Montag, 30. November 2015

30. Kapitel



Heinrich runzelte die Stirn, als er den zerfransten Teppich sah, den man uns als Ersatz geschickt hatte. Er zupfte lustlos an einigen Fasern, die aus dem Muster herausragten und seufzte dann.
„Ich vermisse meinen Teppich.“
Bis eben hatte ich noch nicht gewusst, dass jeder Fakir einem Teppich zugeordnet war und meistens den gleichen flog. Kein Wunder also, dass er sich ungern von dem nun in einem Dorfteich versunkenen Bunny-Teppich trennte, vor allem weil ihm stattdessen das mottenzerfressene Ding hier vorgesetzt wurde.
Blue stöhnte aus einem anderen Grund, denn das Teil war rosa. „Ich kann die Farbe nicht mehr sehen“, meinte er. „Warum ist hier alles rosa?“
Immerhin schien der Liebestrank seine Vorliebe für Farben nicht zu beeinflussen. Einen Blue, der in rosa Klamotten herumlief, konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Obwohl das ja angeblich die Farbe der Liebe sein sollte. Oder war das doch eher rot?
Ganz von der Romantik abgelassen hatte er jedoch immer noch nicht. Zum Frühstück hatte ich eine rote Rose an meinem Platz vorgefunden. Als ich mich dafür bei Blue bedankt hatte – hey, immerhin war das besser als ein Mitternachtsständchen! – war er tatsächlich rot geworden, was zugegebenerweise ein wenig niedlich war.
„Hier ist dein komisches Zeigedingens“, meinte er und drückte mir den Zeigefinder in die Hand, der an einer der Schlaufen befestigt gewesen war.
Die nächste Überraschung für mich war gewesen, dass der Teppich alleine gekommen war. Kein Fakir hatte darauf gesessen. Heinrich hatte mich daran erinnert, dass der Fakir sonst statt uns hier festsitzen würde und das nicht viel Sinn machte. Von der Seite aus betrachtet hatte er natürlich Recht. Allerdings war ich überrascht gewesen, dass die Teppiche eine Autopiloten-Funktion hatten.
Den beim „Personenferkehr“ zu benutzen war zwar laut Heinrich verboten, aber so konnte man immerhin Ersatzteppiche zu verschiedenen Fakiren im ganzen NaNo-Land schicken.
„Ich fürchte ich muss das Ding erstmal entstauben“, meinte er nun. „Der hätte schon vor geraumer Zeit eine Generalüberholung nötig gehabt. Vermutlich haben sie den aus dem hintersten Lager gezogen…“, grummelte er.
„Wann können wir los?“ Phoenix zog Freundschaf zurück, das begonnen hatte an einer der sowieso lose aussehenden Fransen zu knabbern.
„Irgendwann heute Nachmittag, wenn alles glatt läuft.“
Je nachdem wo uns der Zeigefinder hinführen würde, könnte das ein Desaster werden.
„Dann auf geht’s! Nutzen wir die Zeit!“ Noch eine Sache, die sich an Blue verändert hatte, war dass er seltsam enthusiastisch geworden war.
Vermutlich war das der Fluch von Wolke Sieben. Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Die Verkäuferin hatte uns bereits gewarnt, dass er am ersten Tag, nachdem der Trank abgeklungen war, ziemlich mies drauf sein würde. Vom Hals über Kopf verliebt sein zu peinlich berührt sein überzugehen, hatte sie gemeint, war kein schönes Gefühl.
„Dann auf geht’s.“ Solange er noch enthusiastisch war, mussten wir das nutzen.
Vorsichtshalber nahmen wir uns ein wenig Proviant mit und machten uns dann auf den Weg. Ich hatte den Zeigefinder auf meiner Schulter angebunden, direkt neben Hannes, der von uns allen mit dem Teil am besten umgehen konnte. Als erstes probierte er einzugeben, dass wir die Verwandtschaf von Freundschaf finden wollten. Wie erwartet zeigte das Gerät nur 404-not found in großen Leuchtbuchstaben an. Soweit keine Überraschung.
Als er jedoch eingab, dass wir zur Einziege geführt werden wollten, begann die Nadel sich zu drehen und deutete in eine Richtung. Das war ein Anfang. Zwar wussten wir nicht wie weit entfernt das war, wohin er uns führen würde, aber zumindest rannten wir nicht mehr kopflos durch Romantika.
„Auf geht’s!“ Blue marschierte resolut vorne weg.
Meine Oma hob fragend eine Augenbraue. „Was ist denn in den gefahren?“
„Ein Liebestrank, falls du das noch nicht bemerkt hast“, grummelte ich nur. „Ein Glück, dass das in zwei Tagen vorbei ist.“
Wobei… ein wenig nett war es schon. Blue war wesentlich besser gelaunt, zumindest, wenn ich ihm ein wenig Aufmerksamkeit schenkte. Nervig wurde er nur, wenn ich ihn vollkommen ignorierte und macht dann irgendwas Blödes, um meine Gedanken wieder auf ihn zu richten. Eigentlich nicht dumm. Nur eben nervig. Es sei denn er brachte mir Rosen.
„Folgen wir ihm einfach – und pfeifen ihn zurück falls er in die falsche Richtung marschiert“, flüsterte Hannes mir zu.
So setzten wir uns in Bewegung. Unsere Prozession erregte, wie auch schon die Tage zuvor, ein wenig Aufruhr wohin auch immer wir gingen. Drei Menschen, ein Zombie, ein Schaf und ein Frosch. Außerdem war Freundschafs Fell immer noch zur Hälfte weiß und zur Hälfte grau. Wir würden es scheren müssen, um die verkokelte Wolle loszuwerden und ihm ein halbwegs normales Aussehen zu verschaffen. Allerdings wurde es bald Winter und vielleicht war es keine so gute Idee ihm sein ganzes Fell zu nehmen.
Für jetzt schien es sich an seiner grauen Wolle nicht zu stören, also beließen wir es dabei. Was der Friseur, bei dem ich gewesen war, dazu sagen würde, wollte ich gar nicht wissen. Andererseits konnte der mir sowieso gestohlen bleiben.
Bald schon kamen wir an der Stadtmauer von Romantika an. Das letzte Mal waren wir noch zu sehr damit beschäftigt gewesen, dass wir den Tag zuvor beinahe gestorben waren, also hatten wir die Mauer nicht ausreichend bewundert. Außerdem war ich ein wenig von den Geheimgängen abgelenkt gewesen. Ich musste sagen, dass das alles schon beeindruckend aussah.
Ganz Romantika war von einer Mauer umgeben, richtig mit Wehrgängen und Zinnen. Auch ein paar Wehrgänse tummelten sich auf den Wiesen vor der Stadt, aber das war vermutlich eher eine alte Tradition, als Notwendigkeit. Wer würde schon auf die Idee kommen die Stadt der Liebe und der Erotik anzugreifen?
Weiter und weiter marschierten wir, bis die Mauern von Romantika nur noch in der Ferne zu sehen waren. Was würden wir tun, wenn wir weiterliefen und liefen und nicht ans Ziel kamen? Unverrichteter Dinge wieder umdrehen und das Ganze mit dem fliegenden Teppich noch einmal versuchen? Sofern Heinrich den wieder auf Vordermann bekam, natürlich. Obwohl… zumindest fliegen konnte er, immerhin war er irgendwie hierher gekommen.
„Hey, ich glaube ich sehe was. Da ganz vorne…“
Blue hatte seine Schritte beschleunigt. Tatsächlich konnte ich eine seltsame Konstruktion in einiger Entfernung erkennen.
„Warte doch auf uns!“, beschwerte ich mich.
„Der will nur Eindruck bei dir schinden“, flüsterte Hannes mir zu. „Dir zeigen wie mutig er ist. Glaub mir, gerade würde er nichts lieber tun als irgendein Monster bekämpfen.“
Dann mussten wir wohl hoffen, dass wir nicht auf Monster trafen. Blue gleichzeitig im Liebesrausch und im Kampfrausch konnte nicht gut gehen. Bisher sah es allerdings eher aus, als hätte jemand eine notdürftig errichtete Hütte am Wegesrand aufgestellt.
Je näher wir kamen, desto seltsamer sah das Gebilde allerdings aus. Es schien mehr als wäre es ein überdimensionales Plumpsklo, sogar mit ausgeschnittenem Herzchen an der Eingangstür.
„Mia, da tut sich was“, sagte Hannes plötzlich.
Ich schielte auf meine Schulter und sah, dass sich die Nadel des Zeigefinders ununterbrochen drehte. Zusätzlich blinkte das Ding unaufhörlich.
„Ernsthaft? Dahin wollte uns das Teil führen?“
Naja, die gute Nachricht war dann wohl, dass wir nicht für immer ins Nichts laufen würden.
„NEIN! Nein, das darf nicht wahr sein!“
Ich griff automatisch nach meinem Bogen. Was auch immer Blue so aufregte, musste schrecklich sein. Er war derjenige, der normalerweise am wenigsten die Nerven verlor. Außer wenn er gerade in mich verliebt war, vielleicht.
„Neeeeeein!!!“
„Blue, was zum Teufel ist los?“, rief ich ihm zu.
Wir alle gingen schneller, um ihm notfalls zu Hilfe eilen zu können. Meine Oma hatte ihren Starb fester gepackt und eine ernste Miene aufgesetzt. Phoenix sah einfach nur entschlossen aus. Vermutlich war sie als Zombie sowieso stärker als die meisten Gegner, denen wir bisher begegnet waren. Wir hätten sie bestimmt gebrauchen können, als meine Oma von dem Vampirschaf geschluckt worden war.
„Alles nur nicht das“, murmelte er weiter vor sich hin und starrte mit schreckensweiten Augen auf das Klohäuschen.
„Blue!“, schrie ich ihn an und er drehte sich endlich zu mir um. „Klartext bitte!“
„Das ist ein Schißstand“, meinte er nur.
Ich ließ den Bogen los und begann zu lachen. „Ist das alles? Das ist eine seltsame Beschreibung für ein Plumpsklo, aber wir haben nun wirklich Seltsameres gesehen.“
„Mia, du verstehst nicht ganz.“
Mittlerweile waren wir nah genug bei ihm, dass er mich zu ihm ziehen konnte, um auf ein Schild an der Tür des Schißstandes zu deuten. Sobald ich auch nur einen Blick darauf geworfen hatte, wusste ich warum er so einen Aufstand gemacht hatte und stöhnte ebenfalls auf.
„Nein! Das darf nicht wahr sein!“
„Doch“, nickte Blue und deutete auf das Bild der goldenen Kloppbürste, die auf dem Poster abgebildet war.
Wir beide sprangen erschrocken zurück als mit einem Knarren die Tür nach innen wegklappte. Das Holz knarzte und zeterte, während sich der ganze Schißstand auseinanderzuklappen schien. Eine Theke erschien vor uns, hinter der ein lächelnder Mann in bunten Klamotten stand.
„Willkommen beim Schißstand!“, verkündete er. „Ich freue mich Sie hier begrüßen zu dürfen. Wollen Sie Ihr Glück versuchen?“
„Dieses Ding hätte nie wieder das Tageslicht sehen dürfen“, seufzte Blue.
Langsam dämmerte mir was uns bevorstand. Ich sah die Zielscheiben, die im hinteren Teil des Schißstandes angebracht waren. Ein leicht süßlicher Geruch nach Zitronen und Desinfektionsmittel waberte aus dem hölzernen Häuschen hervor.
Auf der anderen Seite der Konstruktion hingen ein paar zerfleddert aussehende Kuscheltiere. Eins davon fiel mir ins Auge, als Freundschaf meine Hand anstupste und ein mitleiderregendes „Mäh!“ von sich gab. Hinter einem schmuddeligen Pandabären und direkt neben einer orangenen Eule war eine recht lebensecht aussehende Ziege ausgestellt. Freundschaf stupste mich erneut an und ich fuhr im beruhigend durch die versengte Wolle.
„Was müssen wir tun, um die da zu gewinnen?“, fragte ich den Mann.
Blue sah mich entgeistert an, genau wie der Rest der Truppe. Wenn ich mit meinen zwei Vermutungen richtig lag, hatte uns der Zeigefinder aus gutem Grund hierher geführt. Das dort könnte die Einziege sein – oder auch ein ganz normales, ausgestopftes Kuscheltier. Freundschafs Reaktion ließ allerdings Zweifel an letzterer Theorie aufkommen. Meine zweite Vermutung war, dass es sich hier um einen Schießstand mit… speziellen Waffen handelte. Was bedeutete, dass wir die Ziege gewinnen mussten.
„Die da? Fünfzig Schuss“, meinte der Mann.
Na das konnte heiter werden.

1 Kommentar: