Hier oben sah die Biblithek ein wenig anders
aus. Unten hatte alles einen offenen Eindruck gemacht. Es hatte hohe Fenster
gegeben, durch die viel Licht in die Innenräume gefallen war, überall war das Licht
an gewesen und es hatte in regelmäßigen Abständen nett eingerichtete Lernecken
für die Studenten gegeben. Hier oben hatte die Hochschnulbiblithek eher etwas
von einem Aktenlager. Unästhetische Metallregale säumten die Wände und statt
hübsch eingebundener Bücher, standen öfter Ordner in den Regalen, die
irgendwelche Essayausdrucke von Studenten oder Professoren enthalten mussten.
Mit dem Unizeug kannte ich mich wie gesagt nicht aus. Das war Blues Domäne.
„Was für eine hässliche Biblithek“, meinte er
nur.
Wir tasteten uns vorsichtig durch die Flure.
Alles schien wie ausgestorben zu sein. Nachdem ich gesehen hatte wie hübsch es
unten war und dann den Vergleich hier hatte, konnte ich verstehen, warum hier
niemand arbeiten wollte. Freiwillig zumindest nicht.
„Mäh!“, machte Freundschaf und sein Blöken
hallte durch die Flure.
Einen Moment lang war alles still. Dann
erklang ein Geräusch, das wie das Umfallen eines Stuhls klang und eine Stimme
erschallte.
„War das ein Freundschaf? Ein echtes
Freundschaf? In der Biblithek? Nein, nein, ich muss träumen. Ich bin endgültig
verrückt geworden, genau wie mir immer alle prophezeit haben…“
Das Gemurmel ging eine Weile weiter, das
Kratzen von Stuhlbeinen auf dem halb ausgelatschtem Teppichboden und das
Knarzen des Stuhls als sich die Person wieder darauf niederließ.
„Mäh!“, machte Freundschaf erneut.
„Jetzt habe ich es aber wirklich gehört. Und ich
bin nicht verrückt!“
„Hallo?“, rief ich in den Flur hinein. „Wir
wurden vom Pförtner hochgeschickt. Bis du Archiblad?“
Das Murmeln war wieder unverständlich, kam
jedoch näher. Eine große, sehr schlanke Gestalt kam auf uns zugetorkelt, wie
eben jemand lief, der den ganzen Tag auf einem Stuhl verbracht hatte ohne sich
zu rühren.
„Oh mein Gott, ein Freundschaf! Dass ich das
noch erleben darf! Ich hatte gedacht die wären alle verschollen!“
Das automatische Licht klickte und erhellte
einen schlaksigen jungen Mann. Jemand musste seinen Körper in großer Eile
zusammengesetzt haben, denn alles schien zu lang zu sein und zu viel Spielraum
in alle Richtungen zu haben. Beim Laufen sah es so aus als würde er jedes
seiner Gelenke ausgekugelt bevor er den nächsten Schritt tun konnte. Eine dicke
Hornbrille rundete den Anblick von „absoluter Außenseiter“ ab, was durch den altbackenen
Pullover noch verstärkt wurde.
„Hallo, mein liebes Freundschaf, mein Name
ist Archiblad. Schön dich kennenzulernen.“
„Mäh!“, machte Freundschaf.
„Ich dachte das Schaf der Einshockeymannschaft
wäre der letzte Überlebende seiner Art – und das ist nun wirklich nicht sehr
freundlich für ein Freundschaf. Du scheint mir eher der Typ zu sein, nicht
wahr?“
„Mäh!“, machte Freundschaf.
„Es freut mich wirklich außerordentlich. Du
bist nicht zufällig das Schaf, das den Könling aus seiner Geierform befreit
hat? Ich habe erst gerade einen Augenzeugenbericht eines Magiers gefunden – der
sich übrigens gleichzeitig über ein Loch in seiner Robe beklagt – aber ich bin
mir nicht sicher, ob ich der Quelle trauen kann…“
„Mäh!“, machte Freundschaf.
„Mmh, wenn ich mir deine Zähne so anschaue,
dann könnte es passen. Weiß du, ich habe die Bisswunde auf der Robe untersucht
und die Zähne…“
„Mäh!“, machte Freundschaf.
„Ja, die Zähne scheinen tatsächlich identisch
zu sein. Meinst du es würde dir etwas ausmachen mir einen Abdruck…“
„Mäh!“, machte Freundschaf.
„Entschuldigung?“, fragte ich vorsichtig.
„Ja, ein Abdruck würde so einiges klären.
Dann hätte ich das letzte Puzzlestück und könnte endlich meine Arbeit
veröffentlichen. Dann würden die Leute mich nicht mehr für einen verrückten…“
„Mäh!“, machte Freundschaf.
„Entschuldigung!“, versuchte ich ihn erneut
zu unterbrechen.
„…verrückten, nichtsnutzigen, hochnäsigen…
äh, entschuldigung?“ Archiblad, der bisher vor Freundschaf gekniet hatte, sah
auf und rieb sich mit einem Zipfel seines Pullovers die Brillengläser. „Und ihr
seid?“
„Freundschafs Freunde. Wir versuchen seine
Verschwandtschaf zu finden, um den Großen Roten Knopf der Verderbens von ihnen
bewachsen zu lassen, da Freundschafe gegen seine Wirkung immun zu sein scheinen
und hatten uns gefragt…“
„Immun? Das ist ja außergewöhnlich. Außergewöhnlich. Ich muss unbedingt…“
„…und wir hatten uns gefragt, ob du uns nicht
helfen könntest Freundschafs Verwandtschaf zu finden!“, schrie ich beinahe
gegen seinen neusten Beginn eines Monologes an.
Oh Gott, war der anstrengend. Und ich hatte
gedacht Blue wäre eine Nervensäge. Sowohl Blue, als auch Hannes und meine Oma
schienen vor lauter Staunen wortlos geworden zu sein. Ich musste zugeben Archiblad
war eine Marke. Aber wir brauchten seine Hilfe, und das möglichst schnell.
„Wir könnten Freundschaf bestimmt bitten im
Austausch gegen deine Hilfe ein paar Gebissabdrücke zu hinterlassen. Außerdem
waren drei der hier Anwesenen dabei als das mit dem Geier passiert ist, also
könnten wir dir vielleicht dabei helfen deine Quelle zu überprüfen.“
„Da war doch dieser eine Magier, dem
Freundschaf ein Stück Robe vom Hintern gebissen hat…“, murmelte Blue und seine
Augen begannen vor Lachen zu tanzen. „Das war eines der beeindruckendsten
Dinge, die Freundschaf je getan hat, wenn du mich fragst.“
„Und meinen Vater vom Geier-Sein zu
befreien“, gab Hannes seinen Senf dazu.
„Was was was Vater?“ Archiblad rückte seine
Brille zurecht und spähte in die Tasche, die Hannes zu seinem Stammplatz
gemacht hatte. „Dann musst du Prinz Johannes sein, Sohn des Könlings.“
„Hannes reicht“, murmelte er. Das musste einer
der wenigen Momente sein, wo Hannes tatsächlich erkannt und nicht für einen
Frosch gehalten wurde.
„Es ist mir eine Ehre Euch kennenzulernen,
könlingiche Hoheit.“ Archiblad machte tatsächlich eine kleine Verbeugung und
Blue konnte ein Kichern nicht unterdrücken.
„Freundschafs Verwandtschaf!“, erinnerte ich
die Versammlung. „Können wir irgendwo reden? In Ruhe?“
"Mmh, ich habe kein Faible für Männer in
Uniforum…", murmelte Archiblad. „Und unten ist es mir zu hell. Und ich
hasse die Unifmroen, die einige Studenten anhaben… Die sind genauso zerstückelt
wie ihr Name… Ich weiß!“
Ich zuckte zusammen als mir der Kerl ins Ohr
schrie und hätte Blue am liebsten eine gescheuert, weil er das Ganze ungeheuer
komisch zu finden schien.
„Wie bleiben hier und ich rede mit euch in
meinem Büro.“
Na sieh mal einer an. Der Kerl konnte auch
halbwegs vernünftige Entscheidungen treffen. Es sah ganz so aus als hätte diese
Bücherei, obwohl es sich um eine sehr kleine Stadt- und Hochschnulbiblithek
handelte, tatsächlich einige Bücher im Angebot, die uns Antworten geben
konnten. Und wenn es keine Bücher gab, hatten wir immer noch Archiblad, der ein
wandelndes Lexikon in allen Dingen Freundschaf zu sein schien.
Wir alle folgten dem schlaksigen Mann durch
die Korridore. Nach ein paar Biegungen hatte ich bereits die Orientierung
verloren und fragte mich wie lange Archiblad hier eingesperrt verbracht hatte,
damit er sich so gut zurechtfand.
Sein Büro stellte sich als ein Zimmer heraus,
dessen Wände ebenfalls aus Metallregalen bestanden, die er offensichtlich mit
relevantem Material gefüllt hatte.
„Der Pförtner hat gesagt ich könnte alle
Materialien über Freundschafe hier oben lassen, weil das eh niemanden interessiert“,
meinte er. „Und jetzt kommt ihr und fragt nach dem Großen Roten Knopf des
Verderbens und ihr braucht mein Wissen, um eine Katastrophe zu verhindern. Ich
kann gar nicht darauf warten ihnen das unter die Nase zu reiben.“
„Wem ihnen?“, fragte ich.
„Na ihnen allen! Niemand hat mich ernst
genommen.“
Ein seltsamer Ausdruck trat in seine Augen
und er tat mir leid. Armer Kerl, Natürlich war er seltsam, aber vielleicht wäre
er weniger seltsam, wenn ihn mal jemand aus diesem Zimmer schleifen würde…
„Setzt euch!“, lud er uns ein. „Irgendwo. Wo
Platz ist. Oder irgendwo. Wo kein Platz ist. Außer du. Du darfst überall
sitzen“, meinte er zu Freundschaft.
„Mäh!“, machte Freundschaf.
Es schien ihn echt zu mögen. Jedenfalls hatte
es in seiner Gegenwart öfter Laute von sich gegeben als die ganze Zeit, die ich
es schon kannte. Freundschaf war normalerweise recht wortkarg.
Blue fegte ein paar Papiere von einem
verstaubten Tisch am anderen Ende des Raumes (es war offensichtlich, dass
Archiblad nur auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch hockte, auf dem eine Leselampe
brannte). Er setzte sich und ein Schrei erschütterte den Raum. Sofort sprang
Blue auf, drehte sich um und bedrohte den Tisch mit seinem Schwert.
„Oh, ich wusste gar nicht, dass das einer von
denen ist!“, meinte Archiblad verwundert.
Er ignorierte Blues gezogenes Schwert und
drückte leicht auf die Tischplatte. Eine leisere Version des Schreies erklang
und er lächelte zufrieden.
„Schreitische“, erklärte er. „Die wurden aus
Versehen irgendwann mal bestellt. Aber die haben den Leuten hier natürlich
nicht so gut gefallen. Immerhin ist das hier einen Biblithek. Alle bevorzugen
Schreibtische; die machen weniger Krach.“
Er drückte noch einmal auf den Tisch, der
wieder aufschrie.
„Zur selben Zeit hatten sie für die Teeküche
einen Küchentusch bestellt. Der hat jedes Mal einen Tusch gespielt, wenn jemand
eine Tasse Tee darauf abgestellt hat. Ihr wisst schon, so ein Orchester aus
Kochtopftrommeln und sonstigen zweckentfremdeten Küchengeräten. War nicht
besser als die Schreitische. Zusammen hat das allerdings eine nette Mischung
gegeben.“
Als er die Hand ausstreckte, um den Tisch
noch einmal zum Schreien zu bringen, hielt Blue ihn am Handgelenk zurück,
während er mit der anderen Hand das Schwert wieder einsteckte.
„Oh. Tschuldigung. Wo waren wir?
Schreitische?“
„Nein, Verwandtschaf“, erinnerte ich ihn.
Dieser Kerl würde mir noch den letzten Nerv rauben; der war ja ein absolutes
Desaster.
„Oh. Ja. Na klar. Mal sehen.“
Er schob meine Oma unsanft zur Seite, die
sich auf ihren Regenschirm stützen musste, um nicht umzufallen und begann in
einem der Regale herumzukramen. Er schaute in verschiedene Ordner, schüttelte
immer wieder den Kopf und schob sie zurück.
„Oh! Den hier habe ich schon ewig gesucht!
Wie ist er denn bei den Daten L478.c.3 gelandet? Ich dachte der müsste
eigentlich bei L364.b.7:1 stehen! Wie nur…“
Ich räusperte mich und warf Blue einen bösen
Blick zu, woraufhin er sein Lachen in ein Husten verwandelte.
„Ich hätte nicht gedacht, dass wir mal
jemanden finden würden, der dir mehr auf die Nerven geht als Blue…“, murmelte
Hannes aus meiner Brusttasche.
„Ach halt die Klappe, oder du darfst die
ganzen Treppen gerne selber runterlaufen“, zischte ich ihn an.
„Hast du was gesagt?“ Archiblad, einen Ordner
in der Hand, drehte sich um.
„Nein, nein, mach nur weiter.“ Sogar meine
Oma musste sich ein Grinsen verkneifen, auch wenn ich ihr ansehen konnte, dass
sie auch gerne etwas schneller vorankommen würde.
„Ah! Hier. Ich hab einige Gerüchte gehört,
aber die Verwandtschaf von Freundschaf scheint vor einigen Jahren zum großen
Teil spurlos verschwunden zu sein. Ausnahmen bilden unter anderem euer
Freundschaf, das Maskottchen und ein paar fiese Schafe. Vampirschafe scheinen
generell nicht gut gefangen werden zu können, weshalb vermutlich die meisten
von ihnen immer noch da draußen sind. Aber die helfen euch nicht weiter, oder?
Ihr braucht ja Schafe, die sich nicht gegenseitig zerfleischen.“
„Das wäre von Vorteil, ja“, steuerte meine
Oma bei.
„Aha!“, schrie er, fast so laut wie der Schreitisch.
Ich zuckte zusammen und musste mich nicht
einmal umdrehen, um zu wissen, dass wieder alle auf meine Kosten lachten.
Solange wenigstens die Spaß hatten… „Was ist?“
„Ich weiß wie wir das machen. Ich hätte im
Angebot, nach etwas zu schlauen und erzähle euch alles, was ich über
Freundschafe weiß. Außerdem gewähre ich euch Einblick in die gemeinen Dokumente
– solange einer von euch aufschreibt wie der König vom Geier-Sein erlöst wurde,
durch Freundschaf hier. Deal?“
„Was sind gemeine Dokumente?“, hakte ich
nach.
„Manchmal beißen sie.“ Archiblad rückte seine
Brille zurecht und ich bemerkte die Pflaster an seinen Fingern. Vielleicht war
seine Arbeit doch gefährlicher als ich gedacht hatte.
„Also, Mia, Deal?“,
fragte Blue.
„Wieso ich?“
„Wieso nicht?“
Ich funkelte ihn wütend an, doch schließlich
schnappte ich mir einen Zettel und einen Stift und setzte mich mit Absicht auf
den Schreitisch. Der ließ einen so markerschütternden Schrei erklingen, dass
Blue herumfuhr und mir beinahe sein Schwert durch die Brust stieß.
„Vorsicht, das Ding ist spitz.“ Das mit dem Anfunkeln
klappte wirklich immer besser. Dieses Mal war er derjenige, der wegschauen
musste.
Während Archiblad den anderen beschrieb was
er wusste, saß ich vor einem Blatt Papier und überlegte wie ein Zeugenbericht
wohl aussehen sollte. Dann entschied ich mich so zu schreiben wie ich es am
besten konnte. So, wie ich geschrieben hatte, als ich Fluffles‘ Geschichte verfasst
hatte.
Ach, ich mag das Zusammenspiel von Blue und Mia... auch wenn es dich wahrscheinlich auf Dauer in den Wahnsinn getrieben hat.
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