Sonntag, 29. November 2015

29. Kapitel



Hannes konnte sich vor Lachen nicht mehr halten, als wir ihm beim Frühstück erzählten was mit Blue passiert war. Es war ein Wunder, dass er einfach weitergeschlafen hatte und von dem ganzen Lärm nicht aufgewacht war. Seine gerechte Strafe für den Lachanfall hatte er auch schon bekommen, denn er hatte sich deshalb beinahe an einer Fliege verschluckt.
Ich selbst rutschte nur auf meinem Stuhl hin und her und rührte den Toast mit Nutella, der vor mir auf dem Tisch stand, kaum an. Einerseits wollte ich Blue so schnell wie möglich von den Liebwächtern abholen. Eingesperrt zu sein hatte er, trotz seiner schlechten Singstimmte, wirklich nicht verdient. Andererseits würde er dann vielleicht wieder anfangen mich mit Liebesliedern vollzudröhnen…
Die Entscheidung wurde mir abgenommen, als die Wirtin zu uns an den Tisch kam und mir eine Erdbeermeldung auf den Teller legte.
„Was zum Teufel ist das?“
Ich stupste ein paar der Erdbeeren, die sich in dem kleinen Korb befanden, misstrauisch mit einem Finger an. Erst dann sah ich den Zipfel Papier, der an einer Ecke hervorlugte. Er hatte dieselbe Farbe wie die Erdbeeren, weshalb ich ihn beinahe übersehen hatte.
Meine Oma hatte angefangen zu grinsen und Hannes hatte sich schon wieder an einer Fliege verschluckt. Dann hatte die Erdbeermeldung wohl etwas mit Blue zu tun.
„Die werden von den Liebwächtern in Auftrag gegeben, wenn ein Kavalier festgenommen wurde, der unter dem Fenster einer Dame gesungen hat“, erklärte meine Oma. „Als kleine Entschädigung dafür, dass sie eventuell einen sehr romantischen Moment unterbrochen haben.“
„Gah! Diese drei Tage können gar nicht schnell genug rum sein!“, zischte ich und zog das Stück Papier aus den Erdbeeren.
Es war ein bisschen durchgeweicht (ein paar Erdbeeren hatten die Sendung wohl nicht ganz unbeschadet überstanden), aber ich konnte trotzdem lesen, was darauf stand. Sie fragten höflich, ob ich Blue abholen kommen wollte.
„Normalerweise wird es als Liebeserklärung gesehen, wenn man wirklich hingeht und die betroffene Person abholt“, meinte Hannes, der es mittlerweile geschafft hatte die Fliege zu schlucken.
Na super. „Dann kann ich ja einfach dich hinschicken“, meinte ich nur.
Er verzog das Gesicht und widmete sich wieder seinen Fliegen. Recht so. Ich würde nämlich keinen Freund auf einer Polizeistation zurücklassen, egal wie sehr er es vielleicht verdient hatte. Der Typ Mensch war ich nicht. Und wenn die ganze Welt dachte, dass ich in ihn verliebt war, was scherte es mich? Sobald der Liebestrank seine Wirkung verlor, würde er sowieso tausend Mal peinlicher berührt sein als ich.
Mein Appetit war auf einmal zurückgekehrt und ich widmete mich meinem Frühstück. Erstaunlicherweise schmeckte Nutellatoast mit Erdbeeren ziemlich gut.
Sobald wir fertig waren, stand ich auf. „Auf geht’s!“
„Wohin?“, fragte Hannes.
„Na unseren Minnesänger holen, du Froschkopf. Wir müssen eine Einziege suchen, schon vergessen? Und so verlockend es auch ist ihn eine Weile im Gefängnis zu lassen, das wäre nicht fair. Oder?“
Er grummelte etwas, das ich nicht verstand, hüpfte aber auf meine Schulter. Das bedeutete dann wohl er war mit dem Lauf der Dinge einverstanden. Auch meine Oma und Phoenix erhoben sich und Freundschaf stand sowieso schon erwartungsvoll neben unserem Tisch.
Dieses Mal nahmen wir einfach ein Taxi – das Gesicht des Fahrers, als er unsere Truppe sah, war göttlich – und standen kurze Zeit später vor der Liebwächterwachstation. Als ich die Erdbeermeldung vorzeigte, begann der Liebwächter am Schalter sofort zu grinsen und ließ unsere Gruppe passieren. Sollte er doch denken was er wollte.
Schon von Weitem hörte ich Blues schräge Stimme durch die Flure hallen. Oh je. Hatte der immer noch nicht aufgehört zu singen? Immerhin hatte er mittlerweile das Lied gewechselt und schmetterte nun „Oh sole mio“. Die meisten Liebwächter, die uns über den Weg liefen, sahen eher genervt aus.
Dank Blues erneuter Gesangseinlage musste uns niemand den Weg zeigen und kurze Zeit später standen wir vor einer Zelle. Auf einer harten Bratsche lag Blue und sang. Wer hätte gedacht, dass die Liebwächter so eine Art von Humor an den Tag legen würden? Musikinstrumente als Betten in den Zellen derjenigen, die sich als Minnesänger versucht hatten… das war mal eine Idee.
Das einzig Gute, was über die Situation zu sagen war, war dass er sofort aufhörte, als er mich vor der Gittertür stehen sah. „Mia! Ich wusste, dass du kommen würdest!“
„Bilde dir bloß nichts darauf ein, du Vollpfosten. Ob du es glaubst oder nicht“ Ich hatte das Gefühl, dass er es vermutlich nicht glauben würde „Ich bin nur als Freund hier. Wir müssen die Verwandtschaf von Freundschaf finden und du kommst aus der Sache nicht raus, nur weil du einen dämlichen Liebestrank getrunken hast“, drohte ich ihm.
Er zuckte nur mit den Schultern und grinste über das ganze Gesicht. Jap, er glaubte mir nicht. „Ich bin nur froh, dass meine Interbrettation endlich vorbei ist.“
Ich würde nicht einmal nachfragen was das war. Vermutlich würde er das nur nutzen, um ein neues Lied anzustimmen und darauf konnten wir alle verzichten. Ein Liebwächter schien das ähnlich zu sehen, denn er warf mir einen dankbaren Blick zu und schloss dann Blues Zelle auf. Der schnappte sich seine Gitarre und folgte uns nach draußen.
„Oh sole…“
Ich fauchte ihn nur wütend an und er ließ die Gitarre sinken. „Wenn du nicht willst, dass ich dich die nächsten drei Tage vollkommen ignoriere, dann singst du kein einziges Wort.“
Er sah leicht beleidigt aus, fing sich aber recht schnell wieder. Mmh… war das vielleicht ein Mittel gegen den Liebestrank? Ihn so beleidigen, dass er wütend auf mich war und mich den Rest der drei Tage in Ruhe ließ? Nee, lieber nicht. Sobald die Wirkung des Trankes verflog, würde er mich dann vermutlich hassen.
„Ich habe Hunger“, beschwerte er sich.
Immerhin konnte er auch an etwas anderes als mich denken, selbst wenn es Essen war. Das nahm ich mal als gutes Zeichen. Phoenix kannte eine kleine Bäckerei in der Nähe und so fanden wir uns kurz nach unserem Frühstück mitten in einem Brunch wieder.
Blue hatte zwar aufgehört zu singen und seine Gitarre vorsichtshalber an Phoenix abgegeben, aber er war immer noch eindeutig verwirrt. Er konnte seine Augen nicht von mir nehmen und ich ertappte ihn bei dem Versuch, die Gabel mit der Suppe zu essen. Das konnten lange zwei Tage werden.
Zum Glück waren wir den Rest des Tages so abgelenkt, dass sogar Blue seine Verliebtheit fast vergaß. Wir durchkämmten ganz Romantika, fragten tausende von Leuten, klapperten alle Orte ab, an denen auch nur im Entferntesten Musik gespielt wurde – obwohl wir Blue meistens draußen stehen ließen damit er keinen Rückfall bekam – aber von der Einziege gab es keine Spur. Sie schien genauso vom Erdboden verschluckt zu sein wie die Verwandtschaf von Freundschaf.
„Bitte“, meinte Blue als wir durch den hundertsten Park liefen. „Wir müssen eine Posaune einlegen.“
„Eine was?“ Ich sah ihn entgeistert an. Wenn er jetzt irgendwo eine Posaune herbekam und wieder mit einem Lied anfing, konnte ich für nichts garantieren.
Er deutete jedoch auf einen posaunenförmigen Sitz, der sich unter einem Baum befand. Puh. Glück gehabt.
„Und ich dachte du wärst der Sportliche von uns“, meinte ich nur.
Vielleicht beeinflusste der Liebestrank auch die körperliche Fitness. Ich hatte noch nie einen genommen, also konnte ich das nicht beurteilen. Wenn man allerdings so viel Energie darauf verwendete jemand anderem nachzuweinen, konnte ich mir gut vorstellen, dass das auch den Rest deines Lebens beeinflusste.
„Ich glaube ehrlich gesagt nicht mehr, dass wir die Einziege hier finden werden“, meinte Hannes.
Ich gab es ungern zu, aber vermutlich hatte er Recht. Das hier war reine Zeitverschwendung. Während wir eine Nadel im Heuhaufen suchten, rückte der Tag immer näher, an dem die letzten Wachen in Streik treten würden. So hockten wir alle auf der Posaune und hingen unseren traurigen Gedanken über das Ende unserer Geschichten nach – als es mir wie Schuppen von den Augen fiel.
„Natürlich!“
Blue fiel vor lauter Schreck von der Posaune und Hannes konnte sich gerade noch an einer meiner Haarsträhnen festhalten bevor ihn das gleiche Schicksal ereilte.
„Was? Jag mir doch nicht so einen Schrecken ein!“, beschwerte sich meine Oma.
„Du hattest eine Idee, oder?“, meinte Blue. „So siehst du immer aus, wenn du eine von deinen genialen verrückten Ideen hast. In sowas bist du echt gut.“
Den Schmalz überhörte ich mal, aber er hatte nicht ganz Unrecht. „Wir sind so blöd. Wir können es mit dem Zeigefinder versuchen! Der hat zwar eine hohe Fehlschlagquote, aber schlimmer als komplett ohne Richtungsangaben durch die Welt zu irren, kann es auch nicht sein.“
Hannes schlug sich tatsächlich mit einer seiner Froschhände vor die Stirn. „Klar. Warum bin ich da nicht drauf gekommen? Immerhin hat das Ding mal meinem Vater gehört. Vielleicht könnte man damit auch gleich die Verwandtschaf von Freundschaf finden!“
Ich schüttelte den Kopf. „Der Zeigefinder zeigt dir nie direkt was du suchst. Er zeigt es dir nur auf Umwegen. Also können wir vermutlich die Einziege finden, weil sie uns zu den Freundschafen führen wird, nicht aber die Freundschafe selbst.“ So viel zumindest hatte ich mittlerweile von dem Teufelsding verstanden.
„Aber Mia…“ Meine Oma war von der Posaune aufgestanden. „Den Zeigefinder hast du in Schreibstadt gelassen.“
Stimmt. Das war das einzige Problem an der Sachen.
„Das sollte kein Problem sein“, wandte Phoenix ein. „Heinrich hat einen neuen Teppich beantragt, der morgen ankommen sollte. Wir können Mr. Ian Woon bitten den Zeigefinder aus eurer Wohnung holen zu lassen und wir bekommen ihn zusammen mit dem Teppich.“
„Keinen Teppich, bitte“, stöhnte Blue.
Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihm einen Kuss dafür versprechen sollte, dass er sich doch auf einen Teppich traute. Dann dachte ich daran, dass der Liebestrank vermutlich in zwei Tagen seine Wirkung verlieren würde (hoffentlich zumindest) und er sich dann vermutlich weniger darüber freuen würde als jetzt noch.
„Doch, ein Teppich. Du wirst dich wohl damit abfinden müssen“, sagte ich schließlich.
Er sah mich leidgeprüft an. Dann schien ihm jedoch aufzugehen, dass ich ihn zurücklassen würde, wenn er nicht auf das stieg, was er so gerne "Teufelsding" nannte. Er verzog den Mund, nickte jedoch. Da hatte der Liebestrank zumindest einen guten Nebeneffekt.
„Lasst uns zurückgehen“, meinte meine Oma. „Ehrlich gesagt könnte ich jetzt eine Posaune vertragen – oder, noch besser, mein Bett. Morgen sehen wir weiter.“
Da konnte ich ihr nicht widersprechen. Und ein Bett hörte sich gut an. Vor allem, wenn Blue sich diese Nacht nicht unter meinem Fenster mit einer Gitarre verkünsteln würde.

5 Kommentare:

  1. Mia und Hannes erinnern mich irgendwie an Rapunzel und Pascal... ich kann mir nicht helfen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Rapunzel und das Chamäleon? xD

      Löschen
    2. Ja genau ^^ Also jetzt nicht vom Charakter her vielleicht aber einfach wenn ich mir die Beiden so vorstelle <.<

      Löschen
    3. Mmh... vielleicht. Ich weiß noch nicht genau wo das mit den beiden hinführt, aber ich weiß, dass sie in Band 3 auf einer einsamen Insel landen. Das will ich sehen. xD

      Löschen
    4. Oh ja... das klingt noch nach ner Menge Spaß.

      Löschen