Blue, Hannes und Phoenix hatten während
meiner Friseurprozedur den Rest des Tages geplant. Als wir zurückkamen, hatten
sie bereits einen Schlachtplan aufgestellt. Zum Glück beinhaltete der, das wir
uns alle gemeinsam auf den Weg machten.
„Wir haben uns die Aufschriebe von Archiblad
noch einmal durchgelesen“, meinte Phoenix. „Dabei haben wir einen Absatz
gefunden, in dem gesagt wird die Einziege würde Musik lieben.“
„Aber das hier ist Romantika! Hier gibt es
Musik an jeder Ecke!“ Tatsächlich hatte ich gestern in den Parks mehr Musiker
gesehen, als ich jemals für möglich gehalten hätte. Die meisten hatten
natürlich Liebeslieder gesungen.
„Es soll einen Magier geben, der Musik macht.“ Blue schob meiner Oma und mir einen Flyer über den Tisch. „Hier. Der
wurde mir gestern in die Hand gedrückt.“
„Na dann nichts wie hin! Je früher wir aus
dieser mit Herzen und rosa Blümchen verseuchten Gegend wieder rauskommen, desto
besser“, grummelte ich.
Meine Oma sah mich nur verwundert an und ich
beschloss erneut sie nicht auf den neusten Stand zu bringen. Meine Abneigung
gegenüber Romantika hatte zu viel mit dem gestrigen Abend und meinen versengten
Haaren zu tun.
Wir machten uns auf den Weg, ohne dass ich
weiter über meinen plötzlichen Stimmungsumschwung befragt wurde. Meine Laune
wurde auch nicht besser, als es sich schwieriger gestaltete den Magier zu
finden als wir gedacht hatten. Nur wenige Leute hatten von ihm gehört und selbst Leute, die ihn kannten, schickten uns regelmäßig in die falsche Richtung. Dass wir letztendlich doch in
der richtigen Seitenstraße landeten, war mehr der Tatsache geschuldet, dass das
Anti-Katermittel von heute Morgen nicht mehr richtig zu wirken schien und mir
speiübel wurde.
Die Übelkeit wurde zum Glück bald wieder
kontrollierbar und ich starrte statt in einen Mülleimer auf das Schild, nach
dem wir so verzweifelt gesucht hatten. Monsieur
Magic war darauf zu lesen.
„Hey! Hier ist es!“
Die anderen, die netterweise Abstand gehalten
hatten, folgten mir in die Gasse.
„Und ich dachte du musst dich bloß übergeben“,
meinte Blue. „Gute Arbeit, Mia!“
Mit diesen Worten trat Blue vor, warf sich schwungvoll seine Robbe über die Schulter und ging voran. Ich würde ihn
bestimmt nicht korrigieren. Stattdessen folgte ich ihm durch die Tür in einen
dunklen Gang.
„Das gefällt mir irgendwie nicht“, murmelte
Hannes, der dieses Mal auf der Schulter meiner Oma hockte.
Ich konnte ihn im diffusen Licht kaum
ausmachen und auch meine Oma, Freundschaf und Phoenix folgten mir nur als dunkle
Schatten. Das wurde nicht besser, als Phoenix die Tür hinter sich schloss.
„Hey, hier ist noch eine Tür!“ Blues Stimme
kam von weiter vorne und ich hörte wie er eine weitere Tür aufstieß.
Licht fiel in den Gang und ich beeilte mich
Blue zu folgen, um wieder etwas sehen zu können. Stattdessen lief ich in seinen
Rücken.
Ich hörte nur wie er „Was zum Teufel…“
murmelte, dann war er plötzlich verschwunden. Im einen Moment hatte ich noch
den Pelz seiner Robbe unter meinen Fingern gespürt, im nächsten war er fort.
Durch die Tür drangen für einen Moment die ersten Akkorde eines Rocksongs, dann
verstummten sie.
„Blue?“ Vorsichtig schob ich mich weiter nach
vorne. „Oma, Phoenix, er ist einfach verschwunden“, zischte ich nach hinten.
Das hier war mehr als seltsam. Trotzdem schob
ich mich weiter vor. Vielleicht war das hier eine Art magisches Portal und Blue
wartete auf der anderen Seite. Wenn nicht… dann Gnade Gott demjenigen, der für
sein Verschwinden verantwortlich war.
Mit einem großen Schritt trat ich durch den
Türrahmen.
Der Raum sah recht normal aus, wie das Wohnzimmer
einer Durchschnittsperson. In einem Sessel saß, mit dem Gesicht zu der Tür, aus
der wir traten, ein Mann. Er war das einzige, was nicht zu diesem Raum zu
passen schien. Die braunen Ledersofas, die Zimmerpflanzen, der
Flachbildfernseher, die Bücherregale… und dann der Kerl in rotem Umhang und
Zauberhut.
„Wo ist mein Freund geblieben?“, verlangte
ich zu wissen.
Der Mann lächelte und hob entschuldigend die
Hände – und ich warf mich zur Seite, um dem Ball aus reiner Magie auszuweichen,
den er gerade auf mich geschleudert hatte. Das erklärte dann wohl Blues
Verschwinden. Gnade ihm Gott.
Der Magier feuerte einen weiteren Zauber auf
mich ab und begann zu lachen. „Welches Lied willst du sein? Dein Freund ist nur
ein langweiliger Rocksong geworden. Vielleicht eine Ballade?“
Der Zauber traf eine Blumenvase, die sich in
Nichts auflöste. Ein langsamer, traurig anmutender Walzer ertönte für einige
Sekunden, bevor er verklang.
„Gegenstände machen sich nicht besonders gut
als Lieder. Sie sind nicht besonders langlebig. Menschen hingegen…“
Ich schrie auf, als der Ball aus Magie meine
Oma traf, die sich ebenfalls in ein Lied auflöste. Tränen traten mir in die
Augen, als ich eine klare Frauenstimme hörte, die eine wunderschöne Ballade
schmetterte. Von Hannes sah ich nur noch einen grünen Schenkel, der unter dem
Sofa verschwand.
„Oooh, hübsch“, meinte auch der Magier.
Mehrfach spielte er das Lied, mal langsamer,
mal schneller, mal rhythmischer, mal mafiosischer. Mafiosisch klang richtig.
Der Typ war einfach nur böse. Er versuchte Phoenix ebenfalls zu treffen, doch
sie duckte sich und suchte hinter einem der Ledersofas Schutz. Der nächste
Versuch galt Freundschaf, doch das scherte sich nicht um den Zauber, der
einfach an seinem Fell abprallte und stattdessen ein Buch im Bücherregal traf, woraufhin ein russischer Marsch erklang.
„Mäh“, machte Freundschaf und begann an einer
Ecke des Ledersofas zu knabbern.
„Lass mein Sofa in Ruhe, du Mistvieh!“
Der Magier feuerte erneut eine Salve auf
Freundschaf, das sich immer noch komplett unbeeindruckt davon zeigte.
Vielleicht würde ihn Freundschaf lange genug ablenken, damit ich an ihn
herankommen konnte. Was genau ich dann tun würde wusste ich nicht, aber das
hier schrie geradezu nach einem aus dem Ärmel geschüttelten Plan.
Das Lied meiner Oma, das erneut erklang,
trieb mir die Tränen in die Augen. Zuerst dachte ich der Magier hätte es
heraufbeschworen, um mich zu verunsichern. Dann jedoch wirkte er einen weiteren
Zauber. Seine klare Stimme machte aus dem Zauber ein Leid.
In der plötzlich entstandenen Stimme schwang
immer noch ein Hauch meiner Oma mit, doch ansonsten hatte der Kampfzauber nicht
mehr viel mit ihr gemein. Der Magier schleuderte die Stimme auf Freundschaf,
von dem sie abprallte.
„Was um Hummels Willen ist in Sie gefahren?“,
schrie ich dem Magier zu und musste im nächsten Moment eine ein Meter hohe
Stimme abwehren.
Das Lied meiner Oma hatte Gestalt angenommen
und kam als wabernde Wand auf mich zugeschossen. Meine Feder begann zu
leuchten, doch ich nutzte meine Kraft lieber, um die Feder davon abzuhalten einen Zauber
zum Blocken zu wirken. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich dadurch den Rest
meiner Lebenskraft verlieren. Das konnte nicht mehr viel sein. Lieber überließ
ich es Phoenix und Freundschaf mit dem Kerl fertigzuwerden.
„STOPP!“
Die Wand kam in dem Moment zum Stehen, in dem
sie mich erreicht hatte. Ich versank in nachdenklicher Stimme. So fühlte es
sich zumindest an. Der aggressive Teil, den der Magier in das Lied meiner Oma
gezaubert hatte, war verschwunden und es umwaberte mich nur noch als wüsste es
nicht richtig was es als nächstes tun sollte.
„Was zum… Greif schon an!“, schrie der
Magier. „Ich brauche mehr Lieder für meine Show! Ohne neue Leute bin ich
absolut ruiniert!“
„Deshalb also.“
Die fremde Stimme kam von weiter hinten, wo
ich jetzt eine Tür entdeckte, die zum Rest des Hauses führen musste. Eine Frau
in Uniform stand dort und hielt ein seltsam aussehendes Paar Kopfhörer in der
Hand.
Ein Blick auf den Magier zeigte mir, dass er
so weiß wie ein Laken geworden war. Der Ball aus Magie, den er immer
noch in den Händen hielt, verpuffte.
„Monsieur Magic, hiermit sind Sie, im Namen aller Liebwächter, verhaftet. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet
werden. Was Ihnen vielleicht zu einem geringeren Strafmaß verhelfen könnte
wäre, wenn Sie sofort alle in Lieder verwandelten Leute von Ihrem Fluch
befreien.“
Der Magier biss sich auf die Lippe und die
Frau trat einen weiteren Schritt vor. „Verstärkung ist bereits unterwegs.
Zwingen Sie mich nicht dazu meine Köpfhörer verwenden zu müssen.“
Stöhnend hob der Mann die Hände, woraufhin sich einige
Boxen, die auf den Regalen verteilt waren, öffneten. Eine Kakophonie aus
Liedern erklang, jedes anders. Zusammen hörte es sich einfach grauenvoll an.
Die Frau, die sich als Liebwächterin
bezeichnet hatte, trat vor und legte dem Magier sofort Handschellen an, bevor
die Lieder sich, eines nach dem anderen, in Menschen zurückverwandelten. Die
Wand aus Stimme, die sich immer noch vor mir aufgetürmt hatte, zog sich
zusammen und vor mir stand auf einmal meine Oma, mit Händchen auf der Schulter
und Schirm am Arm. Als ich ihr um den Hals fiel, sah sie mich verwirrt an.
Auf der anderen Seite des Raumes erkannte ich
einen blauen Haarschopf, der verdächtig nach Blue aussah. Allerdings befanden
sich hier mittlerweile so viele Menschen, dass ein Durchkommen unmöglich war.
„Oma, was sind Köpfhörer?“, fragte ich.
„Das sind Waffen, die hauptsächlich von den
Liebwächtern aus Romantika eingesetzt werden. Sie führen zu vorrübergehender
Taubheit. In seltenen Fällen, meistens, wenn sich die Liebwächter in einer
lebensbedrohlichen Situation verteidigen müssen, oder versuchen andere Menschen
zu retten, können sie auch zum Köpfen von Leuten eingesetzt werden.“
Ich schauderte und warf der Frau einen
beeindruckten Blick zu. Sie und der Magier waren die einzigen Personen, die ich
in dem Chaos, zu dem das Wohnzimmer mutiert war, ohne Schwierigkeiten entdecken
konnte. Alle Menschen machten ihr und ihrem Gefangenen ehrfürchtig Platz.
Kurze Zeit später kam die versprochene
Verstärkung. Eine Gruppe Liebwächter und Boyguards stürzten in den Raum.
Nachdem sie sich versichert hatten, dass die Gefahr gebannt war, halfen sie
dabei alle Leute zu evakuieren. Draußen auf der Straße wurden die Namen
aufgenommen und dann die Menschen nach Hause geschickt, oder ihnen
psychologische Betreuung angeboten, je nachdem wie lange sie als Lieder
verbracht hatten und wie sehr sie davon mitgenommen zu sein schienen.
„Brauchen Sie psychologische Betreuung?“, fragte
auch mich ein Polizist, nachdem er sich meine Personalien notiert hatte.
„Nicht wirklich. Ich war kein Lied. Und mir
sind schon einige Sachen passiert, die wesentlich verrückter waren als das
hier.“
So ganz schien er mir das nicht abzunehmen,
doch da hinter mir noch ein Dutzend andere Leute warteten, ließ er mich
passieren. Freundschaf war in der Menge von Leuten dank seines weißen Felles
auch gut zu erkennen. Blue stand direkt daneben und ich überraschte ihn damit,
dass ich auch ihm um den Hals fiel.
„Als Mensch bist du mir definitiv lieber.
Obwohl die ersten Takte deines Rocksongs nicht schlecht klangen“, meinte
ich nur.
Die Liebwächterin, die mich vor der Stimme
gerettet hatte, kam zu uns sobald sich unsere Gruppe versammelt hatte.
„Würdet ihr vielleicht eine Aussage gegen ihn
machen?“ Sie deutete auf den Magier, der gerade in ein Auto verfrachtet wurde.
„Die meisten anderen Zeugen sind noch ein wenig durcheinander, nachdem sie bis
zu zwei Jahre lang Lieder gewesen sind.“
Zwei Jahre? Kein Wunder, dass einige von
denen psychologische Betreuung brauchten.
„Kein Problem“, sagte ich sofort. „Alles, um
dem Kerl das Handwerk zu legen. Ich will nicht, dass der jemals wieder Leute in
irgendwas verwandelt.“
Die anderen schienen das ähnlich zu sehen. Sogar
Freundschaf ließ ein zustimmendes „Mäh!“ hören, auch wenn ich bezweifelte, dass
seine Aussage von großem Wert sein würde. Was mich wieder einmal überraschte
war wie fluchsicher unser Schaf war.
Die Augen der Liebwächterin leuchteten
schief. „Gut. Ich nämlich auch nicht“, sagte sie mit einem verschmitzten
Grinsen und funkenden Augen.
Funkende Augen? Tatsächlich schienen ihre
Augen Signale in Morse-Code zu versenden. Ihr Lächeln wurde noch breiter als
sie meinen verwirrten Blick sah.
„Ihr seid nicht die einzigen, die sich mit
einem Fluch herumschlagen mussten. Aber meiner stört mich immerhin nicht
besonders. Manchmal ist es ganz praktisch seinen Kollegen bei Bedarf eine
Nachricht zufunken zu können.“
Sie zwinkerte und verschwand in der Menge,
vermutlich, um noch mehr Leute zu fragen, ob sie gegen den Magier aussagen
würden.
„Das war ja mal ein Reinfall“, fasste Blue
unser eben erlebtes Abenteuer zusammen.
Allerdings. Nicht nur, dass wir uns beinahe
alle für immer in Lieder verwandelt hätten – obwohl ich ein wenig neugierig
war, was ich, Phoenix und Hannes für Lieder geworden wären – wir hatten nicht
einmal die Einziege gefunden. Alles war umsonst gewesen.
*Lukarius schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und entschuldigt sich tausendfach für seinen Verschreiber* Tut mir leid das du deswegen so einen Ärger hattest... aber du hast es echt super gelöst!
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