Freitag, 27. November 2015

27. Kapitel



Als es an der Tür zu meinem Hotelzimmer klopfte, sah ich zuerst durch den Türspion, um mich zu vergewissern, dass es sich nicht um Blue handelte. Ich hatte die letzte Stunde mit Kopfhörern verbracht, weil er alle paar Minuten geklopft hatte. Als ich die vermoderte Haut und die blutunterlaufenen Augen sah, seufzte ich erleichtert. Phoenix.
„Hat er aufgegeben?“, fragte ich und spähte vorsichtig durch einen Spalt in der Tür.
„Als ich ihn zuletzt gesehen habe, war er überglücklich, verführt aus der Situation herausgekommen zu sein“, meinte sie.
Ich stöhnte nur und ließ meinen Kopf gegen die Tür schlagen. Entgegen aller Erwartungen tat das weniger weh als man denken würde. Und es half ein wenig dabei das Stöhnen unter Kontrolle zu halten. Wenn ich gedacht hatte, dass Blue mir nie im Leben mehr auf die Nerven gehen konnte als in der Comedy-Gegend, hatte ich mich getäuscht. Ein Blue, der in mich verliebt war, war tausend Mal schlimmer. Vor allem, weil er nur wegen des bescheuerten Liebestranks in mich verliebt war.
„Aufgegeben hat er nicht“, fuhr Phoenix fort. „Aber er hat zumindest das Hotel verlassen.“
Ich war mir nicht sicher, ob mich das beruhigen sollte. Viel eher machte ich mir Sorgen, dass er irgendeinen Blödsinn anstellen würde. Wie zum Beispiel die Blumen im Stadtpark so arrangieren, dass sie wie mein Gesicht aussahen. Das zumindest hatte er mit den Törtchen versucht, die wir auf dem Rückweg aus einer Bäckerei geholt hatten.
„Mia.“ Phoenix schien ein wenig ernster zu werden. „Denk daran, dass er nichts dafür kann.“
„Und ob er was dafür kann! Wenn er nicht die nervige Angewohnheit hätte alles zu essen und trinken, was auch nur annähernd so aussieht als könnte man es verdauen, wäre das alles nicht passiert und Hannes wäre vielleicht ein Mensch!“
Die Verkäuferin hatte uns sofort erklärt, dass das der einzige Liebestrank dieser Art gewesen war. Sie hatte vorgeschlagen uns einen anderen, etwas schwächeren, zu verkaufen. Allerdings war sie sich selbst nicht sicher, ob das funktionieren könnte. Ich hatte noch einen weiteren Grund abzulehnen. Ein Liebesdreieck mit Hannes und Blue wäre das Letzte. Die Situation war auch so kompliziert und unangenehm genug.
Phoenix sah immer noch nachdenklich aus, ließ die Sache aber auf sich beruhen. „Mach dir lieber Sorgen um Hannes. Der Arme hat sich in seiner Schublade eingeschlossen, weil das mit seiner Werdung nichts geworden ist.“
Werdung, das hatte uns die Verkäuferin erklärt, war der allgemeine Ausdruck dafür eine verwunschene Person wieder in einen Menschen zu verwandeln – oder in was auch immer sie vorher gewesen war.
„Ich sehe mal nach ihm“, sagte ich sofort.
Mit Blue als Türwächter hatte ich mein Zimmer bisher nicht verlassen können. Hannes hätte es bestimmt nicht geholfen wenn ich mit dem verliebten Volltrottel im Schlepptau aufgetaucht wäre. Und Blue wäre eifersüchtig geworden. Nein, ich hatte warten müssen. Warum hatte ich dann trotzdem ein schlechtes Gewissen?
Phoenix machte sich wieder auf den Weg nach unten, vermutlich, um weiter mit meiner Oma zu quatschen. Die zwei hatten sich bei Kaffee und Kuchen zurückgezogen, um über das Buch zu sprechen, das Phoenix sich hier gekauft hatte.
„Ich sage Marga sie soll Blue aufhalten, wenn er wiederkommt, während ich dich vorwarne“, meinte sie und ich sah sie erleichtert an. „Allerdings musst du dich damit abfinden, dass er dich in den nächsten drei Tagen nicht in Ruhe lassen wird. Wir müssen immer noch die Einziege finden und du wirst keine große Hilfe sein, solange du dich den ganzen Tag in deinem Zimmer einschließt.“
„Wir könnten auch einfach Blue einschließen“, murmelte ich, doch Phoenix war schon außer Hörweite.
Die Tür zu Blues und Hannes‘ Zimmer war nicht abgeschlossen, also konnte ich einfach eintreten. Was allerdings abgeschlossen war, war die Schublade, in der Hannes übernachtete. Ihm musste es wirklich dreckig gehen, wenn er sich freiwillig in einem engen, dunklen Raum ohne Fenster und Tür einschloss. Wie genau er es geschafft hatte sich einzuschließen, war mir auch ein Rätsel, denn normalerweise funktionierte das bei Schubladen nur von außen…
„Hannes?“ Ich klopfte vorsichtig an die Schublade.
„Geh weg, Mia“, drang seine gedämpfte Stimme aus dem hölzernen Möbelstück.
„Du kannst dich nicht den Rest des Tages in einer Schublade einschließen“, meinte ich.
„Wieso? Du konntest dich doch auch in deinem Zimmer einschließen. Dann kann ich in meiner Schublade bleiben.“
„Ich muss mich vor Blue verstecken.“
„Ich will mich vor allen verstecken“, konterte er. "Fahr zur Hülle, Mia."
So wurde das nichts. Wenn er anfing mit obskuren Beleidigungen um sich zu werfen, würde ich ihn mit Logik nicht überreden können. Seine Stimme war zwar nur schwach zu hören, aber ich kannte ihn mittlerweile gut genug, um den Tonfall zu erkennen. Der schmollende, sture Hannes.
Also sah ich mich im Hotelzimmer nach etwas um, das mir helfen könnte. Als mein Blick auf den Notizblock fiel, der auf einem kleinen Tisch lag, musste ich unweigerlich grinsen.Eine Seite nach der anderen zog ich die Blätter heraus, riss sie in Streifen und knüllte sie so zusammen, dass sie zu kleinen Papierkugeln wurden. Dann schnappte ich mir einen Ast von der Vase mit Gestrüßß, die auf der Kommode stand und begann die Papierkügelchen durch das Schlüsselloch von Hannes‘ Schublade zu schieben.
„Was soll das werden, Mia?“ Sein Tonfall war von deprimiert zu wütend gewechselt.
„Ich hole dich aus deiner Schublade raus.“ Ein paar weitere Papierschnipsel fanden ihren Weg in sein Versteck und ich hörte wie etwas in der Schublade herumkroch, fluchte, als es sich den Kopf stieß, und dann begann eine Papierkugel zurück nach draußen zu schieben.
Aha, so wollte er das Spiel also spielen. Na dem würde ich einen Strich durch die Rechnung machen. Ich stopfte mehrere Papierkügelchen auf einmal ins Schlüsselloch und schob sie alle auf einen Schlag hinein. Hannes fluchte.
„Lass das! Wenn ich meine Ruhe haben will, warum lässt du mich nicht einfach?“
„Weil du mit deiner Zeit etwas Besseres anfangen kannst als in Selbstmitleid zu versinken. Egal was du denkst, du bist ein Teil dieser Gruppe und du bist wichtig. Wenn wir die Einziege und Freundschafs Verwandtschaf finden wollen, müssen alle mithelfen.“
Ich schob noch mehr Papier in die Schublade. Mehr Flüche folgten. Was dann folgte waren allerdings nicht noch mehr Beleidigungen, sondern ein Klick, als Hannes die Schublade aufschloss. Es hatten mehr Papierkugeln ihren Weg hinein gefunden als ich gedachte hatte. Ein bisschen sah es so aus, als wäre er eingeschneit.
„Blue und du habt mehr gemeinsam als du denkst. Ihr könnt beide unheimlich nervtötend sein.“
In dem Zusammenhang konnte ich ihm im Moment nicht widersprechen. Allerdings beschränkte ich mein nervig sein auf ein paarmal im Jahr und nicht, wie Blue, auf ein paarmal in der Stunde.
„Tut mir leid, dass es nicht funktioniert hat“, meinte ich. „Aber nachdem Blue den ersten Trank genommen hat, wollte ich nicht, dass wir zwei liebeskranke Vollidioten in unserer Gruppe haben“, versuchte ich ihm meinen Gedankengang zu erklären.
„Es hätte sowieso nicht funktioniert“, seufzte Hannes.
„Woher willst du das wissen? Der Trank scheint ziemlich stark zu sein, wenn man sich Blues Benehmen so anschaut. Wir können einfach wiederkommen, wenn wir Freundschafs Verwandtschaf gefunden haben und dann nehmen ich einen von den Tränken. Dann…“
„Nein“, unterbrach er mich. „Ich glaube nicht, dass es funktioniert hätte. Es müssen beide Personen ineinander verliebt sein und… ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich in dich verliebt bin.“
Diese Antwort hatte ich dann doch nicht erwartet. Ich wusste nicht genau wie ich mich nach der Aussage fühlte. Als er mir erzählt hatte, dass er mich mochte, war ich vor allem peinlich berührt gewesen. Ich wusste zwar ganz genau, dass ich die Gefühle nicht erwiderte, aber ich konnte nicht umhin mich ein wenig darüber zu freuen, dass jemand mich so sehr mochte. Jetzt war ich zwar einerseits erleichtert, dass ich mir keine Sorgen mehr machen musste ihm ungewollt auf die Froschfüße zu treten, aber andererseits war ich irgendwie traurig.
„Warum?“ Ich konnte mich nicht zurückhalten das zu fragen.
„Naja…“ Wenn ein Frosch mit den Schultern zuckte, sah das wirklich seltsam aus. „Ich glaube ich habe mir eingeredet, dass ich in dich verliebt bin. Vielleicht, weil du die Erste warst, die mich je wie einen normalen Menschen behandelt hat und nicht nur wie das Opfer eines Fluches. Du warst diejenige, die mich aus meinem Zimmer in der Burg bekommen hat.“
Er grinste bei der Erinnerung daran wie wir beide von verrückten Möbeln verfolgt worden waren. Zumindest musste ich unweigerlich daran denken und im Nachhinein war es wirklich eher komisch als erschreckend.
„Das scheinst du immer noch ziemlich gut zu können.“ Er schaute auf die mit Papierschnipseln gefüllte Schublade. „Und ich bin dir wirklich dankbar dafür, aber seit einiger Zeit…“
„Kein Problem“, unterbrach ich seinen inneren Monolog. „Gefühle ändern sich. Ob du je in mich verliebt warst oder nicht, ist mir egal, solange wir jetzt Freunde bleiben. Und irgendwann findest du jemanden, der dich zurückküssen kann.“
Hannes sah so aus, als würde er daran zweifeln. Ich war mir jedoch ziemlich sicher was das anging. Jetzt, wo er endlich das Schloss verlassen hatte und tatsächlich unter Menschen kam, musste einfach jemand dabei sein, in den er sich verlieben konnte und der diese Gefühle erwidern würde. Was das anging war ich wohl ein hoffnungsloser Optimist.
Er sah immer noch nicht überzeugt aus - aber immerhin hatte er aufgehört sich in einer Schublade einzusperren. Das war ein Fortschritt. Als mir ein neuer Gedanke kam, musste ich grinsen.
„Was ist los?“
„Naja… wenn das mit dem Liebestrank sowieso nicht funktioniert hätte, dann hätte das mit Blue gar nicht passieren müssen. Er wird sich sowas von ärgern wenn die drei Tage um sind.“
„Vergisst du nicht, dass er dir bis dahin auf den Wecker gehen wird?“, erinnerte Hannes mich.
Stimmt. Da war was. Wahrscheinlich sollte ich deswegen auf Hannes sauer sein, aber irgendwie konnte ich mich nicht dazu hinreißen. Also machte ich es ihm nach und zuckte mit den Schultern.
„Sollen wir runter zu Oma und Phoenix gehen? Ich glaube die tauschen sich gerade über „In allen Lesbenlagen“ aus, essen Kuchen und trinken Kaffee.“
„Solange ich ein paar Fliegen bekomme…“
„Das lässt sich bestimmt einrichten.“

3 Kommentare:

  1. Die Szene kommt mir bekannt vor... haben meine beiden Protas gerade auch hinter sich gebracht.

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    1. Die Chemie zwischen Mia und Blue ist einfach besser. Aber da ich kein Liebesdreieck will (ugh) und Mia sowieso keinen Bock auf eine Beziehung hat, habe ich Mia und Hannes von ihren Gefühlen erlöst. Befreundet sein steht denen besser. ^^

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    2. Ja, das finde ich auch... aber ich gehöre ja sowieso zu der Sorte die Mia und Blue shippen.

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