Wir
kletterten dieses Mal die Letter hinauf, um in den Schreibraum zu gelangen.
„Meine Erfindung! Eine Letter aus Buchstaben!“, meinte
Himmelrich fröhlich.
Ich hatte nicht den Mut ihm zu sagen, dass sie
vermutlich bald verschwinden würde. Die Sprache verschlug mir der Raum
allerdings immer noch. Hatte er letztes Mal auch schon so viele Bücherregale
gehabt?
„Die Bücherregale verstehen jeden Fleck Wand",
sagte er. „Sie sind sehr schlau und wissen genau wo ihr Platz ist.“
„Mäh“, machte Freundschaf von unten und sah kläglich
hinter uns die Leiter hinauf.
„Oh nein! Freundschaf muss einfach mit hier sein.“ Ich
dachte sowohl an seinen traurigen Blick, ganz allein dort unten, als auch an
seine Fähigkeit die Erinnerung an Geschichten am Leben zu halten.
„Kleinen Moment. Ich wollte euch sowieso nur die
Letter zeigen.“
Himmelrich drehte sich um und ging aus einer Tür auf
der rechten Seite. Es dauerte einige Minuten, in denen wir nur aus unbestimmten
Richtungen Schritte hörten. Teilweise schienen sie einmal im Kreis um den Raum
herumzugehen – was seltsam war, da an der einen Wand des Raumes Fenster nach
draußen abgingen.
„Äh…“, begann Blue.
„Mäh“, machte Freundschaf im gleichen Moment, als wir
von unten Himmelrichs Stimme hörten „Da bist du ja!“
Ein Blick die Letter hinunter zeigte uns, dass beide
nebeneinanderstanden und Himmelrich uns zuwinkte. „Kleinen Moment noch. Wir sind
gleich da.“
Er winkte Freundschaf, ihm zu folgen, was es mit einem
weiteren „Mäh“ tat. Es folgten Schritte. Hufe. Schritte, einmal Fluchen, als
etwas polterte als hätte sich jemand den Kopf gestoßen.
„Das ist irgendwie… seltsam.“ Blue drehte sich um sich
selbst und betrachtete eine Wand nach der anderen. „Wo zum Teufel läuft der
lang?“ Er kratzte sich am Kopf, dass seine blauen Haare wirr abstanden.
„Mäh“, machte es dumpf hinter einer Wand.
„Kleinen Moment.“ Himmelrich fluchte erneut. „Aha!“
Es machte klick, dann wirkte die Wand auf einmal
abwesend, denn sie war verschwunden. Komplett. Keine Bücherregale, keine
Tapete, kein nichts. Da war nur ein Blick auf einen recht leeren, enorm engen
Flur mit zertretenen Holzdielen und Freundschaf sowie Himmelrich, der sich den
Kopf rieb.
„Hat ja lange genug gedauert“, grummelte er. „Komm
rein.“
Freundschaf folgte ihm in den Raum, Himmelrich winkte
der Wand und sie war plötzlich wieder da.
„Woah.“
Da konnte ich Blue nur zustimmen.
„Ihr wolltet Tee und Kekse?“ Mathildas leicht
unfreundliche Stimme drang von einer anderen Seite des Raumes an unsere Ohren.
Eine Tür zwischen zwei Regalen, die mir vorher gar
nicht aufgefallen war, ging auf und das Hinterteil von Mathilda marschierte in
den Raum. Vorne balancierte sie ein Tablett, das geradezu überladen mit Gebäck
war. Mehrere Tassen waren so prekär übereinandergestapelt, dass ich sofort zu
ihr eilte, um zu retten, was zu retten war.
„Danke“, meinte sie, als ich die Tassen vom Tablett
nahm. „Stell sie am besten dort hinten hin.“
„Wohin?“ Ich schaute mich um, nicht ganz gewillt
Teetassen auf den Schribtsichs abzustellen.
„Offentischlich dort drüben!“, ereiferte sie sich.
„Kind, wo hast du deine Augen?“
Mathilda schüttelte den Kopf und Himmelrich deutete
dezent auf einen Tisch, der… offentischlich?... direkt in der Mitte des Raumes
aufgetaucht war.
„Woah“, wiederholte Blue.
„Die Magie ist hier immer noch stark“, sagte Phoenix
bewundernd. „Das hier wird vermutlich der letzte Ort sein, an dem noch
Geschichten verschwinden. Wir sollten es also auf jeden Fall mitbekommen, wenn
der Große Rote Knopf des Verderbens sich ausgetobt hat.“
Das war nur gut, wenn wir uns auch wirklich daran
erinnerten was wir hier taten, was wir getan hatten, dass wir den Auftrag
bekommen hatten etwas zu tun… Au, mein Kopf.
„Himmelrich! Nur, weil wir hier dem Untergang der
Bücherwelt entgegensehen, heißt das noch lange nicht, dass du ums Aufräumen
herumkommst!“ Sie deutete in den hinteren Teil des Raumes.
Unterlagen
und Zettel waren quer und kreuz über den Boden verteilt, teilweise eingerissen,
teilweise… angeknabbert?
„Das
waren die verfluchten Magieratten!“, schimpfte Himmelrich. „Die knabbern immer
die Dokumente und Geschichten an!“
„Alles
nur Ausreden“, brummte Mathilda, während sie das Tablet auf dem Tisch
abstellte.
„Was
sind Magieratten?“, flüsterte Blue mir zu.
„Was
fragst du mich? Du bist schon länger dabei als ich…“, flüsterte ich zurück.
„Das
sind fiese Biester“, erklärte Hannes von meiner Schulter aus. „Die fressen
alles an, was nicht niet- und nagelfest ist. Und ich meine wirklich alles. Einmal hat der Koch in unserem
Schloss die Besteckschublade aufgemacht und alle Löffeln waren angefressen…“
Auf
einmal betrachtete ich die dunklen Ecken des Bodens mit neuem Interesse.
Hoffentlich sah ich keinen Rattenschwanz in irgendeinem Loch verschwinden…
Himmelrich
schnappte sich einige der Zettel und schob sie unbesehen in einem Stapel
zusammen. Mathilda runzelte zwar die Stirn, sagte aber nichts weiter, außer,
dass sie die Lippen zusammenkniff und ein paar Kekse auf dem Tablett anders
arrangierte.
„Und
was machen wir jetzt?“, fragte sie.
Zuerst
klang ihre Stimme normal. Leicht sarkastisch, herrisch und nicht unbedingt
freundlich. Allerdings schwang ein leichtes Zittern darin mit und sie griff wie
automatisch nach einem Buch, das auf dem Tisch las. Geistesabwesend blätterte
sie darin herum. Über ihre Schulter konnte ich die leeren Seiten sehen. Egal
was für eine Einstellung sie an den Tag legte, sie musste Bücher und
Geschichten lieben um überhaupt erst in diese Bibliothek gezogen zu sein.
„Wir
warten.“ Meine Oma ließ sich in einen der Stühle sinken und nahm sich eine
Tasse. „Habt ihr Englisch Breakfast Tea?“
Ich
schaute mir lieber den Rest des Raumes nochmal an. Nur für den Fall, dass sich
irgendwo Magieratten versteckten. Außerdem fand ich es leicht verstörend, dass
die weder die Stifte noch die Federn am Schreiben waren. Selbst das Tintenfass,
das vorher halb voll und halb leer gewesen war, sah vollkommen unberührt aus.
Keine Bücher lagen an den Tischenden und selbst als ich mich über den Tisch
beugte, schaffte es nur eine Feder sich kurz zu regen als würde sie mir
zuwinken. Danach lag sie still und sah einfach aus wie ein ganz normales
Schreibgerät.
„Die
haben vor ein paar Stunden einfach aufgehört“, erklärte Mathilda, als sie
meinen Blick sah. „Eine nach der anderen sind die Federn umgefallen und die
Stifte hatten keine Kraft mehr dazu sich selbst anzuspitzen. Und alles, was sie
bis dahin geschrieben hatten, ist sofort verschwunden, wenn sie aufgehört haben
zu schreiben.“
Das
bestätigte dann wohl unsere Theorie. Sollten wir die Wunder jetzt einsetzen,
würde das nichts an der Gesamtsituation ändern.
„Nimm
einen Tee, Mathilda.“ Meine Oma bot ihr eine Tasse an.
Zu
meiner Verwunderung nickte Martha nur, legte das leere Buch auf den Tisch und
begann Tee zu schlürfen. Wenn sogar sie von der ganzen Sache so mitgenommen
war, dann wollte ich nicht wissen wie es den restlichen Leuten im NaNo-Land
ging.
Ich
nahm mir einen Schokoladenkeks vom Tablet und schnappte mir eine der Tassen.
Tee und Kekse. Vielleicht, wenn ich mich nur darauf konzentrierte, würde ich
nicht den Verstand verlieren.
„Mäh“,
machte Freundschaf und stupste meine Handfläche mit seiner Nase an. Sofort
schossen einige Geschichtsfetzen durch meinen Kopf, die ich keiner Geschichte
mehr zuordnen konnte.
„Pass
gut auf deine Erinnerung auf, Freundschaf“, murmelte ich nur. „Du wirst
vermutlich das einzige Lebewesen oder Nichtlebewesen sein, das sie noch
besitzt.“
Oma trinkt English Breakfest Tea? Sehr sympathisch ^^
AntwortenLöschenIch muss sagen, falls du dich wirklich auf das Kapitel bezogen hast, dann fand ich das vorherhige Kapitel trauriger... auch wenn ich zugeben muss, dass die ruhenden Federn einem schon nahe gehen.