die Reling zurück ins Wörtermehr.
Ich wollte gerade einen Jubelschrei ausstoße, da bemerkte ich etwas anderes. Das Wasser sah aus ob es hohe Wellen schlangen würde. Was kam jetzt?
„Wasserschlangen!“, brüllte ein Pirat von weiter vorne.
War ja klar. Das überraschte mich nicht einmal mehr. Sollte Steph uns doch Schlangen auf den Hals hetzen, Vampirschafe und verrückte Magier. Solange unsere Truppe zusammenhielt, fühlte ich mich unbesiegbar.
Das war zwar was jeder Charakter sagte bevor ihn in einer Geschichte das Zeitliche segnete, aber ich hoffte einfach mal, dass mir das erspart blieb. Noch zumindest. Dass ich meine halbe Lebenskraft wegen der bescheuerten Turmfalle aufgebraucht hatte, müsste genug Spannung für eine Weile sein.
Über den Lärm der Schlacht hinweg hörte ich Lurz brüllen.
„Was hat er gesagt?“
„Er hat befohlen, alle Energie in die Kanonen zu leiden“, meinte Blue.
Die Energie schmerzte das bestimmt sehr, wenn sie so leiden musste. Vielleicht bezog sich das aber auch auf die Symbolde, die wir damit beschießen würden.
Ein paar der Buchstabenkreaturen griffen sofort die Kanonen an und Blue und ich begannen im selben Moment in diese Richtung zu gehen. Ziemlich schnell waren wir die Symbolde und Kommadaten losgeworden und wurden prompt damit beauftragt das Trebuchet zu bedienen. Zum Abfeuern bekamen wir…
„Zuber?!“, beschwerte sich Blue. „Was sollen wir mit Zubern?“
„Abfeuern natürlich!“, erklärte Damon bevor er einer der Seeschlangen einen Pfeil verpasste.
Blue und ich standen uns nun gegenüber und feuerten einen Zuber nach dem andern ab. Nur etwa jeder dritte davon traf. Alle anderen verschwanden im Nichts. Ich würde zu gerne wissen wohin, doch das musste mindestens bis nach dem Kampf warten.
Woher die Piraten die ganzen Zuber hatten, war eine weitere Frage, die ich mich allerdings kaum traute zu stellen. Vielleicht hatten sie einen Zuberlieferanten überfallen und statt Geld einfach die Ware einkassiert. Was sie mit den ganzen Zubern wollten…
Ein paar magische Zuber schienen auch dabei zu sein, denn Damon belud sie, immer bevor wir sie abschossen, mit einer der Tauben, die auf dem Schiff zu Hause waren. „Der Zuber“, so erklärte er uns, „funktioniert nur mit einem Tier, das firedlich und im freien Flug gestorben ist.“
Ich wusste zwar nicht was firedlich war – vielleicht hatte es etwas mit Feuer zu tun – aber die Zuber trafen häufiger als die anderen, was mich vermuten ließ, dass sie mit einem Zauber ausgestattet waren, der den Fluch, der auf dem Schiff lag, für einen Moment brach.
Der Zuber musste sie treffen – und das tat er auch. Die Wasserschlangen wurden regelrecht mit magischen und nicht-magischen Zubern bombardiert. Das war eine Wasserschlacht einer ganz anderer hart. Äh, Art, auch wenn fliegende Zuber sicher hart waren und fliegende Zauberzuber sogar noch härter.
Glücklicherweise schienen die Schlangen das ähnlich zu sehen, denn sie gaben bald auf. Auch die Symblobs, Kommadaten und Wer-Verben zogen sich zurück und ließen uns in einer unheimlichen Stille zurück.
„Ist es vorbei?“, fragte ich schließlich.
„Ja.“ Lurz sah zwar nicht ganz überzeugt aus, doch er ließ alle Männer auf ihre Posten zurückkehren.
Ein paar Leute stellte er allerdings als Wachen ab, falls wir noch einmal angegriffen werden sollten. Ich gab die Schaufel an die Männer zurück, die wieder dem Krabbenschippen nachgingen, Phoenix war auf der Suche nach ihrem Arm und Oma machte einen Aufstand, weil Lurz einige Kratzer davongetragen hatte.
Hannes und Freundschaf hatten von der ganzen Geschichte nichts mitbekommen, denn die beiden waren in ihren Kajüten geblieben. Hannes hatte sich nicht ganz an das Schiffsleben gewöhnt und ihm war am Anfang recht übel gewesen – ein Frosch, dem auf einem Schiff übel wurde, also wirklich! – und Freundschaf trauerte immer noch der Einziege hinterher. Mir war es allerdings gerade recht, dass sie aus der gefährlichen Situation herausgehalten worden waren.
Blue und ich machten uns auf den Weg zur Küche, hauptsächlich weil Blue sich schon den ganzen Morgen Sorgen machte, was uns der Smutje wohl servieren würde. Er war bekannt dafür recht exotische Gerichte auf den Tisch zu bringen. Seine Sorgen zeigten sich berechtigt.
Smutjes neustes Gericht trug den Namen Andockpüre mit Analgen. Laut seiner Erklärung handelte es sich bei Analgen um Algen, die auf Anlagen wuchsen. Was genau Andockpüre war, erläuterte er nicht näher, was mir nicht gerade ein gutes Gefühl vermittelte.
Sobald Blue das herausgefunden hatte, schüttelte er den Koch. „Mach gefälligst mal vernünftiges Essen! Ich musste mir schon den FF antun, da ist das hier das allerletzte!“
Nur mit Mühe und Not konnte ich ihn davon abhalten den armen Smutje zu erwürgen. Ich wusste nicht, ob man dafür auch den Liebestrank verantwortlich machen konnte. Vielleicht begann die Wirkung nachzulassen und Blue somit schlechte Laune zu bekommen.
Beruhigen konnte ich ihn mit einer Tasse Kaffee, obwohl ich mich nicht traute ihm zu sagen, dass eine röstige Schiffsschraube Teil der Kaffeemaschine war, zuständig fürs Rösten der Kaffeebohnen. Das wusste ich, weil Smutje sie ausgetauscht hatte, bevor ich mich ans Kaffeebrauen gemacht hatte.
Der Kaffee, egal ob mit röstiger Schiffsschraube gebraut oder nicht, schien Blue ein wenig wiederzubeleben und ihm einen Teil seiner guten Laune wiederzugeben. Auch das Mittagessen war besser als wir gedacht hatten und es sich angehört hatte.
Blue, Phoenix, Oma, Hannes und ich zogen uns danach in eine Kajüte zurück und spielten Mau Mau, während Freundschaf zusah. Gestört wurden wir erst, als wir die Stimmen der beiden Wachposten hörten, die abgestellt worden waren, um zu melden, wenn sich etwas Seltsames dem Schiff näherte. Sofort waren wir wieder zurück an Deck.
Zuerst konnte ich nicht erkennen was genau den Alarm ausgelöst hatte. Dann bemerkte ich, dass genau das das Problem war. Dicke Nebelschaden verhängten die Sicht. Um uns herum war eine einzige dicke Suppe aus Nebel. Ob der uns schaden würde, wusste ich noch nicht, aber aus irgendeinem Grund glaubte ich das nicht. Der schwierige Teil unserer Reise war hoffentlich hinter uns.
„Vorsichtig! Lasst das Schiff treiben!“, befahl Lurz.
Die Segel wurden eingeholt und bald trieb das Schiff durch den Nebel dahin. Sollte hier irgendwo eine Sandbank oder – gnade uns Gott – ein Felsen sein, hatten wir ein großes Problem.
Was stattdessen bald aus dem Nebel vor uns auftauchte war eine Brücke. Zuerst hoben sich Umrisse dunkel vom Rest der nicht vorhandenen Landschaft ab, dann folgten einige Pfeiler, Seile, die zwischen den Plattformen gespannt waren und schließlich sahen wir das Gebilde in seiner ganzen Pracht vor uns.
Das einzige Problem war, dass wir die Brücke so schnell wie nicht erreichten. Sie schien einfach nicht näher zu kommen, egal wie oft Lurz das Schiff in ihre Richtung schickte. Schließlich gab er auf und ließ den Anker werfen.
„Das muss einfach die Grenze zu Österreich sein“, meinte er. „Ich habe von niemandem gehört, der so weit aufs Wörtermehr vorgedrungen ist. Vor allem, während er eine Grenze gesucht hat. Die Dinger findet man meistens nur, wenn man wirklich danach sucht“, erklärte er.
Eine Brücke? „Aber muss die nicht auch irgendwo anfangen?“, fragte ich.
„Nicht zwingend. Was sicher scheint ist, dass man sie nur zu Fuß überqueren kann. Das würde zumindest erklären warum wir mit dem Schiff nicht näher dran kommen.“
Super und was nun? Rüber schwimmen würde ich nur im absoluten Notfall, weil das bedeutete, dass wir Freundschaf würden dalassen müssen. Seine Wolle würde sich wieder voll mit Wasser saugen und auch Rettungsringe funktionierten nur bedingt. Das hatten wir bei unserem letzten Besuch am Wörtermehr unfreiwillig herausgefunden.
„Wirf das Boot vom Anker!", befahl Lurz.
Tatsächlich wurde ein Boot an der Seite des Schiffes ins Wasser gelassen, auch wenn ich nicht wusste was genau das mit einem Anker zu tun hatte. Besonders besorgniserregend war die Erkenntnis, dass es aus Blei bestand. Einige Piraten hoben das Bleiboot ins Wasser und signalisierten uns dann einzusteigen.
Dann mal viel Spaß beim Sinken, dachte ich nur, machte mich jedoch auf den Weg. Meine Oma hatte sich ebenfalls in Bewegung gesetzt. Zum Glück behielt zumindest Lurz seinen Verstand, denn er ließ uns unsere Sachen holen und befahl Smutje uns ein wenig Verpflegung mitzugeben. Das ließ Blue stöhnen, aber der Rest unserer Gruppe hatte Manieren, die gut genug waren, um sich zu bedanken.
Zwei Piraten setzten uns zur Brücke über. Das Geräusch der Ruder im Wasser klang seltsam dumpf, vor allem, als alle anderen Geräusche, die vom Piratenschiff gekommen waren, verstummten. Der Nebel hatte sie alle verschlungen. Die Atmosphäre gruselig zu nennen war die Untertreibung des Jahrhunderts.
Dieses Mal kam die Brücke näher. Wir konnten schon bald jeden einzelnen Balken sehen. Anscheinend war sie komplett aus Holz gebaut. Aber wo war der Anfang?
Die zwei Piraten ruderten uns rund um die Brücke herum, bis wir tatsächlich ein Ende fanden. Oder einen Anfang. Für was man es hielt hing vermutlich davon ab von welcher Seite man kam. Stufen reichten bis ins Wasser, wo es eine Art Anlegestelle für Boote gab. Das hieß dann wohl, dass sich ab hier unsere Wege trennten. Wie wir zurückkommen würden war auch noch eine Frage, vor allem, da Heinrich beschlossen hatte samt Teppich auf dem Schiff zu bleiben und darauf zu warten, dass wir uns meldeten. Aber um diese Frage würden wir uns später kümmern müssen.
Jetzt hieß es erst einmal: Österreich, wir kommen.

5 Kommentare:

  1. Ahahahaha XD Meine Zuber, herrlich ^^ Den Blick meiner Magierin werd ich auch nie vergessen <.<

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    1. Mein Gedankengang dazu war so ungefähr "fliegende magische Zuber... wo würden die auch nur halbwegs Sinn machen... Natürlich auf dem Piratenschiff!" xD

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    2. Ich glaube die hättest du überall anwenden können... halbwegs Sinn machen die denke ich immer ;)

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    3. Bei meiner Geschichte... wahrscheinlich. xD

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