Die Nebelschaden verzogen sich sobald wir die
Brücke hinter uns gelassen hatten, was uns ohne Probleme gelang. Keine
fallenden Balken, keine einstürzenden Konstruktionen… Fast hatte ich damit
gerechnet, war aber mehr als froh, dass ich falsch gelegen hatte.
Womit ich auch falsch gelegen hatte war der
Anblick, der uns erwartete als wir die Brücke verließen. Wir fanden uns mitten
in einem Stadtpark wieder. Umgeben waren wir von Bäumen, aber weiter hinten
konnte man Gebäude sehen und das Rauschen von Autos auf einer stark befahrenen
Straße war zu hören.
„Das ist nicht was ich erwartet hatte…“,
meinte Blue.
Als wir uns umdrehten, um zu sehen woher wir
gekommen waren, hatte sich die hölzerne Brücke in eine Brücke aus Stein
verwandelt und führte auf die andere Seite eines schmalen, mit wenig Wasser
gefüllten Grabens.
„Das hatte ich auch nicht unbedingt erwartet.
Wie zum Teufel sollen wir jetzt zurückkommen?“
„Lasst uns darüber später nachdenken“, schlug
Phoenix vor. „Erstmal sollten wir die Stadt erkunden.“
Sie hatte vielleicht Recht, aber ein flaues
Gefühl blieb trotzdem in meinem Magen zurück. Was, wenn wir nicht zurückkamen?
Was, wenn wir jetzt zurückgingen und sich die Grenze dann schloss und wir nicht
zurück nach Österreich kamen? Wenn wir
denn überhaupt in Österreich waren. Nicht einmal das wussten wir momentan mit
Sicherheit.
Wir folgten einfach dem Geräusch von Autos,
was uns bald an eine Straße führte. Ampeln gab es schonmal, was auf eine Welt
schließen ließ, die zumindest an der Realität angelehnt war. Ein paar Fußgänger
waren unterwegs, einige genauso seltsam gekleidet wie die Leute in
Schreibstadt. Einen davon hielten wir an.
„Entschuldigung“, begann meine Oma. „Können
Sie uns sagen in welcher Stadt wir gerade sind?“
Der Mann sah uns recht entgeistert an. „In
Vieann, natürlich.“
„Ist das in Österreich?“, hakte Blue nach.
Dem Passanten schienen fast die Augen aus dem
Kopf zu fallen und es schien ihm die Sprache verschlagen zu haben, denn er
nickte nur. Dass Blue „Yes! Na endlich!“ schrie, half nicht gerade ihm
Vertrauen einzuflößen. Er entschuldigte sich hastig und rannte förmlich vor uns
davon.
„Immerhin wissen wir jetzt, dass wir hier
richtig sind“, seufzte Phoenix.
„Und was jetzt?“, maulte Blue.
Bei seiner Laune vermutete ich fast, dass der
Liebestrank langsam seine Wirkung verlor. Das hatte länger angehalten als ich gedacht
hatte – und ich war froh, dass es bald vorbei sein würde. So nett es auch war
mal Komplimente anstatt Beleidigungen von ihm zu bekommen, vermisste ich den
richtigen Blue. Miesepetrig, vorschnell und immer bereit einen Kampf
anzufangen. Nur die Angewohnheit alles zu essen und zu trinken, was ihm vor die
Nase kam, sollte er sich besser abgewöhnen.
„Jetzt suchen wir die MLs dieser Region und
bitten um Hilfe“, erklärte Phoenix.
„Super, und wie finden wir die? Diese Stadt
scheint recht groß zu sein…“ Blue sah einem Auto nach, das an ihm vorbei raste.
„Ich bin selbst ML einer Region, falls ihr
euch daran erinnert. Selbst wenn ich jetzt ein Zombie bin. Also hatte ich schon
mit den MLs von ein paar anderen Regionen zu tun. Bisher allerdings nur über
das Internet.“
„Also, wie genau läuft das hier?“, fragte
ich.
„Die Region ist in Bibliotheken aufgeteilt“,
begann Phoenix.
„Warum wundert mich das nicht?“, murrte Blue.
Phoenix ignorierte ihn. „Die Hauptbibliothek
ist in Vieann. Naja, in der Realität wäre das Wien, auch wenn es hier anders
heißt. Alle örtlichen Treffen sind als Bibliotheken angelegt – und im NaNo-Land
befinden sich die MLs natürlich in Vieann, um alles zu überwachen.“
„Natürlich.“
Halleluja, Blue hatte seinen Sarkasmus
wiedergefunden.
Zwar kannte sich hier niemand von uns aus,
aber die Leute, die wir auf der Straße trafen, waren alle freundlich genug uns in
die richtige Richtung zu weisen. Solange wir nicht fragten in welcher
NaNo-Region und welcher Stadt wir waren, bekamen wir auch keine entgeisterten
Blicke mehr ab.
Vieann hatte, wir jede Stadt, in der wir
bisher gewesen waren, seine Eigenheiten. Meine Lieblingssehenswürdigkeit war
die Charakterdesign-Fabrik, die wir auf dem Weg zur Hauptbibliothek passierten.
Anscheinend hatte die jemand von hier aufgebaut und zeichnete die Charaktere
von anderen Wrimos – die sich hier übrigens NaNÖs nannten. Ob das bedeutete,
dass die Charaktere hier zu echten Menschen wurden, wusste ich nicht, aber es
würde so einiges erklären.
Eine andere Sache, die uns nach einer Weile
auffiel, war dass sich die Krabben hier eindeutig breit gemacht hatten. Ich
wusste nicht genau, ob ich darauf hoffen sollte, dass sich die Krabbeninvasion
bis nach Deutschland ausbreiten würde, oder ob sie lieber in Österreich bleiben
sollten, denn hier schienen die Krabben auch ohne Wasser auszukommen.
Stattdessen tauchten sie jedes Mal auf, wenn jemand ein Gefühl ausdrücken
wollte.
Ein weinendes Kind hatte eine njojn Krabbe
auf der Schulter sitzen. Ein Junge, der einem Mädchen zuzwinkerte hatte eine
Krabbe auf der Schulter sitzen, die so aussah: nîuin. Als das Mädchen
tatsächlich rot wurde und anfing zu kichern verwandelte sich das Tier auf
seiner Schulter in eine YiviY, was wohl eine Hurra-Krabbe war und die auf der
Schulter des Mädchens in eine glückliche nivin.
Anscheinend schien es der neuste Trend zu
sein eine Krabbe auf seiner Schulter sitzen zu haben, die alle Emotionen
zeigte, die man fühlte. Ich würde mich fühlen, als ob ich auf einem
Präsentierteller sitzen würde, aber jedem das Seine. Blue schien fasziniert von
den Krabben zu sein und versuchte eine anzufassen. Sie wurde zuerst zu einer
entrüsteten fioif und dann zu einer nòwón, die ihn prompt in den Finger kniff.
Der Mann, dem die Krabbe gehörte, ließ sich
nur zu einem „geschieht dir recht“ hinreißen, bevor er weiterging.
Blue starrte ihm wütend hinterher. Eine
Krabbe, die plötzlich auf seiner Schulter aufgetaucht war, wurde zu einer
unglücklichen ni_in. Sobald er mich ansah, wurde sie zu einer ni3in, was mich
denken ließ, dass der Trank seine Wirkung vielleicht noch nicht ganz verloren
hatte.
„Wo hast du die Krabbe her, Blue?“, fragte
ich.
„Wah!“ Er versuchte das Tier mit einer Hand
von seiner Schulter zu vertreiben, doch es klammerte sich an seine Robbe, die
ein entrüstetes „oi, oi, oi!“ hören ließ. „Lass mich los, du Ding!“
Anscheinend wollte noch jemand anderes nicht,
dass seine Gefühle öffentlich zur Schau gestellt wurden. Vielleicht hielt ihn
das ja von weiteren Mitternachtsständchen ab.
„Kann irgendjemand dieses Ding entfernen?“
Er sah mich verzweifelt an und ich hob
abwehrend die Hände. „Hey. Das ist dein Krabbenproblem. Außerdem finde ich die
irgendwie niedlich.“
Ich kraulte die Krabbe auf dem Kopf und sie
begann zu grinsen. nivin. Leider schien sich das nicht auf Blue auszuwirken,
der immer noch miesepetrig aussah. Noch schlimmer wurde es als wir an einem
Stadion vorbeikamen, aus dem einige tausend Zusachauer strömten.
„Ich habe Hunger. Da hilft es nicht gerade,
wenn sich Menschen als Sachertorten verkleiden“, grummelte er und die Krabbe
auf seiner Schulter wurde zu einer ni_in.
Die getörteten Leute verschwanden
glücklicherweise bald in eine U-Bahn-Station. Zumindest musste Blue sie nicht
mehr sehen. Da sein Magen mittlerweile so laut knurrte, dass sogar ich ihn
hören konnte, war das Problem allerdings nur aufgeschoben und nicht behoben.
„Hier sind wir.“ Phoenix blieb vor einem
riesigen Gebäude stehen, das vor uns aufragte.
Blue stöhnte erneut. „Müssen wir echt die
ganzen Treppen da hoch? Ich will nicht.“ ni_in
„Wenn ich nicht auf Mias Schulter sitzen
würde, würde ich ihm Recht geben…“, meinte Hannes nur.
Und wie sollte mir das weiterhelfen? Ich
konnte Blue schlecht Huckepack nehmen. Da war Hannes‘ Größte wesentlich
praktischer. Also nahm ich mir den Ärmel seines Pullovers und begann ihn hinter
mir die Stufen hinaufzuziehen. Er grummelte wieder irgendetwas, begann aber mir
zu folgen. Meine Oma benutzte kurzerhand ihren Regenschirm als Gehhilfe und
Phoenix hatte uns alle bald überholt. Freundschaf brauchte am längsten, schien
sich aber von den Stufen nicht einschüchtern zu lassen.
Einige der Leute, die ebenfalls auf dem Weg
in die Bibliothek waren, oder aber gerade herauskamen, sahen dem Schaf ein
wenig verwirrt nach, doch Freundschaf ignorierte sie. Ich tat es ihm gleich.
„Bist du sicher, dass die MLs uns helfen
werden?“, fragte Blue Phoenix.
„Wir haben immer noch den Zettel von Mr. Ian
Woon“, antwortete die. „Er ist der König des ganzen NaNo-Landes. Also sollte
uns das auch hier weiterhelfen.“
„Mmh…“, machte unser Miesepeter nur.
Das war wohl wirklich der Liebestrank, der
seine Wirkung verlor. Schluss mit rosaroter Brille. Schluss mit Singen unter
meinem Fenster. Und vielleicht würde ich sogar Glück haben und er war zu sehr
von der Krabbe auf seiner Schulter abgelenkt, als dass er versuchen würde mir
die Schuld in die Schuhe zu schieben. Man konnte hoffen.
„Hier sind wir“, wiederholte Phoenix, als wir
vor den großen Toren der Bibliothek angekommen waren.
„Hoffen wir mal, dass das funktioniert“,
murmelte Blue nur.
Och schade... Blue auf Liebestrank war so unterhaltsam.
AntwortenLöschenDafür hat er jetzt eine Krabbe. Die übrigens nicht geplant war. Allerdings sieht es so aus als würde es schwer werden die wieder loszuwerden...
LöschenWie das eben immer so ist mit nicht geplanten Dingen... man wird sie selten wieder los, wenn ich da an meine Diebin aus Schattenmagier denke <.<
LöschenIch mag Blues Krabbe. Und ich finds super, dass du den "Ich zeichne eure Charaktere"-Thread eingebaut hast fivif.
AntwortenLöschenIch habe mich vor der Planung der Region im NaNo-Land ein wenig in eurem Forum umgesehen. ;)
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