Heinrich runzelte die Stirn, als er den
zerfransten Teppich sah, den man uns als Ersatz geschickt hatte. Er zupfte
lustlos an einigen Fasern, die aus dem Muster herausragten und seufzte dann.
„Ich vermisse meinen Teppich.“
Bis eben hatte ich noch nicht gewusst, dass
jeder Fakir einem Teppich zugeordnet war und meistens den gleichen flog. Kein
Wunder also, dass er sich ungern von dem nun in einem Dorfteich versunkenen
Bunny-Teppich trennte, vor allem weil ihm stattdessen das mottenzerfressene
Ding hier vorgesetzt wurde.
Blue stöhnte aus einem anderen Grund, denn
das Teil war rosa. „Ich kann die Farbe nicht mehr sehen“, meinte er. „Warum ist
hier alles rosa?“
Immerhin schien der Liebestrank seine
Vorliebe für Farben nicht zu beeinflussen. Einen Blue, der in rosa Klamotten
herumlief, konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Obwohl das ja angeblich die
Farbe der Liebe sein sollte. Oder war das doch eher rot?
Ganz von der Romantik abgelassen hatte er
jedoch immer noch nicht. Zum Frühstück hatte ich eine rote Rose an meinem Platz
vorgefunden. Als ich mich dafür bei Blue bedankt hatte – hey, immerhin war das
besser als ein Mitternachtsständchen! – war er tatsächlich rot geworden, was
zugegebenerweise ein wenig niedlich war.
„Hier ist dein komisches Zeigedingens“,
meinte er und drückte mir den Zeigefinder in die Hand, der an einer der
Schlaufen befestigt gewesen war.
Die nächste Überraschung für mich war
gewesen, dass der Teppich alleine gekommen war. Kein Fakir hatte darauf
gesessen. Heinrich hatte mich daran erinnert, dass der Fakir sonst statt uns
hier festsitzen würde und das nicht viel Sinn machte. Von der Seite aus
betrachtet hatte er natürlich Recht. Allerdings war ich überrascht gewesen, dass
die Teppiche eine Autopiloten-Funktion hatten.
Den beim „Personenferkehr“ zu benutzen war
zwar laut Heinrich verboten, aber so konnte man immerhin Ersatzteppiche zu
verschiedenen Fakiren im ganzen NaNo-Land schicken.
„Ich fürchte ich muss das Ding erstmal
entstauben“, meinte er nun. „Der hätte schon vor geraumer Zeit eine
Generalüberholung nötig gehabt. Vermutlich haben sie den aus dem hintersten
Lager gezogen…“, grummelte er.
„Wann können wir los?“ Phoenix zog
Freundschaf zurück, das begonnen hatte an einer der sowieso lose aussehenden
Fransen zu knabbern.
„Irgendwann heute Nachmittag, wenn alles
glatt läuft.“
Je nachdem wo uns der Zeigefinder hinführen
würde, könnte das ein Desaster werden.
„Dann auf geht’s! Nutzen wir die Zeit!“ Noch
eine Sache, die sich an Blue verändert hatte, war dass er seltsam
enthusiastisch geworden war.
Vermutlich war das der Fluch von Wolke
Sieben. Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Die Verkäuferin hatte uns bereits
gewarnt, dass er am ersten Tag, nachdem der Trank abgeklungen war, ziemlich
mies drauf sein würde. Vom Hals über Kopf verliebt sein zu peinlich berührt
sein überzugehen, hatte sie gemeint, war kein schönes Gefühl.
„Dann auf geht’s.“ Solange er noch
enthusiastisch war, mussten wir das nutzen.
Vorsichtshalber nahmen wir uns ein wenig
Proviant mit und machten uns dann auf den Weg. Ich hatte den Zeigefinder auf
meiner Schulter angebunden, direkt neben Hannes, der von uns allen mit dem Teil
am besten umgehen konnte. Als erstes probierte er einzugeben, dass wir die
Verwandtschaf von Freundschaf finden wollten. Wie erwartet zeigte das Gerät nur
404-not found in großen
Leuchtbuchstaben an. Soweit keine Überraschung.
Als er jedoch eingab, dass wir zur Einziege
geführt werden wollten, begann die Nadel sich zu drehen und deutete in eine
Richtung. Das war ein Anfang. Zwar wussten wir nicht wie weit entfernt das war,
wohin er uns führen würde, aber zumindest rannten wir nicht mehr kopflos durch
Romantika.
„Auf geht’s!“ Blue marschierte resolut vorne
weg.
Meine Oma hob fragend eine Augenbraue. „Was
ist denn in den gefahren?“
„Ein Liebestrank, falls du das noch nicht
bemerkt hast“, grummelte ich nur. „Ein Glück, dass das in zwei Tagen vorbei
ist.“
Wobei… ein wenig nett war es schon. Blue war
wesentlich besser gelaunt, zumindest, wenn ich ihm ein wenig Aufmerksamkeit
schenkte. Nervig wurde er nur, wenn ich ihn vollkommen ignorierte und macht dann
irgendwas Blödes, um meine Gedanken wieder auf ihn zu richten. Eigentlich nicht
dumm. Nur eben nervig. Es sei denn er brachte mir Rosen.
„Folgen wir ihm einfach – und pfeifen ihn
zurück falls er in die falsche Richtung marschiert“, flüsterte Hannes mir zu.
So setzten wir uns in Bewegung. Unsere
Prozession erregte, wie auch schon die Tage zuvor, ein wenig Aufruhr wohin auch
immer wir gingen. Drei Menschen, ein Zombie, ein Schaf und ein Frosch. Außerdem
war Freundschafs Fell immer noch zur Hälfte weiß und zur Hälfte grau. Wir
würden es scheren müssen, um die verkokelte Wolle loszuwerden und ihm ein
halbwegs normales Aussehen zu verschaffen. Allerdings wurde es bald Winter und
vielleicht war es keine so gute Idee ihm sein ganzes Fell zu nehmen.
Für jetzt schien es sich an seiner grauen
Wolle nicht zu stören, also beließen wir es dabei. Was der Friseur, bei dem ich
gewesen war, dazu sagen würde, wollte ich gar nicht wissen. Andererseits konnte
der mir sowieso gestohlen bleiben.
Bald schon kamen wir an der Stadtmauer von
Romantika an. Das letzte Mal waren wir noch zu sehr damit beschäftigt gewesen,
dass wir den Tag zuvor beinahe gestorben waren, also hatten wir die Mauer nicht
ausreichend bewundert. Außerdem war ich ein wenig von den Geheimgängen
abgelenkt gewesen. Ich musste sagen, dass das alles schon beeindruckend aussah.
Ganz Romantika war von einer Mauer umgeben,
richtig mit Wehrgängen und Zinnen. Auch ein paar Wehrgänse tummelten sich auf
den Wiesen vor der Stadt, aber das war vermutlich eher eine alte Tradition, als
Notwendigkeit. Wer würde schon auf die Idee kommen die Stadt der Liebe und der
Erotik anzugreifen?
Weiter und weiter marschierten wir, bis die
Mauern von Romantika nur noch in der Ferne zu sehen waren. Was würden wir tun,
wenn wir weiterliefen und liefen und nicht ans Ziel kamen? Unverrichteter Dinge
wieder umdrehen und das Ganze mit dem fliegenden Teppich noch einmal versuchen?
Sofern Heinrich den wieder auf Vordermann bekam, natürlich. Obwohl… zumindest
fliegen konnte er, immerhin war er irgendwie hierher gekommen.
„Hey, ich glaube ich sehe was. Da ganz
vorne…“
Blue hatte seine Schritte beschleunigt.
Tatsächlich konnte ich eine seltsame Konstruktion in einiger Entfernung
erkennen.
„Warte doch auf uns!“, beschwerte ich mich.
„Der will nur Eindruck bei dir schinden“,
flüsterte Hannes mir zu. „Dir zeigen wie mutig er ist. Glaub mir, gerade würde
er nichts lieber tun als irgendein Monster bekämpfen.“
Dann mussten wir wohl hoffen, dass wir nicht
auf Monster trafen. Blue gleichzeitig im Liebesrausch und im Kampfrausch konnte
nicht gut gehen. Bisher sah es allerdings eher aus, als hätte jemand eine
notdürftig errichtete Hütte am Wegesrand aufgestellt.
Je näher wir kamen, desto seltsamer sah das
Gebilde allerdings aus. Es schien mehr als wäre es ein überdimensionales
Plumpsklo, sogar mit ausgeschnittenem Herzchen an der Eingangstür.
„Mia, da tut sich was“, sagte Hannes
plötzlich.
Ich schielte auf meine Schulter und sah, dass
sich die Nadel des Zeigefinders ununterbrochen drehte. Zusätzlich blinkte das
Ding unaufhörlich.
„Ernsthaft? Dahin wollte uns das Teil
führen?“
Naja, die gute Nachricht war dann wohl, dass
wir nicht für immer ins Nichts laufen würden.
„NEIN! Nein, das darf nicht wahr sein!“
Ich griff automatisch nach meinem Bogen. Was
auch immer Blue so aufregte, musste schrecklich sein. Er war derjenige, der
normalerweise am wenigsten die Nerven verlor. Außer wenn er gerade in mich
verliebt war, vielleicht.
„Neeeeeein!!!“
„Blue, was zum Teufel ist los?“, rief ich ihm
zu.
Wir alle gingen schneller, um ihm notfalls zu
Hilfe eilen zu können. Meine Oma hatte ihren Starb fester gepackt und eine
ernste Miene aufgesetzt. Phoenix sah einfach nur entschlossen aus. Vermutlich
war sie als Zombie sowieso stärker als die meisten Gegner, denen wir bisher
begegnet waren. Wir hätten sie bestimmt gebrauchen können, als meine Oma von
dem Vampirschaf geschluckt worden war.
„Alles nur nicht das“, murmelte er weiter vor
sich hin und starrte mit schreckensweiten Augen auf das Klohäuschen.
„Blue!“, schrie ich ihn an und er drehte sich
endlich zu mir um. „Klartext bitte!“
„Das ist ein Schißstand“, meinte er nur.
Ich ließ den Bogen los und begann zu lachen.
„Ist das alles? Das ist eine seltsame Beschreibung für ein Plumpsklo, aber wir
haben nun wirklich Seltsameres gesehen.“
„Mia, du verstehst nicht ganz.“
Mittlerweile waren wir nah genug bei ihm,
dass er mich zu ihm ziehen konnte, um auf ein Schild an der Tür des
Schißstandes zu deuten. Sobald ich auch nur einen Blick darauf geworfen hatte,
wusste ich warum er so einen Aufstand gemacht hatte und stöhnte ebenfalls auf.
„Nein! Das darf nicht wahr sein!“
„Doch“, nickte Blue und deutete auf das Bild
der goldenen Kloppbürste, die auf dem Poster abgebildet war.
Wir beide sprangen erschrocken zurück als mit
einem Knarren die Tür nach innen wegklappte. Das Holz knarzte und zeterte,
während sich der ganze Schißstand auseinanderzuklappen schien. Eine Theke erschien
vor uns, hinter der ein lächelnder Mann in bunten Klamotten stand.
„Willkommen beim Schißstand!“, verkündete er.
„Ich freue mich Sie hier begrüßen zu dürfen. Wollen Sie Ihr Glück versuchen?“
„Dieses Ding hätte nie wieder das Tageslicht
sehen dürfen“, seufzte Blue.
Langsam dämmerte mir was uns bevorstand. Ich
sah die Zielscheiben, die im hinteren Teil des Schißstandes angebracht waren.
Ein leicht süßlicher Geruch nach Zitronen und Desinfektionsmittel waberte aus
dem hölzernen Häuschen hervor.
Auf der anderen Seite der Konstruktion hingen
ein paar zerfleddert aussehende Kuscheltiere. Eins davon fiel mir ins Auge, als
Freundschaf meine Hand anstupste und ein mitleiderregendes „Mäh!“ von sich gab.
Hinter einem schmuddeligen Pandabären und direkt neben einer orangenen Eule war
eine recht lebensecht aussehende Ziege ausgestellt. Freundschaf stupste mich
erneut an und ich fuhr im beruhigend durch die versengte Wolle.
„Was müssen wir tun, um die da zu gewinnen?“,
fragte ich den Mann.
Blue sah mich entgeistert an, genau wie der
Rest der Truppe. Wenn ich mit meinen zwei Vermutungen richtig lag, hatte uns
der Zeigefinder aus gutem Grund hierher geführt. Das dort könnte die Einziege
sein – oder auch ein ganz normales, ausgestopftes Kuscheltier. Freundschafs
Reaktion ließ allerdings Zweifel an letzterer Theorie aufkommen. Meine zweite
Vermutung war, dass es sich hier um einen Schießstand mit… speziellen Waffen
handelte. Was bedeutete, dass wir die Ziege gewinnen mussten.
„Die da? Fünfzig Schuss“, meinte der Mann.
Na das konnte heiter werden.
Hihihi ^^ Das klingt witzig XD
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