Als es an der Tür zu meinem Hotelzimmer
klopfte, sah ich zuerst durch den Türspion, um mich zu vergewissern, dass es
sich nicht um Blue handelte. Ich hatte die letzte Stunde mit Kopfhörern
verbracht, weil er alle paar Minuten geklopft hatte. Als ich die vermoderte
Haut und die blutunterlaufenen Augen sah, seufzte ich erleichtert. Phoenix.
„Hat er aufgegeben?“, fragte ich und spähte
vorsichtig durch einen Spalt in der Tür.
„Als ich ihn zuletzt gesehen habe, war er
überglücklich, verführt aus der Situation herausgekommen zu sein“, meinte sie.
Ich stöhnte nur und ließ meinen Kopf gegen
die Tür schlagen. Entgegen aller Erwartungen tat das weniger weh als man denken
würde. Und es half ein wenig dabei das Stöhnen unter Kontrolle zu halten. Wenn
ich gedacht hatte, dass Blue mir nie im Leben mehr auf die Nerven gehen konnte
als in der Comedy-Gegend, hatte ich mich getäuscht. Ein Blue, der in mich
verliebt war, war tausend Mal schlimmer. Vor allem, weil er nur wegen des
bescheuerten Liebestranks in mich verliebt war.
„Aufgegeben hat er nicht“, fuhr Phoenix fort.
„Aber er hat zumindest das Hotel verlassen.“
Ich war mir nicht sicher, ob mich das
beruhigen sollte. Viel eher machte ich mir Sorgen, dass er irgendeinen Blödsinn
anstellen würde. Wie zum Beispiel die Blumen im Stadtpark so arrangieren, dass sie wie mein Gesicht aussahen. Das zumindest hatte er mit den Törtchen versucht, die wir auf dem Rückweg aus einer Bäckerei geholt hatten.
„Mia.“ Phoenix schien ein wenig ernster zu
werden. „Denk daran, dass er nichts dafür kann.“
„Und ob er was dafür kann! Wenn er nicht die
nervige Angewohnheit hätte alles zu essen und trinken, was auch nur annähernd
so aussieht als könnte man es verdauen, wäre das alles nicht passiert und
Hannes wäre vielleicht ein Mensch!“
Die Verkäuferin hatte uns sofort erklärt,
dass das der einzige Liebestrank dieser Art gewesen war. Sie hatte
vorgeschlagen uns einen anderen, etwas schwächeren, zu verkaufen. Allerdings
war sie sich selbst nicht sicher, ob das funktionieren könnte. Ich hatte noch einen weiteren Grund abzulehnen. Ein Liebesdreieck mit Hannes und Blue wäre das Letzte. Die Situation war auch so kompliziert und unangenehm genug.
Phoenix sah immer noch nachdenklich aus, ließ
die Sache aber auf sich beruhen. „Mach dir lieber Sorgen um Hannes. Der Arme
hat sich in seiner Schublade eingeschlossen, weil das mit seiner Werdung nichts
geworden ist.“
Werdung, das hatte uns die Verkäuferin
erklärt, war der allgemeine Ausdruck dafür eine verwunschene Person wieder in
einen Menschen zu verwandeln – oder in was auch immer sie vorher gewesen war.
„Ich sehe mal nach ihm“, sagte ich sofort.
Mit Blue als Türwächter hatte ich mein Zimmer
bisher nicht verlassen können. Hannes hätte es bestimmt nicht geholfen wenn ich
mit dem verliebten Volltrottel im Schlepptau aufgetaucht wäre. Und Blue wäre
eifersüchtig geworden. Nein, ich hatte warten müssen. Warum hatte ich dann
trotzdem ein schlechtes Gewissen?
Phoenix machte sich wieder auf den Weg nach
unten, vermutlich, um weiter mit meiner Oma zu quatschen. Die zwei hatten sich
bei Kaffee und Kuchen zurückgezogen, um über das Buch zu sprechen, das Phoenix
sich hier gekauft hatte.
„Ich sage Marga sie soll Blue aufhalten, wenn
er wiederkommt, während ich dich vorwarne“, meinte sie und ich sah sie
erleichtert an. „Allerdings musst du dich damit abfinden, dass er dich in den
nächsten drei Tagen nicht in Ruhe lassen wird. Wir müssen immer noch die
Einziege finden und du wirst keine große Hilfe sein, solange du dich den ganzen
Tag in deinem Zimmer einschließt.“
„Wir könnten auch einfach Blue einschließen“,
murmelte ich, doch Phoenix war schon außer Hörweite.
Die Tür zu Blues und Hannes‘ Zimmer war nicht
abgeschlossen, also konnte ich einfach eintreten. Was allerdings abgeschlossen
war, war die Schublade, in der Hannes übernachtete. Ihm musste es wirklich
dreckig gehen, wenn er sich freiwillig in einem engen, dunklen Raum ohne
Fenster und Tür einschloss. Wie genau er es geschafft hatte sich einzuschließen,
war mir auch ein Rätsel, denn normalerweise funktionierte das bei Schubladen nur von außen…
„Hannes?“ Ich klopfte vorsichtig an die
Schublade.
„Geh weg, Mia“, drang seine gedämpfte Stimme
aus dem hölzernen Möbelstück.
„Du kannst dich nicht den Rest des Tages in
einer Schublade einschließen“, meinte ich.
„Wieso? Du konntest dich doch auch in deinem
Zimmer einschließen. Dann kann ich in meiner Schublade bleiben.“
„Ich muss mich vor Blue verstecken.“
„Ich will mich vor allen verstecken“, konterte
er. "Fahr zur Hülle, Mia."
So wurde das nichts. Wenn er anfing mit obskuren Beleidigungen um sich zu werfen, würde ich ihn mit Logik nicht überreden können. Seine Stimme war zwar
nur schwach zu hören, aber ich kannte ihn mittlerweile gut genug, um den
Tonfall zu erkennen. Der schmollende, sture Hannes.
Also sah ich mich im Hotelzimmer nach etwas
um, das mir helfen könnte. Als mein Blick auf den Notizblock fiel, der auf
einem kleinen Tisch lag, musste ich unweigerlich grinsen.Eine Seite nach der anderen zog ich die
Blätter heraus, riss sie in Streifen und knüllte sie so zusammen, dass sie zu
kleinen Papierkugeln wurden. Dann schnappte ich mir einen Ast von der Vase mit Gestrüßß, die auf der Kommode stand und begann
die Papierkügelchen durch das Schlüsselloch von Hannes‘ Schublade zu schieben.
„Was soll das werden, Mia?“ Sein Tonfall war
von deprimiert zu wütend gewechselt.
„Ich hole dich aus deiner Schublade raus.“
Ein paar weitere Papierschnipsel fanden ihren Weg in sein Versteck und ich
hörte wie etwas in der Schublade herumkroch, fluchte, als es sich den Kopf
stieß, und dann begann eine Papierkugel zurück nach draußen zu schieben.
Aha, so wollte er das Spiel also spielen. Na
dem würde ich einen Strich durch die Rechnung machen. Ich stopfte mehrere
Papierkügelchen auf einmal ins Schlüsselloch und schob sie alle auf einen
Schlag hinein. Hannes fluchte.
„Lass das! Wenn ich meine Ruhe haben will,
warum lässt du mich nicht einfach?“
„Weil du mit deiner Zeit etwas Besseres
anfangen kannst als in Selbstmitleid zu versinken. Egal was du denkst, du bist
ein Teil dieser Gruppe und du bist wichtig. Wenn wir die Einziege und Freundschafs
Verwandtschaf finden wollen, müssen alle mithelfen.“
Ich schob noch mehr Papier in die Schublade.
Mehr Flüche folgten. Was dann folgte waren allerdings nicht noch mehr
Beleidigungen, sondern ein Klick, als
Hannes die Schublade aufschloss. Es hatten mehr Papierkugeln ihren Weg hinein gefunden als ich gedachte hatte. Ein bisschen sah es so aus, als wäre
er eingeschneit.
„Blue und du habt mehr gemeinsam als du
denkst. Ihr könnt beide unheimlich nervtötend sein.“
In dem Zusammenhang konnte ich ihm im Moment
nicht widersprechen. Allerdings beschränkte ich mein nervig sein auf ein
paarmal im Jahr und nicht, wie Blue, auf ein paarmal in der Stunde.
„Tut mir leid, dass es nicht funktioniert
hat“, meinte ich. „Aber nachdem Blue den ersten Trank genommen hat, wollte ich
nicht, dass wir zwei liebeskranke Vollidioten in unserer Gruppe haben“,
versuchte ich ihm meinen Gedankengang zu erklären.
„Es hätte sowieso nicht funktioniert“,
seufzte Hannes.
„Woher willst du das wissen? Der Trank
scheint ziemlich stark zu sein, wenn man sich Blues Benehmen so anschaut. Wir
können einfach wiederkommen, wenn wir Freundschafs Verwandtschaf gefunden haben
und dann nehmen ich einen von den Tränken. Dann…“
„Nein“, unterbrach er mich. „Ich glaube
nicht, dass es funktioniert hätte. Es müssen beide Personen ineinander verliebt
sein und… ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich in dich verliebt bin.“
Diese Antwort hatte ich dann doch nicht
erwartet. Ich wusste nicht genau wie ich mich nach der Aussage fühlte. Als er
mir erzählt hatte, dass er mich mochte, war ich vor allem peinlich berührt
gewesen. Ich wusste zwar ganz genau, dass ich die Gefühle nicht erwiderte, aber
ich konnte nicht umhin mich ein wenig darüber zu freuen, dass jemand mich so
sehr mochte. Jetzt war ich zwar einerseits erleichtert, dass ich mir keine
Sorgen mehr machen musste ihm ungewollt auf die Froschfüße zu treten, aber
andererseits war ich irgendwie traurig.
„Warum?“ Ich konnte mich
nicht zurückhalten das zu fragen.
„Naja…“ Wenn ein Frosch mit
den Schultern zuckte, sah das wirklich seltsam aus. „Ich glaube ich habe mir
eingeredet, dass ich in dich verliebt bin. Vielleicht, weil du die Erste warst,
die mich je wie einen normalen Menschen behandelt hat und nicht nur wie das
Opfer eines Fluches. Du warst diejenige, die mich aus meinem Zimmer in der Burg
bekommen hat.“
Er grinste bei der
Erinnerung daran wie wir beide von verrückten Möbeln verfolgt worden waren. Zumindest
musste ich unweigerlich daran denken und im Nachhinein war es wirklich eher komisch als
erschreckend.
„Das scheinst du immer noch
ziemlich gut zu können.“ Er schaute auf die mit Papierschnipseln gefüllte
Schublade. „Und ich bin dir wirklich dankbar dafür, aber seit einiger Zeit…“
„Kein Problem“, unterbrach
ich seinen inneren Monolog. „Gefühle ändern sich. Ob du je in mich verliebt
warst oder nicht, ist mir egal, solange wir jetzt Freunde bleiben. Und
irgendwann findest du jemanden, der dich zurückküssen kann.“
Hannes sah so aus, als würde
er daran zweifeln. Ich war mir jedoch ziemlich sicher was das anging. Jetzt, wo
er endlich das Schloss verlassen hatte und tatsächlich unter Menschen kam,
musste einfach jemand dabei sein, in den er sich verlieben konnte und der diese
Gefühle erwidern würde. Was das anging war ich wohl ein hoffnungsloser
Optimist.
Er sah immer noch nicht
überzeugt aus - aber immerhin hatte er aufgehört sich in einer Schublade
einzusperren. Das war ein Fortschritt. Als mir ein neuer Gedanke kam, musste
ich grinsen.
„Was ist los?“
„Naja… wenn das mit dem
Liebestrank sowieso nicht funktioniert hätte, dann hätte das mit Blue gar nicht
passieren müssen. Er wird sich sowas von ärgern wenn die drei Tage um sind.“
„Vergisst du nicht, dass er
dir bis dahin auf den Wecker gehen wird?“, erinnerte Hannes mich.
Stimmt. Da war was.
Wahrscheinlich sollte ich deswegen auf Hannes sauer sein, aber irgendwie konnte
ich mich nicht dazu hinreißen. Also machte ich es ihm nach und zuckte mit den
Schultern.
„Sollen wir runter zu Oma
und Phoenix gehen? Ich glaube die tauschen sich gerade über „In allen
Lesbenlagen“ aus, essen Kuchen und trinken Kaffee.“
„Solange ich ein paar
Fliegen bekomme…“
„Das lässt sich bestimmt
einrichten.“
Die Szene kommt mir bekannt vor... haben meine beiden Protas gerade auch hinter sich gebracht.
AntwortenLöschenDie Chemie zwischen Mia und Blue ist einfach besser. Aber da ich kein Liebesdreieck will (ugh) und Mia sowieso keinen Bock auf eine Beziehung hat, habe ich Mia und Hannes von ihren Gefühlen erlöst. Befreundet sein steht denen besser. ^^
LöschenJa, das finde ich auch... aber ich gehöre ja sowieso zu der Sorte die Mia und Blue shippen.
Löschen