Ein lautes Geräusch riss mich aus dem Schlaf.
Zuerst dachte ich es wäre nur ein lauter Schnarcher meiner Oma gewesen, oder
dass ich gegen unseren Nackttisch gestoßen war und etwas auf den Boden
befördert hatte. Als das Geräusch jedoch erneut erklang, wurde mir jedoch klar, dass
es vom Fenster kam.
Was zum Teufel…?
Meine nackten Füße waren kalt sobald sie den
Boden berührten. Dass ich nur meinen Schlafanzug trug, half auch nicht gerade. Meine
Oma schien nichts gehört zu haben, denn sie schnarchte weiter vor sich hin.
Wieder klopfte es an meinem Fenster. Wir
waren hier im ersten Stock. Es war… ich sah auf die Uhr und stöhnte. Es war
drei Uhr morgens. Ich war müde. Ich wollte schlafen. Falls das Blue war, der
nur noch mit einer Hand an meinem Fenstersims hing und mir irgendeine
Liebesballade vortragen wollte, würde ich kein Problem damit haben ihn nach
unten stürzen zu lassen.
Beim nächsten Klopfen wäre ich beinahe
ausgerastet und hätte meine Oma geweckt. Stattdessen stieß ich das Fenster auf
und sah nach draußen. Es war tatsächlich Blue, auch wenn er
nicht an meinem Fenstersims hing. Stattdessen stand er auf der kleinen
Rasenfläche unter meinem Fenster und warf Steinchen gegen die Scheibe. Ich
glaube er hatte zu viele Filme gesehen. Glücklicherweise sah er früh genug,
dass ich endlich reagiert hatte und so wurde es mir erspart einen Stein ins
Gesicht zu bekommen.
„Blue! Was zum Teufel tust du hier?“, zischte
ich.
Ich versuchte immer noch meine Oma nicht
aufzuwecken. Gleichzeitig wollte ich ihn loswerden und da ignorieren vermutlich
nur mit größeren Steinen enden würde, ließ ich das lieber bleiben. Nachher
machte er noch die Scheibe kaputt.
„Hallo“, sagte Blue und versuchte lässig und
aufgeregt zu wirken. Vielleicht wollte er gleichzeitig cool erscheinen, aber
mir den Eindruck geben, dass das hier eine große Überwindung für ihn war.
Vielleicht war es das. Vielleicht auch nicht.
Wenn ich bedachte mit wievielen Mädchen er schon geflirtet hatte, vermutete ich
eher, dass es auf Letzteres hinauslief.
„Geh wieder ins Bett, Blue. Es ist drei Uhr
morgens. Ich will schlafen. Morgen werden wir weiter nach der Einziege suchen
und es wird vermutlich ein anstrengender Tag.“
Ich war im Begriff das Fenster zu schließen,
doch er rührte sich nicht von der Stelle.
„Verstehst du das nicht? Das ist alles nur
wegen des bescheuerten Liebestrankes. Was du fühlst ist künstlich. Keine
richtige Liebe. Keine richtige Lust. Alles nur Liebestrank. Geh ins Bett.“
"Das darfst du nicht sagen! Es ist eine
Ehre, keine Lust!", rief er zu mir hinauf.
Wie schade, dass er im Dunkeln nicht sehen
konnte wie ich die Augen verdrehte. Allein der Satz war genug, um dafür zu
sorgen, dass ich am liebsten meinen Kopf gegen die Fensterbank gehauen hätte,
nur um ihn für immer aus meinem Gedächtnis zu streichen.
„Hör mal…“
Meinen Satz brachte ich nicht zu Ende, denn Blue
zog einen Rocksack hervor. Oh je. Ich ahnte Schreckliches.
„Ich
bin den ganzen Tag in Romantika herumgelaufen und habe nach dem perfekten
Instrument gesucht, um dich zu beeindrucken. Es hat einer versucht mir einen
Rocksack anzudrehen. Ich wusste nicht, ob du Rock magst, aber ich habe ihn
trotzdem mitgenommen…“
„Meinst du wirklich nach der Sache mit dem
Magier, der mich mit der Stimme meiner eigenen Oma angegriffen hat, bin ich
besonders scharf auf Musik?“
„Warum nicht? Wir sind immerhin in Romantika!
Die Stadt der Liebe und der Musik!“
Jap. Er stand definitiv noch unter dem
Einfluss des Tranks. Normalerweise würde Blue das Wort Liebe vermutlich nur mit
eine Zange anfassen.
„Wir sind zwar in Romantika, aber es ist auch
mitten in der Nacht. Es gibt Leute, die schlafen wollen.“
Ja, ich zum Beispiel. Und meine Oma. Und so
ziemlich jedes andere Lebewesen, das sich in dieser Straße befand.
Blue ließ sich jedoch nicht beirren, sondern
zog eine Gitarre aus dem Rocksack. „Die ist an einem Gitarrenriff gewachsen“,
erklärte er mir. „Die sind sehr seltsam.“
Konnte der etwa Gitarre spielen? Ich hatte
damit gerechnet, dass er vielleicht einen Song auf seinem Handy abspielen
würde. Langsam wurde ich wirklich nervös. Außerdem bekam ich das Bild von
Gitarren, die unter Wasser an einem Riff korallenartig vor sich hin wucherten,
während sie von Fischen umschwommen wurden, nicht mehr aus dem Kopf.
Die ersten Akkorde waren noch recht leise,
doch Blue schien immer mehr Gefallen an seinem Ständchen zu finden und wurde
lauter und lauter. In einem Nachbarhaus ging in der zweiten Etage ein Licht an.
„Blue“, zischte ich wieder. „Du wirst Ärger
bekommen!“
So sehr er mir auch auf den Geist ging, dass
er von den Liebwächtern wegen Ruhestörung abgeführt wurde, wollte ich auch
nicht. Wir brauchten ihn, um die Verwandtschaf von Freundschaf zu finden.
Außerdem würde er sich in spätestens drei Tagen ziemlich über sein Verhalten
ärgern.
„Eher nicht so deins? Dann vielleicht das
hier.“
Statt endlich aufzuhören, stimmte er „Sag mir
quando, sag mir wann“ an und begann auch noch dazu zu singen. Ich musste
zugeben, dass sein Gitarrenspiel nicht schlecht war, aber seine
Singerei war einfach nur grauenhaft. In einem weiteren Haus wurde das Licht
angeschaltet und irgendjemand brüllte aus einem Fenster „hör endlich auf mit
dem Krach!“. Ich meinte einen Schatten im erleuchteten Fenster erkennen zu
können, der wütend mit den Armen fuchtelte.
„Blue!“, schrie ich.
Das Schnarchen meiner Oma setzte aus und
kurze Zeit später hörte ich wie sie aufstand und zum Fenster kam. Unter uns
ließ sich Blue immer noch nicht von den mittlerweile vielen wütenden Menschen
unterbrechen, sondern sang munter weiter.
„Mia, was ist denn hier los?“, fragte meine
Oma.
Sie griff nach einer Strickjacke, die auf der
Kommode des Zimmer lag, und hängte sie sich um die Schultern. In ihrem
Nachthemd konnte ihr auch nicht gerade warm sein.
„Blue“, stöhnte ich nur.
Sie warf einen Blick aus dem Fenster. Dann
lehnte sie sich noch weiter vor, als könnte sie nicht ganz glauben, was sie
sah. „Was genau macht er da?“
„Singen“, stöhnte ich. „Und er hört einfach
nicht auf, egal was ich ihm sage.“
Blue stimmte unterdessen die nächste Strophe
von „Sag mir Quando, sag mir wann“ an und die wütenden Stimmen der Nachbarn
wurden immer lauter. Das bedeutete noch mehr Leute wachten auf, von dem ganzen
Singen und Schreien… wir würden uns in dieser Nachbarschaft nie wieder sehen
lassen können. Etwas bewegte sich am anderen Ende der Straße.
„Oh nein.“
Auch meine Oma seufzte. „Da hat wohl jemand den
Polizeirotnuf getätigt – rot für Liebesalarm.“ Dann kamen solche Szenen in Romantika wohl häufiger vor.
Ein Polizeiauto bog in die Straße ein und
hielt vor unserem Hotel. Ich erkannte die Uniformen der Liebwächter, die
zielstrebig auf Blue zugingen. Der hörte trotzdem noch nicht auf zu spielen.
Erst als ihm einer der Liebwächter die Gitarre aus der Hand nahm, sah er auf.
„Oh“, meinte auch er.
„Was ist mit dem los?“, rief er zu mir hoch.
Ganz richtig hatte er erkannt, dass dieses
kleine Ständchen anscheinend mir galt. Am liebsten wäre ich im Erdboden
versunken.
„Er hat aus Versehen einen Liebestrank
erwischt!“, rief meine Oma nach unten.
Die Liebwächter nickten wissen. Sie schienen nicht überrascht zu sein und ich fragte mich langsam, ob das wirklich zu ihrem Alltag gehörte.
„Liebeskrank also“, meinte sein Partner. „Wir
nehmen ihn mit auf die Wache!“, rief er zu Oma und mir hinauf. „Da kommt er in
eine Ausnüchterungszelle. Holt ihn morgen früh wieder ab.“
Ich sagte ihnen besser nicht, dass sie ihn
für etwa drei Tage in eine Zelle packen müssten, wenn sie verhindern wollten,
dass so etwas noch einmal vorkam. Ein Teil von mir war drauf und dran sie darum
zu bitten. Dann erinnerte ich mich daran, dass er nichts für sein Benehmen
konnte. Naja, vielleicht konnte er etwas dafür, dass er so ein Fresssack war,
aber unter meinem Fenster singen würde er normalerweise nicht.
„Machen wir!“, erklärte meine Oma schon.
Die Nachbarn zogen sich grummelnd in ihre
Häuser zurück, während Blue in da Polizeiauto verfrachtet wurde. Fast tat er
mir leid – aber nur fast. Ich hatte nämlich immer noch „Sag mir quando, sag mir
wann“ im Kopf und hatte das unbestimmte Gefühl, dass ich diese Szene meinen
Lebtag nicht vergessen würde.
Ach herrlich, ich musste die ganze Szene über so breit grinsen... nicht zuletzt wegen der Geschichte hinter diesem Kapitel.
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