Der Gang schien endlos. Ab und zu waren an
den Wänden Lampen angebracht, kleine Männchen auf grünen Schildern, die Türen
entgegen liefen, wie Notausgangszeichen. Wozu war das Ding hier normalerweise
gut? Bestimmt nicht nur, um einem Pub Brawl zu entkommen.
Zum Glück hörte auch dieser Tunnel irgendwann
auf und spuckte uns zurück ans Tageslicht. Reichlich verwirrt verließen wir den
Untergrund über eine einsame Telefonzelle neben einer stark befahrenen Straße.
Eine sehr enge Wendeltreppe hatte immer weiter nach oben geführt, bis wir
schließlich etwas aufgeklappt hatten, das wir für eine Luke gehalten hatten,
was sich aber als der Boden einer Telefonzelle herausgestellt hatte.
Zum Glück hatte heutzutage fast jeder ein
Handy (oder eine Gedankenspinne) und wir hatten niemanden bei seinem
Telefongespräch überrascht. Das wäre unschön geworden.
„Na super. Und wo sind wir jetzt?“, grummelte
Blue. ni_in
Die Krabbe auf seiner Schulter meldete sich
auch wieder. Beim Kampf war sie anscheinend zu ängstlich gewesen, um Grimassen
zu ziehen und hatte sich nur an seine Robbe geklammert.
Wir teilten uns auf, um Anhaltspunkte zu
finden und Leute zu befragen. Oma ging in die eine Richtung, Phoenix zusammen
mit Freundschaf, das Hannes auf dem Rücken trug in eine andere und Blue und ich
gingen in die andere.
„Entschuldigung…“, versuchte ich es beim
ersten Passanten, doch die Frau lächelte mir nur entschuldigend zu und hastete
weiter. Vermutlich hatte sie es eilig.
Blue lehnte, statt zu helfen, mit
verschränkten Armen an der Telefonzelle, durch die wir eben nach draußen
gekommen waren. Missmutig zupfte er an seiner Krabbe herum, die sich jedoch
nicht von seiner Robbe losmachen ließ. Es sah so aus als würde er eine Weile
mit ihr auskommen müssen.
„Hilf gefälligst mit“, fauchte ich ihn an.
„Mir geht’s gerade ziemlich dreckig. Wegen dieses
bescheuerten Liebestrankes.“
„Den du unbedingt trinken musstest – weil du
ja alles isst und trinkst, was dir vor die Nase kommt. Daran solltest du
vielleicht arbeiten“, meinte ich nur.
„Nein, nur weil du unbedingt versuchen
wolltest Hannes zurück in einen Menschen zu verwandeln. Und deshalb habe ich
mich die letzten Tage über aufgeführt wie ein liebeskranker Volltrottel. So
eine beknackte Idee…“
Ganz offensichtlich hatte der Trank aufgehört
zu wirken. Momentan war mir der verliebte Blue fast lieber als der Griesgram,
der jetzt vor mir stand. Obwohl er oft sehr negativ sein konnte, war das hier
ein neues Tief. Und auch wenn das Teil der Wirkung des Trankes war, konnte ich
das einfach nicht auf sich beruhen lassen.
„Hey, wenn du in einen Frosch verwandelt
wärst, würde ich auch versuchen dich zurückzuküssen!“
Er hob nur eine Augenbraue und ich verdaute
was ich gerade gesagt hatte. Ups. Da bestand definitiv die Möglichkeit, dass
das falsch ankam.
„Weil ich versuche meinen Freunden zu
helfen“, fuhr ich deshalb fort. „Das machen Freunde so.“
„Freunde küssen ihre Freunde?“ Immerhin sah
er jetzt eher amüsiert als genervt aus.
„Wenn sie in Frösche verwandelt wurden, warum
nicht? Vielleicht funktioniert’s ja.“ Unweigerlich musste ich auch grinsen.
„Hey, das kannst du doch in deine nächste NaNo-Geschichte einbauen!“, meinte
ich nur.
„Eigentlich hatte ich schon etwas anderes im
Kopft…“
„Ach was. Du schreibst doch sowieso immer
hunderttausende Wörter mehr als du eigentlich müsstest. Und mehrere Geschichten
noch dazu. Eine mehr oder weniger macht da doch keinen großen Unterschied“,
neckte ich.
„Versorg mich bloß nicht mit noch einem
Plotbunny. Die Viecher belagern mich eh schon zu hunderten!“
Der alte Blue war wieder da. Endlich. Weder
komplett miesepetrig, noch bis über beide Ohren in mich verliebt. Immer noch
nervig, aber daran war ich ja mittlerweile gewöhnt. Vielleicht hatte er aus dem
Vorfall sogar eine Lektion gelernt – nämlich nicht mehr alles zu essen, egal wo
er es fand. Oder auch nicht. Wir sprachen immerhin von Blue.
„Na los, fragen wir weiter Passanten, um
herauszufinden wo genau wir sind“, meinte ich und wandte mich einer Frau zu,
die neben der Telefonzelle stehen geblieben war.
„Entschuldigung, aber können Sie uns
vielleicht sagen wo genau wir hier sind? Wir haben uns verlaufen…“, sagte ich.
„Ist der da ein Overachiever?“, fragte sie
plötzlich.
„Äh…“ Da hatte wohl jemand unsere
Unterhaltung belauscht. „Ja… wieso?“
Ich hörte nur noch das Geräusch von Blues
Schwert als er es zog, den Aufschrei meiner Oma aus weiter Ferne und dann wurde
die Welt um mich herum schwarz.
Mein Kopf dröhnte, in meinen Ohren war ein
Rauschen, das sich ein wenig anhörte wie eine Blaskapelle, deren Unstrumente
von einer Herde Elefanten überrant worden waren – und so eben zu Unstrumenten, unstimmigen Instrumenten,
geworden waren – und irgendetwas zupfte ununterbrochen an meinem Arm.
„Mia, psscht.“
War das Blues Stimme? Als ich versuchte
weiter darüber nachzudenken, begann mein Kopf wieder zu schmerzen. Das schien
von einer Beule an der Seite meines Schädels auszugehen.
„Mia, wach auf.“ Das Zupfen an meinem Arm
wurde stärker.
Es hörte erst auf als ich stöhnte, meine
Augen öffnete und versuchte mich aufzusetzen – nur um sofort wieder
zurückzusinken, weil die Welt auf einmal anfing zu pulsieren. Irgendjemand
hatte einen guten Job dabei getan mich bewusstlos zu schlagen. Aber Blue war
auch da gewesen. Und Phoenix und Oma waren nur einen Steinwurf entfernt
gewesen. Vermutlich lag ich nur auf der Straße und die seltsame Frau war längst
über alle Berge.
Allerdings schien mein Gehirn langsam mit dem
Rest meines Körpers aufzuschließen, denn ich erinnerte mich daran was ich in
der Sekunde gesehen hatte, in der ich die Augen geöffnet hatte. Der Schock
reichte, um mich doch noch in die Senkrechte zu befördern.
Oh Shit.
Das erste, was ich sah, war die vergitterte
Tür vor mir. Ein Stuhl stand in einer Ecke des Zimmer, direkt unter dem
vergitterten Fenster. Ich selbst lag auf einer steinharten Pritsche. Das, was
mich am Ärmel gezupft hatte, war Blues Hand, die er offensichtlich durch eine
Lücke im Mauerwerk gestreckt hatte.
„Blue?“
„Hier. Die Steine waren ein wenig lose und
ich konnte einen lockern und rausnehmen. Aber leider funktioniert das nur zu
deiner Zelle. Die Wände nach draußen sind undurchdringbar.“
„Häh? Zelle?“
Jap, ich befand mich eindeutig in einer
Zelle. Aber warum? Und, noch wichtiger, wie zum Teufel kamen wir hier wieder
raus?
„Ja. Diese Frau hat sie nicht mehr alle“,
bestätigte Blue meine Vermutung.
„Warum genau sind wir hier? Und wo ist hier?“
„Ihre Gründe sind offensichtlich weil ich ein
Overachiever bin und du einen Frosch geküsst hast. Sie versucht das NaNo-Land
von seltsamen Vorkommnissen zu befreien und wir gehören offensichtlich dazu.
Jedenfalls hat sie mir einen ellenlangen Vortrag darüber gehalten, als sie uns
Essen vorbeigebracht hat“, meinte er.
Tatsächlich sah ich jetzt direkt vor der Tür
ein Tablett mit Essen stehen. Ein Sandwich und eine Flasche Wasser. Das war
wohl besser als nichts.
„Wie lange will sie uns hier drin behalten?“
Ich begann mich über das Sandwich
herzumachen. Man, hatte ich einen Hunger. Und Durst auch. Vielleicht fragte ich
lieber nicht wie lange genau ich ohnmächtig gewesen war. Allerdings war ich
nicht hungrig genug, um die Sandwitches nicht zu vermissen, die wir bei Roberot
bekommen hatten. Das waren bessere Tage gewesen.
„Ich weiß es nicht. Aber meine Vermutung ist:
lange“, meinte Blue.
Das hatte ich befürchtet. Hoffentlich würden
Oma, Phoenix und Hannes alle Hebel in Bewegung setzen, um uns hier
rauszubekommen.
„Was ist das nur für ein Ort?“, wunderte ich
mich wieder. Die Argumente der Frau konnte ich nämlich nicht ganz
nachvollziehen.
„Sie hat ein paar Kommentare fallen gelassen,
die mich auf eine Idee gebracht haben. Das hier ist der Sammelpunkt aller
Zweifel. Alle Zweifel, die Wrimos selbst haben, wenn sie schreiben. Alle
Zweifel, die ihr Umfeld hat, wenn sie sich im November komplett abkapseln. Und
das alles konzentriert sich hier und wird zu einem Gefängnis, das alles
Seltsame abschaffen will. Wenn du genauer darüber nachdenkst, würden die
meisten Leute den NaNo an sich für seltsam halten.“
Die Theorie hörte sich ein wenig an, als wäre
sie an den Fingern herbeigezogen. Allerdings hatte sie einen wahren Kern.
Jetzt, wo mein Kopf mir nicht mehr dazwischenfunkte und auch mein Bauch ruhig
gestellt war, bemerkte ich erst die Atmosphäre des Ortes. Es war absolut
tödlich für jede Art von Kreativität. Dieses ganze Gefängnis kam mir wie ein
einziges Motivationsloch vor.
„Wir müssen hier raus“, entschied ich.
„Leichter gesagt als getan. Diese Zelle ist eine der am strengsten bewachtetsten
Zellen“, sagte Blue.
„Bewachtetsten…?“
„Immer wenn unsere
Autorin übertreiben will, fängt sie an, nicht nur Adjektive,
sondern auch Verben zu steigern, denn so machtesten es die besten Autoren nun
mal“, meinte Blue. „Das macht Steph schon die ganze Zeit. Als würde sie sich
über uns lustig machen.“
„Steph! Hol uns sofort hier raus!“, beschwerte ich mich.
„Das bringt nichts.“ Blue hatte seine Hand
zurückgezogen und ich legte mich nun wieder auf die Pritsche. Das Loch in der
Wand war etwa in Kopfhöhe und ein Paar blauer Augen blinzelte mir entgegen.
„Das habe ich auch schon versucht.“
Wahrscheinlich war sie nicht gut auf uns zu
sprechen. Wenn sie uns in ein Motivationsloch gesteckt hatte, steckte sie
vielleicht selbst in einem und wollte sich so an uns rächen. Wenn man es von
der Seite betrachtete, war es recht clever – auch wenn es immer noch sehr
nervig für uns war. Und antworten könnte sie auch mal, wenn man sie darum bat.
„Steph!“, versuchte ich es wieder.
„Das bringt doch nichts, Mia“, seufzte Blue.
„Wir müssen uns selbst helfen. Versuch mal, ob bei dir auch ein paar Steine
locker sind.“
Ich nickte ihm zu und wandte dem Loch in der
Wand den Rücken zu. Dann begann ich systematisch den Rest meiner Zelle
abzusuchen. An einigen Stellen war der Mörtel zwar lose, doch an der Wand, die
zwischen Zelle und Gang war, konnte ich keine Schwachstelle entdecken. Dafür
bemerkte ich eine Schwachstelle an der gegenüberliegenden Seite.
Mit einem Stück Stein begann ich den Mörtel
wegzukratzen. Wie hatte Blue das jemals geschafft? Das dauerte ewig! Was mich
wieder überlegen ließ wie lange ich k.o. gewesen war. Zum Glück lenkte Blue
mich ab, indem er mich mit allem möglichen Zeug vollquatschte. Er erzählte von
seinem Studium, von dem er bisher nicht so viel berichtet hatte, von den
Geschichten, die er im November geschrieben hatte, von denen ich während
unzähliger Schreibtreffen schon einige Details kannte und von seiner Familie.
„Aha!“, unterbrach ich ihn schließlich.
„Bist du durch?“, fragte Blue und sein Auge
erschiend wieder in der Lücke der Wand.
„Ich glaube schon…“
Meine Fingernägel brachen fast als ich
versuchte den Stein zu greifen, doch schließlich schaffte ich es ihn aus der
Wand zu entfernen. Ich presste mein Auge gegen die Wand und versuchte zu
erkennen, ob ich einen Weg nach draußen gefunden hatte.
Der Raum dahinter war in Dämmerlicht
getaucht. Weit oben erkannte ich ein vergittertes Fenster und mein Herz sank.
Ich war nur in einer weiteren Zelle gelandet. Hier würden wir nicht rauskommen.
„Määh“, machte es plötzlich und vor Schreck
fiel ich hintenüber.
„Freundschaf? Bist das du?“
Oh bitte nicht. Das verdiente es nun wirklich
nicht. Dass Blue und ich hier festsaßen reichte völlig.
„Määh“, machte es wieder.
„Mähh.“
„Mmmäh.“
„Määääh.“
Das hörte sich an wie die Stimme von
verschiedenen Schafen. Und sie waren alle nicht Freundschaf. Ich presste mein
Gesicht wieder gegen die Wand und versuchte mehr zu erkennen. Das wenige Licht,
das durch das Fenster fiel, beleuchtete einen Raum, der aussah als wäre er mit
Watte gefüllt.
„Du, Blue…“
„Hast du einen Ausgang gefunden?“, fragte er
mit eindeutiger Hoffnung in der Stimme.
„Nein. Aber ich glaube wir haben gerade die
Freundschafe gefunden.“
Das brachte ihn zum Schweigen. Mich auch, um
ehrlich zu sein. Denn zwar hatten wir das Ziel unserer Mission erreicht, aber
waren so weit entfernt davon das NaNo-Land zu retten wie man nur sein konnte.
Denn statt die Freundschafe zu retten, saßen wir anscheinend im gleichen
Gefängnis fest.
Na super.
Kleiner Fehler im vorletzten Satz... Denn statt die Freundschafe zu retten, saßen wir anscheinend im gleicgen Gefängnis fest.
AntwortenLöschenFreude küssen Freunde... da würde ich wohl auch ziemlich amüsiert grinsen. Hach... ich mag das Zusammenspiel zwischen Mia und Blue. Und oha... krasser Einschnitt, bin ich froh das es so einen Ort nicht wirklich gibt. Man bin ich heute fertig... ich hab erst registriert wo sie jetzt sind als ich das erste Mäh gelesen habe, Schande über meine Kuh.